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Sonntag, 6. Dezember 2009

John Carpenter (Teil 4) - Der künstlerische und kommerzielle Niedergang

Da John Carpenter von der Realität in Amerika der Spätachtziger wenig angetan war,  präsentierte er mit seinem nächsten Projekt für Alive Films seine satirische Abrechnung mit der Reagan-Ära.
„Wir stehen am Ende einer Dekade. Die 80er Jahre haben die Erfolge einer kleinen Gruppe der menschlichen Gesellschaft verbessert. Ein halbes Prozent der Bevölkerung Amerikas verfügt über 50% des Wohlstands des ganzen Landes - es ist nur zu sichtbar, dass das soziale Gefälle immer größer wird. Global betrachtet wird das Gefälle noch viel größer.
Die Nationen der zivilisierten 'ersten' Welt beuten die Menschen der dritten Welt aus, kaufen ihnen die Rohstoffe weg, um ihnen die Produkte daraus später teuer zu verkaufen“, bilanzierte Carpenter die Lage der Nation.

Für „They Live!“ (1988) ließ er sich vom Comic „Alien Encouters“ inspirieren, das Bill Wray nach der 1960 im Magazine of Fantasy and Science Fiction veröffentlichten Geschichte „Eight o’ Clock“ von Ray Faraday Nelson gezeichnet hat.
Darin wird ein Mann von einem Bühnenmagier hypnotisiert und erkennt daraufhin außerirdische Invasoren, die er nur bis zum nächsten Morgen zu bekämpfen Gelegenheit hat.
John Carpenter schuf aus dieser Idee ein nicht in allzu weiter Zukunft liegendes Szenario, in der der amerikanische Traum von jedem Bürger verwirklicht werden kann. Im Prinzip kann jeder Arbeit finden und so am Leben im Luxus teilhaben. John Nada muss allerdings eine andere Erfahrung machen. Nachdem sein Arbeitgeber in Detroit dichtgemacht hat, versucht er sein Glück in Los Angeles, wo er gerade mal einen Job als Bauarbeiter auf einer Großbaustelle findet. Als er bemerkt, dass ein Piratensender des Öfteren das örtliche Programm überlagert und dass von einer infamen Verschwörung die Rede ist, geht John Nada der Sache auf den Grund und stößt auf ein chemisches Labor, in dem Sonnenbrillen hergestellt werden. Als er eine dieser Brillen aufsetzt, verwandeln sich farbenfrohe Werbeplakate in Botschaften wie „Gehorche“, „Schlaf“, „Fernsehen“, „Kaufe“, „Denk nicht“. Aber mit der Brille lassen sich auch Außerirdische mit metallischen Totenschädeln identifizieren, die menschliche Formen angenommen haben und die Erdbewohner mit unterschwelligen Botschaften zu ihren willfährigen Dienern gemacht haben.
„Ich kam auf die Idee, dass die gesamt Ära Reagan in Wirklichkeit von Außerirdischen gelenkt wird, dass all die Dinge, die sich momentan in Amerika abspielen - die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, die Mittelklasse löst sich in Luft auf -, in Wahrheit Teil dieser enormen außerirdischen Verschwörung sind. Mir schwebte ein Film gegen die achtziger Jahre vor, gegen die Yuppies, ein Plädoyer für den Verfolgungswahn“, berichtet Carpenter.
Die gesellschaftskritischen Ansätze, die Carpenter in frühen Filmen wie „Assault“ und „Escape from New York“ konstruiert hat, wurden in „They Live!“ etwas mehr auf den Punkt gebracht, ohne im besonderen Maße politisch ambitioniert zu wirken. Dennoch weiß der Film den alltäglichen Horror auf symbolische Weise zu thematisieren.
„Was mich am meisten ängstigt, ist die Realität, die Politik, die Einstellung der Menschen und ihre offensichtliche Bereitwilligkeit, sich selbst und andere zu zerstören“, resümiert Carpenter.
'They Live!' ist eine Art, auf die man Amerika heutzutage betrachten und portraitieren kann. Heimatlosigkeit und das Glück auf der Seite des Starken sind Dinge, die mich mehr ängstigen als jedes andere natürliche und übernatürliche Ereignis.“
Leider sollte „They Live!“ der letzte Erfolg für John Carpenter bleiben. Die nächsten drei Jahre verbrachte der überzeugte Independent-Filmer damit, Ideen zu entwickeln, um sie dann wieder zu verwerfen. So scheiterte das geplante Remake von Jack Arnolds Grusel-Klassiker „Der Schrecken vom Amazonas“ an finanziellen Schwierigkeiten; „The Mummy“ wurde zunächst an Clive Barker, dann an Mick Garris („The Stand“) weitergereicht und die Fortsetzung von „They Live!“ - „They Live II - Hypnowar“ blieb im Stadium einer bloßen Idee stecken.
