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Sonntag, 6. Juni 2010

Christopher Young (Teil 3) - Jennifer 8, 9, 10, 11 ...

Mittlerweile haben sich aber auch für Christopher Young einige feste Verbindungen zu prominenten Filmemachern ergeben, zu Sam Raimi ("The Gift", "Spider-Man 3", "Drag Me To Hell") und Jon Amiel ("Agent Null Null Nix", "Copycat", "Verlockende Falle", "Creation") beispielsweise. Doch trotz wachsenden Erfolgs glaubt Young, noch vieles ausprobieren zu müssen.

"Ich wünsche mir so sehr, dass ich mehr Gelegenheit bekomme, die Grenzen auszudehnen, Dinge zu versuchen, die noch nie in der Filmmusik gemacht worden sind. Es gibt einige Beispiele, wo ich diese Chance bekommen habe, vor allem bei `The Vagrant´. Das war der zweite Film von Chris Walas, einer, bei dem er wirklich nicht wusste, was für Musik er haben wollte. Es gab keine Musik, die sich für diesen Film angeboten hätte, also überließ er es überwiegend mir zu entscheiden, was man tun könnte, und ermutigte mich, zu experimentieren und Dinge zu versuchen, die noch nie gemacht wurden. Ich denke, jeder Komponist sorgt sich darum, ob die Musik, die ihn beeinflusst hat, in seiner eigenen Musik zu bemerken ist. Ich kann wirklich keinen bestimmten Einfluss benennen, nichts Bestimmtes, das mir im Kopf herumschwebte und meine Gedanken kontrollierte.
Die meisten Regisseure sind wegen ihrer Filme ziemlich unsicher. Sie sind offensichtlich daran interessiert sicherzustellen, dass ihr Film einer der Kassenschlager wird, weil sie die Gelegenheit bekommen wollen, einen weiteren Film zu machen. Was ich festgestellt habe, ist, dass viele der jüngeren Regisseure in ihrer Sorge um ihre Unsicherheit mit dem Wunsch nach einer sicheren Position in der Industrie vor allem Filme machen wollen, die zur Zeit von der Stimmung her angesagt sind und mich nicht zu mehr inspirieren als das zu kopieren, was ein anderer Komponist für einen ähnlichen Film gemacht hat. Das ist ziemlich frustrierend. Ich denke, es liegt in der Verantwortung des Komponisten, dass er, wenn er die Möglichkeit dazu hat, versucht, das musikalische Vokabular zu erweitern, es irgendwohin zu führen, wo es noch nicht gewesen ist. Ich denke, dass es viele Talente hier gibt, aber es sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, dieses Talent einzusetzen. 
Vielleicht war es immer der Fall gewesen, aber ich glaube, die Standards in der Filmmusik waren in den 40ern, 50ern und sogar in den 30ern weitaus höher als heute. Ich denke, wir haben den Tiefpunkt erreicht, und ich hoffe, dass wir aus diesem Sumpf herauskommen. Die Talente sind vorhanden, ich denke nur nicht, dass die Regisseure und Produzenten die Komponisten ermutigen, mit etwas Neuem für den Film anzukommen. Das Problem ist, dass der Großteil der Regisseure, die heutzutage Filme machen, jüngerer Generation ist. Der Regisseur, der Produzent, der Drehbuchautor - alle sind sehr jung.
Die junge Regisseur-Generation ist sich der orchestralen Musik und ihrer Möglichkeiten überhaupt nicht bewusst. Die meisten sind mit Rockmusik aufgewachsen und haben ihren ersten Kontakt mit Filmmusik durch den Film erhalten. Um den Erfolg eines Films sicherzustellen, verlangen sie nur ein Vokabular, das mit dem Publikum auf überwiegend visueller Ebene kommuniziert.
Die Leute, die heutzutage ins Kino gehen, sind überwiegend Teenager und Leute um die 20. Diese Leute hören keine orchestrale Musik, sondern Rockmusik. Das Pop-Vokabular in Verbindung mit der Synthi-Technologie und das Interesse am Minimalismus hat dieses Monster kreiert, mit dem alles verwaschen wurde. Harmonien und Melodien sind sehr statisch geworden, was sehr tragisch ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mehrheit dessen, was heute produziert wird, gerade die Synthi-Scores, in 50 Jahren mit großer Scham und Fassungslosigkeit betrachtet wird.
