Radio ZuSa

Freitag, 6. April 2012

Playlist # 82 vom 08.04.2012 - LUC BESSON Special

Mit Filmen wie „Subway“, „Im Rausch der Tiefe“, „Nikita“ und „Léon – Der Profi“ hat sich der französische Filmemacher, Drehbuchautor und Produzent Luc Besson weltweit einen Namen gemacht. Obwohl er sich seit einigen Jahren mehr als Produzent von Action-Filmen wie „Transporter“, „From Paris With Love“ und „Kiss The Dragon“ betätigt, ist alle paar Jahre auch ein eigenes Werk von ihm zu sehen. Momentan ist sein biografisches Drama „The Lady“ in den Kinos gestartet.

Luc Besson wurde am 18. März 1959 in Paris als Sohn von Tauchlehrern geboren, weshalb er einen Großteil seiner Kindheit auf griechischen und jugoslawischen Inseln verbrachte. Ein schwerer Tauchunfall begrub seinen Kindheitstraum, ‚Delphinologe‘ zu werden, also konzentrierte sich Besson auf den Einstieg ins Filmgeschäft. Er ging mehrmals die Woche ins Kino, analysierte meist Mainstream-Produktionen und studierte Fachliteratur zur Kunst der Regie. Während seiner Militärzeit schrieb er das Drehbuch für den Kurzfilm „La Petite Sirène“, der mit einem Mini-Budget von 8000 Francs in Süditalien realisiert wurde. Besson machte sich drei Jahre lang in Hollywood mit dem Filmgeschäft vertraut, lernte bei französischen Produktionen, drehte Werbefilme und Dokumentationen sowie einen Promotionclip für das Album „Voici“ des Sängers und Songwriters Pierre Jolivet, über den Besson auch seinen späteren Hauskomponisten Eric Serra kennenlernte. Sowohl Jolivet als auch Jean Reno, den Besson während der Produktion von „Es ist so schön, Soldat zu sein“ (1981) entdeckt hatte, spielten die Hauptrollen in dem Science-fiction-Kurzfilm „L’avant-dernier“.
1983 erschien Bessons in Schwarzweiß und Cinemascope gedrehter Film „Der letzte Kampf“, der auf dem Festival von Alvoriaz den Kritikerpreis und den Spezialpreis der Jury für sich gewinnen konnte. Für seinen nächsten Film „Subway“ (1985) konnte Besson die Stars Christopher Lambert und Isabelle Adjani verpflichten und Publikum wie Kritiker begeistern. Lambert spielt den Edelpunk Fred, der bei einem Einbruch wichtige Dokumente eines Geschäftsmanns erbeutet hat und auf der Flucht vor dessen Schergen Unterschlupf in den Katakomben der Pariser U-Bahn findet. Dort verliebt er sich ausgerechnet in die schöne Héléna (Adjani), die Frau des Bestohlenen.
„Die Großstadtromanze im kunstvoll stilisierten Labyrinth der Pariser Metro bot den zumeist jugendlichen Zuschauern nicht nur eine Liebesgeschichte im zeitgemäßen New-Wave-Look, sondern auch reichlich Action, komödiantische Einlagen und ein ironisches Spiel mit Versatzstücken des Gangster- und Polizeifilms, wie es seit Jean-Jacques Beineix‘ Thriller-Romanze ‚Diva‘ (1981) im französischen Kino wieder en vogue war. Ernst zu nehmen war dieser Genremix kaum, dessen Clipdramaturgie und Soundtrack unmittelbar an die Rezeptionserfahrung der heranwachsenden MTV-Generation anschloss – aber der Film funktionierte“, befand Jürgen Felix in Reclams „Filmregisseure“ (3. Auflage, S. 66). 
Mit seinem nächsten Film „Im Rausch der Tiefe“ setzte sich Besson dann mit seiner langjährigen Passion fürs Tauchen auseinander. Er erzählt in ätherisch berauschenden Bildern von dem sehr ruhigen Tiefseetaucher Jacques (Jean Marc Barr), der über die Fähigkeit verfügt, bei sehr tiefen Tauchgängen seinen Herzschlag und Kreislauf herabzusetzen, wie es sonst nur Wale und Delfine können. Als er nach zwanzig Jahren seinen Jugendfreund Enzo (Jean Reno) wiedertrifft, der den Weltmeistertitel im Tiefseetauchen besitzt, nehmen sie erneut den Wettkampf auf und buhlen dabei auch noch um die Liebe der New Yorker Versicherungssachverständigen Joanna (Rosanna Arquette) …
Bessons erste Produktion in englischer Sprache sieht eher nach Europa als nach Hollywood aus und leidet im Original etwas unter mangelndem Sprachgefühl. Stellenweise wirkt der Film eher wie eine IMAX-Unterwasserdokumentation und nicht wie das Drama über zwei Taucher, das er ist. Aber die üppigen, schönen Bilder geben der Jacques-Geschichte eine märchenhafte Dimension, lassen ihn wie eine männliche Meerjungfrau anmuten. Mehr Delfin als Mann ist er dermaßen zwischen irdischer Liebe und seinem maritimen Paradies hin und her gerissen, dass ihn der Ruf des Meeres bis in seine Träume verfolgt (in einer Sequenz von größerer Eloquenz als jeder Monolog). Besson hat seinen Director's Cut 50 Minuten länger gestaltet als die Kinoversion. Es wird wenig Handlung hinzugefügt, doch der Fluss und die nachdenkliche Gangart der Erzählung kommen dadurch beinahe zum Stillstand. Und Eric Serras wieder verwendete Sythesizer-Scores klingen nach 80er Pop, der manchmal an Disco-Kitsch grenzt. Am wichtigsten jedoch ist, dass diese Version den Original-Schluss beinhaltet, der das Märchen wieder aufgreift, das Joanna in einer früheren Szene erzählt wird, so dass der Geschichte die Doppeldeutigkeit des Endes erhalten bleibt“, meint Sean Axmaker in seiner Rezension auf amazon.de
Mit „Nikita“ (1990) inszenierte Luc Besson schließlich seinen ersten Action-Film, der international für einige Furore sorgte. Nachdem Nikita (Anne Parillaud) bei einem völlig missglückten Überfall im Drogenrausch einen Polizisten erschossen hat, muss sie eine lebenslängliche Haft verbüßen, doch offensichtlich soll ihre verwerfliche Tat auch mit dem Tod bestraft werden. Der mysteriöse Regierungsbeamte Bob (Tchéky Karyo) hält Nikita allerdings noch eine Tür in die Freiheit offen – nämlich als Auftragskillerin. Gezwungenermaßen nimmt Nikita das Angebot an und überrascht ihren Mentor mit unkonventionellen Lernerfolgen. Ihre Feuerprobe besteht Nikita meisterhaft, doch als sie in die Freiheit entlassen wird, fällt ihr es schwer, ein normales Leben zu führen. Erst als sie sich in den sympathischen Kassierer Marco (Jean-Hugues Anglade) verliebt, scheint Nikita glücklich zu sein. Da sie Marco aber nichts über ihre Vergangenheit und ihre Profession erzählen darf, steht die Beziehung unter keinem guten Stern …
Wenn „Léon – Der Profi“ (1995) bis heute als DAS Meisterwerk im Schaffen des französischen Regisseurs, Drehbuchautoren und Produzenten Luc Besson gilt, durften die maßgeblich an dem Film beteiligten Personen fünf Jahre zuvor bei „Nikita“ ihre Fertigkeiten perfektionieren. Kameramann Thierry Arbogast hält das unorthodoxe Treiben von Bessons Titelheldin in bunten, aber unterkühlten Bildern fest, die von Eric Serras stimmungsvollen Synthi-Score perfekt untermalt werden. Und auch Jean Reno, der mit seiner Nebenrolle als Killer Victor schon einen besonderen Glanzpunkt setzt, muss seinen Regisseur dermaßen überzeugt haben, dass dieser ihn später mit der Hauptrolle in „Léon – Der Profi“ besetzt hat. Im Mittelpunkt des Films steht aber Anne Parillaud, die ihrer Figur die nötige Zerbrechlichkeit, aber auch Entschlossenheit mitgibt, um den dramatischen Aspekt des Films überzeugend zu transportieren. Zwar lässt es Besson auch nicht an Action und ordentlichen Schießereien fehlen, aber im Gegensatz zu den von ihm produzierten Actionern wie die „Transporter“-Serie oder „Kiss Of The Dragon“ nimmt dieser Part in „Nikita“ einen verhältnismäßig kleinen Raum ein. Man merkt, dass Besson viel mehr Wert auf die Geschichte legt, die von den Darstellern wunderbar getragen wird. Wie großartig Bessons Werk gelungen ist, lässt sich vor allem im direkten Vergleich mit John Badhams Remake „Codename: Nina“ feststellen, wo die Action den tragischen Aspekt der Geschichte gar nicht recht zur Entfaltung kommen lässt.
Mit seinem nächsten Film „Atlantis“ kehrte Besson ein weiteres Mal zu seiner geliebten Unterwasserwelt zurück. In mehreren Kapiteln - Licht (la lumière), Geist (l′esprit), Bewegung (le mouvement), Spiel (le jeu), Anmut (la grâce), Nacht (la nuit), Glaube (la foi), Liebe (l′amour), Hass (le haine), letzter Tag (le dernier jour), Geburt (la naissance) – beleuchtete der Filmemacher die Grundmotive und -themen des Meeres, folgte den riesigen Fischschwärmen im Ozean, beobachtete Mantarochen, Pinguine, Delfine, Seeschlangen, Seerobben und Haie.
Nach „Nikita“ thematisierte Luc Besson mit „Léon – Der Profi“ 1993 erneut das ungewöhnliche Leben eines Profikillers. Jean Reno spielt den zurückgezogen lebenden, etwas einfältig wirkenden Profikiller Léon, der von dem kecken Nachbarsmädchen Mathilda (Natalie Portman) gebeten wird, ihren kleinen Bruder zu rächen, nachdem der korrupte Polizist Stansfield (Gary Oldman) ein Blutbad in ihrer Familie angerichtet hat. Als Gegenleistung kümmert sich die aufgeweckte Mathilda um Léons Haushalt und bringt ihm Lesen und Schreiben bei. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen dem ungleichen Paar eine außergewöhnliche Freundschaft.
„… dieser Film rekurriert nicht auf purem Realismus, sondern präsentiert eine Kunstwelt, die dem Film noir und Jean-Pierre Melville verpflichtet ist. Die visionäre Bilderwelt dieser kühlen Tragödie beschwört das Schweigen, die Sprachlosigkeit der Protagonisten, die keine Vergangenheit und keine Zukunft haben“, urteilt „Reclams Filmführer“ (Reclam, 12. Auflage 2003, S. 407).
Mit dem Sci-Fi-Film „Das fünfte Element“ realisierte Besson 1997 einen Plot, den der Filmemacher bereits als Fünfzehnjähriger skizziert hatte. In diesem ultimativen Kampf zwischen Gut und Böse spielt Bruce Willis den draufgängerischen Taxifahrer Korben Dallas, dem eines Tages ein wunderschönes Mädchen (Milla Jovovich) in sein fliegendes Taxi fällt. Noch ahnt er nicht, dass dieses fremdartige Wesen jenes „fünfte Element“ ist, das die Vernichtung der Menschheit durch eine böse Brut verhindern kann.
"Ein virtuos mit Filmzitaten gespickter Film, bei dem Dekor und Effekte alles, Handlung und Logik hingegen pure Nebensache sind. Laut, bunt und oft auf dem Niveau einer Freak-Show, versteht der Film sein Publikum doch besser zu unterhalten als die Mehrzahl seiner uniformen Hollywood-Konkurrenten“, befand der film-dienst (17/1997).
Nach Carl Theodor Dreyers „Passion der Jeanne d'Arc“ (entstanden 1928, acht Jahre nach Jeannes Heiligsprechung durch die katholische Kirche), Victor Flemings Version (1948) mit Ingrid Bergman, Robert Bressons „Der Prozess der Jeanne d'Arc“ (1961), Otto Premingers „Saint Joan“ (1957) und Jacques Rivettes „Jeanne la Pucelle“ (1994) wagte sich auch Luc Besson an eine Verfilmung des Lebens der französischen Nationalheldin Jeanne d’Arc. Sie wurde als jüngste Tochter eines Bauern 1412 in dem Dorf Domremy geboren und besuchte schon früh häufig Gottesdienste, um in dem blutigen Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England etwas Ruhe zu finden. Nachdem sie mit ansehen musste, wie ihre Schwester Catherine von Soldaten vergewaltigt und ermordet wurde, ist Johanna davon überzeugt, dass Gott selbst sie auserwählt habe, um Charles VII auf den Königsthron zu hieven.
Besson stellt überkommene Vorstellungen der Jungfrau von Orléans in Frage und schafft eine entschieden menschlichere Heldin als frühere Filmbiografien. Die Handlung ist dieselbe geblieben - ein junges, ungebildetes Bauernmädchen überredet den französischen Dauphin, ihr eine Armee zur Verfügung zu stellen, die sie in Orléans zum Sieg führt, um dann wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen zu sterben (...) Künstlerisch gesehen ist 'Johanna von Orléans' überwältigend, mit fantastischen Sequenzen von Johanna in Kommunikation mit höheren Mächten. Die unverhohlene Gewalt (zu den Szenen gehören wahllose Enthauptungen sowie ein Hund, der an einer Leiche nagt), die unterschiedlichen Akzente (die es schwer machen festzustellen, wer auf welcher Seite kämpft) und die umgeschriebene überlieferte Geschichte könnten allerdings zur Folge haben, dass diese Version der Jungfrau von Orléans nur Besson-Fans anspricht. Jovovich ist überzeugend, und obwohl der Film hin und wieder ins Stocken gerät (es gibt Momente, in denen man sich wünscht, sie würden sie nun endlich verbrennen), ist er dennoch eine bemerkenswerte und Einblick gewährende Neuinterpretation eines wohl bekannten Stückes Geschichte“, meint Jenny Brown in ihrer Rezension auf amazon.de
Seinen nächsten Film inszenierte Luc Besson in Schwarz-Weiß. In „Angel-A“ (2006) erzählt er die recht schlichte Geschichte des kleinwüchsigen Marokkaners André, der als letzten Ausweg vor seinen Gläubigern nur den Sprung in die Seine kennt. Doch als er sich gerade von einer Brücke ins Wasser stürzen will, entdeckt er eine Frau mit dem gleichen Plan. Als sie tatsächlich springt, folgt ihr André, um sie zu retten, worauf sich die schöne Angela mit den langen Beinen wie eine Klette an ihren Retter hängt, der auf einmal vom Glück gesegnet ist.
Bei der Kritik kam dieses Filmmärchen allerdings nicht so gut an. So meint Thilo Wydra in seiner Rezension auf br-online.de (23.05.06): „Die Bilder sind von manchmal poetischer Schönheit. Es ist eine visuelle Hommage, eine Liebeserklärung an die Stadt der Liebe selbst, an Paris. Ein Schwelgen an Plätzen und Stätten, über den Dächern und an den Ufern der Seine. Doch das allein trägt den Film nicht, der erzählerisch sehr schwach auf der Brust ist und die Geschichte mehr schlecht denn recht zum Ende bringt. Hieran krankt denn auch ‚Angel-A', an Figuren, die nicht wirklich mit Leben angefüllt sind sondern dramaturgische Reißbrett-Konstrukte bleiben, an einer Geschichte, die in ihrer Grundidee vielleicht schön sein mag, jedoch im Laufe des Films ins Leere geht, ausfranst, vor sich hin plätschert."
Nach seinen eigenen Büchern realisierte Besson zwischen 2006 und 2010 die Trilogie „Arthur und die Minimoys“, zwischenzeitlich verkündete der Regisseur, keinen Film mehr machen zu wollen. „Regie zu führen ist leicht, aber einen guten Film zu machen, ist schwierig. Jeden Tag musst du im 20-Sekunden-Takt Fragen beantworten: Willst du am Freitag in Szene 12 das blaue oder das rote Kleid? Reichen dir 200 Statisten statt 300, denn wir haben nicht genügend Busse? Kannst du eine Szene kürzen, damit wir nicht im Drehplan zurückfallen? – So geht das endlos. Bei 'Das fünfte Element' bombardierte mich mein Assistent mit Fragen, als ich plötzlich merkte, dass ich auf dem Klo sitze. Er war gar nicht auf den Gedanken gekommen, mir mal einen Moment Ruhe zu gönnen. Und mir war es erst auch nicht aufgefallen. Außerdem wechselt auch noch die Intensität beim Drehen wie wahnsinnig. Bei 'Johanna von Orleans' hatte ich erstmal Massenszenen mit 2000 Beteiligten, und nach diesem Adrenalinschock kamen acht Monate, in denen ich mit einem einzigen Schauspieler in einem 10-Quadratmeter-Raum drehte“, konstatierte Besson im Interview mit spiegel.de.
Doch 2010 kehrte Besson mit dem Historien-Abenteuer „Adèle und das Geheimnis des Pharaos“ wieder auf die Leinwand zurück. Nach langem Hin und Her gelang es Besson, die Filmrechte an der insgesamt zehn Bänden umfassenden Comic-Serie von Jacques Tardi zu sichern, die seit 1976 erschienen ist und als weibliches Pendant zu Indiana Jones gilt. Im Mittelpunkt von Bessons Film, der gleich zwei Comic-Bände miteinander vereint, steht die furchtlose Reporterin Adèle, die nicht davor zurückschreckt, es mit finsteren Gegenspielern, geheimnisvollen Mumien und einem Flugsaurier aufzunehmen. Doch das im Paris des Jahres 1912 angesiedelte Abenteuer enttäuschte Kritiker und Publikum.
„Was die Geschichte betrifft, hat er sich zwar weitgehend an die Vorlage gehalten, aber die Umsetzung ist in allem zu überzeichnet und pompös geworden. Das mag daran liegen, dass er versucht hat, das Comicfeeling auf den Film zu übertragen. Aber gerade bei der Figur des Bösewichtes Dieuleveult (Matthieu Amalric) ist das sehr augenfällig, denn die Maske hat hier deutlich zu sehr aufgetragen, genau wie bei Inspektor Caponi (Gilles Lellouche), der oftmals zur Farce gerät. Trotz allem, wenn man bei Adèle kurzweilige Kinounterhaltung sucht, dann findet man sie auch. Ob aber Kinder an der Story Gefallen finden und ihr inhaltlich folgen können, ist fraglich, denn die weist oftmals erzählerische Brüche auf und wirkt dann doch zu konstruiert. Somit bietet sich der neueste Film von Luc Besson nicht wirklich als Family Entertainment an, sondern ist doch eher für das Kind im Manne bzw. für das in der Frau gemacht“, meint Silvy Pommerenke auf kino-zeit.de.
Eine starke Frau steht auch in Bessons aktuellen Film „The Lady – Ein geteiltes Herz“ im Mittelpunkt. Es ist die verfilmte Biografie von Aung San Suu Kyi, die seit den ausgehenden 80er Jahren in ihrer Heimat Burma für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie kämpft und so zu Burmas bekanntesten Dissidentin wurde, die bis November 2010 fünfzehn Jahre lang unter Hausarrest stand.
„Es ist eine erstaunliche Geschichte, die Besson nach einem Drehbuch von Rebecca Frayn mit großer Zurückhaltung inszeniert. Der ansonsten für seine oft plakative Regie bekannte Regisseur vertraut in ‚The Lady‘ ganz auf die Präsenz seiner Hauptdarstellerin und der Kraft der wahren Geschichte. Bisweilen wirkt diese zwar wie eine überkandidelte, kitschige Soap Opera, aber in diesem Fall ist die Realität tatsächlich ergreifender als jedes Drehbuch“, meint Michael Meyns auf programmkino.de. Ebenso ergreifend ist die exotische Musik von Eric Serra ausgefallen, der – abgesehen von „Angel-A“ - seit „Subway“ zu allen Filmen von Luc Besson die Musik beisteuerte.