Schließlich erlag Carpenter dann doch erneut der Versuchung, für ein großes Studio zu arbeiten, und landete mit der 45 Millionen teuren Fantasy-Komödie „Memoirs of an Invisible Man“ („Jagd auf einen Unsichtbaren“) den nächsten Flop.
Zwar erwies sich Carpenter bei der Umsetzung von H.F. Saints gleichnamigen Erzählung einmal mehr als hervorragender Handwerker, doch letztlich glänzten nur die auf Hauptdarsteller Chevy Chase zugeschnittenen Gags und das Special-Effects-Feuerwerk von Industrial Light & Magic.
Nach diesem Desaster wandte sich Carpenter zwangsläufig wieder kleineren Projekten zu. 1993 produzierte er fürs TV in Anlehnung an die erfolgreiche Grusel-Serie „Tales from the Crypt“ den Episodenfilm „Body Bags“, in der er als Leichenbeschauer zugleich sein Schauspiel-Debüt gab. Bei den beiden Episoden „The Gas Station“ und „Hair“ führte Carpenter auch selbst Regie (die dritte namens „Eye“ stammt von Tobe Hooper) und komponierte zusammen mit Jim Lang den kaum nennenswerten Soundtrack.
Trotzdem fanden sich die beiden Musiker auch bei Carpenters nächstem Film zusammen. Mit „In the Mouth of Madness“ („Mächte des Wahnsinns“), einer Hommage an H.P. Lovecraft, tauchte der Regisseur endlich wieder tief ins Horror-Genre. Sam Neill spielt darin den Versicherungsdetektiv John Trent, der bei der Suche nach dem Horror-Schriftsteller Sutter Cane in eine magische Zwischenwelt gelangt, in der der Wahnsinn regiert.
Carpenter ließ seiner Phantasie freien Lauf und kreierte einen Batzen Horroreffekte, doch wirkt die Story alles andere als logisch. „Luis Buñuel trifft H.P. Lovecraft. Ein entfernter Verwandter des 'Fürsten der Dunkelheit', aber weitaus humorvoller und radikaler“, fasst Carpenter das wirr inszenierte Konzept zusammen und ging damit ein weiteres Mal an der Kinokasse baden - ebenso wie mit dem 95er ideenlosen Remake von Wolf Rillas 1960 inszenierten Gruselschocker „Village of the Damned“, in dem die Frauen einer englischen Kleinstadt im bewußtlosen Zustand von Aliens geschwängert werden, worauf die wasserstoffblonden Zöglinge mit ausdruckslosen Gesichtszügen ihren Eltern den Krieg erklären. Das einzig Positive an dem Film, der hierzulande nicht mal in die Kinos kam, war das gut siebenminütige, hymnische und rhythmische „March of the Children“ vom Soundtrack, den Carpenter mit dem Kinks-Gitarristen Dave Davies komponiert hat.
1986 war es dann endlich wieder Zeit, Snake Plissken auf die Leinwand zurückzubringen. Obwohl Carpenter schon immer mit einem Sequel geliebäugelt hatte, schien die Realisierung überhaupt nicht mehr hinzuhauen. Für den Regisseur bestand das Problem vor allem darin, eine interessante Story für die Fortsetzung zu finden.
„Ich wollte einfach nicht den gleichen Film noch einmal drehen. Mit Kurt Russell habe ich mich oft darüber unterhalten, aber wir hatten keine Story, wussten nur, dass dann Los Angeles zum Schauplatz werden sollte“, erklärt Carpenter die lange Entstehungsgeschichte von „Escape from L.A.“. „In den 90ern löste L.A. New York als schrecklichste Stadt der Welt ab. Es gab Erdbeben, viele Leute zogen weg. Die Kriminalität ist gestiegen. Eine Stadt der Angst, genau das brauchten wir. Ich wollte einen Film wie Stanley Kubricks 'Dr. Seltsam'. Je ernster der Hintergrund, desto absurder kann die Story sein.“
Tatsächlich war es das Erdbeben, das 1994 Los Angeles erschütterte, das zur Wiederbelebung von Snake Plissken führte.