Es ist für jedermann schwer zu realisieren, dass alles, was direkt auf die populäre Kultur bezogen ist, mit der Zeit nicht mehr dem Geschmack entspricht. Ich bin sicher, dass wir in einiger Zeit kopfschüttelnd auf unsere Werke zurückblicken und um Vergebung bitten, weil es lächerlich schlecht ist. Das hat nichts damit zu tun, dass die Komponisten nicht talentiert wären, sie werden nur nicht angespornt, ihr Bestes zu tun. Es ist momentan ziemlich schwer, einen Komponisten vom anderen zu unterscheiden. Das hängt auch damit zusammen, dass die Regisseure für ihre Filme Filmmusik als Temp-Scores verwenden, was eine enorme psychologische Belastung für einen Komponisten bedeutet, der versucht, etwas anderes zu machen. In der Regel soll der Komponist einen Score schreiben, der dem Temp-Score ziemlich ähnlich ist, der wiederum ein oder zwei Jahre alt ist. Das alles verhindert einen Fortschritt in der Entwicklung der Filmmusik. Filmmusik hängt immer der Zeit hinterher, was die Entwicklung der orchestralen Musik angeht."
Doch ebenso wie Elliot Goldenthal mit seinen Scores zu "Interview With The Vampire", "Drugstore Cowboy", "Alien 3" oder "Batman Forever" bewiesen hat, sind neue Töne auch bei Hollywoods Großproduktionen durchaus - wenn auch nur gelegentlich - gefragt, und nachdem sich Chris Young mit seinem ungewöhnlichen Score zu "Species" etabliert zu haben scheint, braucht sich dieser hoffentlich auch nicht mehr um zu geringe Budgets zu sorgen.
"Das Budget spielt natürlich eine ganz wichtige Rolle. Die ersten drei oder vier Filme, die ich gemacht habe - `Pranks´, `The Power´ - verfügten über ganz geringe Budgets, und ich habe `Pranks´, meinen ersten Film, seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich habe Angst davor, es zu tun, aber wenn ich es tun würde, bin ich sicher, dass mir als erstes durch den Kopf gehen würde, was ich mit dem Film gemacht hätte, wenn ich mehr Geld zur Verfügung gehabt hätte. Es handelte sich um ein kleines Orchester, möglicherweise waren es alles Musikstudenten, und alles litt darunter. Aber im Laufe der Zeit hatte ich immer wieder mit Beschränkungen des Budgets zu kämpfen. Die Mehrheit der Filme, an denen ich gearbeitet habe, waren Independent-Filme, bei denen ich Package-Deals eingehen musste. Sie geben mir eine bestimmte Menge an Dollars, mit der ich den Score zu produzieren habe. Was immer davon übrigbleibt, ist mein Honorar. Die Major-Firmen arbeiten anders. Sie zahlen in der Regel ein Honorar für den Komponisten, und das Budget für den Score wird als eigenständige Einheit behandelt.
Es gibt einige Beispiele in meiner Arbeit, wo ich zuviel mit dem Geld versuchte, und ich denke, die Scores litten darunter. Meine Einstellung bei diesen Package-Deals war stets - gerade in den ersten vier, fünf Jahren meiner Karriere -, dass es eine Investition in meine Zukunft war.
Es ist wichtiger, dass ich mit einem Score ankomme, der eindrucksvoll mit dem Film harmoniert, statt umgekehrt, d.h. wenn der Film schlecht ist, ist es nicht mein Fehler. Wofür ich zur Verantwortung gezogen werden kann, ist die Musik. Das ist meine Aufgabe. Ich kann die Qualität eines Scores nicht damit entschuldigen, dass zu wenig Geld vorhanden war, indem ich unter meinen Credits `Music by Christopher Young´ die Notiz anfüge: `Oh ja, übrigens, es war kein Geld da, um den Score aufzunehmen.´ Die Leute wollen ins Kino gehen und den schönsten Score seit dem letzten großen Blockbuster hören.
Es war immer eine merkwürdige Sache, gerade bei Filmen, deren Story schwach war, wurde ich häufig angewiesen, den Produktionswert des Films zu erhöhen. Also lieferte ich einen Score ab, der möglicherweise größer war als der Film benötigte. Meine Frau wusste natürlich, dass jeder Musiker, den ich zusätzlich engagierte, um den Score zu verbessern, bedeutete, dass weniger Geld in die Familie floss.