Filmographie: 
1981: Avant dernier
1983: Der letzte Kampf (Le Dernier Combat)
1985: Subway
1988: Im Rausch der Tiefe (Le Grand Bleu)
1990: Nikita
1991: Atlantis
1994: Léon – Der Profi
1997: Das fünfte Element (Le Cinquième Élément)
1999: Johanna von Orleans (The Messenger: The Story of Joan of Arc)
2005: Angel-A
2006: Arthur und die Minimoys (Arthur et les Minimoys)
2009: Arthur und die Minimoys 2 - Die Rückkehr des bösen M. (Arthur et la vengeance de Maltazard)
2010: Adèle und das Geheimnis des Pharaos (Les Aventures Extraordinaires d'Adèle Blanc-Sec) 2010: Arthur und die Minimoys 3 – Die große Entscheidung (Arthur und die Minimoys 3 – Die große Entscheidung)
2011: The Lady
Playlist: 
1 Eric Serra - Nobel Peace Prize 1991 (The Lady) - 03:09
2 Eric Serra - Burglary (Subway) - 02:30
3 Eric Serra - Rico's Gang Suicide (Nikita) - 03:12
4 Eric Serra - It's Only Mystery (Subway) - 04:32
5 Eric Serra - The Big Blue Ouverture (The Big Blue) - 04:43
6 Eric Serra - Leaving The World Behind (The Big Blue) - 03:15
7 Eric Serra - Homo Delphinus (The Big Blue) - 08:02
8 Eric Serra - Strange Feelings (The Big Blue) - 03:20
9 Eric Serra - The Creation (Atlantis) - 04:52
10 Eric Serra - Noon (Leon - The Professional) - 04:00
11 Eric Serra - Mutual Friend (Leon - The Professional) - 04:05
12 Eric Serra - What's Happening Out There? (Leon - The Professional) - 03:03
13 Eric Serra - OK (Leon - The Professional) - 03:15
14 Eric Serra - The Fight (Part 3: The Big Weapon) (Leon - The Professional) - 03:04
15 Eric Serra - The Secret Of Angels (Atlantis) - 05:34
16 Eric Serra - Mondoshawan (The Fifth Element) - 04:01
17 Anja Garbarek - Beyond My Control (Angel-A) - 05:20
18 Eric Serra - Five Milenia Later (The Fifth Element) - 03:13
19 Anja Garbarek - The Cabinet (Angel-A) - 04:40
20 Eric Serra - To Arms (Joan Of Arc) - 06:00
21 Eric Serra - Timecrash (The Fifth Element) - 01:49
22 Eric Serra - Bogo Matassalai (Arthut And The Invisibles) - 04:02
23 Eric Serra - Three Rites Of Initiation (Arthur Et La Vengeance De Maltazard) - 04:47
24 Eric Serra - Sunday Family Dinner (Arthur Et La Guerre Des Deux Mondes) - 02:40
25 Eric Serra - Die Zeremonie der Wiedererweckung (Adèle und das Geheimnis des Pharaos) - 03:15
26 Eric Serra - Under House Arrest (The Lady) - 03:26
27 Radar - Captivante (Angel-A) - 06:25

Soundtrack Adventures with LUC BESSON at Radio ZuSa by Dirk Hoffmann on Mixcloud

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Montag, 19. März 2012

Playlist # 81 vom 25.03.2012 - STEVEN SODERBERGH Special

Steven Soderbergh gehört mittlerweile zu den großen Regisseuren des neuen amerikanischen Independent-Kinos. Obwohl er mittlerweile auch Blockbuster wie „Out Of Sight“ und die „Ocean’s“-Trilogie in seiner Werksbiographie aufweist, ist dem am 14. Januar in Atlanta, Georgia, geborenen Filmemacher der Durchbruch 1989 mit dem Minibudget-Drama „Sex, Lügen und Video“ gelungen und hat seither immer ganz eigene Filme wie „Kafka“, „König der Murmelspieler“ oder „Die Kehrseite der Medaille“ inszeniert. Aktuell ist er mit „Haywire“ auf deutschen Kinoleinwänden vertreten.

