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Sonntag, 20. Juni 2010

Elliot Goldenthal (Teil 1) - Das Gewöhnliche trifft das Unerwartete

Wenn auch Elliot Goldenthals Name längst nicht so häufig auf der Leinwand zu sehen gewesen ist wie viele seiner bekannteren Kollegen, zählt er nicht nur durch seine Oscar-prämierte Musik zur Künstlerbiografie „Frida“ zu den anerkanntesten, hoffnungsvollsten und originellsten Filmkomponisten, die derzeit gehandelt werden. Für seinen Score "Interview With The Vampire" erhielt der am 2. Mai 1954 geborene New Yorker eine "Golden Globe"- und Academy-Award-Nomination, nachdem bereits seine Arbeiten zu "Drugstore Cowboy", "Friedhof der Kuscheltiere" und "Alien 3" hochgelobt wurden. 

Was all seine Werke für den Film auszeichnet, ist die offensichtlich seltene Gabe, die Möglichkeiten des Orchesters voll auszuschöpfen, das Gewöhnliche mit dem Unerwarteten zu verknüpfen, wundervolle Melodien mit experimentellen Sounds zu unterlegen, intime Momente mit bombastischen Orchestereskapaden und minimalistischer bis verfremdender Elektronik zu verbinden. Das hat Goldenthal größtenteils seinem Lehrer John Corigliano zu verdanken, während er bei Aaron Copland eher praktische Erfahrungen sammelte.
"Ich denke, dass gerade mein Studium mit John Corigliano extrem wichtig war, weil ich ihm jede Woche meine Arbeiten brachte, er sie analysierte, vor allem die Orchestration und die Idee der Melodie. Er achtete sehr darauf, dass ich nicht immer wieder auf das 19. Jahrhundert zurückgriff. Es war sehr aufregend für mich, wie man die Tradition des 19. Jahrhunderts mit großen Teilen des 20. Jahrhunderts verbinden konnte, wie man die Unterschiede einer Zeit, in der man lebt und in der Jimi Hendrix und Richard Wagner gespielt werden, miteinander aussöhnen, wie man beides simultan zusammenbringen kann", blickt Goldenthal auf seine Zeit an der Manhattan School of Music in New York zurück. "Aaron Copland war ein sehr alter Mann, der am Ende seines Lebens stand. Die große Freude, mit ihm zu arbeiten, war, seine Scores durchzuspielen, mit ihm sehr langsam vierhändig am Piano zu spielen und ihm Fragen über das zu stellen, was er in den 20er, 30er, 40er Jahren komponiert hat. Aber es war alles in slow motion. Es war sehr fördernd für mich, wenn er mir erzählte, wie gut es ihm tat, Sachen für den Film zu machen. Für ihn war es eine unglaubliche Sache, in verschiedene Gebiete außerhalb der Konzertmusik zu gehen, außerhalb des Lebens zwischen den Endpunkten. Er liebte das Radio, den Film und all die Dinge."
Mit Copland teilt Goldenthal das Interesse für interdisziplinäres Arbeiten. Vor allem seine Arbeiten für Orchester, Theater und Oper sind preisgekrönt. Für die Theaterproduktion "Juan Darién", die er 1988 mit der Regisseurin Julie Taymor inszenierte, erhielten beide den Obie Award. Für das Musical "The Transposed Heads" gewann er den ersten American Music Theatre Festival’s Stephen Sondheim Award. Außerdem erhielt er den Edinburgh Festival Critic’s Choice Award, den Toscanini Award for musical composition und den New Music for Young Ensembles composition prize.
1988 wurde er von ASCAP mit einem Orchesterwerk ("Shadow Play Scherzo") anlässlich des 70sten Geburtstags von Leonard Bernstein beauftragt, später mit einer Arbeit für das Haydn-Mozart Chamber Orchestra ("Pastime Variations - An Ebbets Field Memorial") sowie Scores für drei Shakespeare-Stücke.
"Ich war sehr am Kino und Theater interessiert. Mich faszinierte das Theater und die wechselseitige Beziehung zwischen Handlung und gesprochenem bzw. gesungenem Wort, zwischen Songtexten und Musik, wie Musik zu Gesang führt, wie Musik zu solchen Emotionen führt. So schien es mir nur natürlich, in diesem Bereich zu arbeiten", erklärt Goldenthal sein starkes Engagement für Theaterproduktionen. "Meine erste Musik für einen Film war die zu einem Film von Andy Warhol und einem deutschen Regisseur, der viel mit Rainer Werner Fassbinder zusammengearbeitet hat, in Hollywood Fuß fassen wollte, es aber nicht schaffte. Leider machte er Filme, die keiner sehen wollte. Aber ich machte einen Film mit ihm, ‚Blank Generation‘, welcher wirklich ganz gut war und in dem Andy Warhol und er selbst mitwirkten. Das war 1979 und der erste Film, den ich machte."
