Radio ZuSa

Sonntag, 6. Juni 2010

Christopher Young (Teil 1) - Ein Trip in die Hölle

Wenn man in Hollywood nach Komponisten sucht, die über traditionelle Filmmusikmuster hinaus auch Elemente der sogenannten Neuen Musik in ihre Werke zu integrieren wissen, wird man unter Umständen gewaltige Anstrengungen unternehmen müssen, aber auf jeden Fall neben Elliot Goldenthal auch auf Christopher Young stoßen, der bereits eine über 20-jährige Karriere hinter sich hat, die ihn über unzählige Low-Budget-Horror- und Psychothriller ("The Vagrant", "The Fly II", "Nightmare On Elm Street II", "Hellraiser", "Hellbound") und erfolgreiche Thriller wie „Jennifer 8“ und „Copycat“ in den letzten Jahren zu größeren Produktionen wie "Ghost Rider" und „Spider-Man 3" geführt hat.

Dabei hat Chris Young eine grundsolide klassische Musikausbildung genossen und oft genug bewiesen, dass er für alle Filmgenres die passende Musik komponieren kann. Ursprünglich wollte er klassischer und Jazz-Percussionspieler werden, wurde aber bald so von Melodie und Harmonie fasziniert, dass er mit dem Schreiben begann. Durch eine Platte von Bernard Herrmann zu Ray-Harryhausen-Filmen fing er an, sich für die Verbindung von Bild und Musik zu begeistern.
„Als ich die Entscheidung traf, in die Filmmusik zu gehen, richtete ich all meine Energien in diese Richtung. Ich ging an die U.C.L.A. (University of California at Los Angeles), wo ich mit David Raksin an studentischen Filmprojekten arbeitete. Bevor ich nach L.A. zog, studierte ich Komposition und widmete der Filmmusik viel Aufmerksamkeit. Zu jener Zeit waren Filme noch nicht auf Video erhältlich, also musste ich, um wiederholt die Musik zu den Bildern hören zu können, einen Taperecorder an den Fernseher anschließen und die Musik direkt vom Fernseher aufnehmen. Das hörte ich mir wieder und wieder an, um festzustellen, wie Musik und Bild mit den Dialogen in Verbindung stehen. Ich lernte viel von den Audiocassetten der Soundtracks. Mit all diesen imaginären Szenen von nicht existierenden Filmen versuchte ich so visuell wie möglich zu sein, ohne irgendeine Geschichte zu schreiben.“
An der U.C.L.A. wurde er natürlich bald mit konkreten Filmen konfrontiert und den besonderen Umständen, unter denen Filmemacherstudenten Komponisten für ihre Projekte anheuerten. Denn damals gab es noch keine Synthi-Studio-Set-ups, so dass die engagierten Komponisten instrumentell denken und schreiben mussten.
„Heutzutage sind die Regisseure von Studentenfilmen Regisseure von Whole-Budget-Filmen und sie wissen, dass sie die Musik für einen Film quasi für nichts bekommen können, da es in einer Situation mit voll ausgerüsteten Studios nichts kostet, Material aufzunehmen.
Als ich an der U.C.L.A. war, machte ich für mich selbst Synthesizermusik, aber alle Scores, die ich für Studentenfilme schrieb, einschließlich der beiden, die ausgearbeitet wurden, als ich noch an der Uni war, wurden für ein volles Orchester geschrieben. Meine Methode hat sich nicht wesentlich geändert. Ich arbeite um auf Synthis basierenden Scores herum.
Da ich kein Keyboarder bin, sitze ich nicht vor dem Videomonitor und spiele die Musik zu den laufenden Bildern. Ich arbeite sie aus, miete Zeit in einem Aufnahmestudio und nehme die Musik wie ein Popalbum auf.“
Dass Christopher Young bislang bevorzugt an Horror- und Science-Fiction-Filmen gearbeitet hat, liegt einerseits an seiner persönlichen Vorliebe für phantastische Geschichten, aber auch an den außergewöhnlichen musikalischen Möglichkeiten, die das Genre der Phantastik einem Komponisten bietet.