Seine Filmkarriere begann Soderbergh im zarten Alter von dreizehn Jahren mit einer Super-8-Kamera, vier Jahre später arbeitete er bereits als Cutter bei der NBC-Fernsehshow „Games People Play“. Er führte dann Regie bei Kurzfilmen, Werbespots und Musikvideos, bis er 1986 den abendfüllenden Konzertfilm „Yes: 9012 Live“ inszenierte, der nicht nur auf MTV lief, sondern auch für einen Emmy nominiert wurde.
Zwei Jahre später drehte er in Baton Rouge sein Spielfilmdebüt „Sex, Lügen und Video“, mit dem er in Cannes die Goldene Palme gewann und eine Oscar®-Nominierung für das beste Drehbuch bekam. Es war zugleich der Auftakt der bis heute andauernden Zusammenarbeit des Regisseurs mit Komponist Cliff Martinez, der mit „Sex, Lügen und Video“ seinen Einstand in der Filmmusik feierte. Der Film erzählt die Geschichte eines Yuppie-Ehepaars, in dem der John (Peter Gallagher) seine putzwütige Ehefrau Ann (Andie McDowell) mit deren Schwester Cynthia (Laura San Giacomo) betrügt. Als Johns alter Schulfreund Graham (James Spader) auftaucht, ist Ann sofort fasziniert von ihm und seiner Obsession: Da er selbst impotent ist, filmt er Frauen dabei, wie sie ihr Sexualleben ausbreiten, und schaut sich die Aufnahmen später allein an.
„Regisseur Steven Soderbergh und sein ungemein souverän agierendes Darstellerquartett machen aus dieser Vorgabe ein überraschend intelligentes, vergnügliches Stück Low-Budget-Kino, das, obwohl eigentlich pausenlos geredet wird, keine Minute langweilt und an keiner Stelle ins Banale oder Spekulative abgleitet“, lobt Jürgen Müller in „Die besten Filme der 80er“ (Taschen, S. 320).
Und auch „Reclams Filmführer“ (Reclam, 12. Auflage, S. 632) schwärmt: „Die Dialoge sind oft von subtiler, entlarvender Komik – besonders dort, wo die Redenden ihre wahren Gedanken eher verbergen als entlarven wollen. Seine bedenkenswerte Analyse der Defizite in Ehe und Partnerschaft leistet der Film ganz ohne dramatisches Aufbegehren durch genaue Beobachtung und distanzierte, ironische Beschreibung.“
Doch mit seinen nächsten Projekten kann Soderbergh den Einstandserfolg nicht annähernd wiederholen. 1991 entstand mit dem Schwarz-Weiß-Film „Kafka“ weniger eine klassische Filmbiographie, sondern die Geschichte einer Krimiserie, die der von Jeremy Irons gespielte Schriftsteller aufdeckt.

Im Vergleich zu dem zeitgleich gestarteten „Schatten und Nebel“ von Woody Allen scheiterte „Kafka“ nicht nur an den Kinokassen, sondern fiel auch bei der Kritik durch.
„Das Drehbuch von Lem Dobbs ist ein Konglomerat aus amerikanischen Vorstellungen europäischer Kultur und arbeitet mit Klischeevorstellungen Prager Lebens, hingeworfenen Dialogzitaten, die Sätzen aus Kafkas Werk ähneln, und Stichworten aus dem Leben des Autors. Die Inszenierung Soderberghs, der mit großen weißen KAFKA-Lettern im Vorspann den definitiven Arthouse-Film verspricht, ist sichtlich uneinheitlich und versucht vergeblich, verschiedene Stile vom Kammerspiel bis zur Action-Sequenz zu integrieren. Die Kriminalstory hat keinen Spannungsbogen, die Themen Bürokratie, Macht und Freiheit liegen wie die Bomben der Anarchisten als Zufallstreffer über der filmischen Landschaft, die herzlich wenig mit dem realen Kafka zu tun hat“, fasst Hans Gerhold in Stefan Rogalls (Hrsg.) „Steven Soderbergh und seine Filme“ (Schüren, S. 41) zusammen.
Nach den Memoiren des Autors Aaron E. Hotchner entstand 1993 der Film „König der Murmelspieler“ („King Of The Hill“), der die Geschichte eines zwölfjährigen Jungen erzählt, der in St. Louis, Missouri, während der Großen Depression um das nackte Überleben kämpft und sich als Meister im Murmelspiel erweist. Soderbergh hat wieder einmal Thematik und Stil gewechselt, begab sich in Gefahr, den Ruf eines talentierten, aber ewigen Anfängers zu erwerben. „König der Murmelspieler“ floppte zwar erneut an den Kinokassen, konnte aber wieder mehr Kritiker begeistern. „Soderbergh, nie ein wirklich sozialkritisch ambitionierter Regisseur, arrangiert in Hotchners Sinn Szenen der Depression mit Goldrand und ein stimmige Coming-of-Age-Story“, meint Hans Gerhold (ebd., S. 55).
Mit „Die Kehrseite der Medaille“ (The Underneath) inszenierte Soderbergh 1995 ein Remake von Robert Siodmaks Klassiker „Gewagtes Alibi“ (1948), dann widmete sich Soderbergh persönlicheren Projekten. So verwirklichte er in seiner Heimatstadt Baton Rouge das Theaterstück „Geniuses“ und flog immer wieder nach England, um Interviews mit seinem großen Vorbild Richard Lester (die Beatles-Filme, „18 Stunden bis zur Ewigkeit“, „Robin und Marian“) zu führen, die im Zentrum seines 1999 veröffentlichten Buchs „Getting Away With It“ stehen sollten.
Nach den finanziellen Misserfolgen seiner Studio-Produktionen „Kafka“, „König der Murmelspieler“ und „Die Kehrseite der Medaille“ sowie den kleinen Eigenproduktionen „Grays Anatomy“ und „Schizopolis“ (beide 1996) gelang Steven Soderbergh mit „Out Of Sight“ der große Coup. Eigentlich sollte Barry Sonnenfeld die Elmore-Leonard-Verfilmung realisieren, doch Sonnenfeld, der bereits Leonards „Get Shorty“ erfolgreich verfilmt hatte, begnügte sich mit der Rolle des Executive Producer und machte so den Weg frei für Steven Soderbergh, der die Gangsterkomödie mit George Clooney als Bankräuber und Jennifer Lopez als Federal Marshal in den Hauptrollen mit Witz, Charme und Spannung inszenierte.
„Ausnahmeregisseur Steven Soderbergh produzierte mit ‚Out Of Sight‘ einen Film mit non-linearer Erzählstruktur, der dem kühlen Groove seiner Soul-Musik entspricht. Mit subversiv betörendem Sex fängt er seine Lovestory ein“, findet Thorsten Krüger in seiner Rezension auf artechock.de. „Teils humorvoll, manchmal traurig, aber immer unterhaltsam und vor allem in höchstem Maße faszinierend entwickelt sich das an sich völlig absurde Spiel zwischen den beiden. So entsteht eine vollendete Spannung, die den Zuschauer durch den ruhigen Ablauf der Handlung geschmackvoll bis vornehm kunstvoll verführt.“ 
Erstmals nach dem Überraschungserfolg seines Debüts „Sex, Lügen und Video“ konnte Soderbergh rundherum überzeugen. Die vor Erotik knisternde Chemie zwischen Clooney und JLo stimmt ebenso wie das knackige Drehbuch, der abwechslungsreiche Schnitt, die farblich gekennzeichneten Zeit- und Ortswechsel und der unkonventionelle Score von David Holmes, der mehr an die Hollywood-Filme der 70er Jahre erinnert als an die üblichen Suspense-Scores.
„The Limey“ (1998) erzählt die Geschichte des Ex-Häftlings Dave Wilson (Terence Stamp), der den Tod seiner Tochter rächen will. Die unterkühlten Bilder werden diesmal wieder von Cliff Martinez musikalisch untermalt. „Martinez ist einer von den außergewöhnlichen Komponisten, die ein sehr feines cinematographisches Gespür haben. Mit wenigen, aber äußerst wirkungsstarken Mitteln ordnet er seine Musik der Filmkonstruktion unter. Das musikalische Leitthema von ‚The Limey‘ entstand mehr oder weniger zufällig. Es war ein kleines, experimentelles Fragment, das Martinez für Soderbergh auf eine Kassette mit Musikvorschlägen aufgenommen hatte. Der karge, leicht stolpernde, ein wenig desorientiert und melancholisch klingende Pianolauf wurde das Thema für Wilsons tagträumerisches Abdriften, der Klang in Wilsons Kopf.“ (Uwe Rasch in „Steven Soderberghs Filme“, Schüren, S. 131)
Bedeutete „Out Of Sight“ für Soderbergh den endgültigen Durchbruch als Regisseur in Hollywood, untermauerte er diesen Ruf mit dem Blockbuster-Erfolg „Erin Brockovich“ und dem Drogen-Drama „Traffic“ (beide 2000), für das Soderbergh mit einem Oscar® als „Bester Regisseur“ ausgezeichnet wurde. Und Soderbergh legte weiter nach: Mit „Ocean’s Eleven“ präsentierte er ein Star-gespicktes Remake des Gangsterfilm-Klassikers „Frankie und seine Spießgesellen“ (1960). Der auf Bewährung entlassene Danny Ocean (George Clooney) will in einer Nacht drei Casinos in Las Vegas um 150 Millionen Dollar erleichtern und rekrutiert für diesen tollkühnen Plan ein elfköpfiges Experten-Team.
„Wie in jedem Soderbergh-Film sind die treffend besetzten Darsteller und ihre ungekünstelten, entspannt wirkenden Darbietungen ein wesentlicher Bestandteil des Gelingens. George Clooney überzeugt mühelos als charmanter, unerschütterlicher Schwindler und hebt seine Figur Danny Ocean deutlich von Jack Foley aus ‚Out Of Sight‘, der stets gezwungen ist zu reagieren, ohne sein Schicksal jemals wirklich in die Hand nehmen zu können, ab. Brad Pitt unterstützt Clooneys relaxte Coolness mit amüsierter Zurückhaltung und sichtlichem Spaß am Spiel. Matt Damon traut sich, die Unerfahrenheit und Naivität seiner Figur noch zu betonen“, erfreut sich Stefan Rogall in „Steven Soderbergh und seine Filme“ (Schüren, S. 187).
Mit „Ocean’s Twelve“ (2004) und „Ocean’s Thirteen“ (2007) ließ Soderbergh bis jetzt zwei ebenfalls sehenswerte Sequels folgen. Dazwischen blieb dem Filmemacher Zeit für weniger publikumswirksame Stoffe. 2002 blickte er mit „Voll frontal“ im Dogma-Stil auf die Schattenseite Hollywoods, wo sich die Wege von sieben Menschen kreuzen. Dieses Experiment ging an den Kinokassen allerdings ebenso baden wie Soderberghs Adaption von Stanislaw Lems Science-fiction-Klassiker „Solaris“, der 1972 bereits von Andrei Tarkowski verfilmt wurde.
„Die Produktionswerte von ‚Solaris‘ sind - wie von Soderbergh gewohnt - absolut perfekt. An Ausstattung, Kameraarbeit und Design gibt es überhaupt nichts zu mäkeln. Das Problem ist nur, dass er bei aller äußerlichen Brillanz, inhaltlich nicht viel zu bieten hat. Obwohl 99 Minuten keineswegs eine lange Spielzeit sind, schleppt sich der dialoglastige Trip zwischen Realität und Fiktion langamtig, schwerfällig, ohne Höhepunkte von Szene zu Szene“, resümiert Carsten Baumgardt auf filmstarts.de. „Sicherlich sind die Bildcollagen, die Soderbergh dem Betrachterauge bietet, wunderschön, aber zur Entwicklung der Handlung tragen sie rein gar nichts bei. Der Score von Cliff Martinez unterstützt die opulenten Bilder adäquat, aber was nützt das alles, wenn ‚Solaris‘ inhaltlich nur Leere zu bieten hat. Das Wechselspiel von Gegenwart, Traum und Rückblenden über die Fragen des Menschseins, über zweite Chancen, über Liebe und Leidenschaft fesselt einfach nicht, bietet kaum Identifikationsmöglichkeiten. Deshalb stirbt Soderberghs ‚Solaris‘ letztendlich in Schönheit.“ Der Thriller „Bubble“ (2005) gelangt gar nicht erst in die deutschen Kinos, dafür bietet „The Good German“ (2006) wieder einen souverän aufspielenden George Clooney in der Hauptrolle eines Journalisten, der im Nachkriegs-Berlin über die Potsdamer Konferenz berichten soll und versucht, seine verloren geglaubte Liebe Lena Brandt wiederzufinden, dabei aber in ein Mordkomplott verwickelt wird.
Bei Publikum und Kritik fiel der Film allerdings durch. „Vom Filmmaterial, das original aus den vierziger Jahren stammen soll, den Studiobauten, der Kamera- und Lichttechnik, den Hintergrundprojektionen, den weichen Konturen und der großen Palette an Grauwerten, bei denen Gut und Böse, Schwarz und Weiß leicht ineinander verschwimmen, bis hin zu Schauplätzen und narrativen Verstrickungen. Alles scheint es so ähnlich schon einmal gegeben zu haben. Doch Soderberghs traumschöne schwarz-weiße Erinnerungsbilder an ein Kino von einst scheinen keine andere Ambition zu kennen als das hohle Nachstellen“, fasst Birgit Glombitza auf spiegel.de zusammen.
2008 entstand das zweiteilige Biopic „Che“, das nach den zuvor freigebenen CIA-Dokumenten die Geschichte Che Guevaras erzählt, dann die Manager-Komödie „The Informant!“ mit Matt Damon in der Rolle eines Managers, der in den 90er Jahren das FBI über Kartellabsprachen seines Arbeitgebers informierte. Überzeugen konnte auch das Seuchendrama „Contagion“.
„Die fast beiläufige Inszenierung dramatischer Momente passt perfekt zu dem unaufgeregten Erzählstil. Ob die zahlreichen Plünderungen, die Übergriffe der Zivilbevölkerung gegen die Armee oder ein bewaffneter Überfall auf Carvers Frau - überraschenderweise werden diese Momente nicht effektvoll dramatisiert, sondern fast schon nüchtern-distanziert geschildert. Trotzdem entwickelt Soderbergh, der in der Vergangenheit schon häufig seine Vielseitigkeit bewiesen hat, schnell eine sogartige Spannung. Dies gelingt vor allem durch die geschickte Kombination unterschiedlicher Genres: Ob Drama über Verlust und Erhalt, Thriller über die Forschung nach einem Gegenmittel oder Detektivgeschichte über die Suche nach dem Patienten 0, dem ersten Viruserkrankten – alles bekommt bei Soderbergh das gleiche Maß an Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit“, meint Björn Becher in seiner Rezension auf filmstarts.de.
Mit seinem aktuellen Film „Haywire“ hat Soderbergh der Profi-Thaiboxerin Gina Carano ein filmisches Denkmal gesetzt. Nachdem der Regisseur im Fernsehen gesehen hatte, wie sie ihre Gegnerinnen verprügelte, rief er sie an und wollte einen Film um sie herum entwickeln. Die Story ist denkbar einfach, doch „Haywire“ bietet Körperkunstkino der besonderen Art.
Soderberghs Filme zählen zum Kino des freien Blicks, die ‚luftige‘ und ‚flüssige‘ Bilder komponieren. Nie dominieren die Storys, sondern die Figuren, die sich in Geschichten und Konflikte verstricken, ohne dass sie wie Marionetten an der Strippe hängen“, versucht Norbert Grob („Filmregisseure“, Reclam, 3. Auflage, S. 702) das Schaffen von Steven Soderbergh auf einen Nenner zu bringen, und mit „Haywire“ bietet der Filmemacher einmal mehr ein eindrucksvolles Beispiel dafür.

