Radio ZuSa

Sonntag, 25. April 2010

Playlist # 31 vom 25.04.10 - MARCELO ZARVOS Special

Der brasilianische Pianist und Komponist Marcelo Zarvos ist gerade mit zwei neuen Arbeiten im Kino vertreten und als Soundtrack auch zuhause zu genießen: Zu Antoine Fuquas Cop-Drama „Brooklyn’s Finest“ schrieb er einen eindringlich-aufwühlenden, recht düsteren Score, zum neuen Film mit „Twilight“-Star Robert Pattinson „Remember Me“ eine gefühlvoll-romantische Musik.
Bevor er als Filmkomponist im Jahre 2004 erstmals mit dem Soundtrack zu Tod Williams‘ Drama „The Door In The Floor“ (nach dem John-Irving-Roman „Witwe für ein Jahr“) aufhorchen ließ, lernte er schon als Teenager in São Paulo beim deutschen Komponisten H.J. Koelreutter die Grundlagen der klassischen Musik und studierte schließlich am Berklee College of Music, am California Institute of the Arts und am Hunter College. Er komponierte Musik für Tanz- und Theater-Produktionen, für den Konzertsaal, Fernsehen und Kino. Daneben veröffentlichte er mit „Labyrinths“, „Dualism“ und „Music Journal“ drei Alben, die in der Jazz-Szene für Furore sorgten.
Seit seinem Durchbruch mit „The Door In The Floor“ ist Marcelo Zarvos in Hollywood ein gefragter Mann. Es folgten u.a. „Hollywoodland“, Robert De Niros „Der gute Hirte“, die Gauner-Komödie „You Kill Me“ und das Drama „Winged Creatures“.
Playlist
1 Marcelo Zarvos - Reprise (The Door In The Floor) - 04:04
2 Marcelo Zarvos & Bruce Fowler - Day Of The Locusts (The Good Shepherd) - 04:39
3 Marcelo Zarvos - Best That Life Has To Offer (The Air I Breathe) - 01:56
4 Marcelo Zarvos - Some Gave All (Taking Chance) - 06:00
5 Marcelo Zarvos - Landfill Chase (What Just Happened?) - 03:13
6 Marcelo Zarvos - Rio Grande (Sin Nombre) - 05:00
7 Marcelo Zarvos - The Will (Hollywoodland) - 04:09
8 Marcelo Zarvos - One More Year (Music Journal) - 03:34
9 Marcelo Zarvos - Saint Michael's Prayer (Brooklyn's Finest) - 09:06
10 Marcelo Zarvos - The Leg (The Door In The Floor) - 06:20
11 Marcelo Zarvos - Morning Montage (Remember Me) - 07:43

Filmographie:
1999 - Uma História de Futebol
2000 - Tully
2001 - Kissing Jessica Stein
2001 - The Buffalo War
2002 - 2wks, 1yr
2002 - Abbie Down East
2002 - Xingu: Land of No Shame
2003 - La sexta sección
2003 - The Mudge Boy
2004 - The Door in the Floor
2005 - Escape Artists
2005 - Four Lane Highway
2005 - Our Brand Is Crisis
2005 - Strangers with Candy
2005 - The Boynton Beach Bereavement Club
2005 - The Foster Son
2006 - Cosmic Collisions
2006 - Hollywoodland
2006 - Ira & Abby
2006 - The Architect
2006 - The Good Shepherd
2007 - The Air I Breathe
2007 - Trainwreck: My Life as an Idoit
2007 - You Kill Me
2008 - Bitter Memories
2008 - Última Parada 174
2008 - What Just Happened
2008 - Winged Creatures
2009 - Brooklyn's Finest
2009 - New York, I Love You (Beitrag "Joshua Marston")
2009 - Sin nombre
2009 - Taking Chance (TV)
2010 - Remember Me
2010 - You Don't Know Jack (TV)
2010 - Please Give
2010 – Beastly

Sonntag, 11. April 2010

Graeme Revell (Teil 1) - Das wahre Experiment

"Am meisten interessiert mich die Originalität ... soweit es mich betrifft, ist alles, was ein Geräusch macht, Musik", meinte Graeme Revell in den Anfangsjahren seiner 1978 gegründeten Band SPK, seinem langjährigen musikalischen Projekt, mit dem der 1955 in Neuseeland geborene Revell stets auf experimentell-innovative Weise auf der Suche nach neuen Sounds und deren Umsetzung in neue musikalische Ausdrucksformen gewesen war. Dieses Statement darf man durchaus als Programm eines Komponisten verstehen, der seit 1986 unter eigenem Namen ungewöhnliche Musik auf seinem damaligen Musique-Brut-Label und Filmsoundtracks ("The Crow", "Strange Days") produziert. 
Dass Revell unter Hollywoods jüngerer Komponistengeneration zu den wenigen gehört, die außerhalb eingefahrener Kompositionsweisen nach originellen Tönen in der Filmmusik streben, prädestiniert ihn als Komponist für entsprechend ungewöhnliche Filme, die mit konventionellen Kompositionsschemata nicht mehr adäquat musikalisch untermalt werden können und deshalb nach neuen Klangstrukturen verlangen. Insofern zählt Revell tatsächlich zu den interessanteren Vertretern von Filmmusikkomponisten, weshalb zunächst ein Blick zurück auf seine noch ungewöhnlichere musikalische Vergangenheit angebracht zu sein scheint.

