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Montag, 17. September 2018

Playlist #250 vom 30.09.2018 - IRMIN SCHMIDT Special

Die 1968 von Irmin Schmidt, Holger Czukay, Jaki Liebezeit und Michael Karoli gegründete Krautrock-Band CAN zählt bis heute zu den einflussreichsten Acts der Avantgarde-Rock-Szene und beeinflusste so unterschiedliche Acts wie Sonic Youth, David Bowie, Radiohead, King Crimson, Joy Division oder Portishead. Seit die Mitglieder von CAN Ende der 1970er Jahre getrennte Wege gehen, hat sich Irmin Schmidt mit Solo-Alben, Kollaborationen und vor allem Filmmusik einen eigenen Namen gemacht. Am 7. November präsentiert er im Rahmen des 32. Braunschweig Filmfestivals im Staatstheater eine Auswahl seiner Arbeiten für CAN und den Film.

Der am 29. Mai 1937 in Berlin geborene Irmin Schmidt gründete bereits im Alter von 16 Jahren ein Schulorchester, das er selbst dirigierte, diplomierte am Konservatorium Dortmund mit Auszeichnung als Klavierlehrer und studierte weiterhin an der Essener Folkwang Hochschule – u.a. bei György Ligeti -, am Mozarteum Salzburg und an der Hochschule für Musik in Köln, wo er zusammen mit Holger Czukay bei Karlheinz Stockhausen von 1964 bis 1966 in die Kompositionslehre ging.
Als Dirigent leitete Schmidt zahlreiche Konzerte der Bochumer Symphoniker, der Wiener Symphoniker und das 1962 von ihm gegründete Dortmunder Ensemble für Neue Musik. Außerdem war er als Kapellmeister am Stadttheater Aachen, als Dozent für Musical und Chanson an der Schauspielschule Bochum und als Konzertpianist tätig.
Doch anstatt seine Karriere als Dirigent voranzutreiben, gründete Schmidt 1968 mit CAN ein Experimentierkollektiv, das Musiker mit ganz unterschiedlichen musikalischen Hintergründen vereinte.
„Ich las Artaud, traf John Cage, Steve Reich und La Monte Young in New York und erlebte die Fluxus-Szene in Deutschland. Ich habe zunächst keine Rockgruppe gegründet, ich versuchte nur ein paar Leute aus unvereinbaren Musikrichtungen zusammenzubringen: einen Jazzschlagzeuger, einen jungen Gitarristen, jemanden, der in der Elektronik zu Hause war, und einen, der aus der Klassik kam, mich. Rock war nicht das Ziel“, blickt Schmidt im Interview mit Die Zeit zurück. „Alles wurde gemeinschaftlich entwickelt von Jaki, Holger, Michael und mir. Später kam noch Malcolm Mooney dazu. Malcolm hatte nie gesungen, war ein Maler aus Paris. Eigentlich wollte ich ihn in der Kölner Galerieszene bekannt machen, stattdessen schleppte ich ihn mit ins Studio, wo er spontan anfing zu singen. Diese Spontanität lag damals in der Luft. Diese Kraft, aus dem Nichts irgendwelchen Irrsinn zu machen.“ 
Nach einem Konzert im Juni 1968 nahmen CAN im November den Soundtrack zum Kinofilm „Kama Sutra – Vollendung der Liebe“ auf, die erste LP „Monster Movie“ entstand am 25. Juli 1969 in Schloss Nörvenich und verkaufte die erste Auflage von gerade mal 500 Exemplaren innerhalb von zwei Wochen. Da das nächste Album einige Zeit in Anspruch nehmen würde, beschlossen CAN, die Lücke bis dahin mit einer Sammlung von Filmmusiken zu überbrücken, bei denen Irmin Schmidt die treibende Kraft gewesen ist und die der Band ein finanzielles Auskommen sicherte.