Filmographie:
1987 – Winston (12 Minuten)
1989 – Sex, Lügen und Video (Sex, Lies, and Videotape)
1991 – Kafka
1993 – König der Murmelspieler (King of the Hill)
1995 – Die Kehrseite der Medaille (The Underneath)
1996 – Gray's Anatomy
1996 – Schizopolis
1998 – Out of Sight
1999 – The Limey
2000 – Traffic – Macht des Kartells (Traffic)
2000 – Erin Brockovich
2001 – Ocean’s Eleven
2002 – Voll Frontal (Full Frontal)
2002 – Solaris
2004 – Ocean’s Twelve
2005 – Bubble
2007 – Life Interrupted
2007 – The Good German – In den Ruinen von Berlin (The Good German)
2007 – Ocean’s Thirteen
2008 – Che – Revolución (Che: Part One)
2008 – Che – Guerrilla (Che: Part Two)
2009 – Der Informant! (The Informant!)
2009 – The Girlfriend Experience
2011 – Contagion
2012 – Haywire

Playlist:
1 David Holmes - No More Time Outs (Out Of Sight) - 04:06
2 Cliff Martinez - Looks Like A Tablecloth (Sex, Lies and Videotape) - 04:05
3 Cliff Martinez - Wrong End Of The Microscope (Kafka) - 07:35
4 Cliff Martinez - Can You Hear Me? (King Of The Hill) - 03:15
5 Cliff Martinez - The Green Head (The Underneath) - 02:55
6 Cliff Martinez - Son Of Edison (Schizopolis) - 02:15
7 David Holmes - The Trunk Scene (Out Of Sight) - 04:44
8 Cliff Martinez - Wanna Take Me Out (The Limey) - 03:18
9 Cliff Martinez - End Title (Traffic) - 04:48
10 Thomas Newman - End Title (Erin Brockovich) - 04:45
11 Cliff Martinez - Wormhole (Solaris) - 04:33
12 Thomas Newman - Jedem das Seine (The Good German) - 02:49
13 David Holmes - A Liar & A Happy Thief (Ocean's Eleven) - 04:07
14 David Holmes - Playing With Fire (Ocean's Twelve) - 02:26
15 Frank Sinatra - This Town (Ocean's Thirteen) - 03:02
16 David Holmes - The Nose (Ocean's Thirteen) - 02:30
17 David Holmes - Fender Roads (Oceans's Thirteen) - 02:38
18 David Holmes - The Team (Ocean's Eleven) - 03:20
19 Cliff Martinez - Will She Come Back? (Solaris) - 05:00
20 David Holmes - Let's Get Jiang (Haywire) - 04:13
21 David Holmes - Where's Kenneth? (Haywire) - 03:53
22 Alberto Iglesias - La Higuera, October 9, 1967 (Che) - 05:36
23 Alberto Iglesias - Sierra Maestra (Che) - 04:59
24 Marvin Hamlisch - The Informant! (The Informant!) - 05:05
25 Cliff Martinez - Handshake (Contagion) - 04:16
26 Cliff Martinez - They're Calling My Flight (Contagion) - 03:02
27 David Holmes - The Ship Comes In (Haywire) - 02:33
28 Cliff Martinez - You've Got A Problem (Sex, Lies & Videotape) - 07:06
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Donnerstag, 8. März 2012

Playlist # 80 vom 11.03.2012 - COIL Special

Zwar ist die britische Band Coil vor allem in Industrial- und Aventgarde-Kreisen bekannt gewesen, in den letzten Jahren ihres Bestehens sind ihre eigenwilligen Soundscapes und Klangkreationen aber zunehmend für Independent-Filmemacher interessant geworden.
Mit dem tragischen Tod von Jhonn Balance am 13. November 2004 war auch das ambitionierte Electro-Avantgarde-Projekt Coil gestorben. Am 23. November 2010 starb auch Coils Mastermind Peter „Sleazy“ Christopherson, der zuvor auch schon Gründungsmitglied der legendären Industrial-Formation Throbbing Gristle und Psychic TV gewesen ist und vor allem auch im Video-Sektor tätig gewesen ist.  