Die 1978 in Australien vom psychiatrischen Krankenpfleger Graeme Revell gegründete Band SPK bezog sich mit ihren Namen auf das deutsche "Sozialistische Patienten Kollektiv", ein  Zusammenschluss von geisteskranken Patienten, die den Slogan "Kill Kill Kill For Inner Peace And Mental Health" prägten. Revell tat sich mit einem seiner zu beaufsichtigenden Patienten, Ne/H/iL, zusammen und versuchte sich einerseits dem Ausschluss durch die Gesellschaft zu entziehen, von dem die beiden als Teil einer psychiatrischen Anstalt betroffen waren, zum anderen ging es Revell darum, die akzeptierten Beschränkungen im künstlerischen Schaffensprozess aufzuheben, indem er ein aus Sounds, Texten, provozierendem Artwork, Dias, Filmen und Videos bestehendes Multi-Media-Konzept entwarf. Nachdem Revell, der u.a. für die Verabreichung der Drogen und die Anwendung von Elektroschocks verantwortlich war, feststellen musste, dass das Leiden der Patienten größtenteils auf die Therapien zurückzuführen war, tat er zwar alles in seiner Macht stehende, um beispielsweise die musikalischen Talente seiner Patienten zu entwickeln, doch schien auch dieses Bemühen hoffnungslos. Mit Ne/H/iL war allerdings auch ein Patient darunter, der sich für progressive Musik, Mode, Filme und Philosophien Ende der 70er interessierte und verschiedene Terroristengruppen bewunderte.
Mit Ne/H/iL teilte sich Revell 1978 ein Haus, diskutierte mit ihm über Ne/H/iLs Interessen und hörte mit ihm Musik von Kraftwerk, Can, Neu!, Faust und John Cage, woraufhin die beiden begannen, selbst Musik zu machen. Nachdem man sich in einer psychiatrischen Anstalt kennengelernt und sich nach einer Gruppe mit ähnlichen Ursprüngen benannt hatte, entschieden sich SPK, den Wahnsinn zu einem zentralen Thema ihrer Arbeit zu machen.
Dabei stellten sie Etiketten wie verrückt und gesund, schön und schlecht, abweichend und progressiv in Frage. Solchermaßen besorgt um die Einordnung von Menschen und Verhaltensweisen, nahmen sie Pseudonyme an: Revell nannte sich nach seinem Synthesizer EMS/AKS, während der Patient seinen Geburtsnamen in Ne/H/iL umwandelte. Auch ihren Sound veränderten SPK auf eine Weise, dass sie sich sowohl von allem, was bislang zu hören war, entfernten als auch immer wieder von ihrem eigenen Output. SPK hatten kein Interesse daran, als loyale Opposition zu der Darstellung von Serienkillern, Verrückten und Tyrannen in den Massenmedien zu fungieren, sondern wollten der Mehrheit der Außenseiter, zu denen auch die Geisteskranken zählen, eine Stimme verleihen. Indem sie sich auf die namenlosen Individuen und nicht auf die berühmten Verrückten wie Charles Manson konzentrierten, stellten SPK die fragwürdige Dichotomie zwischen abnormal und normal heraus. SPK operierten dabei völlig außerhalb der Musikindustrie, produzierten ihre Werke, nahmen sie auf und vertrieben sie selbst, ohne Anzeigen zu schalten, an Compilations teilzunehmen oder Interviews zu geben, und verkauften ihre Werke in provokativer Verpackung.
Nachdem SPK auf ihrem eigenen Label Side Effects schon 1979 zwei EPs veröffentlicht hatten ("No More/Kontakt/Germanik" und "Faktory/Retard/Slogun"; teilweise finden sich die Songs auf dem 1983 veröffentlichten und im Januar 1994 als CD erschienenen Album "Auto-Da-Fé" wieder), arbeitete die Band an ihrem ersten Album "Information Overload Unit". Obwohl SPK oft in die "Industrial"-Schublade gesteckt wurden, hat sich Revell selbst immer gegen diese Kategorisierung gewehrt.
"Ich habe immer gesagt, dass ich in keiner Weise daran interessiert bin, als Industrialband betrachtet zu werden. Ich würde dem zustimmen, dass Throbbing Gristle die einzige frühe Industrialband gewesen sind. Sie haben fast ausschließlich innerhalb eines verallgemeinerten Codes von Paranoia operiert - daher ihre Verwandtschaft mit Burroughs, Crowley und Manson.
Von Beginn an habe ich versucht, eine beträchtliche Distanz zu dem zu gewinnen, da ich es für einen altmodischen und ziemlich irrelevanten Diskurs halte. Der Schriftsteller, der für die Laien am ehesten diese post-industriellen oder post-modernen Ideen nachzeichnet, ist nicht etwa Burroughs, sondern J.G. Ballard in Werken wie `Crash´. Er konzentrierte sich mehr auf die Konzepte von Verführung, Einwilligung, symbolischen Nebenbedeutungen und Zufallsverbindungen, welche weit mehr symptomatisch dafür sind, wie der zeitgenössische Sozialcode unsere Seelen einverleibt. Bis zu einem gewissen Grade handelte der Punk Rock einiges auf diesem Gebiet besser ab als Throbbing Gristle, weil er mehr die Verbindungen mit stilistischer Identifikation, Mode und den Medien erkannte, aber letztlich war der Punk eine zu sehr negative Kritik.
Auf ähnliche Weise verlegten Throbbing Gristle zu sehr ihren Schwerpunkt auf berühmte Verrückte (vor allem Manson), während SPK auf die riesige Anzahl von unbekannten `Verrückten´ aufmerksam zu machen versuchten, die von einer Konsumgesellschaft zum Sündenbock dafür gemacht wurden, dass sie mit ihren Kapazitäten nicht den gesellschaftsrelevanten Ansprüchen gewachsen sind. Es ging auch um die Ablehnung von nicht annehmbaren Ausdrücken dieser Gesellschaft, so gut wir es in diesem Zusammenhang vermochten", erklärt Revell, meint aber auch: "Wie auch immer, ich habe nichts dagegen, dass die Musikpresse und andere genügend Ähnlichkeiten gefunden haben zwischen unseren Einstellungen und denen von Industrialbands. Das ist immer der Fall in der Kunstgeschichte gewesen - Kritiker brauchen Schubladen. "
Songtitel wie "Macht Schrecken", "Stammheim Torturkammer" oder "Kaltbruchig Acideath" legen bereits nahe, dass der Hörer mit wüstesten, elektronisch manipulierten Soundcollagen bombardiert wird, deren unruhig pulsierender Maschinenryhthmus eine Atmosphäre verdichtet, die geradewegs dem Seelenzustand Geisteskarnker zu entspringen scheint.
"Ich glaube nicht, dass es viele andere Bands gab, die versucht haben, ziemlich uninterpretierbare Geräuschwälle wie wir zu produzieren - vielleicht nur TG. Also wurden wir als 'ähnlich wie TG' charakterisiert. Wir dachten, dass wir nicht so sehr wie sie klangen; tatsächlich haben wir verzweifelt versucht, nicht wie sie zu klingen. Nun, was passiert, wenn Leute dieser Art von Sachen begegnen, ist: sie können nicht zwischen solchen Produkten unterscheiden, oder zwischen Ideen. Ich glaube, unsere Sounds sind ein Versuch, einen Eindruck von einer anderen Weltordnung zu vermitteln.
Und wir sind kritisch gewesen, aber wir haben auch versucht, positiv in dem Sinne zu sein, dass wir versuchten, viel Energie einzusetzen, da eines der Dinge, die wir kritisierten, Apathie war." Ausdruck fanden diese Eindrücke und Ideen nicht nur in heftigen Live-Performances, bei denen Revell das Publikum mit Feuerwerfern attackierte, das Gehirn von Schafen verzehrte oder ekelerregende Videos ("Despair") präsentierte, sondern auch in diversen Texten, die der 1979 in Paris Philosophie, Anti-Psychiatrie, Literatur, Musikwissenschaften und Semiotik studierende Revell zu Aspekten u.a. der Sexualität, der Informationsgesellschaft und Kontrollmechanismen verfasste, sowie in dem provokativen Artwork, das Foltermethoden, medizinische Apparaturen und Operationen sowie missgebildete Kinder verarbeitete.
"Ich denke, unsere Bilder reflektieren eine bizarre Weltsicht, einen Sinn für Schönheit im Bizarren. Wir sind keine völlig stoischen, depressiven Typen, die irgendjemandem verbieten, eine Vorstellung von der Schönheit zu haben, aber was wir tun, ist, jegliche ästhetische Idee abzulehnen, die uns entweder durch die Konvention oder durch eher soziale oder ähnliche Vorgaben diktiert wird. Es ist alles verdünnt worden, es betrifft nicht eine Verbindung zu irgendeinem unbewussten Prozess", erklärt Revell. "Deshalb haben wir uns nicht wirklich um irgendeines der Bilder gekümmert, wir haben nicht diese Art von bewusst erlernter Kunst mitgebracht. Wir machten Collagen, aber nicht in jüngster Zeit. Die Wirklichkeit schien uns ausreichend. Und ich denke, es ist Schönheit in allem. Ich persönlich versuche mich mit einer Welt zu umgeben, in der ich gern leben würde, selbst wenn ich nicht in ihr leben könnte."