Wegen dieses Interessenkonflikts muss ich mir nun keine Sorgen mehr machen. Außerdem bin ich jetzt in der Lage, in Los Angeles aufzunehmen, mit den besten Musikern und Technikern. Das war eine unglaubliche Erfahrung für mich. Als ich `Species´ aufnahm, war das mein erster Score gewesen, den ich gänzlich in Los Angeles aufnahm. Ich erinnere mich, wie wir den allerersten Cue zu der Szene aufnahmen, als der Alien aus dem Labor flieht, und ich hysterisch lachen musste, weil ich so aufgeregt war, dass meine Musik so harmonisch klang. Ich weiß noch, dass Roger Donaldson den Cue gar nicht mochte. Er hatte nicht erwartet, dass ich die Szene so angehen würde. Ich war so aufgeregt, dass ich zum Techniker, Bobby Fernandez, ging, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite, und fragte ihn, was er davon hielte. Ich muss sagen, dass es großartig ist, bei großen Filmen mit Orchestern zu arbeiten, bei denen sich seine eigene Musik stimmig anhört, mit den Nuancen, die man sich beim Schreiben des Materials vorstellt. Ich habe die Leute in Utah bewundert, sie sind sehr gute Musiker, aber das ist schon ein großer Unterschied, wie ich feststellen musste, als ich `Tales From The Hood´ in Utah aufnahm. Neben dem Package-Problem kam noch ein Problem hinzu, dass sich nämlich die Cues immer falsch für mich anhörten. Viele der Aufnahmesessions für meine Scores waren bisher weder für mich noch für die Leute um mich herum ein großes Vergnügen."
Es ist schließlich sein von einem Solo-Piano dominierter Score für die 92er Paramount-Produktion "Jennifer 8" (Milan) gewesen, der Chris Young die Türen zu weiteren Major-Produktionen öffnete, für die der Komponist ähnliche Scores abzuliefern hatte. Nachdem Young jahrelang auf Low-Budget-Horrorfilme festgeschrieben war, schien er auf einmal auf Solo-Piano geprägte Scores für Psychothriller abonniert zu sein, wie seine 95er Arbeiten für die Gerichts- und Psychothriller "Judicial Consent" (Intrada), "Murder In The First" (La Bande Son), "Copycat" (Milan) und "Unforgettable" nahelegen.
"Vor `Judicial Consent´ habe ich nur für einen Score das Piano so herausgestellt, und zwar bei `Jennifer 8´. Ich habe `Judicial Consent´ als `Jennifer 9´ bezeichnet, `Copycat´ als `Jennifer 10´ und `Unforgettable´ als `Jennifer 11´. Sie klingen alle ziemlich ähnlich. Für `Jennifer 8´ wurde ich von Regisseur Bruce Robinson engagiert, um einen Score zu ersetzen.
Er hat den Film mit `Presumed Innocent´ getemptrackt. Ich war sehr besorgt, möglichst schnell mit einem Score ankommen zu müssen, der ein Piano enthält. Wenn ich irgendein anderes Instrument herausgehoben hätte, wäre ich wahrscheinlich auf große Probleme gestoßen. Dass ich für `Jennifer 8´ ein Piano benutzt habe, wurde also durch `Presumed Innocent´ beeinflusst. Streicher und Piano gehören natürlich schon seit den Anfängen der Filmmusik zum Instrumentarium. Sie scheinen nur jetzt wieder populär zu werden. Und diese Popularität haben wir zum großen Teil John Williams zu verdanken.
Was folgte, war, dass mit `Jennifer 8´ andere Filme getemptrackt wurden. `Judicial Consent´ wurde mir angeboten, weil der Regisseur sich in meinen `Jennifer 8´-Score verliebt hat. Natürlich wollte auch er ein Solo-Piano, das in dem Score eingesetzt wurde. Es ist also ein Schubladen-Problem, und ich versuche, da herauszukommen. Ich bin es ziemlich leid, immer die gleichen Sachen machen zu müssen. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als ich mit `Judicial Consent´ anfing, war: `Oh, mein Gott, Chris, nicht schon wieder! Das kannst du nicht machen!´ Aber das ist der Grund, warum man dich anheuert, und man kann sich nicht gegen die Wünsche des Regisseurs aufbäumen. Ich habe es nicht bereut, `Jennifer 8´ gemacht zu haben. Das war eine schöne Sache. Das Problem ist, dass, wenn man einen anderen Komponisten ersetzen muss (in diesem Falle Maurice Jarre, Anm. d. Verf.), der gefeuert wurde, weil er offensichtlich nicht das lieferte, was sich der Regisseur vorstellte, kann man sich noch weniger gegen die Vorstellungen des Regisseurs wenden, weil man sonst der nächste ist, der gefeuert wird. Bei `Copycat´ hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich mich wiederholen könnte. Ich schreibe seit Jahren für Suspense- und Horrorfilme, und für was ich auch gerade arbeite, versuche ich doch stets, etwas Neues zu schreiben, aber ich befürchte, dass ich mittlerweile zu viele Filme in dieser Richtung gemacht habe."
Etwas skeptisch wirkt Chris Young auch, wenn man ihn auf seinen momentanen Erfolg anspricht. "Das ist ein zweischneidiges Schwert. Um einen gewissen Erfolg zu erreichen, muss man etwas in Schwung kommen. 1995 war sicherlich ein sehr wichtiges Jahr für mich, da ich in der Lage war, an mehr Filmen zu arbeiten, als ich es in den Jahren zuvor gewohnt gewesen war, und was noch wichtiger war, einige der Filme waren Kassenschlager, wie beispielsweise `Species´. Ich habe nie so schnell und so viel Musik geschrieben wie im letzten Jahr. Unglücklicherweise musste ich sogar einige Filme zurückgeben, weil ich nicht die Zeit dafür hatte. Ich habe feststellen dürfen, dass die Filme besser geworden und häufiger gekommen sind. Es ist ein schönes Gefühl, dass sich die Dinge letztlich auszahlen. Schließlich habe ich die letzten 14 Jahre sehr hart gearbeitet. Es gab auch schon in der Vergangenheit einige Filme, drei oder vier, bei denen ich gehofft hatte, dass sie mich von den B-Filmen zu den A-Filmen bringen würden, `Jennifer 8´, `BAT-21´, `Haunted Summer´, was ein Film war, von dem sich viele Beteiligte erhofften, dass er ihre Karriere verändern würde. Die Zeit wird zeigen, wie es weitergeht. Karrieren können über Nacht steigen und fallen. Ich hatte ein großartiges letztes Jahr und ich hoffe, das bleibt in diesem Jahr auch so. Man kann aber nie genau vorhersagen, wie der nächste Film sein wird. Ich hoffe natürlich, dass auch in diesem Jahr einige Filme dabei sein werden, die Kassenerfolge werden.
`Species´ war schließlich der Film, der einen Wendepunkt in meiner Karriere bedeutete. `Tales From The Hood´ war sicherlich ein guter Film, wurde aber als B-Horror-Movie kategorisiert. Bei `Species´ hatte ich eben das Glück, dass er ein Sommerhit wurde, obwohl ich glaube, dass es nicht unbedingt meine beste Musik gewesen ist."
Dass Young für den Überraschungserfolg "Species" von Roger Donaldson engagiert wurde, der bislang für jeden Film mit einem neuen Komponisten zusammengearbeitet hat, verdankte er weder seinem Agenten, noch der ohnehin fehlenden guten Beziehung zum Regisseur, wie es sonst üblich ist.
"An `Species´ bin ich durch den Picture Editor, Conrad Buff, und den Music Editor, Don Garde, gekommen, mit denen ich an `Jennifer 8´ gearbeitet habe. Diese beiden empfahlen mich Roger Donaldson, und ich habe diesen Job diesen beiden Leuten zu verdanken. Ich glaube kaum, dass sich Roger Donaldson ohne deren Einfluss für mich entschieden hätte. Sie glaubten sehr stark an mich und taten alles, damit ich den Job bekomme. Und man bekommt einen Job meistens dann, wenn der Film mit deiner Musik getemptrackt wird. Und das passiert dann, wenn der Picture- und Music Editor mit deiner Arbeit vertraut sind. Das hatte also nichts mit den Kontakten zu tun, die ich hatte, noch mit meinem Agenten."
Die besondere Herausforderung lag für Young vor allem darin, sehr viel Musik in recht kurzer Zeit zu schreiben und es den vielen Geldgebern rechtzumachen. Wenn sich der experimentelle "Species"-Score auch von den sogenannten "Jennifer 8"-Scores unterschied, setzte Young wie schon bei "Murder In The First" und später bei "Copycat" die menschliche Stimme sehr elaboriert als Instrument ein.
"Mit der flüsternden Stimme bei `Copycat´ wollte ich die Stimme im Kopf des Serienkillers repräsentieren. Ich versuche immer, Stimmen einzusetzen, wo man mir die Gelegenheit dazu gibt. Ich habe als Junge in einem presbyterianischen Kirchenchor gesungen, was eine großartige Erfahrung für mich war. All die Hymnen, die ich dort gesungen habe, sind mir noch in Erinnerung. Nachdem ich `Murder In The First´ beendet hatte, dessen Chorsequenzen zwar englischer Natur, aber nicht allzu weit von der presbyterianischen Tradition entfernt sind, habe ich mir überlegt, an was mich diese Hymne erinnert, und es war schließlich eine sehr presbyterianische Hymne, die ich im Kirchenchor oft gesungen habe. Sie basiert auf einer Melodie aus dem Kölner Liederbuch von 1623, die im 19. Jh. von einem Engländer mit einem Text versehen wurde.
In `Species´ wurde ein Frauenchor von ungefähr 18 Stimmen eingesetzt, weil die Alien-Kreatur eine Frau war. Sie hatte in dem Film einige sehr seltsame Traumsequenzen, für die ich eine einzelne Frauenstimme einsetzte, die einen gregorianisch-ähnlichen Choral sang."

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