„Nach dem Erdbeben in L.A. kam Kurt Russell zu mir und sagte: 'Ich glaube, es wird Zeit für uns, mit L.A. das anzustellen, was wir mit New York gemacht haben'“, blickt Carpenter zurück. „Er sagte mir, dass Snake Plissken die einzige Rolle ist, die er wieder spielen würde. Snake ist ein klassischer Charakter, den man nicht ändern muss. Niemand weiß so ganz genau, wie er wirklich ist und wo er eigentlich herkommt, aber man ist sich im klaren darüber, dass er der schlimmste Mensch in einer schlimmen Welt ist und er sich um die Bösen kümmert. Dieser Film ist eigentlich das, was ich einen 'cowboy noir' nenne, einen schwarzen Western, der in der Zukunft spielt.“
Das Szenario von „Escape from L.A.“ beginnt mit einer Rückblende auf die Erdbeben, die ins Jahr 2000 verlegt werden und die Los Angeles vom Rest der USA isoliert haben. Hierhin werden seitdem alle 'Unmoralischen' verbannt, während die christlich-fundamentalistische Regierung eine erzkonservative Diktatur errichtet hat, die von einem auf Lebenszeit ernannten, puritanisch-religiösen Präsidenten geführt wird. Ausgerechnet seine Tochter Utopia schlägt sich mit den Plänen für eine neue Vernichtungswaffe auf die Seite der vom anarchistischen Guerilla Cuervo Jones angeführten Rebellen. Diesmal hat Snake Plissken, dem ein tödlicher Designer-Virus injiziert wird, nur zehn Stunden Zeit, um Utopia zu eliminieren und die Diskette mit den Plänen zurückzubringen. Carpenter folgt dabei minutiös der Dramaturgie von „Die Klapperschlange“, so dass man eine wirklich originelle Story schmerzlich vermisst.
„Wir haben uns für eine déjà-vu-Situation entschieden, weil die Mehrheit des Publikums nicht den ersten Film gesehen hat. Obwohl der Film auf Video und Laserdisc erschienen ist, gibt es ein ganz neues Publikum. Deshalb haben wir die Geschichte noch einmal neu erzählt. Auf der anderen Seite wollten wir den Fans des ersten Films auch etwas Neues bieten, so dass eine gewisse Balance stattfand.“
Allerdings schlug der Versuch, mit dieser Strategie ein neues Publikum zu erschließen und die alten Fans ebenfalls zu begeistern, auf klägliche Weise fehl. In den USA spielte der Film gerade mal die Hälfte der 50 Millionen Dollar Produktionskosten ein und dürfte damit die Pläne für ein abschließendes dritte Sequel, in dem Snake von der Erde fliehen sollte, frühzeitig begraben haben.
Mit einer Neuerung konnte der Film immerhin aufwarten und die bezog sich einmal mehr auf die Filmmusik. Zum ersten Mal verschmelzen Carpenters kargen Synthi-Klänge mit orchestralen Arrangements, für die Shirley Walker verantwortlich zeichnete, nachdem sie zuvor schon Carpenters „Jagd auf einen Unsichtbaren“ mit einem großorchestralen Score versehen hatte.
„Es gibt einen Hollywood-Stil, von dem ich mich immer ferngehalten habe. Shirley bezeichnet mich als Minimalisten, was meine Musik angeht. Aber wenn man einen großen Film wie 'Escape From L.A.' macht, muss man das Publikum mit einem orchestralen Gefühl erreichen. Da diese Art von Musik nicht meine Stärke ist, wollte ich mit einem Komponisten zusammenarbeiten, der die symphonische Erfahrung besitzt.
Shirley war die erste Person, an die ich dachte, und sie sagte: 'Warum nicht? Lass es uns machen!'“, erklärt John Carpenter die Zusammenarbeit mit Shirley Walker. „Wir haben uns zu Beginn zusammengesetzt und den Film in zwei Teile aufgeteilt, wobei der eine der Score-, der andere der Synthesizer-Part war. Ich kümmerte mich um all das Synthesizer-Material, während sie sich des Orchesters annahm. Aber Shirley orchestrierte und arrangierte letztlich die ganze Musik, auch meinen Part.“
Nicht nur die Story von „Escape from L.A.“ rekapitulierte den 15 Jahre alten Vorläufer, auch die Musik musste sich am Original orientieren.