Als ein DJ, der ein Interview mit Throbbing Gristle geführt hatte, Genesis P-Orridge eine SPK-Single zusandte, zeigte sich dieser beeindruckt und machte Revell ein Angebot, die zweite SPK-Single auf dem Industrial-Records-Label wiederzuveröffentlichen. Da Revell kein Geld hatte, um sie zu produzieren, nahm er das Angebot an und veröffentlichte dort die Single "Mekano / Slogun" unter dem Namen Surgical Penis Klinik, nachdem Ne/H/iL die Band verlassen hatte. Revell, der sich nun Operator nannte, zog im Juni 1980 nach England und verbrachte etwas Zeit mit den Leuten von Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire. Brian Williams alias Lustmord - der später Graeme Revells Music Sound Designer in Hollywood wurde -, der von TGs Cosey eine SPK-Single nach Wales zugeschickt bekam, war sowohl vom Bandnamen als auch der Musik begeistert und begann eine Korrespondenz mit Revell, der Lustmord nach London einlud, um mit ihm im April 1981 in "The Crypt" live zu spielen. Unter den ca. 30 Gästen befanden sich auch illustre Leute aus dem Industrial-Bereich wie Steven Stapleton (Nurse With Wound), John Balance (Coil) und Nigel Ayers (Nocturnal Emissions), der die Show aufnahm und später Lustmords Debütalbum auf seinem Sterile-Records-Label veröffentlichte.
Die prägnanten SPK-Alben "Information Overload Unit" (1980) und "Leichenschrei" (1982) erschienen wieder auf dem Side-Effects-Label. Dieses wurde in London nicht mehr von Revell selbst, sondern von seinem Freund Brian Williams geleitet, der durch die Unterstützung von Revell und anderen Freunden aus der Industrial-Szene anfing, unter dem Namen Lustmord selbst Musik zu machen.
Nachdem "Leichenschrei" aufgenommen worden war, organisierte Graeme Revell eine ausführliche Tour, die SPK 1982 durch die USA und Europa führte. Zurück in London tat er sich mit Sinan, einer Australierin chinesischer Abstammung zusammen, die die Universität in Sydney mit einem Abschluss in Psychologie absolvierte, und begann, andere musikalische Wege einzuschlagen. Mit dem neuen tanzbaren Metal-Percussion-Sound vollzogen SPK den Wechsel zum Plattenmulti WEA, wo 1984 das Album "Machine Age Voodoo" veröffentlicht wurde, für das Revells jetziger Kollege Hans Zimmer das Programmieren der Synthesizer übernommen hatte.
Obwohl SPK oft Verrat vorgeworfen wurde, da sie ihre ursprünglichen Ideale der Kommerzialisierung preisgegeben hätten, ist doch nicht einzusehen, dass eine musikalische Weiterentwicklung, sei sie auch in Richtung populärerer Klänge, gerade in einem so experimentellen Genre wie der Industrial Culture verpönt sein soll. "Warum soll eine Band zehn Jahre lang die gleichen Sachen machen?", fragt sich Graeme Revell, der 1984 mit seinem Metal-Pop-Album "Machine Age Voodoo" den ursprünglichen Industrial-Kontext endgültig verlassen hatte und dessen Elemente popularisierte. "Das ist nicht das, was worum es uns geht. Uns geht es darum, uns jedesmal zu ändern, wenn wir etwas veröffentlichen. Das frühe Material ist ohnehin ganz verschieden, das erste Album ist total anders als das zweite.
Und wenn die Leute sagen, dass wir uns verkaufen, nun, man kann wirklich alles im Indie-Sektor machen, wozu man Lust hat.
Das wahre Experiment resultiert aus den Versuchen außerhalb des Gewöhnlichen im Major-Bereich, wenn die Zensur dich erfasst. So fühlten wir uns, als wir soviel wie uns möglich war im Indie-Sektor getan hatten, und das war das Ende des Experiments."
Obwohl der Ausflug in kommerziellere Gefilde kein einmaliger bleiben sollte (1986 erschien das geradezu poppige "Digitalis Ambigua"-Album), widmeten sich SPK ab 1986 ambitionierteren Projekten.
Zunächst entstand im heimatlichen Australien "Zamia Lehmanni", ein ungewohnt ruhiges, euro-byzantinisch-ethnisches Werk mit fesselnder, exotisch-betörender Aura.
Durch den Einsatz von tibetanischen Trommeln, dem Choir of the Russion Old Orthodox Church of the Holy Annunciation, Kongas, javanesischen, neu-guineischen und afrikanischen Flöten, Holzblöcken, Marimbas, prophetischen Stimmen, Glocken, Fabrikhörnern, Metallstücken, Cello, Eisenbahnfahrgeräuschen und Piano versuchte Revell den Einfluss byzantischer Kunst auf die europäische Kultur zu veranschaulichen (der Untertitel des Albums lautet "Songs of Byzantine Flowers") und zitierte auf dem Albumcover Egon Wellesz aus seinem Buch "Byzantine Music and Hymnography", der feststellte, dass kein einziges musikalisches Instrument in Mitteleuropa beheimatet wäre, sondern dass sie alle aus Asien eingeführt worden wären.
"Ich habe viel östliche Philosophien gelesen, und als ich im Alter von ungefähr 19 Jahren den chinesischen und tibetischen Buddhismus kennengelernt habe, war das tatsächlich ein Wendepunkt in meinem Leben. Aber das hatte eigentlich keinen Einfluss auf `Zamia Lehmanni´. Der wahre Impuls entsprang zwei Gründen: Zum einen glaubte ich, dass von uns ebenso wie den anderen zu jener Zeit genügend zu einer post-industriellen Anthropologie von Schrott-Percussions gesagt worden ist. Ich wollte eine neue Art des Ausdrucks. Zum anderen habe ich die byzantinische Mischkultur als eine Metapher angesehen. Sie war sowohl eine historische Kreuzung als auch ein Treibhaus zwischen Ost und West, während ich in der gleichen Position zwischen Nord und Süd saß. Meine Vorfahren waren auf Inseln im Südpazifik gestrandet und gezwungen, eine neue Kultur für uns aufzubauen. Diese Mischung aus der unmittelbaren Umgebung (Asien und die naheliegenden Inselkulturen) und meinem entfernten europäischen Erbe (englisch, irisch, französisch) war das, was mich an der Arbeit mit `Zamia Lehmanni´ interessiert hat. Ich konnte nicht beanspruchen, ein ähnlich spirituelles Gefühl wie bei den tibetischen Mönchen zu erreichen, aber nachdem meine frühen Perioden von einer manischen und oft gewalttätigen Energie geprägt waren, war dieses Werk pazifistischer und erwies sich als besser. Es ist mein Lieblingswerk."
Abgesehen davon, dass Graeme Revell mit diesem Meisterwerk sich den Weg ins Filmmusikgeschäft ebnete, wurde damit Revells musikalisch-stilistische Vielfalt mehr als zuvor verdeutlicht.
"Die Art und Weise, wie ich meine künstlerische Karriere gestaltete, war die einzige für einen ungelernten Komponisten (der nicht über die Kontakte eines klassisch Graduierten oder Professors verfügt), um genügend Aufmerksamkeit zu erlangen, dass ich später auch von seriösen Musikausschüssen wahrgenommen werde."
Mit "Musique Brut" gründete er schon 1985 ein Sublabel von Side Effects und widmete sich Dingen und Künstlern, die sich der "Innovation" verschworen haben.
Die erste Veröffentlichung auf diesem Label war 1986 das Album "Necropolis, Amphibians & Reptiles", das sich mit Interpretationen des posthum berühmten Irrenkünstlers Adolf Wölfli beschäftigte.
"Meine Kenntnisnahme von Wölfli resultierte aus meiner Pariser Periode, als ich viele Monate lang jeden Tag etwas las, alles mögliche über seltsame Dinge. Ich denke, dass ich das erste Mal auf die Kunst Geisteskranker durch das Buch 'Anti-Ödipus' von Deleuze und Guattare gestoßen bin. Danach hat mich diese Art von Kunst ungemein interessiert, vor allem die Möglichkeiten von Wölflis Musik. In musikalischer Hinsicht können wir über den Prozess des musikalischen Schaffens von Wölflis verschiedenen Methoden der Darstellung in ihrer dekorativen, bildhaften, symbolischen und verbalen Weise mehr lernen als durch das Festhalten an den heute akzeptierten Formen. Im 20. Jh. haben wir mittlerweile viele dieser Formen erforscht, z.B. die verbalen Anweisungen von Cage zur Instrumentierung und Dauer der Stücke, während sie andererseits durch den Zufall bestimmt werden; die bildlichen Partituren von Martin Davorin Jagodic; die architektonischen Ideen von Xenakis, um nur einige zu nennen. Wölfli muss sowohl als individuelles Phänomen als auch als eines seiner Zeit betrachtet werden, einer Zeit, in der neue Formen am Entstehen waren: Schönberg und Webern auf der einen Seite, Satie und Debussy auf der anderen. Wie mag sich die Musikgeschichte entwickelt haben, wenn Wölfli ein 'offizieller' Bestandteil von ihr gewesen wäre?"
Ebenfalls 1986 erschien auf Musique Brut das experimentelle Album "The Insect Musicians", für das Revell zwei Jahre lang von Australien nach Europa, Afrika, Indonesien und Nordamerika reiste, um verschiedene Insektengeräusche aufzunehmen (z.B. indonesische, indische, afrikanische, europäische und australische Zikaden, rote Wespen, Tse Tse-Fliegen, Wiesengrashüpfer, Hausgrille). Ein weiteres Jahr verbrachte er damit, die ungefähr vierzig Sounds zu sammeln und umzuwandeln, um später mit dem Fairlight-Computer die Platte zu produzieren.
"'The Insect Musicians' wurde durch das Buch von Lafcadio Hearn, 'Exotics and Retrospectives', inspiriert, das ich von Monte Cazazza (dem geistigen Urvater der Industrial-Bewegung, der für Throbbing Gristle das Motto prägte: "Industrial Music For Industrial People", Anm. d. Verf.) geschenkt bekam. Ich denke, es erwähnte den japanischen Brauch, Insekten für ihre Lieder zu halten, und meine jüngste Erwerbung eines Fairlight-Computers gab mir die Idee. Ich würde immer noch gern eines Tages ein ähnliches Projekt verwirklichen, und zwar mit der Benutzung von Echo-Ortungswellen von Fledermäusen - die sich allesamt außerhalb des menschlichen Hörbereichs befinden -, indem ich sie auf interessante Weise in diesen Bereich bringe."
Obwohl Revell für Musique Brut noch Pläne hatte, ein Album mit geistig behinderten Kindern zu machen und eines mit Mrs. Brown, einer Frau aus England, die behauptet, nie eine musikalische Ausbildung erhalten zu haben und dass ihre Stücke ihr von Chopin und Beethoven eingegeben worden seien, wurden sie bislang ebenfalls nicht verwirklicht.
"Ich war schwer enttäuscht, was die Rezeption bzw. Nicht-Rezeption bezüglich meiner Musique-Brut-Arbeiten durch die seriöse Musikgesellschaft anging. Ich beabsichtige nicht, meine Zeit noch einmal zu verschwenden, bis ich nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt bekomme", empörte sich Revell, der eine klassische Klavier- und Hornausbildung genoss und John Cage und Edgar Varese als wichtigste Einflüsse nennt.