Das Album „Soundtracks“ enthält verschiedene Titel aus den Filmen „Deadlock“, „Cream“, „Mädchen mit Gewalt“ und „Bottom – Ein großer graublauer Vogel“ und eröffnete der Band eine neue Arbeitsweise. Irmin Schmidt, der als einziger aus der Band auch die Filme gesehen hatte, zu der CAN die Musik komponierten, war vor allem daran interessiert, wie das Drama der narrativen Form des Kinos die Richtung der Musik beeinflusste, aber auch an der umgekehrten Richtung.
Auch auf späteren Alben fanden sich immer wieder Tracks, die in Filmen, Krimireihen und Fernsehsendungen verwendet wurden. So wurde „Spoon“ zur Erkennungsmelodie der dreiteiligen Durbridge-Krimiserie „Das Messer“ (1971) und war wie „Vitamin C“ aus der „Tatort“-Folge „Tote Taube in der Beethovenstraße“ (1973) auf dem Album „Ege Bamyasi“ enthalten. Außerdem war in der Krimiserie „Eurogang“ die CAN-Single „Hunters and Collectors“ aus dem Album „Landed“ zu hören und der Track „Aspectable“ aus dem Album „CAN“ wurde im Februar 1978 passenderweise zur Erkennungsmelodie des ZDF-Kulturmagazins „Aspekte“.
Dass Irmin Schmidt nach der Auflösung von CAN der Filmmusik treu geblieben ist, verwundert kaum. So sind in seiner umfangreichen, 12 CDs umfassenden Retrospektive „Electro Violet“ (2012) nicht nur seine Solo-Alben „Toy Planet“ (1981), „Musk At Dusk“ (1987) und „Impossible Holidays“ (1991), die beiden Kollaborationen mit dem elektronischen Musiker Kumo („Masters of Confusion“, 2001, und „Axolotl Eyes“, 2008) sowie die Oper „Gormenghast“ (2000) enthalten, sondern auch die sechs CDs umfassende Anthologie mit Schmidts Filmmusiken.
„Man kann lernen, durch welche Mittel man im Film Emotionen verstärken oder verbinden kann. Letzten Endes ist man dann doch Komponist. Für einen Komponisten ist dann Filmmusik, wenn sie gut sein soll, so wie jede andere Musik. Ich glaube nicht, dass das, was man heute lernen kann über Filmmusik, sich wesentlich unterscheidet von dem, was Nino Rota oder Ennio Morricone oder die Amerikaner wie Max Steiner und Bernard Hermann getan haben“, meint Irmin Schmidt im Interview mit JazzPages zu den Möglichkeiten, das Handwerk der Filmkomponisten zu erlernen.
„Im Wesentlichen ist es eine Musik, die einen Film mitstrukturieren und den Ausdruck verstärken soll. Das war seit eh und je so. Das passiert auf so viel verschiedene Weisen. Wenn man bedenkt, was Nino Rota für Musik gemacht hat und was Tōru Takemitsu gemacht hat – beides sind einfach wunderschöne Musiken, auch ohne den Film. Die Qualität der Musik ist entscheidend. Dass Henry Mancinis Filmmusik toll ist, liegt daran, dass er eben ein guter Komponist war, einfallsreich und mit eigenem Stil. Das kann man natürlich nur bedingt vermitteln und lehren. Man kann auf die großen Komponisten und ihre Ausdrucksmittel aufmerksam machen.“
Mittlerweile lebt der vielseitige Komponist in Frankreich und veröffentlicht am 16. November sein neues Album „5 Klavierstücke“.