„Die Musik entstand 1981, als Alan und ich noch Prophets und andere alte Synthesizer verwendeten“, erinnert sich Carpenter. „Ich wollte den Sound auf den letzten Stand der Technik bringen. Tom Milano, der Musikregisseur, mischte die ursprüngliche Melodie an den Anfang von 'Escape from L.A.'. Die Melodie erschien uns etwas langsam, deshalb sequentierten wir sie neu und erhöhten das Tempo.“
Tatsächlich gehört das so weiterentwickelte prägnante Hauptthema des ursprünglichen „Klapperschlange“-Films zu den Höhepunkten des durchwachsenen Scores, dessen Faszination vor allem in den düsteren Electro-Sequenzen als in den konventionell arrangierten Orchester-Passagen liegt.
„Der Film hat viel Humor. 'Escape from L.A.' ist ein Abenteuerfilm, der dich an die Leinwand fesselt, sich aber selbst nicht zu ernst nimmt. Es ist ein sehr, sehr schwarzer Film, in dem es aber durchaus Lacher gibt. Shirley und ich haben keine `Friede-Freude-Eierkuchen´-Musik geschrieben. Snake geht in eine sehr dunkle, sehr seltsame Stadt und wir mussten das Publikum mit einer dunklen, seltsamen Musik darauf einstimmen.“
Für die Filmmusiken Carpenters gilt aber letztlich das gleiche wie für seine Filme. Je geringer das Budget und die Restriktionen, die sich in künstlerischer Hinsicht daraus ergeben, desto unbefriedigender fällt das Resultat aus. Mit dem 88er Film „Sie leben“ hat Carpenter seinen letzten wirklich gelungenen Film präsentiert. Gleiches lässt sich bezüglich seiner Filmmusik sagen. Man sieht es dem nun 50jährigen Allround-Talent nur zu deutlich an, dass die Reibereien mit den großen Studios ihre Spuren in dem eingefallenen Gesicht des Kult-Regisseurs, der mit seinen schlohweißen Haaren wie ein 70jähriger aussieht, hinterlassen haben. Doch sobald John Carpenter wieder eine Chance angeboten bekommt, wird er sie ergreifen, denn als Regisseur verfolgt er unbeirrt seine Vision: „In meiner Persönlichkeit gab es immer viele verschiedene Aspekte. Ich denke, ich bin ein Langzeit-Pessimist und ein Kurzzeit-Optimist.
Ich fühle, dass eine große Dunkelheit über die Menschheit hereinbricht. Gleichzeitig und im Widerspruch dazu fühle ich, dass das Leben wunderschön sein kann. Und das möchte ich natürlich auch in meinem Werk ausdrücken. Ich möchte als Filmemacher auf keinen Fall auf ein Genre beschränkt sein. Filme müssen eine bestimmte Stimmung schaffen und einen emotional aufrütteln.“
Allerdings ist das John Carpenter in den letzten Jahren immer weniger gelungen.

Filmographie/Diskographie:
(wenn nicht anders angegeben, hat John Carpenter jeweils auch die Musik komponiert)
1974 - Dark Star
1976 - Assault on Precinct 13 (Assault – Anschlag bei Nacht)
1978 - Someone’s Watching Me (Das unsichtbare Auge) – M: Harry Sukman
1978 - Halloween
1978 - Elvis – M: Elvis Presley
1980 - The Fog
1981 - Escape From New York (Die Klapperschlange) – M: mit Alan Howarth
1981 - Halloween II – M: mit Alan Howarth
1982 - The Thing (Das Ding aus einer anderen Welt) - M: Ennio Morricone
1982 - Halloween III – Season of the Witch – M: mit Alan Howarth
1983 - Christine – M: mit Alan Howarth
1984 - Starman – M: Jack Nitzsche
1986 - Big Trouble In Little China – M: mit Alan Howarth
1987 - Prince of Darkness (Die Fürsten der Dunkelheit) – M: mit Alan Howarth
1988 - The Live! (Sie leben!) – M: mit Alan Howarth
1992 - Memoirs of an Invisible Man (Jagd auf einen Unsichtbaren) – M: Shirley Walker
1993 - Body Bags – M: mit Jim Lang
1995 - In The Mouth of Madness (Mächte des Wahnsinns) – M: mit Jim Lang
1995 - Village oft he Damned (Dorf der Verdammten) – M: mit Dave Davies
1996 - Escape from L.A. (Flucht aus L.A.) – M: mit Shirley Walker
1998 – Vampires
2001 – Ghosts of Mars
2006 – Masters of Horror: Cigarette Burns – M: Cody Carpenter

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