Graeme Revell (Teil 2) - Streben nach Originalität

1988 schrieb Graeme Revell für "Dead Calm", einen Film von Phillip Noyce, seinen ersten Soundtrack und gewann damit den "Australian AFI Award" für die beste Filmmusik, nachdem bereits "Zamia Lehmanni" konzeptionell als Soundtrack angelegt war.

"Der originale Arbeitstitel von 'Zamia Lehmanni' war 'Music for impossible films' - unmöglich, weil ich dachte, nie die Chance zu erhalten, Filmmusik zu machen. Es erwies sich als perfektes Timing, denn 'In Flagrante Delicto' wurde die Grundlage für den Soundtrack von 'Dead Calm'.
Ich entwickelte ein Interesse an Filmmusik, weil ich immer, wenn ich Musik schrieb, visuelle Ideen im Kopf hatte und so Themen für kleine Szenarien komponierte. Ich hatte nie ein Faible für Pop- oder Rock-strukturierte Songs. Ich habe schon als Kind die Aufteilung in Vers und Refrain gehasst. Als ich anfing, experimentelle - oder wie immer man es auch nennen möchte - Musik zu machen, versuchte ich, mich von diesen Strukturen zu lösen. In dieser Hinsicht schien die Filmmusik eine neue Herausforderung zu sein, weil es hier nur darum ging, die Musik mit den Bildern in Einklang zu bringen und keine festen musikalischen Strukturen beachtet werden mussten."
Die Umstellung von eigenverantwortlichen Projekten, die Revell sowohl mit SPK als auch mit seinen Musique-Brut-Arbeiten verwirklichte, hin zu Auftragsarbeiten im Filmgeschäft war keine geringe.
"Der größte Unterschied besteht darin, dass das Material von SPK meinen eigenen Vorstellungen entsprang. Bei Filmen habe ich es mit der Umsetzung von Ideen anderer zu tun, denen des Drehbuchautors und des Regisseurs. In diesen Projekten bin ich ein Sklave, und es ist meine Aufgabe, die Wirkung der Story und der Bilder zu erhöhen. Insofern hängt es von den Emotionen und Aktionen auf der Leinwand ab. Da ich mit SPK viele verschiedene Sachen verwirklicht habe, verfüge ich nicht über einen eindeutigen Stil. Tatsächlich bin ich als Filmkomponist gerade deshalb so gefragt, weil ich auf jeden Film ganz anders reagiere, und alle meine Soundtracks unterscheiden sich erheblich voneinander. Wohingegen die meisten Komponisten mehr in ihrem stilistischen Bereich eingeschränkt sind."
Insofern hat Graeme Revell durchaus auch im Soundtracksektor die Ambition, Neues zu kreieren und sich durch seine Arbeiten vielleicht einen ähnlich großen Namen zu verdienen, wie es Bernard Herrmann beispielsweise tat.
"Ich glaube schon, dass man neue Musik für den Film schreiben kann. Herrmann war natürlich ein Meister des Horror-Genres, aber musikalisch wurde seine Nähe zu früheren klassischen Komponisten wie Ravel, Stravinsky und Copland oft erwähnt. Die meisten Leute halten 'Dead Calm' für eine äußerst ungewöhnliche Filmmusik. Aber es passiert natürlich, dass manche Soundtracks durch andere inspiriert werden. Ein Hollywood-Phänomen ist, dass die Major-Studios ihre Filme mit vorübergehender Musik vor einem Publikum testen, bevor der eigentliche Soundtrack dazu existiert - oft sind das sogar Soundtracks von anderen Komponisten. Leider haben sich einige Produzenten und Regisseure während der 15 bis 20 Vorführungen so an diese Musik gewöhnt, dass der Komponist letztlich gezwungen ist, etwas ganz ähnliches für den Film zu schreiben. Das ist ein laufendes Problem.
Ein anderes Problem tauchte bei 'Haus der Vergessenen' auf, als ich engagiert wurde, um einen Soundtrack im Stil von Penderecki zu schreiben, aber man wollte nur für die Hälfte des Orchesters zahlen, das ich benötigte, um solch einen Sound zu kreieren. Oft werde ich engagiert, um etwas Frisches und Aufregendes zu machen, aber wenn ich so etwas mache, sagt man: 'Nun, das ist großartig, aber wir wünschen, dass es etwas mehr klingt wie...' Aber ich habe bemerkt, dass das seltener passieren wird, wenn man mir mehr vertraut und mich mehr respektiert. In einigen Fällen ignoriere ich einfach den Temp-Score. In gewisser Weise bedeutet der Temp-Score eine Art Sicherheitsnetz, das dann zum Einsatz kommt, wenn man meint, der Komponist wäre nicht qualifiziert genug, so dass er einen Anhalt bekommt, wie der Score ungefähr klingen soll. Aber wenn man mehrere Filme gemacht hat und sich glücklich schätzen kann, dass noch kein Score abgelehnt worden ist - was sehr ungewöhnlich ist -, hat man weniger Probleme damit. Ich bereite nämlich meine Scores mit Synthis vor, d.h. jeder Cue des Films wird mit dem Synthi vorproduziert und mit Samples abgemischt, so dass die Regisseure frühzeitig die Musik zu ihrem Film kennenlernen und sagen können, ob sie ihnen so gefällt. Es braucht vielleicht noch ein oder zwei Male, um die Dinge ins rechte Lot zu bringen, aber das ist besser als gleich mit einem Orchester von 100 Musikern anzufangen und dann zu hören, dass die Musik dem Regisseur nicht gefällt, was gerade den älteren Komponisten oft passiert, die nicht mit Synthi-Demos arbeiten. Auf der anderen Seite werde ich schon oft so früh involviert, dass ich selbst den Film mit einem Temp-Score versehe, wie z.B. beim zweiten 'Crow'-Film. Der Regisseur hat eine große Vorliebe für Thomas Talas, den englischen Komponisten des 16. Jh., und ich teile diese Vorliebe, aber ich habe ihm gesagt, dass ich nicht sicher bin, ob das funktioniert, weil es sich um sehr leichte Musik handelt. Ich schlug vor, etwas in der Art von Palestrina oder den Gabriellis zu machen, weil das dunkler klingt, oder Monteverdi, was besser funktionieren würde, wobei wir es interessanter gestalten müssten, als nur Monteverdi nachzuahmen. Das ist eine Art des Involvierens, wie ich es für optimal und interessant halte, anstatt es mit einem Editor zu tun zu haben, der einen Film mit verschiedenen anderen Filmscores temptrackt. Es ist also gut, so früh wie möglich in ein Projekt einbezogen zu werden."
Nach über dreißig Filmmusiken, die Revell nach dem Anfangserfolg von "Dead Calm" über Dokumentarfilme wie "Great Southern Ark", TV-Mini-Serien wie "Bangkok Hilton" und "World Safari", Horrorfilme wie "Child's Play 2", "Psycho IV", Wes Cravens "People Under The Stairs" (Bay Cities), Sex-Thriller wie "Love Crimes", "Body Of Evidence" (Milan) und "Boxing Helena" bis zu Kult-Comic- und -Buch-Verfilmungen wie James O'Barrs "The Crow" (Varese Sarabande), Jim Carrolls "Basketball Diaries" (Island) und "Tank Girl" geführt haben, scheint Revells Streben nach Originalität mittlerweile durch den Umstand unterstützt zu werden, dass er gerade von einer jüngeren Generation von Filmemachern gefragt wird.
"Nachdem ich hier nun seit sechs Jahren gearbeitet habe, glaube ich, dass sich die jungen Regisseure wichtige Positionen erarbeiten, Leute wie Quentin Tarantino und Robert Rodriguez, der ein großer Fan meines 'Dead Calm'-Soundtracks ist.
Als ich das erste mal nach Hollywood kam, schien man von mir zu erwarten, immer etwas anderes zu machen, aber immer wenn ich das tat, schien man zu bezweifeln, ob das funktionieren würde. Damit habe ich mittlerweile keine Probleme mehr. Die jungen Regisseure haben einen wirklichen Bezug zu der Musik, die ich seit 12 oder 15 Jahren mache. Das ist wirklich schön. Ich kann einfach hingehen und ihnen einen seltsamen Mix von Dingen liefern, die ich mag. Das ist für mich sehr interessant, und die Regisseure haben keine Probleme damit, die Musik für ihre Filme zu verwenden. 
Es hat zwar eine kleine Weile gedauert, aber ich fühle mich mittlerweile sehr wohl, weil ich mit Projekten wie 'Strange Days' und 'From Dusk Till Dawn' das machen kann, was ich will und was die Leute auch akzeptieren. Das macht momentan sehr viel Spaß.
Ich habe vor ungefähr neun Wochen ein Treffen mit Oliver Stone gehabt, und einer seiner Fragen war, ob ich die Musik zu alten Filmen möge. Ich meinte, ja, in einigen Fällen wie Nino Rota, Miklos Rosza mochte ich sie sehr, aber ich würde nicht sagen, dass mich das besonders beeinflusst hat, weil die Art, wie heutzutage Filme gemacht werden und Leute Filme anschauen, sich völlig verändert hat. Ich versuche, so originell wie möglich zu sein, wenn ich an etwas arbeite. Die Zeiten haben sich geändert, und ich glaube nicht, dass die Musik von früher heute noch gut funktionieren würde. Allerdings sehe ich auch die moderne Filmmusik im Stile der TV-Action-Filme sehr kritisch, wenn sie nur Synthesizer-Soundtracks mit kleinen Orchestern aufblasen, was wie vorzeitige japanische Synthesizermusik klingt. Hollywood scheint momentan wieder zu einer Art von Workshop-Arbeit zurückzukehren, für die ein Komponist seinen Namen hergibt, mit der Arbeit an sich aber kaum etwas zu tun hat. Da gibt es eine Vielzahl von Leuten, die für ihn die Arbeit machen. Das ist etwas traurig, weil die Musik deshalb momentan nicht das ist, was sie sein könnte."
