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Sonntag, 14. Februar 2010

Angelo Badalamenti (Teil 1) - Reisen ins Unterbewusstsein

Sicher gibt es in der Geschichte des Films viele außergewöhnliche Regisseur-Komponisten-Beziehungen, angefangen bei David Lean/Maurice Jarre, Blake Edwards/Henry Mancini, Frederico Fellini/Nino Rota und Alfred Hitchcock/Bernard Hermann bis zu Steven Spielberg/John Williams, David Cronenberg/Howard Shore und Tim Burton/Danny Elfman. Was in der jüngeren Filmgeschichte allerdings die Kollaboration von David Lynch und Angelo Badalamenti auszeichnet, ist nicht nur der Kultcharakter eines jeden Meisterwerks des Regisseurs, sondern auch die kongeniale Musik von Angelo Badalamenti, dessen melancholisch-verträumten Melodien ebenso ein Markenzeichen von Lynchs Filmen geworden sind wie seine symbolträchtigen, surrealistisch anmutenden Bilderwelten.

Doch während Lynch bereits mit seinen Frühwerken ERASERHEAD (1977), THE ELEPHANT MAN (1980) und DUNE (1984) seine Talente gewinnbringend (vom finanziellen Flop der Kultroman-Verfilmung von Frank Herberts Sci-Fi-Epos „Dune – Der Wüstenplanet“ einmal abgesehen) demonstrieren durfte, war es für Angelo Badalamenti ein weiter Weg bis zu seinem Durchbruch mit dem Score zum David-Lynch-Meisterwerk BLUE VELVET (1985).
Der 1937 als Sohn eines Fischhändlers geborene Badalamenti erhielt mit acht Jahren Klavierunterricht, jobbte in Teenagerjahren als Pianist in Tourismuszentren, studierte zunächst an der Eastman School of Music in New York und dann an der Manhattan School of Music Komposition, Horn und Klavier, worin er 1960 seinen Magister machte. Während seiner Tätigkeit als Musiklehrer an der Dyker Heights Junior High in Brooklyn komponierte Badalamenti in seiner Freizeit Songs, wurde Anfang der 70er Jahre schließlich als Arrangeur bei einem Musikverlag eingestellt, wo er Jingles und Werbespots schrieb, aber auch schon seine Vorliebe für schwarze Musik umsetzen konnte, indem er Songs für Leute wie Shirley Bassey und Mel Tillis komponierte. Schon in frühen Jahren verband sich bei Angelo Badalamenti das Interesse an Filmmusik mit dem an populärer Musik.
"In den frühen Jahren meiner High-School-Zeit war ich von bestimmten Filmmusiken angetan, die ein klassisches Gewand hatten. Ich mochte die Scores im Stile von Bernard Herrmann. Ich fand die klassische Annäherung an das Komponieren für den Film sehr interessant, gerade was die Ausarbeitung von starken Melodien und interessanten Harmonien anging. Außerdem bin ich schon sehr jung mit der Jazz-Welt der Musik aufgewachsen, weil mein älterer Bruder Jazz-Trompete spielte. Seine Freunde kamen jeden Sonntag in unser Haus, um eine Jam-Session zu machen. Das Piano hatten wir natürlich im Haus; sie brachten Saxophone, Trompeten, Posaunen und Flöten mit und spielten Jazz im Bebop-Stil, die Schule von Charlie Parker und Dizzy Gillespie. So wurde ich mit der Jazz-Welt vertraut. Ich mochte in Filmen die Kombination von klassischer Musik mit einem Jazz-Feeling, weil ich beide Welten liebte. Mein Interesse an Musik in Filmen reicht also bis in meine Kindheit zurück."
Durch seine Anstellung beim Musikverlag wurde Badalamentis Tätigkeit aber zunächst auf die Songebene verlagert.
