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Donnerstag, 2. September 2010

Dead Can Dance (Teil 3) - Von einer Epoche zur nächsten

Mit ihrem fünften, 1990 veröffentlichten Album „Aion“ reflektieren Dead Can Dance ihr verstärktes Interesse an sakraler und liturgischer Musik vom Zeitalter der Troubadoure des 11. Jahrhunderts bis zur frühen Renaissance. Damit verbunden war die intensive Auseinandersetzung mit dem Mittelalter, jener Zeit, in der Europa durch die Kreuzzüge erstmals in Berührung mit arabischen Instrumenten, einem anderen Verständnis von Poesie, esoterischen Ideen und astrologischen Begriffen kam.
`Aion´ ist ein Begriff aus der bretonischen Philosophie, der seinen Ursprung bei den Griechen hat“, erläutert Brendan die Bedeutung des Albumtitels und damit auch das Konzept des Albums. „Er kennzeichnet eine gütige, wohltuende Energie, die immerwährend ist und sich selbst in der Zeit manifestiert. Er bezeichnet aber auch die Dauer von periodischen Zeitabläufen; man kann es in Beziehung zu dem Leben auf unserem Planeten bringen, und es kann auch auf das Universum angewandt werden. Wir haben diesen Einfluss benutzt, um weiter zurück, ins 14. und 16. Jahrhundert zu gehen.
Wir sehen die Übergänge von einer Epoche zur nächsten, wie die Arbeit und bestimmte Einflüsse die Zeit durchwandern, und wir sehen die Welt in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.“

Auf ihrer Reise in die Vergangenheit sind Dead Can Dance auf die beiden Songs „Saltarello“ und „The Song Of The Sibyl“ gestoßen, die ihre musikalischen Ursprünge im 14. und 16. Jahrhundert haben.
„Saltarello war ein italienischer Musikpublizist. Es gab eine Menge Stücke, die `Saltarello´ hießen, Tanzstücke, weil der Publizist die Arbeiten einsammelte. Er hat sie aber nicht geschrieben. Offensichtlich waren die Komponisten nicht bekannt. Nun habe ich einige von diesen Stücken gehört und ich mochte einige von ihnen. Ich konnte die Musik richtig fühlen, also entschloss ich mich dazu, es zu machen“, meint Brendan. „Sibyl war eine ernst zu nehmende Prophetin, aber sie wurde in den letzten Jahrhunderten durch die Christen übel verleumdet, weil große Widersprüche in ihren Prophezeiungen gefunden wurden. Aber es war weniger dieser Aspekt, der mich ansprach, sondern die arabische Herkunft der Musik, die Mischung von westlicher, weltlicher Musik und arabischen Sounds.
Wir haben seit jeher eine große Vorliebe dafür. Wir haben uns dazu entschlossen, das Stück zu machen, weil wir es sehr tröstlich fanden. Es sollte mehr Leuten zugänglich gemacht werden. Es ist keine Sache, die wir erst neulich entdeckt haben. Auf all unseren Platten verbinden sich westliche und arabische Musiktraditionen.“
Ein besonders schönes Beispiel für diese Symbiose stellt „Black Sun“ dar, das vor allem durch die eindringliche Melodieführung und den dichten Percussionsound besticht.
„Dieser Song behandelt vor allem die Heiligkeit des Lebens. Er ist sehr beeinflusst von Programmen und Büchern, die ich von Organisationen wie `Das Recht zum Sterben´ gelesen habe, und auch Lisas Arbeit in den Hospitälern. All die Leute, die sie sterben sah, Menschen, die mit Medikamenten vollgepumpt waren, ohne Lebensfunktionen. Viele Leute wollten sterben, und es ist barbarisch, dass sie im Namen der Menschlichkeit am Leben erhalten wurden. Also entschied ich mich, darüber auf eine konzeptionelle Art zu schreiben, die auch den physiologischen Aspekt der Existenz beleuchten sollte, wie wir um die Länge des Lebens kämpfen. Das ist ein Grund dafür, warum die Welt in solch einem Durcheinander steckt. Es ist sehr seltsam, wenn man diese Konzepte durchleuchtet, wenn man sieht, wie viel Energie aufgebracht wird, um Dinge in Bewegung zu halten, ohne dass sie tatsächlich leben.