Filmographie: 
1969: Agilok & Blubbo (mit CAN)
1969: Kamasutra (mit CAN)
1970: Das Millionenspiel (mit CAN)
1970: Deadlock (mit CAN)
1970: Deep End (mit CAN)
1970: Mädchen mit Gewalt (mit CAN)
1970: Ein großer graublauer Vogel (mit CAN)
1971: Cream – Schwabing Report (mit CAN)
1974: Die letzten Tage von Gomorrha (mit CAN)
1978: Messer im Kopf
1979: Der Tote bin ich
1979: … als Diesel geboren (Dokumentation)
1979: Neues aus Transkastanien (Mini-TV-Serie)
1980: Im Herzen des Hurrican
1980: Endstation Freiheit
1981: Flächenbrand
1981: Exil (Mini-TV-Serie)
1981: Die Heimsuchung des Assistenten Jung
1982: Der Mann auf der Mauer
1983, 1989: Rote Erde (TV-Serie)
1983: Ruhe sanft, Bruno
1983: Leben Gundlings Friedrich von Preußen (Theater)
1984: Flight to Berlin
1984: Es ist nicht aller Tage Abend
1985: Wallenstein (Theater)
1985: Alle Geister kreisen
1985: Kein schöner Land (Mini-TV-Serie)
1986: Tatort – Freunde
1989: Reporter (Fernsehserie)
1991: Pizza Colonia
1991: Unter der Treppe (Theater)
1992: Baal (Theater)
1992: Negerküsse
1993: Morlock (1 Folge)
1995: Der Mörder und sein Kind
1996: Angst hat eine kalte Hand
1997: Der rote Schakal
1997: Schimanski – Hart am Limit
1998: Zucker für die Bestie
2002: Bloch – Schwarzer Staub
2002: Bloch – Ein begrabener Hund
2003: Tatort – Wenn Frauen Austern essen
2003: Bloch – Silbergraue Augen
2004: Der Stich des Skorpion
2004: Bloch – Schwestern
2004: Bloch – Fleck auf der Haut
2004: Ich werde immer bei euch sein
2005: Bloch – Ein krankes Herz
2005: Bloch – Der Freund meiner Tochter
2005: In Sachen Kaminski
2005: Schneeland
2006: Bloch – Der Mann im Smoking
2007: Bloch – Der Kinderfreund
2007: Paparazzo
2007: Einsatz in Hamburg (Fernsehserie, 1 Folge)
2008: Bloch – Vergeben, nicht vergessen
2008: Bloch – Die blaue Stunde
2008: Palermo Shooting
2009: Bloch – Bauchgefühl
2009: Bloch – Schattenkind
2009: Bloch – Tod eines Freundes
2011: Bloch – Inschallah
2011: Bloch – Der Heiland
2012: Innenansichten – Deutschland 1937 (Fernseh-Dokumentation)
2012: Lösegeld
2013: Mord in Eberswalde
2013: L'Enfant du Soleil
2014: Zwei allein
2016: Tatort – Hundstage
Playlist:
01. CAN - Spoon (Das Messer - "Ege Bamyasi") - 03:03
02. CAN - Aspectacle (Aspekte - "Can") - 05:52
03. CAN - Deadlock [instrumental] (Deadlock - "Soundtracks") - 01:40
04. Irmin Schmidt - Verdi Prati Valse (Pizza Colonia - "Filmmusik Anthology Volume 1") - 03:30
05. Irmin Schmidt - Der Elch (Im Herzen des Hurrican - "Filmmusik Anthology Volume 3") - 05:01
06. Irmin Schmidt - 2 Alone (Zwei allein - "Filmmusik Anthology Volume 6") - 05:36
07. Irmin Schmidt - Solo (Der Tote bin ich - "Filmmusik Anthology Volume 3") - 05:37
08. Irmin Schmidt - Heimkehr (Rote Erde - "Filmmusik Anthology Volume 1") - 06:29
09. Irmin Schmidt - Messer im Kopf [Titelmusik] (Messer im Kopf - "Filmmusik Anthology Volume 3") - 04:46
10. Irmin Schmidt - Bohemian Step (Theater: Wallenstein - "Filmmusik Anthology Volume 1") - 06:26
11. Irmin Schmidt - Decision (Endstation Freiheit - "Filmmusik Anthology Volume 3") - 03:50
12. Irmin Schmidt - Rita's Tune (Alle Geister kreisen - "Filmmusik Anthology Volume 1") - 04:41
13. Irmin Schmidt - Hinter Glas (Tatort: Wenn Frauen Austern essen - "Filmmusik Anthology Volume 5") - 02:59
14. Irmin Schmidt - Fresco & Finale [Flavia Theme III & IV] (Palermo Shooting - "Filmmusik Anthology Volume 4") - 06:40
15. Irmin Schmidt - Exit West (Der Stich des Skorpion - "Filmmusik Anthology Volume 5") - 04:21
16. Irmin Schmidt - Ina & Aaron (Schneeland - "Filmmusik Anthology Volume 4") - 04:06
17. Irmin Schmidt - Coming Home (In Sachen Kaminsky - "Filmmusik Anthology Volume 5") - 03:51
18. Irmin Schmidt - Tattoo (Paparazzo - "Filmmusik Anthology Volume 4)" - 04:34
19. Irmin Schmidt - Geisterlied (Ich werde immer bei euch sein - "Filmmusik Anthology Volume 5") - 04:11
20. Irmin Schmidt - Ultimate City Limit (Der Mann auf der Mauer - "Filmmusik Anthology Volume 2") - 05:52
21. Irmin Schmidt - Why Not (Lösegeld - "Filmmusik Anthology Volume 6") - 04:15
22. Irmin Schmidt - Morning in Berlin (Flight to Berlin - "Filmmusik Anthology Volume 2") - 03:12
23. Irmin Schmidt - L'Enfant du Soleil (L'Enfant du Soleil - "Filmmusik Anthology Volume 6") - 05:18
24. Irmin Schmidt - Abschied (Bloch 7: Ein krankes Herz - "Filmmusik Anthology Volume 5") - 06:59