"Ich schrieb von Beginn an populäre Songs, meistens für Rhythm & Blues oder schwarz orientierte, soulmäßige Musik, mehr jazzigen Soul als Street-Soul-Musik. Meine ersten beiden Songs habe ich für Nina Simone geschrieben, die sie beide aufgenommen hat. Es war eine Art Pop-Jazz-Blues, die Mischung von Musikstilen, mit der ich aufgewachsen bin. Ich mochte Sängerinnen wie Nancy Wilson oder Nina Simone. Ich hatte viele schwarze Sängerinnen, für die ich Songs schrieb, Jazz mit einem Hauch von Pop, also keinen reinen Jazz, sondern einen poporientierten, schwarzen Soul, der etwas gefühlvoller, etwas aufregender war. Für Nancy Wilson schrieb ich beispielsweise einen Song namens FACE A GIRL, IT´S OVER, was einer ihrer größten Hits gewesen ist. Das war die Art, wie ich Musik schrieb, bevor ich an Filmmusik arbeitete."
Der Eintritt in die Filmmusik geschah dann fast zufällig, und Angelo Badalamenti scheint sich an diese für ihn so wegweisende Episode zu erinnern, als sei sie erst gestern passiert.
"Ich wurde von Paramount Pictures angestellt, das eine unabhängige Produktionsfirma war, und ich arbeitete an einem Musical für eine Fernsehshow von NBC, das auf Bibelgeschichten basierte. In dem Studio schwirrte ein Skript namens LAW AND DISORDER herum. Ich las das Skript, in dem Studio stand ein Piano, und ich setzte mich hin und komponierte ein Thema für die Rolle von Ernest Borgnine und eines für die Rolle von Carol O´Connor. Wenn die beiden Personen zusammentrafen, konnte ich die Themen miteinander verbinden und weiterentwickeln. Die Geschichte spielte in New York, und ich dachte, es wäre eine gute Idee, der Musik ein spanisches New-York-City-Flair mit Jazz-Klängen zu verleihen. Der tschechische Regisseur Ivan Passer, der gerade den Film abgedreht hatte, hatte einige Erfolge mit seinem Filmstil gehabt und war gerade im Studio. Ich fragte ihn, ob er einen Moment Zeit hätte, und bat ihn, mit in den Pianoraum zu kommen, um ihm ein paar Themen vorzuspielen. Ich glaube nicht, dass er mich allzu ernst nahm, ich werde gleich erklären, warum. Ich spielte ihm das Thema für die eine Hauptrolle vor und dasjenige für die andere Hauptrolle und demonstrierte ihm, wie die beiden Themen zusammenlaufen könnten, wenn Konflikte aufkommen oder Freundschaften entstehen würden. Dann war da noch ein spanisch-kubanisches Jazz-Thema, das im spanischen Harlem bei Nacht gespielt werden konnte. Ich spielte ihm all die Sachen vor, und er war sehr beeindruckt.
Er meinte: `Ich liebe das, was Sie gemacht haben, es ist perfekt für meinen Film, aber ich habe ein Problem´, wobei er in die Tasche griff und einen frankierten, versiegelten Umschlag hervorholte, den er in den nächsten fünf Minuten zum Postkasten bringen wollte. Er war an Aaron Copland adressiert. Er öffnete den Brief und gab ihn mir zu lesen. Mit diesem Brief wollte Ivan Passer Aaron Copland bitten, die Musik für LAW AND DISORDER zu schreiben, aber er riss ihn entzwei und schickte ihn nie ab. Das war der Start für mich in der Filmmusik."
Nachdem er 1973 und 1974 unter dem Pseudonym Andy Badale die Filmmusik zu Ossie Davis´ GORDON´S WAR und Ivan Passers LAW AND DISORDER geschrieben hatte, hielt sich Angelo Badalamenti weiterhin mit Songwriting, Arrangements und Orchestrationen für Sänger und vielen Instrumentalarbeiten über Wasser.