Eine große Umstellung von der Arbeit fürs Theater zu einer für den Film scheint es für Goldenthal grundsätzlich nicht zu geben.
"Es gibt eigentlich keine großen Unterschiede zwischen der Arbeit für die Leinwand oder für das Theater, wenn man in der glücklichen Lage ist, mit einem Regisseur zusammenzuarbeiten, der einem darin vertraut, was man macht, der gut versteht, was man zu erreichen versucht. Beim Film ist die Arbeit sehr technisch. Wie man weiß, bestehen Filme aus 24 Bildern pro Sekunde. Wenn jemand im elften Bild ein Messer ins Herz gestoßen bekommt und dies der wichtigste Moment ist, muss man seine ganze Musik darauf abstimmen. Man ist also ein Sklave der Zeit, wenn man für einen Film die Musik schreibt. Im Theater ist das natürlich anders, und in der Konzertmusik besteht die Schwierigkeit darin, dass es keine Grenzen gibt. Ohne Beschränkungen wird es viel schwieriger. Für mich ist es jedenfalls so, dass ich mich total unabhängig fühle, wenn man mir eine Beschränkung fortnimmt, und Freiheit ist eine schwierige Sache, um damit umzugehen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum Leute wie Alban Berg sich wohl dabei fühlten, innerhalb gewisser Grenzen zu arbeiten, oder Bluesmusiker, die nur sechs oder sieben Noten zur Verfügung haben."
Da für Goldenthal diese Beschränkungen nicht bestehen, sieht er nicht die Notwendigkeit, sich welchen zu unterwerfen, wie es die meisten seiner Kollegen tun. Wann immer Goldenthal engagiert wird, versucht er, ungewöhnliche Arbeiten zu produzieren, die auch für das Ensemble des jeweiligen Orchesters eine besondere Herausforderung bedeuten.
"Viele Sounds entstehen auf ganz natürliche Weise, wenn man versucht, mit einem traditionellen Orchester zu arbeiten. Sehr oft müssen die Bläser tiefere Töne in Verbindung mit Clustern oder Klangfarben spielen, was sehr ungewöhnlich für sie ist. Dann muss ich sehr oft erklären, was ich brauche, das das Orchester ausdrücken soll.
Ich denke, es gibt da noch viel, was man nutzen kann, was die Komponisten des 21. Jahrhunderts am Orchester erforschen können, weil noch so viele Texturen und Farben vorhanden sind, die bislang nicht verwendet wurden. Außerdem macht es die Computer- und Sampletechnik sehr einfach, hausgemachte Sounds zu produzieren und eine ganze Welt zu kreieren, die sehr gut mit dem Orchester zusammenwirken kann, wenn man nach vorn schaut. Ich verlasse mich auf den Computer und das Orchester, um diese Sounds zu kreieren."
Wie alle Filmkomponisten hat natürlich auch Elliot Goldenthal mit den besonderen Zeitbeschränkungen zu kämpfen, die den Komponisten zwingen, oftmals sehr kurzfristig Musik um- oder neu zu schreiben.
"Egal, wie früh ich in ein Projekt involviert werde, letztlich bleiben mir drei bis fünf oder sechs Wochen für die Musik, weil sich am Ende noch so viel ändert. Die Regisseure ändern ihre Meinung, tragen Kämpfe mit den Produzenten aus, so dass es zum Ende hin eine große Herausforderung wird. Man muss also sehr flexibel am Schluss sein. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel sich ändern kann. Als ich die Musik für `Alien 3’ schrieb, musste ich am letzten Tag die letzten elf Minuten des Films neu aufnehmen, weil sie sich noch nicht entschieden hatten, ob das Monster aus Sigourney Weavers Körper kommt oder Selbstmord begeht. Es ist sehr schwierig, unter solchen Umständen zu arbeiten, wenn sich am Ende so viel verändert. Egal, wie früh man also in den Film hineinbezogen wird, was zählt, ist der vom Regisseur abgeschlossene Film. Das machte ‘Interview With The Vampire’ einfach, obwohl ich nur drei Wochen Zeit hatte, um achtzig Minuten Musik zu komponieren. Dafür war der Film bereits fertig. Sie änderten nichts mehr, und ich konnte Tag und Nacht die Musik komponieren."