Dienstag, 11. September 2018

Filmkonzerte auf dem 32. Filmfest Braunschweig

Seit 1987 lädt das Filmfest Braunschweig Filmschaffende, Journalisten und Filmbegeisterte ein, vor allem junges europäisches Kino zu erleben und dabei auch mit den Regisseuren und Schauspielern selbst ins Gespräch zu kommen. Seit jeher bildet die Reihe „Musik und Film“ einen Themenschwerpunkt des Festivals. Nachdem in der Vergangenheit bereits Oscar-Preisträger Ludovic Bource („The Artist“), Alfonso di Vilallonga („Blancanieves“) und im vergangenen Jahr Don Davis („The Matrix“) mit dem Staatsorchester Braunschweig „live to projection“ ihre Kompositionen vorgestellt haben, wird das diesjährige, mittlerweile 32. Filmfest Braunschweig (5. – 11. November 2018) mit dem Stummfilmkonzert zum Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ eröffnet.

Der Film wurde 1925 von Sergej Eisenstein inszeniert und am 21. Dezember 1925 im Moskauer Bolschoi-Theater als offizieller Jubiläumsfilm zur Feier der Revolution des Jahres 1905 uraufgeführt. Zwar war „Panzerkreuzer Potemkin“ als Propagandafilm gedacht, doch starke emotionale Reaktionen rief der Film nicht nur beim sowjetischen Publikum hervor, sondern weltweit, wo er bis heute als einer der einflussreichsten Filme aller Zeiten gilt. Allerdings enthielt der Film keine Originalmusik, sondern wurde mit klassischen Kompositionen von u.a. Beethoven und Tschaikowski unterlegt. Für die deutsche Fassung schrieb Edmund Meisel 1926 die erste eigenständige Musik, der er 1930 auch Geräusche und knappe Dialoge hinzufügte. Danach komponierte nicht nur Nikolai Krjukow die Musik zur Neufassung des Films (1950), auch die Pet Shop Boys vertonten den Film mit den Dredner Sinfonikern neu (2004).
Am 5. November präsentiert der US-amerikanische Komponist Yati Durant, der bereits Karl Heinz Martins Thriller-Drama „Von morgens bis mitternachts“ (1920) und Ernst Lubitschs Komödie „Lady Windermeres Fächer“ (1925) mit eigener Musik versorgte, seine Komposition für „Panzerkreuzer Potemkin“ in der Stadthalle Braunschweig. „Durant versöhnt in seiner Arbeit die Formensprache der klassischen Avantgarde mit der der Neue Musik und erweitert einen großen sinfonischen Klangkörper geschickt mit elektronischen Passagen“, heißt es auf der Seite des Veranstalters.
Zwei Tage später ist CAN-Mitbegründer Irmin Schmidt zu Gast im Staatstheater Braunschweig, wo er ebenfalls mit dem Staatsorchester Braunschweig einen Querschnitt aus seinem Schaffen mit CAN und eigenen Filmmusiken präsentiert, die er für Filmemacher wie Wim Wenders („Palermo Shooting“), Hark Bohm („Im Herzen des Hurrican“), Hajo Gies („Ruhe sanft, Bruno“), Klaus Emmerich („Kein schöner Land“, „Reporter“, „Pizza Colonia“, „Rote Erde“) und H.W. Geissendörfer („Schneeland“) kreiert hat.
Am 11.11.18 spielt das Staatsorchester Braunschweig unter der musikalischen Leitung von Sebastian Beckedorf die Musik, die Manfred Knaak 2011 für Lewis Milestones Klassiker „Im Westen nichts Neues“ (1939) neu komponiert hatte und dabei so unterschiedliche Einflüsse von Komponisten wie Berg, Ravel, Miles Davis und Zappa vereinte.
Weitere Infos zum Festival findet ihr hier: Filmfest Braunschweig

Montag, 23. Oktober 2017

Filmkonzerte und Filmgespräche beim 31. Braunschweig International Film Festival

Seit einigen Jahren schon gehört der Schwerpunkt Filmmusik zu den Höhepunkten von Niedersachsens größten Filmfestival. Nachdem in der Vergangenheit namhafte Komponisten wie Craig Armstrong („World Trade Center“, „Der Knochenjäger“), Shigeru Umebayashi („The Grandmaster“, „House of Flying Daggers“), Michael Nyman („Gattaca“, „Das Piano“) und Patrick Doyle („Thor“, „Needful Things – In einer kleinen Stadt“) zu Gast in Braunschweig waren, wurde das diesjährige, mittlerweile 31. Braunschweig International Film Festival in der Stadthalle am 17.10.2017 mit „Matrix Live. Film in Concert“ eröffnet, das der amerikanische Komponist Don Davis selbst dirigierte.