„Horrorfilme sind für mich mit einer Hassliebe verbunden. Ich bin von der Spannung der Musik in Verbindung mit Bildern fasziniert, die mein ursprüngliches Gefühl von Angst anspricht, das die menschliche Psyche seit Anbeginn der Zeit beherrscht. Als ich jünger war, hatte ich Stars in der Musik und im Horror-Genre, seien es Filmpersönlichkeiten, Schauspieler, Bela Lugosi, Boris Karloff, oder Schriftsteller. Halloween waren neben Weihnachten immer meine Lieblingsferien gewesen. Die ganze Atmosphäre, die umliegende Aura, der Mystizismus, das Unbekannte - all diese Dinge haben mich immer fasziniert. Wo immer mir in einem Film die Möglichkeit gegeben wird, dieses zu erforschen, versuche ich mein möglichstes. Zusammen mit der Tatsache, dass ich sehr mit der Musik des 20. Jahrhunderts verbunden bin, mit der Avantgarde- und Experimentalmusik, verstärkt meine Faszination für dunkle Themen diese Parameter der Angst, die andere Filme bezüglich der dunklen Aspekte nicht bieten. Meine Unzufriedenheit bei der Arbeit in diesem Genre hängt damit zusammen, dass viele der heutigen Horrorfilme einfach schlecht sind. Es scheint eine Obsession für den Boogeyman und Mutanten zu geben. Meine liebsten Horrorfilme waren diejenigen, die in manchen Fällen keine Horrorfilme waren, in denen etwas nie zu sehen ist, Fragen, die aufgeworfen, aber nie beantwortet werden. Dinge, die erscheinen, aber nicht erklärt werden. Stimmungen, die geschaffen, aber nicht aufgelöst werden. Ein Film wie `The Haunting´ benötigt mehr als das Auge; da geht etwas hinter der Leinwand vor, etwas Unaussprechliches. Für mich ist es faszinierend zu versuchen, das in Musik einzufangen, was unsichtbar ist.“
Chris Young hat in den frühen 80ern stets erfolgreich versucht, den Schrecken, den uns das Unsichtbare einjagt, auf vielfältigste, höchst experimentelle Weise musikalisch umzusetzen. Vor allem bei der atonal-percussiven Musik zu „The Vagrant“ (Intrada) und dem verworfenen Score zu Tobe Hoopers 86er Remake von „Invasion vom Mars“ (Cinerama), Youngs erstem Synthi-Score, wurde deutlich, wie seine Liebe zur musique concrète in eine mit gregorianischen Chorälen durchsetzte Avantgarde-Musik einfloss. Für Hooper war diese ungewöhnliche Musik doch zu viel des Guten, so dass er Young eine neue, gefälligere Musik in Auftrag gab.
„Eins steht fest: Atonalität ist nicht etwas, für das die meisten Leute eine Karte kaufen würden, um diese Musik in einem Konzert zu hören. Konzerte mit atonaler Musik, orchestraler, atonaler Musik sind nicht etwas, das die Leute interessiert.
Dennoch gibt es in Filmen, vor allem Horrorfilmen, Momente, in denen man in der Lage ist, in das Gebiet von Soundmasses vorzudringen, wobei der Mangel an Tonalität die dramatische Stimmung kreiert, die der Film benötigt. Das Publikum wird darauf reagieren, weil es das unterstützt, was es sieht. Ein Publikum aus den gleichen Leuten, die kein Geld für ein Ticket für ein atonales Konzert ausgeben würden, hätte keine Probleme, dasselbe Stück Musik, wenn es dafür geeignet ist, in einer Filmszene zu hören, gerade in Szenen von Thrillern, von Horror- und übernatürlichen Filmen. Der erste Film, bei dem ich versuchte, wirklich die Dinge auszudehnen und mich völlig von der Melodie zu entfernen, wo ich total in eine an elektronische Soundmasses-orientierte Welt eintauchte, war `Invaders From Mars´.
Und das war der erste Score von mir, der herausgeschmissen wurde. Daraus lernte ich eine Lektion:
Die Leute, die dich beschäftigen, möchten innerhalb abgesprochener Konventionen arbeiten. Wenn man darangeht, Melodien zu vermeiden, sollte man besser einen verdammt guten Grund dafür haben. Man sollte es besser durchdenken und den Regisseur oder Produzenten vorwarnen, was man exakt zu tun beabsichtigt, weil Melodien etwas sind, mit denen sich jeder identifizieren kann. Wenn du keine Melodie benutzt, dich in die Atonalität, in Soundmasses oder was auch immer hineinbewegst, erfordert es das Vertrauen des Regisseurs und des Produzenten in die Möglichkeiten nicht tonalen Materials, mit dem man das erreichen kann, was in der gleichen Szene tonale Musik nicht leisten würde. 