"Es war für mich sehr einfach und ganz natürlich, perfekte und wunderschöne Instrumental-Melodien zu komponieren. Diese Sachen wurden an verschiedene Orchester zum Aufnehmen weitergegeben, was sehr erfolgreich wurde. Ich machte eigentlich alles, was man tun musste, um zu überleben, konnte aber in der Welt bleiben, die ich liebte. Ich musste also kein Taxi fahren oder kellnern, sondern konnte meine Familie mit der Arbeit im Musikbereich ernähren. Es war immer die Hoffnung und der Traum da, dass etwas passiert, das mich aus dieser Sphäre herausholen würde. Was passierte, war BLUE VELVET. Das war die Sache, die ich brauchte, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Durch den unglaublichen Erfolg des Films und dann auch der Musik bekam ich Anrufe von Agenten, traf mich mit ihnen, und danach folgte ein Projekt nach dem anderen. Zum jetzigen Zeitpunkt meiner Karriere kann ich mir aussuchen, was ich machen möchte. Ich bekomme weitaus mehr Skripte als ich annehme. Ich bin sehr sorgfältig bei den Skripten, die ich mir aussuche. Es muss schon etwas sein, bei dem ich glaube, meine Talente einbringen zu können.
Ich kann mal erzählen, wie es zu BLUE VELVET kam. Isabella Rossellini war eine Sängerin in dem Film, und David Lynch, mit dem ich noch nie zusammengearbeitet und den ich auch nie getroffen hatte, brauchte jemanden, um mit ihr an dem Stück zu arbeiten. So bekam ich einen Anruf von dem Produzenten, der mich bat, nach North Carolina zu kommen, um mit Isabella den Song BLUE VELVET einzustudieren, weil sie damit einige Probleme hatte. Sie wussten, dass ich mit Sängerinnen zusammengearbeitet und co-komponiert, dass ich mit solchen Sachen keine Probleme hatte. So arbeitete ich mit ihr, wir nahmen ein kleines Tape auf, mit dem wir zum Set gingen, wo gerade die letzte Szene für BLUE VELVET gedreht wurde. David Lynch nahm seine Kopfhörer, hörte sich das Stück an und war total begeistert. Er konnte nicht glauben, dass Isabella in nur wenigen Stunden exakt so klingen würde wie er hoffte, dass sie singen könnte. Als er das Tape hörte, meinte er, es wäre gar nicht nötig, das Stück im Studio aufzunehmen, man könnte es so im Film verwenden, wie es auf dem Tape vorhanden war.
David Lynch war also so beeindruckt, dass es einen Schritt weiterging, wo der Produzent einen Song für BLUE VELVET benötigte, und David wollte einige bereits vorhandene Platten benutzen, die eine Menge Geld für die Rechte gekostet hätten. Da fragte mich der Produzent, ob ich einen Song in diesem Stil schreiben könnte, aber ich war kein Texter und brauchte Lyrics. Ich schlug vor, David zu fragen, ein paar Worte zu schreiben, weil er wahrscheinlich wusste, was der Song aussagen sollte. David war von dieser Idee gar nicht begeistert, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie er Lyrics und ich einen Song dazu schreiben sollte, weil er die Platten so liebte und davon überzeugt war, dass sie durch nichts zu ersetzen wären. Aber letztlich tat er es doch, um es dem Produzenten recht zu machen, hatte aber nicht die Absicht, davon etwas zu benutzen. Was passierte, war, dass er mir einige Lyrics namens THE MYSTERIES OF LOVE zusandte.