Don Davis dirigiert das Staatsorchester Braunschweig (Quelle: Filmfest Braunschweig)
Mit dem Science-Fiction-Film „Matrix“ kam 1999 ein visionäres Meisterwerk der Wachowski-Geschwister in die Kinos, das mit seinen visionären Bildern, den atemberaubenden Special-Effects und der komplexen Story mit ihren philosophischen, religiösen und politischen Bezügen die Filmwelt nachhaltig prägen sollte und immerhin mit vier Oscars ausgezeichnet worden ist.
Ebenso beeindruckend ist die Musik von Don Davis ausgefallen, der zuvor mit den Wachowskis bereits den Psycho-Thriller „Bound – Gefesselt“ (1996) realisiert hatte und für „Matrix“ einen komplexen Score kreierte, der vor allem die große Verunsicherung des Computer-Spezialisten Neo (Keanu Reeves) reflektiert, die er angesichts der Erkenntnis empfindet, dass sich sein Leben bislang in einer programmierten Matrix und nicht in der Realität abgespielt hat.
Das Staatsorchester Braunschweig präsentierte mit Dirigent Don Davis die komplexe, polytonale, oft dissonante, dann wieder mit einer Solo-Sopran-Stimme aufgelockerte Komposition live zu einer speziell präparierten Filmversion und sorgte für einhellige Begeisterung beim Publikum, das auf die Darbietung mit Standing Ovations reagierte.
Tags darauf stand Don Davis im LOT-Theater zum Filmgespräch zur Verfügung, wo er mit Moderator Matthias Hornschuh vor allem über die besonderen Herausforderungen und kreativen Prozesse sprach, die die Arbeit an „Matrix“ mitbrachten. Das interessierte Publikum erfuhr, dass Davis zwei Minuten Musik pro Tag an dem Score arbeitete, dessen Umsetzung das Orchester vor große Herausforderungen stellte. Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass der Score immer wieder neue Extreme erreichte, um diese nachfolgend noch weiter auszuloten, was – wie der Komponist erklärte – vor allem der Kombination mit dem Special-Effects-Team geschuldet war, mit dessen Soundgewittern Don Davis mit seiner Komposition zwangsläufig Schritt halten musste.
Auf meine Frage, warum Don Davis außer der „Matrix“-Trilogie nicht die Möglichkeit bekam, weitere so außergewöhnliche Projekte zu realisieren, meinte er, dass er zum einen kein Verkäufer-Typ sei, der bei den Studios Klinkenputzen gehen würde. Zum anderen würden in Hollywood heutzutage nicht mehr solche Filme mit derart hohem Dialog-Anteil gemacht.
Ähnlich aufschlussreich erwies sich ein weiteres Filmgespräch mit Konzert, das am 19.10. in den Schloss-Arkaden stattfand, diesmal mit dem polnischen Oscar-Preisträger Jan A.P. Kaczmarek („Wenn Träume fliegen lernen“).
 Matthias Hornschuh präsentierte ausgewählte Clips u.a. aus den Filmen „Untreu“, „Hachiko“ und „Wenn Träume fliegen lernen“, um mit Kaczmarek die Funktion der Musik zu erläutern, die eng mit den Figuren und dem Setting verbunden ist, die augenblickliche Emotionen reflektiert, aber auch zukünftige Entwicklungen vorwegnimmt.
Besonders herausfordernd erwies sich der Score zu „Wenn Träume fliegen lernen“, den beispielsweise der verstorbene James Horner für ein symbolisches Honorar von einem Dollar gern realisiert hätte. Es war der erste Score für Kaczmarek, bei dem er für Kinderfiguren komponieren musste.
Zwischenzeitlich spielte ein sechsköpfiges Streicher-Ensemble und eine Pianistin des Staatsorchesters Braunschweig verschiedene Cues aus den Scores von „Quo Vadis“, „Untreu“, „Hachiko“ und „Spuren eines Lebens“. Kaczmarek zeigte sich nicht nur von den reduzierten Arrangements seiner Musik durch das Ensemble angetan, sondern auch von der Location selbst, die sonst von geschäftigem Treiben geprägt ist und nun einen Ort der künstlerischen Begegnung darstellte.
Thematisiert wurde die Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Adrian Lyne (der nach seinem Flop mit „Jacob’s Ladder“ unter großem Erfolgsdruck stand, was auch Kaczmarek bei der Umsetzung seiner Musik leidvoll erfahren musste) und Lasse Halmström, der bei „Chocolat“ noch acht Komponisten verschlissen hatte, bevor er wieder zur ursprünglichen Wahl, Rachel Portman zurückkehrte, Kaczmareks Musik zu „Hachiko“ aber nahezu unkommentiert so übernahm, wie der Komponist sie abgeliefert hat.
Abgerundet wurde der Themenkomplex Musik & Film mit den Filmkonzerten von „Luther“ und „Evelyn“. Zu dem 1928 von Hans Kyser inszenierten Stummfilm „Luther“ komponierte der Pianist Stephan Graf von Bothmer eine Musik, „welche die erhabenen Szenen strahlen lässt, aber auch die tiefen Momente auslotet und deutschtümelnde Stellen entlarvt“ (aus dem Festivalkatalog, S. 71). Und die spanische Gitarristin und Komponistin Imma Galiot vertonte mit ihrem Ensemble La Rosa Negra die Graphic Novel „Evelyn“ von Andrés G. Leiva, die von Anna Levinson 2016 verfilmt worden ist.