Besonders kritisch steht Graeme Revell der Gewohnheit in Hollywood gegenüber, Filme mit elektronischen Scores zu versehen, wie es beispielsweise Hans Zimmer und Brad Fiedel tun.
"Brad Fiedel war auf einer dieser Veranstaltungen, für die immer irgendwelche Komponisten eingeladen werden, und sprach über das Komponieren von Filmmusik, und ich dachte nur: 'Was?' Ich befürchte, er zählt zu denjenigen Leuten, die ich nicht besonders schätze. Wenn man nur Hans Zimmers Set-up betrachtet: Für den neuen Ridley-Scott-Film, der jetzt herauskommt, wurde Jeff Rona angeheuert, der bislang eine TV-Show gemacht hat.
Aber da er ein Synthesizer-Programmierer in Hans Zimmers Studio ist, haben sie einen drittklassigen Komponisten gewählt, der unter Hans Zimmers Fittichen ist, statt einen der dreißig Leute zu nehmen, die einen wirklich guten Job gemacht hätten. Diese ganze Sache ist sehr traurig, die Idee, dass Hans Zimmer der große Star in der Stadt ist, und wenn man ihn nicht bekommen kann, hat man immer noch seine Jungs. Das ist sehr frustrierend und das schlimmste, was momentan hier abläuft.
Ich denke, diese Handhabung ist für eine Menge miserabler Soundtracks verantwortlich. Z.B. halte ich den Soundtrack zu 'Speed' für den Tiefpunkt in der Filmgeschichte Hollywoods, und es wird sicherlich noch schlimmer. Ich hoffe, man wird aus Geschäftsgründen nicht dazu gezwungen, diese Technik aufzugreifen. Was nämlich passiert, ist, dass ein Produzent ein Treffen mit Hans hat und alles ist ganz entspannt und lustig. Hans ist nicht gestresst, obwohl er momentan wahrscheinlich an 20 Filmen gleichzeitig arbeitet. Anstatt sich zu fragen, ob er das Geld überhaupt wert ist, oder ob man nicht einfach nur einen Synthi-Programmierer engagiert, kommt man zu der Überzeugung, dass er brillant ist, weil er nicht nur an 20 Filmen gleichzeitig arbeiten kann, sondern zur gleichen Zeit auch noch Partys feiern kann. Das ist die Art und Weise, wie hier die Produzenten denken, sicher nicht die Agenten und Komponisten, gerade die älteren wie Jerry Goldsmith und Elmer Bernstein, die gerade den ganzen Mist zu den Action-Filmen hören müssen."
Insofern überrascht es nicht, dass Revell, dessen Scores zu Action-Filmen wie "Hard Target", "No Escape", "Streetfighter" und "Mighty Morphin Power Rangers" von Varese Sarabande veröffentlicht wurden, keine Lust mehr hat, in diesem Genre weiterzuarbeiten.
"Ich denke, jeder Komponist möchte immer an noch größeren Big-Budget-Filmen arbeiten. Sicher bin ich nun von weitaus mehr Leuten akzeptiert als zu Anfang meiner Karriere, als ich mit einem Thriller und ein paar Horrorfilmen begonnen habe, was eine gewöhnliche Art des Lernens in Hollywood zu sein scheint. Dann machte ich einige Action-Filme und bin nun so eine Art Hip-Typ geworden mit Filmen wie 'Strange Days' oder 'The Crow', was immer noch Genre-Filme, aber einfach interessant sind und verschiedene Stile beinhalten. Das ist ermutigend, auch wenn ich denke, dass noch ein langer Weg zurückzulegen ist. Ich hoffe, dass ich in Zukunft mehr von diesen Filmen machen kann, weil sie die interessantesten sind, um dafür Musik zu schreiben. Wenn jemand z.B. auf mich zukommen und mich fragen würde, ob ich die Musik für 'Mission Impossible' schreiben wollte, was der Tom-Cruise-Film für diesen Sommer ist, würde ich zusagen und sehr aufgeregt sein, aber dann würde ich mir die Frage stellen, was für Musik ich dafür schreiben sollte, weil man in einem so teuren Film nichts Ungewöhnliches machen kann, weil der Produzent kein Interesse daran hat, dass du merkwürdig oder interessant schreibst.
Insofern wirst du damit enden, einen hoffentlich kompetenten, aber doch konventionellen Score zu komponieren. Ich bezweifle, dass mich das sehr befriedigen würde. Was ich gern mache, sind diese Genre-Filme mit viel Gewalt, seltsamem Verhalten, Filme mit Bedeutung, mit einem wirklichen menschlichen Drama. Ich denke, jeder möchte in seinen Werken eine gewisse Balance aufweisen, als nur an einem gewöhnlichen Drama zu arbeiten."
Revell hat in seiner bisherigen musikalischen Karriere, sowohl als Kopf seiner Formation SPK als auch im Filmmusikbereich, eine Balance insofern herstellen können, indem er seine Vorliebe für experimentelle Musik auf verschiedenste Weise ausleben konnte. Mit SPK war dieses Experimentieren noch an keine bestimmte Form gebunden, als Filmmusikkomponist hat sich Revell allerdings mit den Konventionen des Genres genauso auseinanderzusetzen wie mit den visuellen Vorlagen, was eine andere Herangehensweise an den kreativen Schaffensprozess erfordert.
"In der Regel wird mir schon freie Hand gelassen. Ich erzähle den Leuten, was ich vorhabe, dann wird darüber diskutiert. Beim ersten Treffen bekommen die Leute schon eine recht genaue Vorstellung von dem, was ich beabsichtige, und es wird noch einmal darüber diskutiert, wenn sie die ersten Demos hören, aber ich habe es noch nie erlebt, dass die Leute allzu viele Probleme damit gehabt hätten. Vielleicht musste ich mal einen Cue ändern, aber überwiegend waren sie sehr froh. Ich weiß auch nicht, warum. Ob die Musik nun für sich allein funktioniert oder nicht - was etwas ist, worüber sich die meisten Leute ein Urteil bilden, weil die Musik auf einem Album etwas ist, was man immer wieder spielen möchte -, ich denke, ich habe die spezielle Fähigkeit, die Dramatik, die eine bestimmte Szene erfordert, zu erhöhen. Manche Komponisten schreiben Scores, die man problemlos für andere Filme verwenden könnte, so dass man mit dem einen Score einen anderen Film temptracken kann. Das funktioniert bei meinen Scores nicht. Darauf bin ich etwas stolz, weil ich es für wichtig halte, dass jeder Score etwas Einzigartiges darstellt."
Einzigartig sind Revells Scores vor allem in der Hinsicht, als sie wie bereits die SPK-Werke mit einer Fülle von merkwürdigen, mal metallisch scheppernden, mal ethnisch angehauchten, dann wieder völlig undefinierbaren Sounds aufwarten, für deren Produktion Graeme Revells Freund Brian Williams als Sound Designer verantwortlich ist.
"Ich versuche, Brian auf verbale Weise darzulegen, in welchem Klangbereich ich für ein Projekt bewegen möchte. Brian hat eine natürliche Tendenz dazu, sich in den dunklen, launischen Bereichen zu bewegen, dann muss ich beispielsweise sagen, dass ich diesmal kürzere, schärfere Sounds benötige, die er dann durch den Harmonizer schickt, um zu sehen, bis wohin er sie bringen kann. Für meinen nächsten Film über vier Hexen ('The Craft') habe ich mir ein sehr altes Piano gekauft, dessen Innenleben ich für jegliche Art von Sounds, die es kreieren kann, benutzen möchte. 20% der Samples, die ich damit produziere, werde ich dann in dem Film einsetzen. Man lernt mit jedem Film und den Samples, die man dafür erstellt, dazu, so dass die Auswahl an Samples immer weiter anwächst."
Überraschenderweise scheint es für Revell kein Problem zu sein, das Music Sound Design mit den Sound Effects der Filmhandlung miteinander in Einklang zu bringen.
"Am Anfang des Films 'Dead Calm' habe ich surreale Soundscapes eingesetzt, die von 'Zamia Lehmanni' stammen wie Wind und der Klang der Wellen, was ich in die Musik gemischt habe und was auch gut funktionierte. Mit den Jahren kam ich zu der Feststellung, dass Sound-Effects-Leute und Music Sound Designer über diese Dinge auf zwei verschiedene Weisen denken.
Wenn ein Sound Effect Designer eine surreal anmutende Atmosphäre oder Sound Effects zu den Handlungen auf der Leinwand kreiert, geschieht das immer auf sehr abstrakte Weise und auf die Handlung des Films bezogen. Dagegen konzentriert sich ein Komponist wie ich einer bin, der viele Industrial Sounds verwendet, auf die Charaktere, auf ihre Emotionen und Motivationen. Was immer ich auch kreiere, es gerät mit den Sound Effects nicht in Konflikt, was vielleicht etwas merkwürdig ist. Ich mische meine Musik immer auf 16 Spuren ab und reduziere sie nicht auf vier, wie viele andere es tun, weil mein Design so kompliziert ist, dass es unmöglich ist, es zu reduzieren. 
Für diese Arbeit ist Brian eine wichtige Hilfe, weil er mich mit unzähligen Sounds versorgt, die sich nie selbst wiederholen. Er ist ein sehr guter Sound Designer, und wir haben eine gute Beziehung zueinander. Ihm gebührt ein großer Anteil daran, dass es mir möglich ist, immer wieder mit neuen Sounds und originellen Ideen für jedes neue Projekt anzukommen."