Alle Horrorregisseure, mit denen ich bislang zusammengearbeitet habe, ausgenommen einer, meinten, dass die Momente, in denen ich atonales Material benutzte, wundervoll waren. Es ist immer ein Gleichgewicht vorhanden. `The Fly II´ hatte Melodien. Der Main Title war melodisch. Das war ein Thema, das das Publikum mit etwas in Zusammenhang bringen konnte. Ich habe so dem Publikum erlaubt, an den Konventionen teilzuhaben, in denen es sich am wohlsten fühlt. In den Momenten dann, wenn die Fliege erscheint, durfte ich mich von der Melodie entfernen, wenn ich glaubte, dass es die beste Möglichkeit wäre, um den Horror zu erzeugen, der benötigt wurde. Im Falle von `Invaders From Mars´ vermied ich Melodien völlig und experimentierte stark mit seltsamen Sounds, was wirklich eine Collage von hochgradig unmusikalischen Sounds war. Ich liebe es immer noch, experimentell zu sein, und wenn ich die Möglichkeit dazu habe, nutze ich sie auch. `Invaders From Mars´ war sicherlich derjenige Score, mit dem ich am ehesten die andere Welt in mir erforschte. Ich hoffe, dass ich auch in Zukunft die Möglichkeit bekomme, in dieses Gebiet einzutauchen, auch wenn es sich vielleicht nur auf nicht-filmische Musik bezieht.“
Bei den folgenden Horror-Scores versuchte Young, eine Verbindung zwischen Melodie und atonalen Elementen zu finden, und gerade die Musik zu den beiden „Hellraiser“-Filmen demonstrierte eindrucksvoll, wie der Zuschauer durch die Intensität, mit der die Musik die Wirkung der Bilder verstärkt, in die Filmrealität involviert wird.
„Horrorfilme handeln von den irrationalen Zuständen des Verstandes. Irrationale Leute tun irrationale Dinge in irrationalen Filmen auf eine extrem dramatische Weise. Viele der Horrorfilme, die ich gemacht habe, vor allem Clive Barkers Filme, haben ein sonderbares Publikum, das einen Trip zur Hölle nimmt, wie ihn sich der Regisseur ausdenkt.
Es ist immer meine Philosophie gewesen, dass die Hölle keine Melodie kennt. Ich nehme an - und natürlich bete ich-, dass ich nie die Gelegenheit haben werde, einen Trip zur Hölle zu nehmen.
Nichtsdestotrotz habe ich den Verdacht, dass eine Melodie, die jemanden in die Hölle begleitet, aufhört, wenn er die Hölle betritt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hölle, falls sie existiert, von tonalen Ideen umgeben ist. Wenn ich in Filmen die Gelegenheit habe, eine große Vielfalt an musikalischen Begriffen zu verwenden, tendiere ich bei Szenen, die in der Hölle spielen, die mit Monstern zu tun haben, dazu, in die Atonalität abzuschweifen. Ich denke, es ist auch mein Job, das Kinopublikum in diesen Szenen hinabzustoßen. Es gibt immer wieder sehr viele Möglichkeiten für mich, um mit atonalen Elementen diese Stimmung hervorzurufen. Wenn man damit in den passenden Momenten richtig umgeht, kann man sicher sein, dass ihnen die Szene angst macht.“
Vor allem der Einsatz elektronischen Instrumentariums ermöglicht es dem versierten Komponisten, die Horrorszenarien adäquat zu illustrieren. Doch nicht nur im Horror-Genre, wo sich der Synthesizer längst etabliert hat, setzt Young elektronisches Equipment ein, auch Romantic- oder Action-Thriller wie „Haunted Summer“ (Silva Screen), „Rapid Fire“ (Varese Sarabande) oder „Dream Lover“ (Koch) versah er mit Synthi-Scores.
„Ich war immer von den Möglichkeiten angetan, die elektronische Musik bietet, gerade das Öffnen von solchen Türen zu Dingen, die nicht mit akustischen Instrumenten ausgedrückt werden können. Ich bevorzuge es, elektronische Musik in Situationen zu verwenden, wo ich in der Lage bin, die Tonalität zu verlassen. Das sind meine liebsten Momente, weil ich glaube, dass der Gebrauch von elektronischer Musik in diesen Momenten weniger mit der populären Handhabung von Musik verbunden ist. Wenn ich mit Synthesizern an tonalem Material arbeite, wie ich es für `Haunted Summer´, `Rapid Fire´ oder `Dream Lover´ gemacht habe, die auf Synthesizern basierende Scores sind, ist die Tonalität sehr stark mit dieser Art von New-Age-Kultur verbunden. Sie sprechen definitiv ein größeres Publikum an, nichtsdestotrotz vermute ich, dass ihre vielleicht zu reinen Strukturen in zwanzig Jahren überholt sein werden. Das ist meine größte Angst bei der Anwendung von elektronischer Musik in Filmen. Es ist sehr modern heutzutage, aber morgen völlig überlebt. Versteh´ mich nicht falsch: Ich liebe elektronische Musik, und du kannst in meinen Horrorfilmen sehen, dass es Momente gibt, bei denen ich mir erlaubt habe, tief in die Dunkelheit einzutauchen.“
Die tiefsten Abgründe hat Young sicherlich mit Clive Barker kennengelernt, der bereits als Schriftsteller („Die Bücher des Blutes“) großen Erfolg hatte und als „Zukunft des Horrors“ (Stephen King) betrachtet wurde, ehe er sich auch als Regisseur versuchte.