Samstag, 30. September 2017

31. Filmfest Braunschweig (17. - 22.10.) mit Don Davis und Jan A.P. Kaczmarek

Vom 17. bis 22. Oktober findet bereits zum 31. Mal das „Internationale Filmfest Braunschweig“ statt, das 1987 von zwanzig Hochschulstudenten, Absolventen der Braunschweiger Filmklasse und Mitglieder der „Filmkoop“, ins Leben gerufen wurde, um das cineastische Angebot in der Stadt interessanter und vielfältiger zu machen.
Mittlerweile wird das älteste Filmfestival Niedersachsens von gut 25.000 Besuchern frequentiert, darunter Filmschaffende, Komponisten und Journalisten. Auch in diesem Jahr dürfen sich die Festivalbesucher auf ca. 250 Lang- und Kurzfilme freuen, die auf sechs Leinwänden gezeigt werden.

Zu den Schwerpunkten des Festivals zählen seit jeher das junge europäische Kino und die Reihe „Musik und Film“, in der Filmkonzerte „live to projection“ ebenso zu erleben sind wie Stummfilmkonzerte berühmter Klassiker und Retrospektiven international erfolgreicher Filmkomponisten. So sind seit 2002 Komponisten wie Craig Armstrong („Romeo + Juliet“, „Der Knochenjäger“), Shigeru Umebayashi („The Grandmaster“, „House of Flying Daggers“), Michael Nyman („Gattaca“, „Das Piano“) und Patrick Doyle („Thor“, „Needful Things – In einer kleinen Stadt“) zu Gast in Braunschweig gewesen.
In diesem Jahr wird das Braunschweiger Filmfestival am 17. Oktober um 19 Uhr mit dem Filmkonzert „Matrix Live. Film in Concert“ in der Braunschweiger Stadthalle eröffnet. Der 1999 von Andy and Lana Wachowski inszenierte Science-Fiction-Klassiker „Matrix“, der das Genre und die Filmwelt durch seine Erzählweise und seine atemberaubenden Effekte veränderte, wird mit einer für diesen Konzertabend eigens präparierten Tonspur präsentiert, der nur die Dialoge enthält, während die Filmmusik von Don Davis und die Effekte live und synchron gespielt werden. Der amerikanische Komponist dirigiert das Staatsorchester Braunschweig und ist tags darauf im LOT im Filmgespräch mit Matthias Hornschuh zu erleben.
Am Donnerstag, 19.10., ist zudem der polnische Komponist Jan A.P. Kaczamarek (die von ihm vertonten Filme „Aimée & Jaguar“, „Untreu“ und „Hachiko - Eine wunderbare Freundschaft“ laufen ebenfalls im Programm des Filmfests) im Gesprächskonzert mit Mitgliedern des Staatsorchesters Braunschweig in den „Schlossarkaden“ zu sehen. Alle weiteren Infos zum Festival findet ihr unter: www.filmfest-braunschweig.de

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