Die Menschen, die das nicht mitmachen wollen, haben kein Recht zum Sterben, weil es gegen das Gesetz ist. In diesem Fall hast du keine Freiheit, aber welche Freiheit hat man überhaupt, wenn man nicht das Recht zu entscheiden hat, ob man leben will oder nicht?“
1991 widmen sich Brendan und Lisa ganz unterschiedlichen Projekten. So wirken sie bei Theater- und Festivalprojekten in Irland mit und stellen Lisas Musik zur Temenos-Produktion von Sophokles´ „Oedipus Rex“ im Andrews Lane Theatre in Dublin vor. Beim Cavan Lakes And Vales Festival spielen Dead Can Dance ihr Konzept zur Parade und der Schlusszeremonie.
Brendan leitet in Irland einen Percussion-Workshop für Kinder, während Lisa heiratet und ein Kind zur Welt bringt.
Außerdem veröffentlichen sie mit „A Passage In Time“ eine erste, vor allem für den amerikanischen Markt konzipierte Best-of-CD, die mit „Bird“ und „Spirit“ aber auch zwei sehr schöne neue Songs beinhaltet.
„Wir wählten Songs, um eine Reise zu beschreiben, bei der die Einzelelemente miteinander gekoppelt sind. Es handelt sich um Weiterentwicklung; etwas durchqueren im Gegensatz zu einer Zeit, die starr und linear ist. Von irgendwo herkommend und irgendwo hinführend“, erklärt Brendan. „Die Musik neigt dazu, weiter zu funkeln und zu glühen, obwohl die sie umgebenden Ereignisse sehr düster sind.“
1993 steuern Dead Can Dance den Track „The Host Of Seraphim“ zum Film „Baraka“ bei (der Soundtrack wurde später von Milan veröffentlicht), den Regisseur Ron Fricke und Produzent Mark Magidson in über vierzehn Monaten und 24 Ländern realisiert haben. An Hector Zazous „Sahara Blue“-Album, eine Hommage an den französischen Dichter Arthur Rimbaud, beteiligen sich Dead Can Dance neben Künstlern wie John Cale, Gerard Depardieu, David Sylvian, Bill Laswell und Ryuichi Sakamoto mit zwei Songs.
Im September erscheint dann endlich das langerwartete neue Album „Into The Labyrinth“.
„Wir haben viel gemacht, und unser Leben dreht sich nicht nur um Dead Can Dance“, erklärt Brendan die lange Veröffentlichungspause. „Wir finden auch Betätigungen in anderen Umfeldern, die uns reizen, denen wir gefühlsmäßig verbunden sind und die wir erforschen wollen. Das verleiht uns die Kraft für die Zukunft und die kommenden Alben.“
So sind Dead Can Dance zum Beispiel durch ihre Beteiligung an dem „Baraka“-Film mit der Sufi-Tradition vertraut geworden. „Baraka“ ist nämlich der sufische Begriff für die Substanz der objektiven Wahrheit, eine sufische Kraft, die die rein wörtliche Bedeutung einer Aussage durchtränkt. Die Sufi-Tradition ist eine im Wesentlichen islamische Bewegung, der es um die Verewigung des menschlichen Bewusstseins durch seine im Erkenntnisvermögen enthaltene Quelle geht. Der Sufismus wird von seinen Anhängern als die `geheime Lehre´ betrachtet, die in jeder Religion verborgen liegt, was als Konsequenz die Folge hat, dass die sufische Entwicklung notwendig überall zum Ausdruck kommen muss.
„Lisa ist mehr vertraut mit der Sufi-Philosophie als ich. Sie hat gerade ein Buch darüber gelesen und mir erzählt, dass der Mystizismus bei den Sufis sehr interessant ist“, erzählt Brendan. „Ich muss auf jeden Fall mehr darüber erfahren, weil alles, was ich davon weiß, direkt aus der Sufi-Musik stammt und den tanzenden Derwischen. Für mich bedeutete das einen Einfluss insofern, dass die Musik selbst zu einem Mantra wird und zu einem spiralförmigen Tanz führt. Dabei geht es um das Erreichen eines Trance-Zustandes und die Opferung der eigenen Kreativität, um zu einem Katalysator für Energien zu werden, die einen durchströmen. Es verbindet das Konzept des Göttlichen mit der materiellen Welt, um es einfach auszudrücken.
Letztlich steckt viel mehr dahinter, die Interaktion mit der Natur, das Erreichen eines höheren Bewusstseins - es ist der Tanz des Lebens im Kreis, in der Spirale der Zeit."
"Zeit ist kein linearer Begriff, wie uns das westliche klassische Denken zu vermitteln versuchte. Es geht vielmehr darum, herumzugehen und sich immer wieder im Spiegel zu betrachten und festzustellen, dass wir leider immer wieder Fehler machen, die aber nötig sind, um unser Leben organisieren zu können.“
Womit wir beim Album wären, dessen Cover wieder einmal sehr symbolträchtig ausgefallen ist.