Dass Elliot Goldenthal bislang verhältnismäßig wenig für den Film gearbeitet hat, liegt nicht nur an seinen intensiven Aktivitäten außerhalb Hollywoods, sondern auch an den Voraussetzungen, die Goldenthal an den Film stellt, bevor er sich entscheidet, ihn zu machen.
"Ich lese das Skript und beim Lesen versuche ich festzustellen, ob es Stellen und Möglichkeiten gibt, Musik auf unterschiedliche Weise einzusetzen, ob die Musik eine wichtige Rolle spielt. Z.B. war für ‘Alien 3’ die Musik sehr wichtig. Leider waren auch Sound Effects sehr wichtig. In ‘Drugstore Cowboy’ versuchte ich in der Musik die Drogenzustände auszudrücken, die sehr zentral in dem Film waren. Wo ich mich ausdrücken kann, wo man versteht, was ich mache, das sind die Kriterien, nach denen ich einen Film aussuche.
Ich bekomme viele Angebote, aber das Lesen des Skripts ist wichtig für mich, um zu sehen, dass die Musik eine entscheidende Rolle spielt und der Regisseur und ich keine Zeit verschwenden. Manche Komponisten nehmen alles, was sie kriegen können und gehen dabei in eine Falle. Es gibt sehr viele solcher Fallen. Ich wäre z.B. nicht sehr gut darin, eine romantische Komödie zu machen.
Wenn ich das tun würde, käme vielleicht jemand, der mir eine weitere Komödie anbietet und dann eine weitere, so dass ich zwei Jahre meines Lebens verloren hätte. Ich brauche Filme, in denen es andere Formen von Realität gibt. ‘Demolition Man’ war der letzte Action-Film, den ich je gemacht habe. Ich habe mich einmal an einem Action-Film versucht und würde so etwas nie wieder machen. Zu viele Sound Effects. Aber es war ein Film, der in der Zukunft spielte und mir die Möglichkeit bot, eine Musik zu komponieren, die andere Schichten von Realität aufwies. Ich muss sehr vorsichtig sein bei der Wahl meiner Projekte sein, weil es so viele Fallen gibt, mit denen man seine Zeit verschwenden kann."
Hat er sich aber für ein Projekt erst einmal entschieden, besteht für Goldenthal allerdings oft die Schwierigkeit, sich mit den Regisseuren über die Musik zu unterhalten.
"Die Regisseure haben zwar eine genaue Vorstellung von der Musik, die sie haben wollen, aber sie haben keine von mir. Sie können nicht in musikalischen Begriffen reden, sondern nur über dritte Personen oder andere Musik, also nur indirekt. Neil Jordan spricht z.B. über die Musik nur auf abstrakte Weise, indem er andere Komponisten erwähnt. Es wird dann immer schwierig, wenn ich die Musik vorlege, die ich komponiert habe. Für Neil Jordan habe ich eine Stunde Musik komponiert, die ich ihm zum Anhören vorgelegt habe, damit er seine Kommentare anbringen konnte. Von diesem Punkt an konnten wir zusammenarbeiten. Es ist sehr schwierig, mit einem Regisseur zusammenzuarbeiten, der kein Spezialist ist, der nicht den Musikprozess versteht, der sich nicht vorstellen kann, dass die Musik, die man mit einem Synthesizer eingespielt hat, anders klingt, wenn man sie von einem Orchester spielen lässt."
Die ungewöhnlich intensive Einheit, die Goldenthals Musik mit den Filmen eingeht, und sein ständiges Bemühen, neue Ausdrucksformen für die Filmmusik zu finden, haben nicht nur Vergleiche mit seinem Mentor John Corigliano ("Altered States", "The Ghost of Versailles") heraufbeschworen, sondern ihn als neuen Bernard Herrmann feiern lassen.
"Ich fühle mich sehr geehrt. Historisch gesehen kann man Bernard Herrmann als ersten Minimalisten bezeichnen. Man braucht nur Phillip Glass mit ihm zu vergleichen. Es ist einfach unglaublich, was er natürlich für ‘Psycho’, aber auch für ‘Cape Fear’ komponiert hat. Seine Art der Orchestration war völlig persönlich. Er folgte nicht der Tradition von Konzertkomponisten, die in Hollywood erfolgreich wurden, Leuten wie Max Steiner, die brillante Musiker waren. Aber dann kam Bernard Herrmann und führte vor, wie Musik im Kino klingen sollte. Er definierte nicht nur die Musik neu, sondern schuf ganz neue Welten mit Mr. Hitchcock. Ich fühle mich sehr geschmeichelt, in seine Fußstapfen zu treten."

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