Graeme Revell (Teil 4) - Filmographie

1988 - The Malady
1989 - Bangkok Hilton
1990 – Todesstille (Dead Calm), Regie: Phillip Noyce
1990 - Fire Syndrome (Spontaneous Combustion), Regie: Tobe Hooper
1990 - Chucky 2 – Die Mörderpuppe ist wieder da (Child’s Play 2), Regie: John Lafia
1991 - Bis ans Ende der Welt, Regie: Wim Wenders
1991 – Das Haus der Vergessenen (The People Under The Stairs), Regie: Wes Craven

1992 - Die Hand an der Wiege (The Hand That Rocks The Cradle), Regie: Curtis Hanson
1992 - Spuren von Rot (Traces of Red), Regie: Andy Wolk
1992 – Das gnadenlose Auge (Love Crimes), Regie: Lizzie Borden
1993 - Body of Evidence , Regie: Uli Edel
1993 – Boxing Helena, Regie: Jennifer Lynch
1993 - Harte Ziele (Hard Target), Regie: John Woo
1993 – Das Biest (The Crush), Regie: Alan Shapiro
1993 – Killer im System (Ghost In The Machine), Regie: Rachel Talalay
1994 - Flucht aus Absolom (No Escape), Regie: Martin Campbell
1994 - The Crow – Die Krähe, Regie: Alex Proyas
1994 – Street Fighter, Regie: Steven E. De Souza
1994 - Jim Carroll – In den Straßen von New York, Regie: Scott Kalvert
1995 - Tank Girl, Regie: Rachel Talalay
1995 - Strange Days, Regie: Kathryn Bigelow
1995 – Mighty Morphin Power Rangers: The Movie, Regie: Bryan Spicer
1996 - Race the Sun – Im Wettlauf mit der Zeit , Regie: Charles T. Kanganis
1996 - From Dusk Till Dawn, Regie: Robert Rodriguez
1996 - The Crow: City Of Angels, Regie: Tim Pope
1996 - Der Hexenclub (The Craft), Regie: Andrew Fleming
1996 - Killer – Tagebuch eines Serienmörders (Killer: A Journal of Murder), Regie: Tim Metcalfe
1996 - Fled – Flucht nach Plan, Regie: Kevin Hooks
1997 - The Saint – Der Mann ohne Namen, Regie: Phillip Noyce
1997 - Spawn, Regie: Mark A.Z. Dippé
1997 - Suicide Kings, Regie: Peter O‘Fallon
1997 - Chinese Box, Regie: Wayne Wang
1998 - The Big Hit, Regie: Kirk Wong
1998 - Phoenix – Blutige Stadt, Regie: Danny Cannon
1998 - Verhandlungssache (The Negotiator), Regie: F. Gary Gray
1998 - Chucky und seine Braut (Bride of Chucky), Regie: Ronny Yu
1998 – Lulu On The Bridge, Regie: Paul Auster
1998 – The Siege (Ausnahmezustand), Regie: Edward Zwick
1999 - Die Killerhand (Idle Hands), Regie: Rodman Flender
2000 - Pitch Black, Regie: David Twohy
2000 - Titan A.E. , Regie: Don Bluth u.a.
2000 - Red Planet, Regie: Antony Hoffman
2000 - Dune – Der Wüstenplanet, Regie: John Harrison
2001 - Blow, Regie: Ted Demme
2001 - Human Nature, Regie: Michel Gondry
2001 - Anne Frank - Die wahre Geschichte, Regie: Robert Dornhelm
2001 - Tomb Raider, Regie: Simon West
2002 - Collateral Damage – Zeit der Vergeltung, Regie: Andrew Davis
2002 - High Crimes, Regie: Carl Franklin
2002 – Below, Regie: David Twohy
2003 - Daredevil, Regie: Mark Steven Johnson
2003 - Freddy vs. Jason, Regie: Ronny Yu
2003 - Out of Time – Sein Gegner ist die Zeit, Regie: Carl Franklin
2003 - Open Water, Regie: Chris Kentis
2004 - Walking Tall, Regie: Kevin Bray
2004 - Riddick: Chroniken eines Kriegers (Thr Chronicles of Riddick), Regie: David Twohy
2005 - Das Ende - Assault on Precinct 13, Regie: Jean-Francois Richet
2005 - Sin City, Regie: Robert Rodriguez
2005 - The Adventures of Sharkboy and Lavagirl in 3-D, Regie: Robert Rodriguez
2005 - Goal – Lebe deinen Traum, Regie: Danny Cannon
2005 - Harsh Times, Regie: David Ayer
2005 - The Fog – Nebel des Grauens, Regie: Rupert Wainwright
2005 - Aeon Flux, Regie: Karyn Kusama
2007 - Die Todeskandidaten (The Condemned), Regie: Scott Wiper
2007 - Bordertown, Regie: Gregory Nava
2007 - Darfur Now, Regie: Ted Brown
2007 - Planet Terror, Regie: Robert Rodriguez
2008 - Ruinen (Ruinen), Regie: Carter Smith
2008 - Street Kings, Regie: David Ayer
2008 - Ananas Express (Pineapple Express), Regie: David Gordon Green

Graeme Revell (Teil 3) - Neue Ambitionen

Nachdem die ersten - sieht man einmal von "People Under The Stairs" ab - von Graeme Revell veröffentlichten Scores "Body Of Evidence" und "The Hand That Rocks The Cradle" (Hollywood) noch nach eher traditionellen Filmmusikmustern gestrickt waren, wies seine Musik zu John Woos "Hard Target" mit jazzigen Passagen und der Unterstützung der japanischen Kodo-Drummer schon originellere Züge auf, auch wenn Revell etwas unglücklich darüber ist, dass er die Musik von Kodo nicht adäquat in dem Score umsetzen konnte.