Coil veröffentlichten nicht nur wegweisende Alben wie „Scatology“ und „Love’s Secret Domain“, sie haben immer auch filmmusikalische Atmosphären kreiert, manche davon so verstörend, dass selbst Horror-Ikone Clive Barker Coil zwar mit dem Score zu seinem Filmdebüt „Hellraiser“ engagierte, die Musik aber letztlich zu schaurig empfand. Und nachdem bereits Throbbing Gristle für den Filmemacher Derek Jarman Soundtracks kreiert haben („In The Shadow Of The Sun“), konnten Coil im Laufe der Jahre auch einige Filmmusiken kreieren, so zu Derek Jarmans Filmen „The Angelic Conversation“ und „Blue“.
Doch fangen wir mit der Geschichte von Throbbing Gristle an, dem herausragenden Vertreter der Ende der70er parallel zum Punk-Rock entstandenen Industrial-Szene. Mit ihrer Musik, die mehr strukturierter Lärm war als das, was man gewöhnlich unter Musik versteht, drückten sie die Gleichschaltung der Gesellschaft, die Bedeutungslosigkeit aller Normen und Inhalte sowie die Nutzlosigkeit musikalischer Trends aus.
„Die Phrase ‚Industrial Music for Industrial People‘ wurde von Monte Cazazza für Throbbing Gristle geprägt, als sie 1976 ‚2nd Annual Report‘ aufnahmen, und später wurde es der Name des Labels und der Plattenfirma, bei der alle originalen TG-Veröffentlichungen erschienen sind“, erzählte mir Jhonn Balance in einem Interview, das ich 1991 für ZILLO mit Coil führte. „Damals wurde auch der Name ‚Factory Records‘ in Erwägung gezogen, aber wir verwarfen ihn, weil er zu offensichtlich war. Seither wurde der Ausdruck ‚Industrial Music‘ als allgegenwärtige Beschreibung für ein Genre benutzt, das aus verschiedenen Gruppen und deren Nachfolgern bestand. Obwohl wir uns selbst als Vertreter einer Richtung sehen, die angefangen bei TG, Burroughs und zerreißenden, verzerrenden Technikern bis zu den Dadaisten zurückreicht, betrachten wir uns nicht als Band, die Industrial Music spielt.“ 
Während Sleazy zusammen mit Genesis P. Orridge, Cosey Fanni Tutti und Chris Carter 1975 Throbbing Gristle gründete, trat Jhonn Balance erst auf den Plan, als Genesis P. Orridge 1981 Psychic TV als Gegenkultur zu MTV, das ebenfalls in diesem Jahr seinen Start hatte, entwarf und den Temple Ov Psychic Youth ins Leben rief. Neben Jhonn fanden auch Musiker wie Marc Almond, Rose McDowall (Strawberry Switchblade), David Tibet (Current 93) und Steven Stapleton (Nurse With Wound) Gefallen daran, auf eine Weise miteinander zu kommunizieren, die geheime Riten mit den Künstlern eigenen seltsamen Ideen verbanden. Mit der Zeit verlor das Experimentieren vor dieser ausgesuchten Gesellschaft ebenso seinen Reiz wie die abstoßend-faszinierenden Live-Auftritte von Throbbing Gristle. Ähnlich wie SPK zeigten sie Videoaufnahmen von Penis-Sezierungen und Tötungsmechanismen, die ihren eingefleischten Obsessionen entsprungen sind. 1981 lösten sich Throbbing Gristle auf.
„Alle Strukturen haben eine limitierte Existenz, und sowie jede Struktur freigesetzt worden ist, verlassen wir sie und versuchen, Formen zu kreieren, die für uns arbeiten und einen persönlichen Nutzen für uns haben. Bis heute hat sich daran nichts geändert. 1981 haben die vier Mitglieder von Throbbing Gristle das Gefühl gehabt, dass sie ihre Konzepte, soweit es nur sinnvoll sein konnte, verarbeitet haben. Genau so war es 1983 mit Psychic TV“, blickte Jhonn zurück, der 1982 Coil gründete. Wenig später gesellte sich Peter Christopherson hinzu, der nicht nur Coils Video zum Soft-Cell-Cover „Tainted Love“ drehte, sondern später auch Musikvideos für Acts wie Rage Against the Machine, Front 242, Marcy Playground, Gavin Friday, Nine Inch Nails produzierte.
Im Frühjahr 1984 erschien mit „How To Destroy Angels“ eine erste Maxi, die versuchte, religiöse Musik mit sexueller Energie zu verbinden und damit die männlich-sexuelle Energie zu stimulieren. Der Erlös der zweiten Maxi „Panic/Tainted Love“ (wobei der Soft-Cell-Klassiker schmerzhaft-scheppernd inszeniert wurde) ging an den Terence-Higgins-Trust zur Bekämpfung von Aids. „Scatology“ hieß das von Jim Foetus produzierte Debütalbum (1984), auf dem Gavin Friday von den Virgin Prunes als Gastsänger mitwirkte und das wegen seiner Fülle an ausgefallenen Ideen hochgelobt wurde. Obwohl Coil traditionelle Symbole mit neuen Ideen besetzten und sich in ihren Texten mit magischen, mystischen und philosophischen Themen auseinandersetzten, ließen sie lieber ihre Musik, die oft im krassen Gegensatz zu den schwer verdaulichen Texten steht, für sich allein sprechen und redeten nicht gern über das, was sie schrieben.
„Unsere magische Philosophie ist die Summe unserer Interessen und des gesammelten Glaubens. Wir haben Menschen und Philosophien in unserer Arbeit erforscht – natürlich Crowley und Austin Osman Spare, den englischen pre-surrealistischen Künstler, dessen magisches System uns sehr beeinflusst hat, aber wir haben sein System nicht besonders in unsere Arbeit einfließen lassen, sondern ihn nur in Interviews erwähnt. Mittlerweile haben wir es satt, Fragen dieser Natur zu beantworten, weil die Leute häufig nicht wissen, über was wir reden, wenn wir antworten. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf diese Weise ausführlich zu schreiben und die Musik für sich selbst stehen zu lassen“, machte mir Jhonn damals deutlich.
Obwohl der Nachfolger zu „Scatology“ erst 1987 erschien, entstand „Horse Rotorvator“ in nur wenigen Monaten. Dabei hatten Jhonn und Peter, die nun auch von Stephen Thrower unterstützt wurden, genügend Material für ein Doppelalbum – „The Dark Age Of Love“ sollte der andere Teil heißen.
„Aus ‚The Dark Age Of Love‘ wurde ‚Love’s Secret Domain‘. Es war als Gegenstück zu ‘Horse Rotorvator’ gedacht. Wir hatten genügend Songs für ein Doppelalbum, aber wir teilten es auf und dachten daran, den Rest der aufgenommenen Stücke als ‚The Dark Age Of Love‘ bald darauf zu veröffentlichen, aber Geld, Zeit und andere Projekte verhinderten es, und wir machten es nicht mehr.“ „Horse Rotorvator“ gilt zurecht als Coils Meisterwerk, das vor allem durch seine düstere, sanft-morbide Präsentation von klassischen Instrumenten und altertümlichen Kompositionsformen besticht, womit es an den herausragenden Song „Tenderness Of Wolves“ des Vorgängers anknüpft („Ostia“, „Five Minutes After Death“, „Circles Of Mania“).
„Das Bild zu ‚Horse Rotorvator‘ beruht auf einem Traum, den ich hatte“, erinnerte sich Jhonn. „Darin wurden die vier Pferde der Apokalypse von ihren Reitern getötet und zu einer großen Maschine verarbeitet, die die Erde umpflügte. Das Album war mehr eine Erforschung der Aspekte von Liebe und Tod, was beständige Themen bei Coil sind.“
Das Mittelalter übte seit jeher eine große Faszination auf Coil aus. Als sie anfingen, Musik zu machen, wollten sie in erster Linie Pestklagelieder aus dem Mittelalter bearbeiten. Da sich Coil immer wieder auf Elemente der europäischen Musik beziehen, die es lange vor der Rock- und Pop-Explosion der 50er Jahre gegeben hat, haben sie immer zu den wenigen zeitgenössischen Bands gezählt, die weder schnell altmodisch noch gewöhnlich klingen. Diesem Umstand hatten sie es wohl auch zu verdanken, dass Filmproduzenten auf die aufmerksam wurden. Neben Derek Jarmans „The Angelic Conversation“ bekamen sie auch die Möglichkeit, für Clive Barkers „Hellraiser“ die Musik zu komponieren.
Mit seinen „Büchern des Blutes“, die das Horrorgenre neu definierten, und den folgenden Romanen „Cabal“, „Spiel des Verderbens“ und „Jenseits des Bösen“ wurde Barker sogar von Stephen King zur „Zukunft des Horrors“ erkoren, und für Coil wäre es ein vielversprechendes Projekt geworden, die phantasievollen Schreckensszenarien des literarischen Ausnahmetalents musikalisch zu untermalen. Doch als der Film plötzlich ein amerikanisches Studio fand, das viel Geld zu investieren bereit war, konnte auch ein versierter Filmkomponist engagiert werden – Christopher Young. Coil waren damit aus dem Rennen, ihre für den Film produzierte Musik wurde dann als „The Unreleased Themes For Hellraiser“ veröffentlicht.
Cive Barker mochte unsere Musik – wir gaben ihm Platten – und er war sehr erpicht darauf, dass wir mit ihm zusammenarbeiten sollten, aber Kräfte von außen haben es verhindert.“
Das Komponieren von Filmmusik blieb weiterhin eine reizvolle Aufgabe für Coil. Aus der Veröffentlichung von dem Album „The Sound Of Music“, das Coils Ambitionen auf diesem Sektor vereinen sollte, ist bislang leider noch nichts geworden. Bis zu ihrem nächsten Album „Love’s Secret Domain“ vertrösteten Coil ihre Fans mit zwei Compilations, zunächst mit „Gold Is The Metal With The Broadest Shoulders“ (1987), das als Überbrückung zum nie erschienenen „Dark Age Of Love“-Album gedacht war. Es enthielt eine Vielzahl von unveröffentlichten Soundtrack- und Samplerbeiträgen und bot dokumentierte eindrucksvoll das breite musikalische Spektrum der Band. Neben eindringlich-melancholischen Tracks wie „Cardinal Points“ (das ursprünglich für „Hellraiser“ eingespielt worden war), eine Collage von „Hellraiser“-Themen, „Five Minutes After Violent Death“ und „Chickenskin“ waren auch schräg-experimentelle Stücke wie „Aqua Regalia“, „Metal In The Head“ und „Either His Or Yours“ vertreten. Diese Kontraste in der Musik spiegelten Coils Philosophie wider. Sie setzten ihre Ideen in Sounds, Musik und Text um, ohne mit bestimmten Schemata auf ein Ziel zuzusteuern. Sie verfügten über keinen festgelegten Überbau, was die Ästhetik anging, und glaubten nicht an das Primat des Gedankens, ebenso wenig an eine zusammenhängende philosophische Methode, dafür waren die Meinungen der Mitglieder zu verschieden. Somit bestand für sie das Leben aus der Einigung der Gegensätze – ein Ideal, das schon die Alchemisten zu verwirklichen suchten, um die Vervollkommnung des menschlichen Körpers und Geistes zu erreichen.
„Alchemie handelt von der Transformation; ob es dabei um die physische oder spirituelle geht, ist nebensächlich. Es ist wie mit dem Heiligen Gral. Es ist schwer fassbar und wird schwer fassbar bleiben. Es ist immer über und unter dir, und du hast dich darum zu bemühen. Das ist das ganze Geheimnis. Es ist eine Reise – ein Test. Es zu erreichen würde bedeuten, den Kreis zu schließen. Der Versuch ist alles“, glaubte Jhonn. Eine weitere Compilation erschien 1990 unter dem Titel „Unnatural History“, die wiederum überwiegend instrumentale, fremdartige, schwer fassbare Musik diverser Samplerbeiträge vereinte. Melodiöse und verspielte Elemente gingen Hand in Hand mit ausgefallenen Klängen und Geräuschkulissen. Mal schien man unter Glockenspiel im Himmel zu schweben („The Swelling Of Leeches“), im nächsten Moment fand man sich im Schweinestall wieder („The Pope Held Upside Down“ – beide Tracks entstanden unter dem Namen Sickness Of Snakes, einem Projekt mit Boyd Rice. Darüber hinaus haben Coil an einem Projekt mitgewirkt, das Chris & Cosey initiiert haben. Unter der Bezeichnung CTI haben die beiden ehemaligen Throbbing-Gristle-Mitbegründer mit verschiedenen Künstlern aus der Industrial-Ära – darunter Boyd Rice, Monte Cazazza und Lustmord – das Album „Core“ eingespielt.
„Wir spielten unseren Beitrag zum Track ‚Feeder‘ hier zuhause ein und schickten ihnen das Tape per Post zu, so dass es nicht wirklich eine totale Zusammenarbeit war. Vielleicht kommt es eines Tages dazu, dass wir zur selben Zeit im Studio zusammenarbeiten. Es scheint mir, dass sich das viele Leute wünschen – ¾ von Throbbing Gristle kommen wieder zusammen – aber es würde nicht in der Stimmung von damals geschehen, und es würde auch eine völlig andere Art von Projekt werden“, prophezeite Jhonn damals.
Einen Vorgeschmack auf „Love’s Secret Domain“ bot der über zwölfminütige Samplerbeitrag „Another Brown World“, ein für den „Sinople Twilight“-Sampler von Sub Rose kreiertes spirituelles Epos, das jegliche morbide Anwandlung früherer Tage abgelegt hatte und rein und schön, vollendet und unterlegt von fernöstlichen, hypnotisierenden Sprechgesängen eindringlich dahinschwebte.
„Die Stimme auf ‚Another Brown World‘ wurde in einem Mönchskloster aufgenommen an einem Platz namens Pagan im nördlichen Burma. Pagan ist ein riesiges Flachland, über das mehr als tausend Tempel verstreut liegen wie kleine Pyramiden, so weit das Auge sehen kann, bis hinunter zum Irawaddi-Fluss. Es ist ein sehr magischer Ort und wird selten von Leuten aus dem Westen besichtigt. Das Animist Mönchskloster befindet sich an der Spitze eines kleinen Gebirges, das man auf schwachen Holzstufen erreicht. Es ist den tierischen Seelen gewidmet, die an diesem Ort sind. Wir kauften uns dort seltsame magische Ringe – eine Mixtur von Metallen und schwarzen Steinen darin, die was ganz besonderes sind. Die Aufnahme ist von einem Mönch, der am Gipfel mit Gebeten der Welt seinen Segen erteilt. Als wir kamen, um den Song zu machen, haben wir es verwendet.“
Coil sind oft in Thailand gewesen, wo sie auch das Video zu „Windowpane“ drehten. Jhonn Balance steht bis zum Bauch im Mekong und tanzt bei untergehender Sonne vor dem Hintergrund der Berge. Helles, warmes Licht überflutet die Szenerie.
„Unsere Reisen halfen uns, neue Richtungen zu entdecken. Ich bin mir nicht sicher, ob sie allzu offensichtlich in der Musik reflektiert werden“, erklärte mir Jhonn. „Sie sind aber augenscheinlich im Video zu ‚Windowpane‘ zu erkennen, das wir auf einer kleinen Insel im Zentrum des Mekong zwischen Laos, Burma und Thailand drehten, welches ‚Das Goldene Dreieck‘ genannt wird. Es ist ein magischer Ort. Die Farben im Video wurden nicht verstärkt – das sind die wirklichen Farben, die dort leuchten, wenn beim Sonnenuntergang die Sonne in eine Höhle zwischen den Hügeln eintaucht.“ Das Album „Love’s Secret Domain“ knüpfte an die Vorabsingle an und reflektierte zumindest ein verändertes Bewusstsein gegenüber dem Leben im Allgemeinen und den Erfahrungen von Menschen – die auf ihren Reisen mit Glaubens- und Lebensvorstellungen konfrontiert worden sind, die nicht ohne Folgen für die Kreativität von Künstlern bleiben konnten - im Besonderen.
„Thailand ist uns einer der spirituell reinsten Plätze in der ganzen Welt. Dort ist es für die Menschen viel leichter, ein zweckdienliches Leben zu führen. Die christlichen Einschränkungen und die Schuldvorstellungen, die unsere Gesellschaft durchdringen und dominieren, existieren dort nicht“, schwärmte Jhonn. „Andere Dinge sind dort viel näher an der Oberfläche – Empfindungen existieren Seite an Seite mit dem körperlichen Leben. Der Tod ist näher an der Oberfläche. Das Leben ist näher an der Oberfläche. Alles ist mit allem verbunden und es erhöht das Lebensgefühl, es zu besuchen und Anteil daran zu haben. Sie haben ein Wort, ‚Sabai‘, was ‚Freude am Leben bedeutet‘, und das ist das Motto, mit dem sie leben. Alles wird um seiner selbst willen genossen, im Gegensatz zur westlichen Sicht, die uns mit dem Gegenteil heranzog – dass nicht alles zur Freude, sondern zum Leiden gemacht wird.“