Es zeigt nämlich ein vom marokkanischen Fotografen Touhami Ennadre aufgenommenes Portrait der Hand eines alten Mannes mit nach unten zeigender Handfläche. Sein Handgelenk wird dabei von den Händen eines Kindes umfasst, als wolle es den alten Mann irgendwohin führen.
„Die Hände des Mannes sind alt, die Hände eines Arbeiters, sie ist tief zerfurcht. Das passte zum Titel“, meint Brendan. „Es sah so aus, als sei eine Geschichte in seine Hände geätzt worden. Und wenn man dieses Labyrinth wie ein Handwahrsager sieht, dann heißt das, dein Schicksal ist in die Hand geätzt.“
An dieser Erklärung lässt sich schon ablesen, dass es sich bei „Into The Labyrinth“ nicht nur wieder um ein gewohnt musikalisch vielschichtiges Werk handelt, sondern auch um ein erneut sehr bedeutungsschwangeres, dessen symbolischer Gehalt für den Hörer zunächst allein auf intuitiver Ebene zu erschließen ist. Dennoch unternimmt Brendan den Versuch, einige Schlüsselsymbole und -songs des Albums zu erläutern.
„Für mich bedeutet das Labyrinth einen Prozess, eine Reise zur Selbstentdeckung, eine Reise zur eigenen Psyche, zum inneren Ich. Das Labyrinth beschwört die innere Welt ohnehin herauf, das Staunen darüber und die Dunkelheit darin. Wir müssen aber bis zum Mittelpunkt vordringen, um das Monster in uns zu töten. Dieses Monster ist die unterdrückte, dunkle Seite unserer Natur. Die haben wir zu entdecken. Aber das ist nur die erste Hälfte unseres Kampfes. Die zweite Hälfte besteht darin, zur ursprünglichen Welt zurückzukehren. Das funktioniert für mich auf diesem symbolischen Niveau.“
Damit verweist Brendan indirekt auf die Eigenschaften eines Eremiten, der sich von der Gesellschaft zurückgezogen hat, um das wahre Ich zu entdecken, Weisheit zu erlangen, und anschließend zurückkehrt, um das Licht des Wissens zur Führung anderer emporzuhalten.
Überhaupt wirkt Brendan selbst wie die Personifizierung des neunten Trumpfes der Großen Arkana beim Tarot: seine Texte sind voller Gleichnisse und dokumentieren ein tiefes Verständnis des menschlichen Unbewussten. Die magische Ausstrahlung, die die Musik von Dead Can Dance zweifellos besitzt, beruht demnach sich auch auf der brillanten Umsetzung der ewigen menschlichen Sehnsucht, Himmel und Erde zu vereinen, um wieder eine Ahnung von dem Paradies zu erhalten, aus dem man einst verstoßen wurde.
Während Brendan auf intuitiv-intellektueller Weise den Eremiten symbolisiert, der auf dem von ihm erklommenen Berg den universellen Gesetzen nachspürt, erreicht Lisa diese Transzendenz durch ihren engelsgleichen Gesang, der auf mehr intuitiv-emotionaler Ebene in vollendeten Klängen zu der kosmischen Geburtsstätte zurückkehrt, die ihn der irdischen Welt dargebracht hat. Und so wie der Eremit den Pfad der Erleuchtung empor klimmt, um sich zu einer höheren Wahrheit zu erheben, steigen Dead Can Dance mit ihrem musikalischen Wirken zu himmlischen Sphären auf, an denen der Hörer teilhaben kann, nachdem Brendan und Lisa ihre kraftvollen Träume der übrigen Welt zugänglich gemacht haben - sei es in Form ihrer ewig verzaubernden Tonträger oder gar durch ihre seltenen, aber höchst intensiven Konzerte, die die spirituelle Kraft ihrer Musik weitaus stärker zum Ausdruck bringen. Brendan betont aber auch, dass dem Hörer durch diese Musik die Möglichkeit gegeben wird, in die Welt von Dead Can Dance einzutauchen.
„Es liegt dann am Hörer, inwieweit er sich beim Hören in die Musik einbringt, wie er sie erfährt und schließlich wieder verlässt, um am Ende eines Tages die Reise des Narren zu interpretieren. Für uns ist es keine lineare Reise, die zu einem Album führt. Die Reise vollzieht sich in einer Spirale.“

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