Sometimes a wind blows
and you and I
float in love
and kiss forever
in a darkness
and the mysteries
of love come clear
and dance in light
in you in me
and show
that we are Love.
Sometimes a wind blows
and the mysteries of Love
come clear.

Ich rief ihn daraufhin an, um ihn zu fragen, was ich damit anfangen sollte, weil es sehr seltsame Lyrics waren. Er schrieb sie nicht wie für einen Song, sondern wie ein Gedicht, und er wies mich an, den Song zeitlos, kosmisch, wie den Wind oder die tiefe See zu schreiben. Er gebrauchte nur abstrakte Beschreibungen, und so schrieb ich eine Melodie zu THE MYSTERIES OF LOVE, zu seinen Lyrics, spielte sie ihm vor, und er liebte sie total. Was wir nun benötigten, war eine Sängerin. Ich schlug ihm ein Mädchen vor, mit dem ich an einem Musical für eine Country-Show am Off-Broadway arbeitete. Das Mädchen war Julee Cruise, und ich erzählte ihr, dass David Lynch nach einer Sängerin suchte, die wie ein Engel klingt. Sie nahm die Herausforderung an, wir arbeiteten zusammen daran, nahmen es auf, und als David es hörte, war er total begeistert. So etwas hätte er noch nie gehört. Der Produzent war auch glücklich, weil er nicht 50.000 Dollar für die Rechte des Songs zu bezahlen brauchte, den David eigentlich wollte. Eigentlich wollte David für den Score die fünfte Sinfonie von Schostakowitsch benutzen, aber dann kam der Produzent, der ungern 50.000 Dollar für die Rechte an Schostakowitsch ausgeben wollte, auf mich zu und fragte mich, ob ich wie Schostakowitsch schreiben könnte. Ich meinte, ich wäre klassisch ausgebildeter Komponist, sicherlich nicht halb so gut wie Schostakowitsch, aber ich wollte es versuchen.
Dann fragte mich auch David Lynch, ob ich nicht den Score schreiben wollte, was ich schließlich auch tat. Das etablierte mich natürlich bei David, aber auch im Filmgeschäft im Allgemeinen."
David Lynch bezeichnete seinen nicht unumstrittenen Film, der vor Grausamkeiten und Schockszenen à la PSYCHO nur so strotzt und eindrucksvoll demonstriert, wie das Böse in eine sorglos und idyllisch wirkende Kleinstadt einbricht, als eine "Reise unter die Oberfläche einer amerikanischen Kleinstadt, aber es ist auch eine Reise ins Unterbewusstsein oder an einen Ort, wo man mit Dingen konfrontiert wird, denen man sich normalerweise nicht stellt. Einer der Tonleute meinte, der Film sei wie eine Mischung aus Norman Rockwell und Hieronymus Bosch. Die Reise führt so tief hinunter, wie es nur geht, und dann wieder hinauf an die Oberfläche".*
Diese psychologische Konstellation, die vor allem in den Beziehungen zwischen den Hauptfiguren, dem detektivisch-voyeuristischen Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan), der Nachtclubsängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini), der naiven Sheriff-Tochter Sandy (Laura Dern) und dem bösartigen Frank Booth (Dennis Hopper) zum Ausdruck gebracht wird, war für Angelo Badalamenti der Aufhänger für seinen elegischen, traumhaft-verführerischen Score.
"Natürlich ist BLUE VELVET eines der großen psychologischen Dramen unserer Zeit. Der Film ist brillant in der Studie von psychologischen Effekten von Leuten, die wir von außerhalb betrachtet so faszinierend finden. Ich denke, um die Verrücktheit und Tiefe eines so bösartigen Charakters wie Frank Booth und auf der anderen Seite die unglaubliche Reinheit und Unschuldigkeit des jungen Mannes und des jungen Mädchens musikalisch zu beschreiben, versuchte ich eine dunkle Schönheit auszudrücken. Dafür steht MYSTERIES OF LOVE in seiner Reinheit und Unschuld im Gegensatz zu der ganzen Welt außerhalb. Musikalisch gesehen konstruierten wir einen Konflikt, weil wir mit ihm beide Welten zusammenbrachten."

Die mit " * " gekennzeichneten Zitate von David Lynch sind dem Buch "David Lynch - Die dunkle Seite der Seele" von Robert Fischer (Heyne Filmbibliothek, 1993) entnommen. Darin werden auch Angelo Badalamenti, Julee Cruise und die Performance "Industrial Symphony No. 1" vorgestellt, die Badalamenti, Lynch und Cruise 1989 im Rahmen des Festivals "New Music America" aufführten.

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