Der Buddhismus kennt keinen Gott, keine Götter. Buddha wollte von Dingen und Wegen reden, über die man ein Wissen erwerben kann, weil sie der menschlichen Erkenntnis und Erfahrung zugänglich sind. Im Buddhismus regiert das Karma den Kreislauf der Wiedergeburten nach einer unerbittlichen Gesetzmäßigkeit, die der unsterblichen Seele nach den Taten des vorangegangenen Lebens einen neuen Platz im Leid des Diesseits zuweist. Buddha hat die Menschen gelehrt, mit dem Leiden zu leben und ohne Leiden zu sterben. Damit berührte er die Herzen der Menschen und lehrte sie, das Leid und schließlich auch den Tod als etwas Natürliches hinzunehmen.
„Wir sind keine praktizierenden Buddhisten“, bekannte Jhonn, „aber wir haben einen großen Respekt vor ihnen. Die Welt würde ein weitaus besserer Ort sein, wenn jeder Buddhist wäre.“ Diese Überzeugungen und die positiven Eindrücke, die Coil auf ihren Reisen in den Fernen Osten gesammelt haben, fanden auf „Love’s Secret Domain“ ihre adäquate musikalische Umsetzung.
Zwar hielten Coil an konventionellen, klassischen Sounds fest, wie die spanischen Gitarrenklänge bei „Lorca Not Orca“ und das orchestrale Arrangement bei „Chaostrophy“ zeigten, aber durch den verstärkten Einsatz an – vor allem – alten Synthesizern fanden sich auch potenzielle Dancetracks mit unwiderstehlichen Rhythmen, Beats und Melodien wieder, wie z.B. der herausragende Titelsong, „The Snow“, „When Even The Darkness …“ und „Further Back And Faster.“
Als Kontrastprogramm gab es den minimalistisch-melancholisch schönen Song „Titan Arch“, den Marc Almond vorträgt, den sphärisch-eindringlichen Spirit-Song „Dark River“ und diverse avantgardistisch-verspielt-experimentelle Tracks, die als Bindeglied zwischen den einzelnen Songs fungierten („Teenage Lightning 1+2“).
„Es geht um Sex, Elektrizität, Halluzinogene …, manche von diesen Themen sind die gleichen wie auf früheren Alben, andere sind neu. Die Leute dachten oft, dass ‚Horse Rotorvator‘ ein morbides Album war. Wir haben unser ‚Death Album‘ gemacht, dies ist unser ‚Life Album‘. Wir hatten Freunde, die an Aids und Überdosen Drogen gestorben sind. Das wurde auf ‚Horse Rotorvator‘ verarbeitet. Aber nun haben wir uns entschieden, weiterzumachen und das Leben aktiv zu genießen, mehr im Leben eingegliedert zu sein, das Lustprinzip zu aktivieren.“
„Deep Listening“ hieß dann auch das Motto, unter dem das ganze Album stand, eine Aufforderung, der Musik intensiv zuzuhören, sie in sich aufzunehmen und sich von ihr forttragen zu lassen, aber dabei auch die Idee zu verstehen, die sich dahinter verbirgt.
„‘Deep Listening‘ ist ein Ausdruck, den unser Freund Biba Kopf geprägt hat, um die ‚Windowpane‘-Single zu beschreiben. Es scheint eine Summe dessen zu sein, was Coil immer gewesen sind – dass hinter und unter der Oberfläche des musikalischen Stils und der Form Gedanken stehen, was für Musik oder Popmusik als Genre selten ist. Wir wollen ein wenig von dem Konzept hinter der Theorie zeigen, das Konzept hinter der Form. So wie wir unser Label ‚Force & Form‘ genannt haben. Die beiden gehen zusammen und sollten gezeigt werden. Viele Gruppen versuchen das nicht einmal, sind sich dieser Dinge nicht bewusst“, befürchtete Jhonn.
Die nächsten Jahren waren für Coil schwierig. Auf der Haben-Seite konnte die Band Remixes für Nine Inch Nails ("Gave Up" und "Closer") verbuchen und die Tatsache, dass sich Sleazy als Regisseur von Videoclips für Nine Inch Nails, Jah Wobble, Senser, Sepultura, Rage Against The Machine und Van Halen etablieren konnte, während Jhonn gelegentlich seinem Freund David Tibet aushalf, u.a. beim Current-93-Mini-Album "Lucifer Over London".
Was währenddessen die Bedingungen für Coils eigene Aktivitäten erschwerte, war der Bankrott des Torso-Labels, das nicht nur die CDs "Hellraiser", "The Snow", "Windowpane" und "Love´s Secret Domain" veröffentlicht hat, sondern der Band einen Vorschuss für ihr nächstes Album zahlte, den Coil nun zurückzahlen mussten. Dennoch nahm man das Material für „International Dark Skies“ auf, mit dem Coil den mit „Love´s Secret Domain“ eingeschlagenen Weg fortsetzen wollten. "Es wird vom Stil her elektronisch und abstrakt, nicht direkt ambient, aber doch mehr fließend und hypnotisch als geräuschvoll und mit Gesang", hieß es dazu in einem Coil-Newsletter, doch wie so viele andere angekündigte Alben erschien auch dieses nicht. Dafür gab es 1992 eine Remix-Version von „How To Destroy Angels“, jener Debüt-Maxi aus dem Jahre 1984, die als sexuelle Stimulation gedacht waren und nun um völlig neue Klangdimensionen erweitert wurden.
"‘How To Destroy Angels‘ zu remixen war eine Idee, die ich umsetzen wollte, weil wir die originalen Stereo-Masterbänder verloren hatten, es aber wiederveröffentlichen wollten", erklärte Jhonn. "Da wir diese Tapes nicht mehr hatten, entschloss ich mich dazu, neue Musik zu machen, die auf dem alten Stück basiert und daraus hervorgeht. Steve Stapleton kreierte eine schöne, subtile Zen-mäßige Version, die ich persönlich sehr mag. Die anderen Stücke sind okay. Ich mag vor allem diejenigen, in denen Vogelschwingen schlagen. ‚Dismal Orb‘ ist ein Zitat von William Blake, das schon seit zehn Jahren ungenutzt in mir herumgeisterte - als ein möglicher Titel. ‚Dismal Orb‘ ist die Erde oder vielleicht eine böse, deprimierte Philosophie, eine böswillige Art, Dinge zu betrachten. ‚Orb‘ war das frühe englische Wort für das Auge. Wir sollten wirklich einen Sticker auf der neuen ‚How To Destroy Angels‘-CD anbringen, weil die Leute vielleicht nicht erkennen, dass es sich ausschließlich um neue Versionen der ersten Coil-Platte handelt."
Im Gegensatz zum okkulten Hintergrund der Maxi stand die rein musikalische Neuverwertung der ursprünglichen Musik bei der 55minütigen 7-Track-CD ganz im Vordergrund, obwohl das Interesse Coils an magisch-religiösen Themen weiterhin lebendig blieb.
"Die ‚How To Destroy Angels‘-CD hat keinen speziellen magischen Hintergrund. Aber wir beabsichtigen mit einer Reihe von Veröffentlichungen fortzufahren, die einen ganz besonderen magischen Inhalt und Gebrauch haben", kündigte Jhonnn an. "Ich möchte sehr gern ein Mondritualalbum machen, über Ozeane, Menstruation, Gezeiten, Seeungeheuer, Flüssigkeiten, Geistesgestörte, Wahnsinn usw. Am liebsten würde ich ein auf Pan basierendes Album machen. Ich fühle mich zu Pan als Einheit, als Gott hingezogen. Er ist nicht tot. Die Bäume sind Pan, und die Menschheit muss die ganze Erde bepflanzen. Dann werden wir vielleicht überleben, durch die Natur, die sich rächen wird, wenn wir uns nicht ändern. Wir haben einen neuen Coil-Text zu diesem Thema, darüber, dass wir die Natur nicht als den alleinigen Grund für das Dasein auf dieser Erde ansehen. Wir sind nichts als Gärtner."
Im Gegensatz zu seinem Freund David Tibet, der es bedauert, dass es immer noch Leute gibt, die an längst vergangene Götter glauben, sind Götter wie Pan für Jhonn ein wesentlicher Bestandteil seines Glaubenssystems.
David Tibet verfügt über ein sehr komplexes Glaubenssystem. Das tue ich auch. Wir teilen, denke ich, eine gewisse Suche nach mystischer Wahrheit-Schönheit-Reinheit“, meinte Jhonn. „Wir haben nicht viele Dinge, über die wir nicht spotten können. Aber wir besitzen auch einen Glauben an Dinge. Ich denke, alles, was wir sehen, fühlen, denken und träumen können, resultiert aus dem Geist von allem, das vorher gewesen ist und wiederkehren wird. Die Toten sind unter uns. Wir sind aus Sternen, Tieren, Erde, Göttern gemacht. David respektiert meine Fragmentierung von Gott in individuelle Schwerpunkte des Glaubens. Magie wird die künftige Religion sein. Das ist insofern schlecht, weil es die wirklichen Magier blockiert und über das Heute wundern lässt. Wir arbeiten für uns selbst. Pan ist der Mittelpunkt meiner Lebensenergien zum momentanen Zeitpunkt meines Lebens. Er ist ein gefährlicher Spielkamerad.“
Einen besonders vertrauten Kameraden haben Coil am 20. Februar 1994 verloren, als der britische Kultregisseur Derek Jarman („The Garden“, „Edward II“) verstarb. Coil haben nicht nur an seinem letzten Film „Blue“ mitgewirkt, sondern auch den kompletten Score zu seinem 85er Werk „The Angelic Conversation“ geschrieben. Jarmans „poetische Träumerei“ über eine Männerliebe, die auf Shakespeares Sonetten basiert, setzten Coil mit minimalistischen Avantgarde-Ambient-Soundscapes um, die oftmals über den Charakter einer Geräuschkulisse nicht hinauskommen.
"‘The Angelic Conversation‘ war eine Film- und Musikkollaboration, die speziell für Coil ins Leben gerufen wurde. Wir konnten Derek nicht dazu bringen, einen geeigneten Video-Clip fürs Fernsehen zu machen, also machte er einen Film über Männerliebe daraus, der auf Shakespeares Sonetten basiert. Derek hat seitdem gesagt, dass es sein Lieblingsfilm ist. Ich weiß nicht, warum wir so viel Zeit brauchten, um den Soundtrack dazu zu veröffentlichen. Ich glaube, ich habe gedacht, dass die Musik nicht sehr gut für sich selbst funktionieren würde. Dann habe ich meine Einstellung geändert. Die Zeit verändert viele Dinge", stellte der Coil-Sänger fest.
"Das Stück, das wir für Dereks letzten Film ‚Blue‘ machten, war auch eines, das er sehr mochte. Bei Filmpremieren stand er von den Sitzen auf, lachte und applaudierte. Das Stück, das wir als blaue Vinyl-Single veröffentlichten, war bewusst als Darstellung einer geisterähnlichen Erinnerung an die Schwulenclubs Ende der 70er/Anfang der 80er gedacht, als Leute mit Fremden Sex in Hinterzimmern hatten und sich den HIV-Virus erstmals einfingen. Unsere Musik ist eine Verspottung des 70er Disco-Sounds, die dann zu einer höllenähnlichen Landschaft der Angst vor zukünftigen Geschehnissen wird, zurück zur Disco geht usw."
Der Disco-Sound hatte es Coil ohnehin sehr stark angetan. Mit den Veröffentlichungen auf ihrem neugegründeten Eskaton-Label - die Maxis „Nasa-Arab“ und „Philm“ sowie der Track „Protection“ von der „COIL vs ELpH“-Mini-CD - waren Coil weiterhin bereits für einige Club-Hits gut. Mit ihren Projekten wie Black Light District und The Eskaton haben sich Coil vermehrt experimenteller Dance Music gewidmet.
Neben dem bereits angekündigten „International Dark Skies“ sollte auch ein etwas aggressiveres, songorientierteres Album namens „Backwards“ auf Trent Reznors Nothing-Label erscheinen, wozu es leider auch nicht gekommen ist, aber zumindest kursiert es als Demo-Version in den Weiten des Internets.  
Coil wollten sich mehr auf den Soundtrackbereich konzentrieren und reisten nach Los Angeles, um sich mit Gus Van Sant („Drugstore Cowboy“, „My Private Idaho“) und Clive Barker („Hellraiser“, „Cabal“) zu treffen, doch es hat sich dabei nicht wirklich viel ergeben.
„Wir arbeiten bald an verschiedenen Film-Soundtracks. Leider wurden wir bei Oliver Stones ‚Natural Born Killers‘ nicht berücksichtigt. Vielleicht arbeiten wir bei seinem nächsten Projekt zusammen. Zu Greg Arakis Film ‚Totally Fucked Up‘ haben wir Musik beigetragen, und wir sind dabei, bei anderen US-Filmsoundtracks mitzuwirken. Wir wollen nichts Bestimmtes sagen, bis sie fertig sind. Wir werden die Musik zu einigen von frühen Derek-Jarman-Super-8-Filmen machen, die eventuell als Video-Compilation erscheinen werden. ‚Unnatural History II‘ wird dann veröffentlicht, wenn wir ein ähnlich außergewöhnliches Cover wie zur ersten gefunden haben. Die CD wird neben einigen unveröffentlichten Stücken auch 'Red Weather', den originalen 'Anal Staircase'-Mix, 'Another Brown World', 'Contains A Disclaimer', 'Scope' (ein neuer, kompletter Mix), 'S Is For Sleep' und viel mehr enthalten, z.B. auch Outtakes aus unseren neueren Projekten.“ Tatsächlich erschien nach „Unnatural History II“ (1995) zwei Jahre später auch Teil III der Compilation-Serie, diesmal u.a. mit einem Potpourri ihrer für Commercials produzierten Musik, dem bereits erwähnten „Feeder“-Track und der 12“-Version von „Panic“.
Mit „Musick To Play In The Dark“ erschien 1999 aber auch ein neues Coil-Album, das nach diversen Nebenprojekten von Jhonn Balance und Peter Christopherson und ungewöhnlichen musikstilistischen Ausflügen in experimentellere Ambient-Gefilde wieder die alten Fans versöhnte. Aufgenommen im neuen Coil-Studio und erschienen auf dem neuen, eigenen Chalice-Label, auf dem bereits der „Foxtrot“-Sampler zur Unterstützung der Bekämpfung von Jhonns Alkoholsucht veröffentlicht wurde, bot „Musick To Play In The Dark“ den hypnotischen, aber unkonventionellen Sound, der Coil so einzigartig gemacht hat. Da Coil bislang eine stetige Veränderung von eindringlichen orchestralen Versatzstücken mit dunkel brodelndem Pop-Flair über ritualistisch angehauchte Electro-Sequenzen bis zu rein magisch inspirierten avantgardistischen Ambient-Soundscapes forcierten, musste man sehr gespannt auf das neue Werk sein. Im Gegensatz zu dem mystischen Time-Machines-Nebenprojekt und dem vierteiligen Jahreszeiten-MCD-Zyklus, der Coil von einer experimentelleren und schwer zugänglichen Seite zeigte, haben Balance und Peter Christopherson zusammen mit Drew McDowall und Thighpaulsandra zurück zu einem hypnotischen und harmonischen Soundgeflecht gefunden.
Coil kreieren lunare bewusste Musik für eine vorhersehbare Zukunft“, erklärte Jhonn. „Es geht gegen die vorherigen magischen Themen, die wir heraufbeschworen haben. Wir lassen Dinge zu, die wir vorher ausgeschlossen haben. Das Weibliche. Das Zyklische. Und so weiter.“
Man mochte gerade in den filmmusikalisch wirkenden atmosphärischen Instrumentals wie dem über zwölfminütigen „Red Birds Will Fly Out of the East and Destroy Paris in a Night“ die Wärme und Harmonie feststellen, die die Verbindung des männlichen mit dem weiblichen Prinzip hervorruft. Gerade „Red Birds“, dessen prophetischer Titel auf einer Prophezeiung von Nostradamus basiert, zeigt aber auch den immensen Einfluss des neuen Coil-Mitstreiters Thighpaulsandra, der den Track zu 90% kreiert hat. Der von Stockhausen beeinflusste Keyboarder, der auch bei Spiritualized und Queen Elizabeth tätig war, verlieh dem Album seinen intensiven Ausdruck, der sich in ganz verschiedenen elektronischen Spielarten niederschlägt. So beginnt das elfminütige „Red Queen“, das von der Roten Königin in Lewis Carrols Büchern inspiriert wurde, als insektenartige Soundcollage, bevor es durch wunderschön dunkle Klaviertöne und Jhonns typischen Sprechgesang seinen elegischen Charakter gewinnt. Sehr poetisch und minimalistisch sind auch „Broccoli“, das dem Dichter Jeremy Reed gewidmet ist, und das auf William Blake bezogene „The Dreamer is Still Asleep“ ausgefallen. Adäquate Folgeveröffentlichungen waren der CD-Release der zuvor erschienenen limitierten Vinyl-Scheibe „Astral Disaster“ und im Jahre 2000 Vol. 2 von „Musick to Play in the Dark“, während die One-Track-Alben “Queens of the Circulating Library" und "Constant Shallowness Leads to Evil" (beide 2000) wieder experimenteller ausfielen.
Mit der “Live”-Serie began 2003 eine umfassende Dokumentation von Coils Live-Aktivitäten, die 2010 mit der 16 DVDs umfassenden Box “Colour Sound Oblivion“ ihren Höhepunkt erreichte. Dabei war das Kapitel im Jahre 2004 mit dem tragischen Unfalltod von Jhonn Balance bereits Geschichte. Posthum erschienen noch diverse experimentelle Werke wie „ANS“ und „The Remote Viewer“, aber auch die bemerkenswerteren Alben „Black Antlers“ (2004), „The Ape Of Naples“ (2005) und „The New Backwards“ (2008). Bevor Sleazy im Alter von 55 Jahren 2010 im Schlaf verstarb, verbrachte er noch eine schöne Zeit in seiner neuen Wahlheimat Bangkok …

Filmographie: 
1985 The Angelic Conversation, R: Derek Jarman
1992 Sara Dale’s Sensual Massage, R: Sara Dale
1992 The Gay Man’s Guide To Safer Sex, Terrence Higgins Trust
1992 The Living End, R: Greg Araki
1993 Blue, R: Derek Jarman
1993 Totally Fucked Up, R: Greg Araki
1995 The Doom Generation, R: Greg Araki
1995 Se7en, R: David Fincher
1996 Hustler White, R: Rick Castro & Bruce La Bruce
1996 Frisk, R: Todd Verow 
1997 Nowhere, R: Greg Araki 
2002 Rasputin: The Devil In The Flesh, R: Olly Lambert 
2007 Puffball, R: Nicolas Roeg
2009 Devil’s Dairymaid, R: Kym S. Farmen

Diskographie:
1984 Transparent LP/CS/CD
1984 How to Destroy Angels 12"
1984 Scatology LP/CS/CD
1985 Nightmare Culture EP split Current 93
1985 Panic/Tainted Love 12"/CD EP
1986 The Anal Staircase 12"
1985 Horse Rotorvator LP/CS/CD
1987 Gold is the Metal (with the Broadest Shoulders) LP/CS/CD
1986 The Wheel 7"
1987 The Consequences of Raising Hell (the unreleased themes for Hellraiser) 10"/CS/CD EP
1990 Wrong Eye/Scope 7"
1990 Unnatural History (Compilation Tracks Compiled) CD
1990 Windowpane 12"/CD EP
1991 Love's Secret Domain LP/CS/CD
1991 The Snow 12"/CS/CD EP
1992 Stolen and Contaminated Songs CD
1992 How to Destroy Angels (Remixes and Re-Recordings) CD
1993 Airborne Bells/Is Suicide a Solution? 7"
1993 Themes for Derek Jarman's Blue 7"
1994 The Angelic Conversation CD
1994 Nasa Arab/First Dark Ride 12" Coil vs. the Eskaton
1994 Born Again Pagans CD EP Coil vs. ELpH
1994 pHILM #1 10" as ELpH
1995 Worship the Glitch CD/2x10" ELpH vs. Coil
1995 Windowpane/The Snow CD
1995 Unnatural History II (Smiling in the Face of Perversity) CD
1996 A Thousand Lights in a Darkened Room CD/2xLP as Black Light District
1997 Unnatural History III (Joyful Participation in the Sorrows of the World) CD
1998 Time Machines CD/2xLP as Time Machines
1998 Spring Equinox 7"/CD EP
1998 Summer Solstice 7"/CD EP
1998 Autumn Equinox 7"/CD EP
1999 Winter Solstice 7"/CD EP
1999 Astral Disaster LP/CD
1999 Musick to Play In the Dark Vol. 1 CD/LP
1999 Zwolf CD LP as ELpH
2000 Queens of the Circulating Library CD LP
2000 Musick to Play In the Dark Vol. 2 CD/2xLP
2000 Time Machines from the Heart of Darkness CD as Time Machines
2000 Constant Shallowness Leads to Evil CD
2001 A Guide for Beginners: A Silver Voice CD + A Golden Hair CD
2002 The Remote Viewer CD-R/2CD
2003 Live Four CD
2003 Live Three CD
2003 The Restitution of Decayed Intelligence 10"
2003 ANS CD
2003 Live Two CD
2003 Live One 2CD
2003 Live Box 6CD+CD-R
2003 Megalithomania! CD-R
2004 Black Antlers CD-R/2CD
2004 Selvaggina: Go Back Into The Woods CD-R
2004 ANS 3xCD+DVD
2005 …And the Ambulance Died in His Arms CD
2005 The Ape of Naples CD/4LP
2006 Live In Porto CD
2006 Animal Are You? CDS
2008 The New Backwards CD
2010 Colour Sound Oblivion 16xDVD

Playlist:
1 Coil - Never (The Angelic Conversation) - 06:02
2 Coil - Hellraiser Theme (Hellraiser) - 02:48
3 Coil - The Hellbound Heart (Hellraiser) - 02:20
4 Coil - The Box Theme (Hellraiser) - 03:04
5 Coil - No New World (Hellraiser) - 03:56
6 Coil - Main Title (Hellraiser) - 03:12
7 Coil vs ELpH - Protection (The Gay Man's Guide To Safer Sex) - 06:54
8 Coil - Further Back And Faster (The Living End) - 07:55
9 Coil - Theme From Blue (Blue) - 02:20
10 Coil - The Snow (The Living End) - 06:40
11 Coil - Who'll Tell? (Totally Fucked Up) - 03:13
12 Coil - Dark River (Frisk) - 06:29
13 Coil - First Dark Ride (The Doom Generation) - 10:51
14 Coil - Another Brown World (Unnatural History II) - 09:40
15 Coil - At The Heart Of It All (Frisk) - 05:11
16 Coil - Tainted Love (Hustler White) - 05:52
17 Coil - Tenderness Of Wolves (Frisk) - 04:25
18 Coil - Amethyst Deceivers (Puffball) - 06:41
19 Coil - The Sleeper II (Frisk) - 05:21
20 Coil - Bee Has The Photos (Frisk) - 04:55
21 Coil - Dismal Orb (Frisk) - 07:33
22 Coil - The Sea Princess (Astral Disaster) - 14:10
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Samstag, 3. März 2012

DIE 2. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 02./03.03.2012 - 84. ACADEMY AWARDS Special

Mit gewohnt großer Spannung wurden in der vergangenen Sonntagnacht zum 84. Mal in Hollywood die OSCARS® verliehen. Als großer Favorit ging der französische Film „The Artist“ mit zehn Nominierungen ins Rennen, von denen er immerhin fünf einheimsen konnte – darunter auch in der Kategorie „Music (Original Score)“.  

„The Artist“ spielt im Hollywood der 20er Jahre und erzählt die Geschichte zweier Schicksale. Während George Valentin (Jean Dujardin) als Superstar die Herzen des Publikums zufliegen, liegt die Karriere der Statistin Peppy Miller (Bérénice Bejo) noch in den Anfängen. Doch als der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst zu werden beginnt, neigt sich Valentins Karriere dem Ende zu, während die neue Technik den Durchbruch für Peppy Miller bedeutet.
„Dem Franzosen Michel Hazanavicius ist mit ‚The Artist‘ eine brillante Hommage an das alte Hollywood gelungen. Er erzählt vom Niedergang eines Stummfilmstars, der sich dem Tonfilm verweigert – und huldigt selber der älteren Form. Denn es handelt sich gleichfalls um einen elegant fotografierten schwarz-weißen Stummfilm, der spielerisch-ironisch typische Elemente von Abenteuerfilmen, Liebeskomödien und Melodramen der späten zwanziger Jahre aufnimmt. Es ist eine Liebeserklärung ans Filmemachen, ungeheuer spritzig, voller kurioser Ideen, von großem Detailreichtum und getragen von hervorragenden Schauspielern, die mimisch und gestisch Glanzleistungen vollbringen“, zeigt sich Susanne Ostwald in der Neue Zürcher Zeitung begeistert. 
Während Jean Dujardin als „Bester Hauptdarsteller“ prämiert wurde, Mark Bridges für das Kostümdesign und Ludovic Bource für die beste Originalmusik, gewann „The Artist“ auch in den wesentlichen Kategorien „Beste Regie“ und „Bester Film“.
Erfolgreich – mit Oscar®-Auszeichnungen in den Kategorien „Beste Kamera“, „Beste künstlerische Gestaltung“, „Bestes Sound Editing“, „Bestes Sound Mixing“ und „Beste visuelle Effekte“ - schnitt auch Martin Scorseses Verfilmung von Brian Selznicks Bestseller „The Invention of Hugo Cabret“ ab.
Der Film spielt im Paris der 30er Jahre, wo der 12-jährige Waisenjunge Hugo versteckt in einem Bahnhof lebt und wie sein verstorbener Vater täglich die Uhren des Bahnhofs aufzieht. Als er den von seinem Vater konstruierten Automatenmenschen wieder zum Laufen bringen will, stößt er auf mysteriöse Geheimnisse und gerät in ein magisches Abenteuer, das Howard Shore meisterhaft musikalisch untermalt hat.
„Dieser Film ist eine Fantasy-Geschichte, die eher als an Scorsese und das italoamerikanische Kino an ein Werk von Steven Spielberg erinnert und an Jean-Pierre Jeunets 'Die fabelhafte Welt der Amelie'. Und es ist eine höchst vergnügliche Einführung in die Geschichte des Films, eine Hohelied auf das Kino (im Dunkeln, mit anderen Leuten, nicht auf DVD in Pantoffeln vor der Glotze), eine Liebeserklärung ans Bücherlesen und Filmegucken, an die Macht der Phantasie und an das Sich-Verlieren in märchenhafte Traumwelten“, schwärmt Rüdiger Suchsland auf heise.de
Weitere Oscars® gingen u.a. an Meryl Streep mit ihrer Verkörperung der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher als „Beste Hauptdarstellerin“ und „Rango“ als „Bester Animationsfilm“. So gibt es in dieser Stunde natürlich Musik von Hans Zimmer zu hören, der nicht nur „Rango“ vertont hat, sondern auch das diesjährige Thema zur Oscar®-Verleihung komponierte.
Thomas Newman darf auch nicht fehlen. Auch wenn er in diesem Jahr mit keiner seiner großartigen Filmmusiken für einen Academy Award nominiert war, sind doch zwei seiner Filme, an denen er wirkte, ausgezeichnet worden, nämlich das erwähnte Thatcher-Biopic „The Iron Lady“ und das Drama „The Help“.
Abgerundet wird der Rückblick auf die 84. Oscar®-Verleihung mit der nominierten Musik von John Williams zu den beiden Steven-Spielberg-Filmen „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ und „Gefährten“ sowie die von Alberto Iglesias zu dem Spionage-Drama „Tinker Tailor Soldier Spy“.
Eine vollständige Übersicht über die Oscar®-Nominierungen und –Auszeichnungen findet ihr hier.

Playlist:
1 Hans Zimmer - Celebrate The Oscars (Celebrate The Oscars) - 03:04
2 Ludovic Bource - 1927 A Russian Affair (The Artist)- 02:50
3 Ludovic Bource - George Valentin (The Artist) - 05:38
4 Howard Shore - The Thief (Hugo) - 04:21
5 John Williams - Red Rackham's Course and the Treasure (The Adventures of Tintin - The Secret Of The Unicorn) - 04:49
6 John Williams - Pulling the Cannon (War Horse) - 04:11
7 Alberto Iglesias - George Smiley (Tinker,Tailor,Soldier,Spy) - 05:18
8 Thomas Newman - Swing Parliamennt (The Iron Lady) - 03:41
9 Thomas Newman - Ain't You Tired (The Help) - 06:28
10 Hans Zimmer - Rango Suite (Rango) - 06:00
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