"Es klappte nicht ganz so, wie es eigentlich geplant war. Ich musste nach Japan reisen, wo sie gerade einen Tag frei hatten. Das Problem war, dass an dem Tag, als ich nach Japan flog, der Film geschnitten wurde, und ich wusste, daß es nicht der letzte Schnitt sein würde. John Woo wurde von dem Studio herumgeschubst, Jean-Claude Van Damme setzte noch einen Schnitt an. Ich musste nach diesen Schnitten - ich glaube, der Film wurde 17mal geschnitten - die Kodo-Anteile in der Musik reduzieren. Es war fast schon eine Farce. Ich hatte einige sehr komplexe Parts für sie geschrieben, die eine enge Beziehung zu der Handlung eingehen sollten, und Kodo hatten einen so ausgeprägten Sinn für Perfektionismus, dass sie nur vier Drummer spielen ließen, nämlich diejenigen, die Noten lesen konnten und keine Fehler machten. Ich musste all die verschiedenen Teile übereinanderlegen, aber bei sehr schnellen Passagen war das nicht möglich, so dass alle Drummer zur gleichen Zeit spielen mussten. Das war eine großartige Erfahrung, aber unter den gegebenen Umständen war es schwierig, ein optimales Ergebnis zu erreichen."
Für das 1994 von "Goldeneye"-Regisseur Martin Campbell inszenierte Outsider-Action-Drama "No Escape" konnte Brian Williams erstmals seine Fähigkeiten als Sound Designer demonstrieren, indem er die sinfonischen Orchesterklänge mit Samples vom "Tribal Festival Of Music And Dance" versah, das Revell 1987 in Papua-Neu-Guinea ursprünglich für eine weitere Musique-Brut-Produktion aufgenommen hatte.
"In dem Film ging es um die Rivalität zwischen Innen und Außen, und die Outsider waren eine Art Primitive, die im Busch wohnten, so dass ich eine Menge Flötensounds und seltsame Schreie einsetzte, die ich vor vielen Jahren aufgenommen hatte. Das versuchte ich in Kontrast zu setzen zu den mehr konventionellen Orchestersounds, die für die Insider standen.
Ich denke, das hat gut funktioniert, auch wenn die Insider letztlich auf der Leinwand zu liebenswürdig erschienen, vielleicht auch in der Musik. In der Regel bin ich sehr kritisch gegenüber dem, was jeder macht, auch mir gegenüber. Insofern bin ich nicht sicher, ob ich das richtig gemacht habe, aber das war, was ich machen sollte."
Seinen letztendlichen Durchbruch schaffte Revell mit seinem exotischen, düster-treibenden Score zur Kultcomic-Verfilmung von James O'Barrs "The Crow", das der australische Video-Clip-Regisseur Alex Proyas in apokalyptischen Bildern eingefangen hat.
"Bevor der Unfall mit Brandon Lee passierte, sah ich die Zukunft nicht als post-apokalyptisches Desaster. Ich glaube nicht, dass wir uns das so vorgestellt haben, noch betrachtete ich es als modernes und sauberes japanisches Unternehmens-Ballungsgebiet, was die Kehrseite der Zukunftsvision zu sein scheint, die die meisten Science-Fiction-Filme propagieren. Ich sah die Zukunft als exotische Misch-Kultur, die die Informationsrevolution jedem ins Haus und in jedermanns Psyche bringt. Als ich erfuhr, dass der Film in Detroit spielen sollte, meinte ich, okay, aber das ist kein Grund, um nicht mit Hardcore-Rap anzukommen. Denn die Zukunft in Detroit ist wie die Zukunft vieler Orte auf dieser Welt und deshalb eine Mixtur aus vielen Einflüssen. Das ist meine musikalische Vision von dem, was die Zukunft bringen wird. Als ich dann anfing, mit Djivan Gasparyan zu arbeiten, der das armenische Duduk spielte, klang es ein wenig zu ethnisch, also verband ich das Duduk mit Stimmen, was ein neues Instrument ergab. Man konnte nicht mehr bestimmen, was man genau hörte und wo man sich geographisch befand. Danach spielte ich mit barocken Elementen, mit einem Kinderchor. Ich glaube, dass dadurch nicht nur die ganze Welt zusammengekommen ist, sondern auch die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Der Grund, warum wir so auf barocke Musik ansprechen, liegt auch am Erfolg der Chormusik, ganz unabhängig von Religion und Rasse, was die Leute immer noch gern hören. So etwas möchte ich viel öfter machen, und ich hoffe, ich komme an mehr solche Filme. Zu einem gewissen Grad war 'Strange Days' so ein Film."
Wenig später arbeitete Revell auch an der Musik zum Sequel "The Crow II: City Of Angels".
"In 'The Crow II' kommt ein anderer Charakter aus dem Land der Toten zurück. Das kleine Mädchen ist nun älter geworden, ca. 20, und wird von Mia Kirshner aus 'Exotica' gespielt. Es ist diesmal eine mehr romantische Geschichte. Der Part der Krähe wird diesmal von Vincent Perez aus 'Queen Margot' gespielt. Es ist wieder eine Rachegeschichte, weist aber Elemente auf, die der erste Film nicht hatte."
Aber auch die filmästhetische Umsetzung scheint beim zweiten "The Crow"-Film andere Wege einzuschlagen, nachdem nun Tim Pope den Regiestuhl besetzt.
"Ich habe den Comic vorher nicht gesehen, ich kann nur den Unterschied zwischen Alex Proyas' und Tim Popes Umsetzung erklären. Ich denke, Alex verfügt über ein sehr dunkles Gemüt. Er ist sehr unglücklich mit sich selbst, hält sich für einen Versager, und wie man im ersten 'Crow'-Film sieht, strahlt er eine pessimistische, dunkle Weltsicht aus. Tim Pope ist ein englischer Regisseur, der viele der Cure-Videos gemacht hat.
Er verfügt über einen sehr visuellen Standpunkt, der optimistischer ist, auch wenn er die gleiche Art von Film dreht. Selbst wenn es um Liebe geht, die unbeantwortet bleibt, drückt er immer noch Hoffnung aus. Der gleiche Comic kann zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt hervorbringen. Aber ich habe das oft erlebt, dass man ein Skript liest, das gut ist, aber wenn man dann sieht, was der Regisseur daraus gemacht hat, fragt man sich, ob er dasselbe Skript hatte. Andererseits kann auch ein gewöhnliches Skript einen ungewöhnlichen Film hervorbringen."
Nach dem Erfolg des Soundtrack-Samplers mit exklusiven Songs von Indie-Größen wie The Cure, Nine Inch Nails, Helmet und anderen wird es zum Sequel natürlich einen neuen Sampler geben, über den Graeme Revell als Produzent des Albums bereits folgendes sagen kann:
"Der erste Soundtrack repräsentierte noch die 80er Gothic-Welt, der neue Sampler ist rauer, den 90ern angepasst. Die einzigen beiden Gruppen, die ich erneut auf dem Soundtrack hätte haben wollen - obwohl die meisten der Gruppen des ersten Samplers auch auf den zweiten wollten, doch wir mußten anders an den zweiten Sampler herangehen, damit es nicht wie ein ausbeutendes Sequel wirkt -, waren The Cure, und ich habe Bush gefragt, ob er den Joy-Division-Song 'In A Lonely Place' covern wollte. Das wird er auch machen, es ist einer meiner Lieblingssongs. The Cure sandten einen Song ein, aber der schien nicht recht zu passen.
Wir haben eine Menge anderer Bands, die wirklich merkwürdig sind. Als es darum ging zu überlegen, welche Musik zu dem Film passen würde, hatten wir nicht nur das Skript zu berücksichtigen, sondern den Film als kulturelles Phänomen zu betrachten, zum Teil wegen Brandon Lees Tod, aber auch wegen des Rock'n'Roll-Soundtracks. Die Erwartungen des Publikums sind an etwas gebunden, was man nur als den 'Cool'-Faktor des Films bezeichnen kann. Abgesehen von den dramatischen Erfordernissen, die die Musik zu erfüllen hat, muss man sie dem Publikum auf eine Weise präsentieren, dass es sie cool findet. Man muss bestimmte Entscheidungen treffen. Als wir damit begannen, den Rock'n'Roll-Soundtrack zusammenzustellen, den ich produziere, konnten die Anwälte und Produzenten nicht verstehen, dass wir mit einer Liste von Gruppen ankamen, von denen sie noch nie etwas gehört haben. 
Z.B. verkauft eine Gruppe wie Korn, was eine der neuen amerikanischen Bands ist, 400.000 Platten, aber niemand kennt sie, weil es eine neue Art von Independent-Band ist, die durchs College-Radio verbreitet wird. Das ist großartig, etwas, das in Europa um 1980 herum passierte. Diese Wahl muss man ebenso treffen wie die, z.B. ein Action-Thema zu schreiben. Es gibt vielleicht 20 verschiedene Wege, ein Action-Thema zu komponieren, aber nur einen für einen Film wie 'The Crow', weil man berücksichtigen muss, wie das Publikum aussieht und was es hören möchte. Es geht eben nicht nur darum, den Film als 90minütiges Werk an sich zu betrachten, sondern man verbindet ihn mit allen anderen Filmen, die man bisher gesehen hat."
Graeme Revell hat sich als einer der ganz wenigen Komponisten auf die nicht unproblematische Tendenz in Hollywood eingestellt, dass immer mehr Pop-Songs Einzug in den Film halten und als kommerziell erfolgreichere Variante den instrumentalen Filmscore gelegentlich zu verdrängen scheinen, und ist nach dem Erfolg von "The Crow" - als seltenes Beispiel dafür, wie perfekt Score und Songs miteinander harmonieren - in Hollywood gerade für die Filmprojekte gefragt, in denen Songs eine tragende Rolle auf der Musikebene spielen. In manchen Fällen wurden zu den Song-Compilations später auch Revells Scores von Varese Sarabande veröffentlicht - so im Falle von "The Crow", "Streetfighter" und "Mighty Morphin Power Rangers". Doch zu Filmen wie "Tank Girl", "SFW", "Until The End Of The World", "Basketball Diaries" und "Strange Days" sind nur Song-Sampler erschienen, bei denen Revell entweder gar nicht, als Songwriter oder ein Teil seines Scores nur minimal vertreten war. Dass Revell das Songschreiben noch nicht verlernt hat, bewies er eindrucksvoll mit den beiden End-Credits-Titeln "It Can't Rain All The Time" zu "The Crow" und mit dem von Lori Carson interpretierten Song "Fall In The Light" zu "Strange Days". Doch scheint das Songschreiben für Revell vorerst auf Filmprojekte beschränkt zu bleiben.
"Ich glaube nicht, dass ich ein Songwriter sein möchte. Ich habe das kommerzielle System nie verstanden. Es ist närrisch, im Pop-Geschäft mitmischen zu wollen, wenn man nicht das Gemüt dafür hat. Ich werde nie wieder ein Pop- oder Rock-Album machen. Man hat mir schon oft geraten, Industrial Music zu machen, da Nine Inch Nails diesen gewaltigen Erfolg haben. Es ist sehr populär, aber für mich wäre es, als würde ich die Uhr zurückstellen, um die Vergangenheit wiederzubeleben. Ich habe mich ja auch nie im Post-Industrial-Kontext gesehen. Mein erstes Album hieß 'Information Overload Unit', und das ist es, was die Welt zu sein scheint. Die Informationsrevolution ist weitaus größer als das, was der Industrial hätte bewegen können. Dennoch muss ich Trent Reznor danken, weil er das, was wir in Europa unter Industrial verstehen, mit Rock'n'Roll zusammengebracht hat, was gut funktioniert."
Nach "The Crow" war die James-Cameron-Produktion von Kathryn Bigelows apokalyptischen Science-Fiction-Szenario "Strange Days" eine weitere große Bewährungsprobe für Graeme Revell, der in Hollywood mittlerweile bekannt zu sein scheint für sein Faible für diese Art von düsteren Endzeit-Visionen, die mit zeitgemäßen Rockklängen vor allem das kinobegeisterte junge Publikum anzusprechen wissen.
"Ich denke, ich wurde für 'Strange Days' engagiert, weil ich unter den jüngeren Komponisten, der für einen solchen Science-Fiction-Film in Frage kam, der modernste bin, der an großen Filmen arbeitet. 'Johnny Mnemonic' habe ich abgelehnt, weil es nur eine weitere Variante von 'Mad Max' einerseits und 'Blade Runner' andererseits war. 'Virtuosity' ging in eine ganz andere Richtung und gefiel mir überhaupt nicht. Und so entschied ich mich für 'Strange Days', weil ich hier die Möglichkeit sah, eine kultiviertere Version dessen zu entwickeln, was ich bereits für 'The Crow' versucht habe, einen Zusammenprall der Kulturen und die Verwendung von musique-concrète-Elementen in der Form von gewaltigen Sound-Collagen und verschiedensten Musikstilen, die in einem Film zusammentreffen.
Die Art, wie gut die Bilder mit der Musik harmonierten, wurde in jeder Review erwähnt. Das war großartig. Das einzige Problem, was wir hatten, war die Beziehung zwischen Ralph Fiennes' und Juliette Lewis' Charaktere, weil es auf der Leinwand nichts gab, worauf das Publikum ansprechen konnte, so dass es schwierig war, Musik dafür zu schreiben. Immer wenn ich versucht habe, etwas Gefühlvolles für die Szenen zu schreiben, schien es sie schlechter zu machen.
Insofern einigten sich die Regisseurin und ich darauf, die Musik sehr minimalistisch zu halten, in der Hoffnung, dass es für das Publikum funktioniert, was ich aber bezweifle, weil in diesem Fall die Schauspieler versagten. Manchmal kann man eben nichts machen."
Dadurch dass sich Revell mittlerweile auf Genre-Thriller wie "The Crow" und "Strange Days" festgelegt zu haben scheint, wird er wohl nicht an die großen Projekte kommen, für die in der Regel Star-Komponisten wie John Williams, Jerry Goldsmith, James Horner oder Hans Zimmer engagiert werden, was momentan für Revell frustrierend ist, obwohl er immer häufiger in Hollywood verlangt wird.
"Als ich meinen Agenten vor zwei Wochen sprach, um auf das Jahr zurückzublicken, fragte er mich, ob ich zufrieden wäre, nachdem ich neun Filme gemacht hätte, und ich meinte, nein, denn nur ein Film davon war ein Erfolg, womit ich nicht allein den Box-Office-Erfolg meine, sondern den künstlerischen. Als er mich weiterhin fragte, welche Filme ich gern gemacht hätte, antwortete ich, dass jeder Komponist einen großen Sommer-Action-Film und einen bedeutungsvollen Film machen möchte, der in den USA in der Regel am Jahresende anläuft. Auf die Frage, welche Filme das denn meiner Meinung nach gewesen wären, musste ich erst einmal überlegen, denn ich konnte mich nicht mehr erinnern, was die großen Filme im Sommer gewesen sind. Als er mir welche aufzählte, meinte ich, 'Apollo 13' hätte ich gern gemacht, worauf er nur 'okay' sagte. Am Ende des Jahres wären nur zwei Filme für mich in Frage gekommen, nämlich 'Dead Man Walking', bei dem der Bruder des Regisseur die Musik schrieb, und 'Leaving Las Vegas' war ein guter Film, für den der Regisseur selbst die Musik komponierte. In keinem der drei Fälle hatte ich auch nur die geringste Chance. Wenn man eher kritisch ist und nur eine bestimmte Art von Filmen mag, dann mindert das deine Chancen."
Doch ohnehin will sich Revell in Zukunft nicht nur auf Filmmusik beschränken. Während andere Komponisten wie Christopher Young und Elliot Goldenthal den Ehrgeiz hegen, auch für den Konzertsaal zu komponieren, sieht Revell seine Ambitionen in eine ganz andere Richtung gehen.
"Momentan arbeite ich an mehreren Projekten, eins davon heißt 'Sacred Planet', bei dem ich George Acogny zusammengekommen bin, der viel dafür getan hat, Peter Gabriel die Leute vom Real-World-Label vorzustellen. Wir haben eine Partnerschaft und hoffen für unser Projekt ein Label wie Atlantic oder Polygram zu finden. Meine Mission lautet, die Weltmusik neu zu definieren, und zwar als alternative Musik. Das Problem mit der Weltmusik ist, dass sie bislang nur einer älteren Generation bekannt ist, was damit zusammenhängt, wie sich die Weltmusik selbst präsentiert. Ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht, ist der Film 'Dead Man Walking', bei dem es eine Kollaboration zwischen Eddie Vedder von Pearl Jam und Nusreat Fateh Ali Khan, einem Sänger aus Pakistan, gab. Das berührt die Ohren der Leute.
Ich denke, dass das Publikum, das Nirvana hört, auch Weltmusik mögen würde, wenn sie ihm auf interessante Weise vorgestellt wird. Das ist etwas, was ich versuchen möchte. