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Sonntag, 11. Oktober 2009

James Newton Howard (Teil 2) - Immer etwas Neues ausprobieren

Für die Scores zu "Auf der Flucht", "Glengarry Glen Ross" und "Dying Young" haben Sie mit Solo-Künstlern wie Kenny G. und Wayne Shorter zusammengearbeitet. Wie sahen diese Kollaborationen aus?
Ich wurde von Kenny G. angesprochen, der vorher nie Material von anderen Leuten veröffentlicht hat und sagte, er wäre ein Fan. Joel Schumacher hätte ihm ein Thema vorgespielt, das ich für den Film komponiert habe, und er fragte mich, ob ich an einer Zusammenarbeit interessiert sei.
Da er ein unglaublich netter Typ ist, war ich von der Idee gleich angetan.
Das Stück, das ich geschrieben hatte, passte Kenny sehr gut und er war sehr erfolgreich darin, ein Album davon zu machen.
Mit Wayne war es ganz anders. Er ist einer der ganz Großen im Jazz. Ich bin ein großer Fan von Weather Report gewesen und habe seit jungen Jahren seine Musik gehört. "Glengarry Glen Ross" war ein kalter, dunkler Film. In der Musik kam eine gewisse Absurdität zum Ausdruck. Aber in erster Linie hatte sie ein Jazz-Feeling. Da war eine Einsamkeit und Verfremdung, die ich mit den ruhigen Stücken von Wayne Shorter assoziierte. Er wäre perfekt dafür gewesen, also rief ich ihn an, und zu meiner großen Überraschung sagte er zu. Ich fühlte mich sehr geehrt, mit ihm zusammengearbeitet haben zu dürfen.

"Auf der Flucht" war zum großen Teil das Resultat unserer Zusammenarbeit bei "Glengarry Glen Ross". Wir hielten unsere Beziehung aufrecht, und ich schaute nach einer Stimme, die mir half, die städtische Landschaft zu beschreiben, und Wayne war diese Stimme.

Ihre Arbeiten sind bekannt für eine große Bandbreite an musikalischen Stilen und Filmgenres, haben an Dramen wir "Herr der Gezeiten", "Überleben" oder "Grand Canyon" gearbeitet, an Action-Filmen wie "Auf der Flucht" und "Waterworld", Jazz- und Blues-orientierte Scores wie zu "Unter Verdacht" und "The Night And The City" geschrieben, aber auch zu Komödien wie "Dave" und "Junior". Wie haben Sie sich mit all diesen Stilen vertraut gemacht?
Ich habe keine Ahnung. Du weißt, wie dieser Job ist. Man ist an vorderster Front, muss etwas lernen und adaptieren, das man vorher nie gemacht hat. Einiges davon resultiert definitiv aus meiner Rock'n'Roll-Erfahrung, meiner klassischen Ausbildung und der Tour, wobei ich ein breites musikalisches Spektrum abdeckte. Der Rest ergab sich mit der Zeit. "Dave" war die erste romantische Komödie, die ich gemacht habe. Wenn man von dir zum ersten Mal verlangt, etwas Neues zu machen, kann ich nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Man ist sehr unsicher, da steckt eine Menge Energie dahinter, die Verzweiflung und Angst, dass man nicht weiß, wie man die Sache angehen soll. Für mich ist das ein anhaltender Wachstumsprozess. Das liebe ich an der Filmmusik. Nachdem ich jetzt vielleicht 45 Filme gemacht habe, denke ich nicht, dass ich schon alles ausprobiert habe. Jeder Film konfrontiert dich mit einem neuen Problem, mit einem anderen Gefühlskontext, so dass man sich auf jeden Film neu vorbereiten muss.


Wie wichtig ist es für einen Komponisten, so eine breite Palette an musikalischen Ausdrucksformen zu beherrschen?
Ich denke schon, dass es wichtig ist. Wenn ich nur Action-Filme oder nur "Herr der Gezeiten" machen würde, müsste ich mich irgendwann umbringen. Ich müsste aus dem Geschäft aussteigen und mir einen anderen Job suchen. Für mich ist es die schönste Sache, immer wieder die Gelegenheit zu bekommen, etwas zu machen, was ich vorher noch nie gemacht habe, und zu versuchen, dem Film so gut wie möglich damit zu dienen.

Welche Qualitäten sollte denn ein guter Komponist Ihrer Meinung nach besitzen?
Nun, vor allem sollte ein guter Filmkomponist in der Lage sein, einen Film zu scoren. das klingt wie eine simple Sache, das ist es aber nicht. Ich spreche nicht davon, Musik zu schreiben, sie in den Film einzusetzen und dort zu verstreuen. Unter Scoren verstehe ich, sich in die Dialoge und die Handlung, in den Subtext hineinzuversetzen und den Wert und das Tempo des Films zu unterstützen. All diese Zutaten sind wichtig, um einen umfassenden Filmscore zu erarbeiten. Das ist keine einfache Angelegenheit.
Zum zweiten sollte ein guter Filmkomponist natürlich die Fähigkeit besitzen, Melodien zu schreiben, Rhythmen auf geeignete Weise einzusetzen, mit Texturen, Dynamikwechseln und Orchestrationen umzugehen, und er sollte über Vorstellungsvermögen verfügen.
Das ist es, was ich z.B. an Jerry Goldsmith so bewundere. Er besitzt eine unglaubliche Vorstellungskraft, benutzt immer die phantastischst klingenden Instrumente wie z.B. in dem ursprünglichen "Alien"-Score. Er war immer eine Inspiration für mich gewesen. Ich denke ständig darüber nach, was für andere Dimensionen mit neuen Instrumenten ausgedrückt werden können, füge etwas hinzu, woran ich vorher nie gedacht habe, oder benutze das Gegenstück zu dem, was offensichtlich wäre.


Mittlerweile sind Soundtracks zu einem wichtigen Instrument bei der Vermarktung eines Films geworden. Inwieweit beeinflusst das Wissen, dass von der Musik zu dem Film, an dem man gerade arbeitet, ein Soundtrack-Album erscheint, den Kompositionsprozess?
Es kann ein wenig Einfluss ausüben. Aber ich versuche ohnehin, die bestmögliche Musik zu schreiben, zu der ich momentan in der Lage bin. Natürlich versucht man sich gelegentlich vorzustellen, wie dieser oder jener Cue auf CD klingen würde, und man möchte sicherstellen, dass bestimmte Instrumente oder Töne gut herauszuhören sind. Doch letztlich wirkt sich das nur sehr wenig auf den Kompositionsprozess an sich aus.


Was halten Sie von den Praxis, dass manche Regisseure ihre Filme mit Pop-Songs anstatt mit originalen Kompositionen zu unterlegen? Schränkt das nicht die Möglichkeiten des Komponisten ein?
Ich habe damit nie Probleme gehabt. Ich bin immer sehr froh über den Job gewesen, den ich mache. Es passiert sehr selten, dass ich mich über etwas aufregen muss. Wenn ich an Filmen wie "Pretty Woman" oder "Glengarry Glen Ross" arbeite, in denen viele Songs vorkommen, stört mich das nicht, weil ich dort arbeite, wo eine Aufgabe auf mich wartet. Wenn sich in einem Film natürlich Song an Song reiht und wenn diese Songs auch noch völlig fehl am Platze sind, macht mich das auch verrückt. Aber wenn man mir eine Szene oder Montage gibt, in der der Regisseur einen Song einbauen will und der Song großartig ist und der Szene dienlich ist, habe ich nichts dagegen. Bei einem schlechten Song würde ich alles versuchen, um ihm den Song auszureden, aber nur aus künstlerischen Gründen. Er könnte einen Fehler vermeiden, wenn die Musik nur besser wäre. Ich habe aber grundsätzlich keine Probleme damit, wenn statt einem Score Songs eingesetzt werden.
Es passiert so selten, dass ein Song in einem Film gut funktioniert, aber es gibt viele Beispiele, wo ein Song unglaublich gut passte. Mittlerweile ist es aber zum Klischee geworden, also wird es kaum noch gemacht. Zum Glück sind die meisten Regisseure, mit denen ich arbeite, angewidert davon, Songs einzusetzen.

Sind Sie nicht etwas enttäuscht darüber, dass einige Ihrer Scores wie "Flatliners", "King Ralph" oder "Falling Down" nicht auf CD erschienen sind?
Das bin ich. Es ist seltsam genug, dass dies gerade Scores sind, die ich sehr gern auf CD haben würde. Ich habe mit Varese und anderen Labels gesprochen. Vielleicht wird es irgendwann in Zukunft eine Compilation geben... Es ist schon witzig. Ich denke, wenn einige Scores - gerade "Flatliners" - zum heutigen Zeitpunkt geschrieben worden wären, wäre es keine Frage, dass es davon ein Soundtrackalbum gegeben hätte bei dem Erfolg, den ich habe. Aber damals war ich noch ein recht unbekannter Typ und ich glaube nicht, dass jeder es für so wichtig hielt, diese Scores auf CD herauszubringen. Glücklicherweise wird momentan alles, was ich mache, auf CD veröffentlicht.

Sie haben zwei Oscar-Nominierungen für "Herr der Gezeiten" und "Auf der Flucht" bekommen (nach dem Interview sind bis heute außerdem „My Best Friend’s Wedding“, „Defiance“, „The Village“ und „Michael Clayton“ hinzugekommen). Die meisten Komponisten, mit denen ich gesprochen habe, halten die Oscar-Verleihung nur für einen kommerziellen Auftritt, bei dem es weniger um die Auszeichnung von Musik hinsichtlich ihres künstlerischen Wertes geht, sondern um den Erfolg des Films, für den die Musik geschrieben wurde.
Was halten Sie vom Academy Award System und Ihren Chancen, in Zukunft einen Oscar zu gewinnen?
Das Academy Award System ist sicherlich eine platte Angelegenheit. Es ist von seiner Definition her ein Schönheitswettbewerb. Es ist klar, dass die Filme mit besonders vielen Nominierungen kommerziell äußerst erfolgreich gewesen sind. Ich bin über das Academy Award System aber längst nicht so verärgert wie viele andere Leute. Die einzige Sache, worüber man sich nicht ärgern kann, ist die Tatsache, dass die Nominierungen von unseren Kollegen, aus der Musikbranche kommen. Wenn man also eine Nominierung erhält, ist das eine schöne Anerkennung. Aber ich denke schon, dass der Oscar keine geeignete Sache ist, um den besten Score des Jahres auszuzeichnen, weil zu viel Politik im Spiel ist. Nichtsdestotrotz war es ein gutes Gefühl, eine Nominierung zu bekommen, weil sie aus der Musikbranche kam und ich wusste, dass ich in diesen Jahren nicht gewinnen würde. Aber man kann es nicht allzu ernst nehmen. Das ist wie mit Kritiken. Wenn sie zu gut ausfallen, versuche ich, sie nicht überzubewerten; wenn sie zu schlecht ausfallen, versuche ich, sie nicht zu schwer zu nehmen. So ist das auch beim Oscar. Wenn man einen bekommt, ist das schön, wenn nicht, macht es nichts aus.
Was meine Chancen angeht, in Zukunft einen Oscar zu gewinnen: Nun, ich bin ziemlich sicher, dass ich irgendwann einen bekomme, aber ich versuche, am Boden zu bleiben und meine Arbeit so gut wie möglich zu machen.

Ein großes Problem, mit dem Komponisten oft zu kämpfen haben, ist die Praxis des Temp-Trackings. Was halten Sie davon und wie gehen Sie damit um?
Es kann für einen Komponisten eine schreckliche Situation werden, wenn er in den sechswöchigen Post-Production-Prozess hinzugezogen wird und der Regisseur seinen Film mit Temp Tracks unterlegt hat. Was ich versuche, ist, so früh wie möglich bei einem Film einbezogen zu werden, so dass ich selbst die Temp-Tracks zur Demo-Version des Films komponieren kann und die erste Musik, die der Regisseur zu seinem Film hört, von mir stammt. Das ist unglaublich erfolgreich für mich. Am Ende des Produktionsprozesses habe ich jeden Cue geschrieben und demonstriert, ihn im Film eingesetzt, und wenn der Regisseur nichts auszusetzen hat, schaue ich mir den Film mit meiner Musik wieder und wieder an, um zu sehen, wie die Musik funktioniert. Diese Arbeitsmethode hat sich sehr für mich bewährt. In meinem Studio hier in L.A. ist eigentlich jeder Sound für mich verfügbar, so dass ich schnell in der Lage bin, Demos von meinen Cues vorzuspielen.


Sound Effects sind ja mittlerweile nicht nur im Science-Fiction- und Horror-Genre unverzichtbar, sondern auch in vielen anderen Film-Genres. Ich denke, dass Leute wie Graeme Revell zum Teil auch deshalb so erfolgreich sind, weil sie ihren eigenen Sound Designer haben. Ist es für Sie eher eine Herausforderung oder eine Beschränkung, mit Sound Effects zu arbeiten?
Ich denke, es ist ein wenig von beidem. Es gibt smarte Regisseure, die wissen, dass ein Autocrash nicht so interessant ist wie die Musik, dass ein Chase-Theme besser funktioniert als quietschende Reifen oder sich zumindest auf effektive Weise ergänzen, aber es gibt auch klassische Beispiele wie "French Connection", wo es keine Musik zu den unglaublichen Verfolgungsfahrten gibt. Da gäbe es auch nichts, was aufregender sein könnte. Ich persönlich finde, dass die Musik, die ich für den Film schreibe, zusammen mit den Sound Effects besser im Filmkontext funktioniert als der Sound an sich, denn dafür wurde ich angeheuert. Die Musik ist dazu da, in die Szene ein- und aus ihr herauszuführen und von Sound Effects begleitet zu werden, aber - das möchte ich ausdrücklich betonen - das Gleichgewicht ist entscheidend. Ein guter Regisseur weiß, wie man Sound Effects und die Musik ausbalanciert. Auf die umfassende Wirkung von Sound Effects und Musik kommt es an. Das einzige, was ich hasse, ist, wenn der Cue zu laut ist, z.B. wie bei "Herr der Gezeiten". Ich habe Barbra versucht klarzumachen, dass die Musik so laut ist, dass man vom Dialog nichts mehr hört. Wenn die Musik nämlich zu laut ist, gibt man dem Komponisten die Schuld, dass er seinen Job schlecht gemacht hat.

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