Radio ZuSa

Sonntag, 28. Dezember 2014

Playlist #153 vom 28.12.2014 - NEUHEITEN 2014 (4)

In den vergangenen Wochen sind so viele schöne neue Soundtracks veröffentlicht worden, dass ich gar nicht umhin komme, dieses Jahr bei Radio ZuSa meine Sendung „Soundtrack Adventures“ mit ausgesuchten Höhepunkten aus den neuen Werken von bekannten Komponisten wie James Newton Howard („The Hunger Games – The Mockingjay Part 1“, „Nightcrawler“), Marco Beltrami („The November Man“, „1864“, „The Homesman“), Ramin Djawadi („Dracula Untold“, „Game Of Thrones – Season 4“) und Alexandre Desplat („Unbroken“, „The Imitation Game“) ausklingen zu lassen. Abgerundet werden sie von einigen Newcomern und weniger vertrauten Namen.

Den Anfang macht der in New York residierende Komponist Garth Stevenson, der sich für seine Musik gern von der Natur inspirieren lässt und gerade für Regisseur John Curran („Der bunte Schleier“) das biografische Drama „Tracks“ vertont hat. Darin spielt Mia Wasikowska die 24-jährige Robyn Davidson, die 1975 von Brisbane in den kleinen Wüstenort Alice Springs zieht und von dort aus bis an die Westküste wandern. Auf ihrem 2700 Kilometer langen Selbstfindungstrip durch eine ebenso majestätische wie feindliche Natur trotzt sie wilden Tieren und Wassermangel, während der "National Geographic"-Fotograf Rick Smolan (Adam Driver) die Aufgabe hat, ihre Erlebnisse für die Ewigkeit festzuhalten.
Mit seinem 150 Jahre alten Kontrabass hat Stevenson nicht nur viel Zeit in der Natur verbracht und zwei Studio-Alben (u.a. das hochgelobte „Flying“) eingespielt, sondern auch auf über fünfzig Alben anderer Künstler mitgewirkt. Sein Score für „Tracks“ fasziniert durch seine ätherische Leichtigkeit, mit der die Musik wie eine warme Brise durch den Film gleitet.
„Ein Großteil meines Klang- und musikalischen Vokabulars resultiert aus den Tausenden von Stunden, die ich damit verbracht habe, allein in der Natur zu spielen“, sagt Stevenson. „Orte zu entdecken, im Wald verloren zu gehen, Tieren zu begegnen – all dies gehört zu der Reise, die ich unternehme, bevor ich mein Instrument aus dem Koffer hole. Es ist diese Reise, die ich hoffe, in meiner Musik abbilden zu können.“ 
In den 90er Jahren faszinierte der Orca-Wal Willy in der „Free Willy“-Trilogie das Publikum, nun ist es an dem Delfin Winter, ihm den Rang abzulaufen. Nachdem Mark Isham 2011 die Musik für den ersten Teil von „Mein Freund, der Delfin“ komponiert hatte, sorgt nun Rachel Portman für die musikalische Untermalung des Sequels, das erneut mit Morgan Freeman und Ashley Judd hochkarätig besetzt ist.
Der sechsfach Oscar-nominierte Franzose Alexandre Desplat dürfte auch dieses Jahr auf der Liste der Nominierten stehen. Er steuerte gleich zu zwei biografischen Kriegsdramen die Musik bei. In „Unbroken“, ihrem zweiten Film als Regisseurin, erzählt die Schauspielerin Angelina Jolie die Geschichte des amerikanischen Langstreckenläufers Louis Zamperini, der als jüngstes Mitglied des US-Olympiateams 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teilnimmt und sich später als Bombenschütze im Zweiten Weltkrieg meldet. Nach einer Bruchlandung im Pazifik werden er und zwei weitere Soldaten von der japanischen Navy gefangengenommen und gefoltert …
Desplat komponierte zu „Unbroken“ einen dynamischen, aber auch emotional berührenden Score. „Wir hatten einige Szenen, die visuell schmerzhaft waren, die aber für das Publikum erträglicher gemacht werden mussten“, erklärt die Regisseurin. „Wir bauten auf Alexandre, das Publikum emotional durch die Musik zu leiten, um das Gefühl umzuleiten und dabei zu helfen, den Geist des Zuschauers emporzuheben.“ Nachdem Desplat die Möglichkeit bekommen hatte, Zamperini zu treffen und auch seine musikalische Welt kennenzulernen, kreierte er einen Orchester-Score, der zwar kraftvoll wirkt, aber nie den Protagonisten oder den Film überwältigt.
Auch für Morten Tyldums „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ blieb Desplat der biografisch gefärbten Kriegs-Thematik treu. Der brillante Mathematiker Alan Turing (Benedict Cumberbatch) entwickelt sich während seines Studiums an der Cambridge-Universität zu den führenden Denkern des Landes und wird vom britischen Geheimdienst rekrutiert, um im Zweiten Weltkrieg mit Unterstützung von Joan Clarke (Keira Knightley) und Hugh Alexander (Matthew Goode) und unter der Leitung von Stewart Menzies (Mark Strong) sowie Commander Denniston (Charles Dance) die Kommunikation der Deutschen zu entschlüsseln und vor allem den Verschlüsselungsapparat Enigma zu knacken.
„Ich wollte Musik, die subjektiv sein könnte, in diesem Kopf dieses außergewöhnlichen, brillanten Mathematikers. Gleichzeitig wollte ich Musik, die die epische Bandbreite des Krieges darstellt, eine zarte, zerbrechliche Liebesgeschichte, das Thriller-Element, die Spionage-Geschichte. Ich wollte Musik, die sich klassisch anfühlt, aber gleichzeitig auch Elemente enthielt, die einzigartig und zeitgenössisch sind“, gab Tyldum dem Komponisten die Marschrichtung vor.
Desplat plante, die Komplexität von Turings Denkprozessen mit drei Pianos zu spiegeln, die der Komponist mit zufälligen Algorithmen computerisierte, als Hommage an Turings Erfindung.
„Diese schnellen Skalen und Arpeggios verfolgen eine doppelte Aufgabe, indem sie sowohl die schnelle Aktivität von Turings Verstand als auch die Jagd spielen – die tickende Uhr, um den Enigma-Code zu knacken“, beschreibt Desplat seine Umsetzung.
Auch James Newton Howard war in diesem Jahr wieder besonders fleißig. Nachdem er bereits die ersten beiden Teile der „The Hunger Games“-Trilogie erfolgreich vertont hatte, waren seine Künste natürlich auch gern für den ersten Teil des Trilogie-Finales „The Mockingjay“ gefragt, wofür er sich zwar auf einige Motive aus den ersten Arbeiten zum Franchise bezog, davon abgesehen aber einen sehr eigenständigen Score produzierte, der den düsteren Ton des Films perfekt widerspiegelt. Dies trifft auch auf seine Arbeit zu „Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“ zu, dem Regiedebüt von Drehbuchautor („The Fall“, „Das Bourne-Vermächtnis“) und Rene-Russo-Ehemann Dan Gilroy. Jake Gyllenhaal spielt den Kleinganoven Lou Bloom, der nach erfolgloser Jobsuche mit der Kamera loszieht, um Aufnahmen von Unfällen und Verbrechen an einen lokalen TV-Sender verkauft. Weil seine Beiträge bei der Chefredakteurin Nina (Rene Russo) so gut ankommen, greift Lou zu immer zwielichtigeren Methoden, um an spektakuläre Bilder zu kommen.
Fans von James Newton Howard wird es freuen, dass der bislang unveröffentlichte Score zu John Schlesingers Psycho-Thriller „Auge um Auge“ aus dem Jahre 1996 endlich von La-La Land in einer limitierten CD-Edition erschienen ist.
Mehrere neue Soundtrackveröffentlichungen sind auch von Ramin Djawadi und Marco Beltrami in der Sendung zu hören. Djawadi hat sich nicht nur auf der großen Leinwand mit seinen Arbeiten zu Filmen wie „Mr. Brooks“, „Pacific Rim“ und „Iron Man“ einen Namen gemacht, sondern sich auch im Fernsehgeschäft etabliert. Nach „Blade – Die Jagd geht weiter“, „Prison Break“ und „Person Of Interest“ ist er nun vor allem durch sein Engagement für die HBO-Serie „Game Of Thrones“ in aller Munde, die mittlerweile in die vierte Runde gegangen ist. Ebenso wie zu „Person Of Interest“ ist auch hier zu jeder Staffel ein eigener Soundtrack erschienen, der die Adaption der Fantasy-Bestseller-Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“ nach George R.R. Martin auch musikalisch auf höchstem Niveau ansiedeln lässt.
Wie geschickt Djawadi akustische und elektronische Elemente mit ethnischen Rhythmen und Chorälen zu verbinden versteht, dokumentiert auch seine Arbeit zu der neuen Dracula-Adaption „Dracula Untold“.
Marco Beltrami zieht es mit zwei seiner neuen Arbeiten ins 19. Jahrhundert. Zu dem Siedlerdrama „The Homesman“ mit Hilary Swank und Tommy Lee Jones in den Hauptrollen schuf der Komponist einen Orchesterscore, der mit Instrumenten wie Mandoline, Dulcimer und Banjo die Zeit und die Welt der Siedler aufgreift, wobei er die Idee umsetzte, ein Teil der Musik im Freien mit umgebauten Instrumenten einzuspielen, um Wind und Wetter einzufangen.
Für die achtstündige dänische TV-Mini-Serie „1864“ arbeitete Beltrami erneut mit Ole Bornedal („Deep Water“, „I Am Dina“, „Vikaren“) zusammen und schuf einen Score, der sowohl die patriotischen Elemente, als auch die Kampfszenen, die Reflexionen über die sinnlose Gewalt und die friedvollen, pastoralen Momente beinhaltet, die die Geschichte Dänemarks kennzeichnen.
Schließlich wird die Sendung durch biblisch inspirierte Soundtracks wie Clint Mansells „Noah“, Alberto Iglesias‘ „Exodus“ und die zum zehnjährigen Jubiläum von Mel Gibsons „The Passion Of The Christ“ erschienene Expanded Edition von John Debneys Score abgerundet, ebenso durch neue Arbeiten von Max Richter und Jóhann Jóhannsson, von Aaron Zigman und Mark Kilian sowie von Howard Shore zum neuen David-Cronenberg-Film „Maps To The Stars“.
Ich bedanke mich für euer Interesse an meinen Sendungen, wünsche euch allen ein frohes Neues Jahr und freue mich auf ein Wiederhören in 2015!
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Playlist:
01. Garth Stevenson - Flying (Tracks) - 06:13
02. Rachel Portman - Hope's Arrival (Dolphin Tale 2) - 04:51
03. Alexandre Desplat - The Imitation Game (The Imitation Game) - 02:37
04. Alexandre Desplat - To Naoetsu (Unbroken) - 03:53
05. Mark Kilian - Never Shoot Whites (Revenge Of The Green Dragons) - 03:48
06. Aaron Zigman - Our Love Is Forever (Addicted) - 03:43
07. John Paesano - What Is This Place? (The Maze Runner) - 03:03
08. James Newton Howard - The Arsenal (The Hunger Games - The Mockingjay Part 1) - 03:55
09. James Newton Howard - Chinatown Express (Nightcrawler) - 04:16
10. Howard Shore - Secrets Kill (Maps To The Stars) - 02:42
11. The Newton Brothers - The Kidnapping (Life Of Crime) - 04:38
11. Thomas Newman - Missing Time (The Judge) - 05:05
13. Max Richter - De Profundis (The Leftovers - Season 1) - 05:07
14. Jeff McIlwain & David Wingo - Gary Works (Joe) - 04:31
15. Jóhann Jóhannsson - Domestic Pressures (The Theory Of Everything) - 02:39
16. Jóhann Jóhannsson & BJ Nilsen - I Am Here [Salve Regina] (I Am Here) - 03:43
17. Marco Beltrami - Lakeside (1864) - 03:18
18. Marco Beltrami - The Homesman End Credits (The Homesman) - 03:18
19. Marco Beltrami - Take Orders (The November Man) - 05:23
20. Theodore Shapiro - St. Vincent Of Sheepshead Bay (St. Vincent) - 04:00
21. Ramin Djawadi - The Children (Game Of Thrones - Season 4) - 02:38
22. Ramin Djawadi - Eternal Love (Dracula Untold) - 02:28
23. Clint Mansell - Mercy/The New World/Ham Leaves (Noah) - 05:20
24. Jonny Greenwood - Amethyst (Inherent Vice) - 02:03
25. John Debney - Peaceful But Primitive/Procession (The Passion Of The Christ) - 03:33
26. Alex Ebert - I Am And We Are (A Most Violent Year) - 03:12
27. Alberto Iglesias - The Ten Commandments (Exodus) - 03:37
28. Laurent Petitgand - Serra Pelada (The Salt Of The Earth) - 02:50
29. Steven Price - Crossroads (Fury) - 08:06 

Samstag, 6. Dezember 2014

Playlist #152 vom 14.12.2014 - MIKE NICHOLS Special

Bereits für seinen zweiten Film „Die Reifeprüfung“, der Dustin Hoffman zum Star machte, erhielt Regisseur Mike Nichols den Oscar für die beste Regie und wurde damit zu einem Mitbegründer des New Hollywood. Am 19. November verstarb der Filmemacher, dessen letzter Film die Politsatire „Der Krieg des Charlie Wilson“ mit Tom Hanks und Julia Roberts in den Hauptrollen gewesen ist, im Alter von 83 Jahren, weshalb ich ihm zu Gedenken diese Sendung widme.

Mike Nichols wurde unter dem Namen Michail Igor Peschkowsky am 6. November 1931 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren. Sein Vater war als Arzt nach der Oktoberrevolution aus Russland eingewandert und emigrierte mit seiner Familie 1938 aus Deutschland, um am Central Park in New York unter dem Namen Paul Nichols eine Praxis zu eröffnen. Sein Sohn Mike begann ab 1950 zunächst Psychologie in Chicago zu studieren, war aber zunehmend vom Theater und Varieté fasziniert. So gründete er in den ausgehenden 1950ern eine Comedy-Gruppe, die es mit ihrem Programm bis zum Broadway schaffte, sich aber 1961 auflöste.
Nichols konnte aber in den Folgejahren als Autor und Regisseur mit Stücken wie „Barefoot in the Park“, „Luv“ und „The Odd Couple – Ein seltsames Paar“ einige Publikumserfolge am Broadway erzielen. Für sein Kinodebüt „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ mit Richard Burton und Elizabeth Taylor in den Hauptrollen erhielt Nichols 1966 gleich seine erste Oscar-Nominierung als bester Regisseur. In der Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Edward Albee spielt Burton den zynischen Historiker George und Taylor seine Frau Martha, der der Alterungsprozess arg zusetzt. Als das Ehepaar an einem Samstagabend das jüngere Ehepaar Nick und Honey aus der Nachbarschaft zu Besuch hat, kommen die in zwanzig Ehejahren aufgestauten Frustrationen auf hitzige Weise zum Ausbruch und entladen sich in einem durch Alkohol angeheizten Psychoduell, in das auch das jüngere Ehepaar mit hineingezogen wird.
„Ein Theaterstück, noch dazu ein schwer ‚dialoglastiges‘, ins Kino zu bringen, ist für manchen Kinogänger eher eine mühevolle Aufgabe. Das Kino soll doch vor allem durch Bilder, nicht durch Worte wirken. Und tatsächlich spielt der größte Teil des Films im Haus des Paares George und Martha, ein kürzerer Teil in einem Restaurant. Tatsächlich sind die Dialoge ausgreifender als in einem durchschnittlichen Film. Und doch: Gerade das Spiel der beiden Hauptdarsteller Burton/Taylor macht diesen Film dann eben doch zu einem visuellen Erlebnis sondergleichen: ein Vierpersonenstück, das dem Zuschauer einiges an Konzentration abverlangt – und einiges zumutet“, resümiert Ulrich Behrens in seiner Rezension auf filmstarts.de.
Von sagenhaften 23 Nominierungen erhielt der Film immerhin 5 Academy Awards, Mike Nichols selbst ging diesmal noch leer aus. Zwei Jahre später konnte Nichols die begehrte Trophäe schließlich für seinen Film „Die Reifeprüfung“ in Empfang nehmen.
Dustin Hoffman spielt darin den knapp 21-jährigen College-Absolventen Benjamin Braddock, der auf einer Party seiner Eltern Mrs. Robinson (Anne Bancroft) kennenlernt, die ohne ihren Mann gekommen ist. Nachdem Benjamin Mrs. Robinson nach Hause gefahren hat, versucht sie ihn zu verführen, was aber durch die verfrühte Rückkehr ihres Mannes vereitelt wird. Dieser ermuntert ihn dazu, seine Jugend zu genießen und seine Anziehungskraft auf Frauen zu nutzen. Wenig später lässt er sich auf das Angebot der älteren Frau ein und unterhält über Wochen eine rein sexuelle Beziehung zu ihr.
Der Film thematisierte erstmals publikumswirksam und vorurteilsfrei die Beziehung einer verheirateten Frau zu einem jüngeren Liebhaber und rückte die starren Moralvorstellungen der amerikanischen Gesellschaft in den Fokus. Zum Hit wurde auch der Soundtrack von Simon & Garfunkel mit Songs wie „Mrs. Robinson“ und „The Sounds Of Silence“.
Mit nur zwei Filmen wurde Mike Nichols als Starregisseur gehandelt und wurde zu einem Aushängeschild des New Hollywood, das mit seinen gesellschaftskritischen Themen die klassischen Genres des Hollywood-Kinos modernisierte und zu dem Filmemacher wie Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich, Robert Altman, Alan J. Pakula, Sidney Lumet und Sydney Pollack zählten.
In den 1970er Jahren verblasste der Ruhm von Nichols zunächst. Mit „Catch 22 – Der böse Trick“ (1970) und „Die Kunst zu lieben“ (1971) konnte er weder an den Kinokassen überzeugen noch die Kritiker begeistern. Nachdem er sich auf das Produzieren von Broadway-Stücken und Fernsehserien (z.B. „Eine amerikanische Familie“) konzentriert hatte, folgten in den 1980er Jahren wieder einige bemerkenswerte Filme, in denen Meryl Streep gleich dreimal zum Einsatz kam („Silkwood“, „Sodbrennen“ und „Grüße aus Hollywood“) und vor allem die starbesetzte Komödie „Die Waffen der Frauen“ (1988) zum Erfolg wurde. Es folgten so – auch in Hinsicht auf ihren kommerziellen Erfolg - unterschiedliche Filme wie die Komödie „The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel“, das Drama „In Sachen Henry“, der Werwolf-Film „Wolf – Das Tier im Manne“, die Sex-Klamotte „Good Vibrations – Sex vom anderen Stern“ und die Politkomödie „Mit aller Macht“.
 Nichols konzentrierte sich wieder auf das Theater und wandte sich nur noch sporadisch dem Film zu. 2003 feierte er allerdings einen spektakulären Erfolg mit der Mini-Serie „Angels In America“, die mit elf Emmy Awards ausgezeichnet wurde und auf dem zweiteiligen, mit dem Pulitzer-Preis prämierten Theaterstück von Tony Kushner basiert. Es ist in den Jahren zwischen 1985 und 1990, also zur Zeit der Reagan-Administration angesiedelt und thematisiert die unterschiedlichen Lebenswelten homosexueller Männer in New York, zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod. Dabei geht es nicht allein um die Krankheit oder die Einsamkeit des Menschen in Familie und Gesellschaft, sondern vor allem auch darum, wie Politik, Sexualität und Religion zusammenwirken.
„Was Nichols und seinen Darstellern auf bemerkenswerte Art gelingt, ist Erzeugung einer intensiven menschlichen Nähe, die eigentlich erst den Druck auf die höchsteigene Form der Transzendenz ermöglicht und umgekehrt. Spiritualität und Religion sind an das Subjekt gebunden und doch nicht willkürlich“, meint Georg Seeßlen in seiner Rezension auf filmzentrale.com. „Wir blicken nicht nur auf Menschen in sehr konkreten Lebens- und Leidenszuständen, wir sehen auch durch sie hindurch in ihre Träume, in den Himmel, der sich nur über einer unerträglichen Welt wölben kann, aber auch ganz direkt, wie der Titel von Kushners Theaterstück versprach, auf den inneren Zustand einer Nation. ‚Angels In America‘ ist nun schon so etwas wie ein Rückblick auf eine Zeit, die definitiv vergangen ist, obwohl und gerade weil es in der Bush-Administration solche Verwandtschaften zu den nicht weniger finsteren Zeiten des Reaganismus gibt - kein Zweifel, dass die Serie auch als direktes Statement zur politischen Moral der Gegenwart gesehen werden kann.“ 
Nach diesem Erfolg setzte Nichols ein Jahr später ein weiteres Bühnenstück erfolgreich fürs Kino um, diesmal Patrick Marbers „Hautnah“. Nach einer gescheiterten Beziehung zieht es die ehemalige Stripperin Alice (Natalie Portman), wo sie den attraktiven, aber erfolglosen Schriftsteller Dan (Jude Law) kennenlernt, der seinen Unterhalt durch das Verfassen von Nachrufen für eine Zeitung verdient. Die Beziehung, die sie beginnen, wird allerdings kompliziert, als Dan mit der Fotografin Anna (Julia Roberts) zu flirten anfängt. Obwohl sich Anna in Larry (Clive Owen) zu verlieben beginnt, trifft sie sich weiterhin mit Dan. Das Chaos ist komplett, als such auch Alice und Larry begegnen …
Nichols beweist dabei erneut sein Faible fürs Zänkische und Brodelnde: im Dialoggewitter von Patrick Marber herrscht Rücksichtslosigkeit und gnadenlose Explizität, kulminierend in einem Wortgefecht zwischen Anna und Larry, in dem letztlich auch der Geschmack von Dans Sperma zur Sprache kommt. Bis zum Sadismus reicht die Palette an Hintertriebenheit und Lüge, die hier am laufenden Band aufgetischt wird, niemand scheint ungeschoren davon zu kommen. Auch das vermeintliche Happy-End für Anna und Larry ist nur ein scheinbares wie die letzte Einstellung im Schlafzimmer nahelegt: Anna dreht sich mit dem Rücken zu Larry als sie sich zur Ruhe legt“, urteilt Thomas Schlömer auf filmspiegel.de. „Marber und Nichols aber wollen mehr zeigen als die 'typischen' Irrungen und Wirrungen des Liebeslebens: die Photographin, der Arzt, die Stripperin, der gescheiterte Schriftsteller, 'Hautnah' erzählt von Stereotypen, die vollkommen außerhalb gängiger Alltagsrealität zu existieren scheinen und Projektionsfläche sind für die Oberflächlichkeit und den zerstörerischen Egoismus der Welt.“
Seinen letzten Film inszenierte Mike Nichols 2007 mit „Der Krieg des Charlie Wilson“. Tom Hanks spielt darin den partyfreudigen Kongressabgeordneten Charlie Wilson und nutzt seinen Einfluss im Komitee, das zwischen CIA und Regierungsinstitutionen vermittelt, um die Afghanen im Krieg gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Dabei kann er sich auf die Unterstützung seiner reichen Freundin Joanne Herring (Julia Roberts) sicher sein, die die Kommunisten hasst, auch der erfahrene FBI-Agent Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman) weiß im Hintergrund geschickt die Fäden zu ziehen.
„Die Mechanismen der Macht und ihre mitunter grotesken Auswüchse setzt Nichols weder thesenhaft, noch moralinsauer in Szene. Wenn etwa ein erzkonservativer Abgeordnetenkollege Wilsons in einem Flüchtlingslager in Afghanistan steht und zusammen mit bewaffneten Gotteskriegern frenetisch ‚Allahu Akbar‘ skandiert, dann bedarf diese bitterböse Szene keiner weiteren Erklärung à la ‚wie sich die Zeiten doch wandeln können‘“, meint Jenny Hoch auf spiegel,de. „Nur einmal gestattet Nichols sich einen Kommentar: CIA-Mann Gust sagt, Amerika führe keine religiösen Kriege und dafür liebe er dieses Land. Kurz darauf äußert Wilson einen geradezu prophetischen Gedanken: ‚Früher oder später wird Gott auf beiden Seiten dieses Krieges stehen‘.“
Mike Nichols, der alle großen Preise in der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie (Oscar, Emmy, Tony, Grammy Award) erhalten hat, wurde im Oktober 2009 mit dem AFI Life Achievement Award ausgezeichnet, den er im Sommer 2010 überreicht bekam.

Filmographie:
1966: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (Who’s Afraid of Virginia Woolf?)
1967: Die Reifeprüfung (The Graduate)
1970: Catch 22 – Der böse Trick (Catch 22)
1971: Die Kunst zu lieben (Carnal Knowledge)
1973: Der Tag des Delphins (The Day of the Dolphin)
1983: Silkwood (Silkwood)
1986: Sodbrennen (Heartburn)
1988: Biloxi Blues
1988: Warten auf Godot (Theaterstück)
1988: Die Waffen der Frauen (Working Girl)
1990: Grüße aus Hollywood (Postcards from the Edge)
1991: In Sachen Henry (Regarding Henry)
1994: Wolf – Das Tier im Manne (Wolf)
1995: The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel (The Birdcage)
1998: Mit aller Macht (Primary Colors)
2001: Wit
2000: Good Vibrations – Sex vom anderen Stern (What Planet Are You From?)
2003: Angels in America (TV-Miniserie)
2004: Hautnah (Closer)
2007: Der Krieg des Charlie Wilson (Charlie Wilson’s War)
Playlist: 
01. James Newton Howard - Honored Colleague (Charlie Wilson's War) - 06:09
02. Alex North - Martha (Who's Afraid Of Virginia Woolf?) - 03:36
03. Simon & Garfunkel - The Sound Of Silence (The Graduate) - 03:06
04. Georges Delerue - Nocturne (The Day Of The Dolphin) - 03:18
05. Georges Delerue - Main Title (Biloxi Blues) - 02:32
06. Georges Delerue - Largo (Silkwood) - 03:14
07. Georges Delerue - Farewell (The Day Of The Dolphin) - 06:28
08. Georges Delerue - Love Theme (Silkwood) - 03:20
09. Carly Simon - In Love (The Working Girl) - 03:55
10. Hans Zimmer - Central Park, 6PM (Regarding Henry) - 04:25
11. Carly Simon - Carlotta's Heart (The Working Girl) - 04:18
12. Ennio Morricone - Wolf And Love (Wolf) - 03:33
13. Ry Cooder - Not The Best People (Primary Colours) - 02:50
14. Hans Zimmer - Walkin' Talkin' Man (Regarding Henry) - 03:36
15. Thomas Newman - Quartet (Angels In America) - 06:44
16. Ennio Morricone - The Moon (Wolf) - 05:30
17. Hans Zimmer - Ritz (Regarding Henry) - 04:59
18. Thomas Newman - Mauve Antarctica (Angels In America) - 04:47
19. Ry Cooder - Don't Break Our Hearts (Primary Colours) - 03:04
20. Thomas Newman - Broom Of Truth (Angels In America) - 02:50
21. Damien Rice - The Blower's Daughter (Closer) - 04:45
22. Simon & Garfunkel - Scarborough Fair/Canticle (The Graduate) - 06:23
23. The Smiths - How Soon Is Now? (Closer) - 06:46
24. Damien Rice - Cannonball (Closer) - 05:13
25. James Newton Howard - Turning The Tide (Charlie Wilson's War) - 08:33

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