„Clive war natürlich nicht mein erster Horror-Regisseur, mit dem ich gearbeitet habe, aber es war sein erster Film und er hatte bereits eine sehr erfolgreiche Schriftstellerkarriere hinter sich. Ich kannte seinen Horror-Hintergrund, habe einige seiner Bücher gelesen und fühlte auf jeden Fall eine Verwandtschaft mit ihm. Das war, bevor ich den Film gesehen habe. Ich habe mich immer danach gesehnt, mit jemandem zu arbeiten, der mit meiner Philosophie von Horror übereinstimmt, der das Genre ernst nimmt.
Gerade in den 80ern, nach den Erfolgen der `Nightmare on Elm Street´-, `Halloween´- und `Freitag der 13.´-Serien, dachten viele junge Regisseure, dass sie mit ihren low-budget-Horrorfilmen zur Industrie gehen konnten, da es zu jener Zeit ein starkes Interesse an diesem Genre gab. Leute würden Geld investieren, weil es profitable Filme sind, aber ich glaube, dass sich viele Regisseure an den Zug hängen, ohne wirklich an dem Genre zu hängen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man sofort die Leute aufzählen kann, die eine wirkliche Leidenschaft für das Genre besitzen, und diejenigen, die das nicht tun. Ich habe immer darauf gehofft, mit Leuten zu arbeiten, die eine ursprüngliche Leidenschaft für das Horror-Genre mitbringen, für einen Regisseur, für den Horror eine kräftig atmende Sache ist. Aus diesem Grund fand ich es aufregend, für Clive zu arbeiten. Wir führten sehr gute Diskussionen und hatten großen Respekt voreinander."
Was den "Hellraiser"-Score (Silva Screen) so auszeichnet, ist sein äußerst melodiöses Thema, das nur gelegentlich von wirklich schaurigen Sequenzen kontrastiert wird.
"Clive war von der Idee sehr angetan, ein simples Thema in den Köpfen des Publikums festzusetzen. Es gibt nur einige wenige bemerkenswerte Melodien in `Hellraiser´, aber sie erscheinen zusammen mit der Puzzle Box und am deutlichsten, als sich die Wände öffnen, wenn Frank wiederauferstanden ist. Clive glaubt - und ich denke, das ist ein tolles Konzept für den Film, weil es sehr gut funktioniert -, dass man das Publikum mit einem sehr einfachen, eingängigen und unvergesslichen Thema packen und verführen muss, dass es sich nach dem sehnt, was die Hölle anzubieten hat. Die Musikbox-Themen sind in einer Weise konzipiert, dass sie spontan erkannt und leicht gepfiffen und wiederholt werden können. Als ich an dieser Szene arbeitete, hatte ich sofort das Musikbox-Thema im Kopf; die ursprüngliche Orchestration dafür war das Jingle Jangle der Musikbox. Ich konnte das Thema entwickeln, dass es rearrangiert, orchestriert und auf eine Weise transformiert und vom Orchester aufgegriffen werden konnte. Ich hätte dieses Thema vielleicht öfter im `Hellraiser´-Film eingesetzt, wenn ich davon mehr überzeugt gewesen wäre, aber ich zweifle ständig an mir selbst. Wenn ich etwas schreibe, denke ich, dass es nicht gut genug ist. Das Verlangen nach einem simplen, fesselnden, leicht erkennbaren Thema entsprang Clives Philosophie, dass es der beste Weg wäre, das Publikum so zu fesseln, dass es sich selbst in dem Film glaubt und von der Idee gefesselt ist, von den Wundern der großartigen Kreaturen verführt zu werden, die Hölle zu betreten. Einmal hat er gesagt, dass er hoffe, dass die Musik, wenn sie erst einmal in den Köpfen der Leute ist, nicht mehr loszuwerden ist."

  © Blogger template Brooklyn by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP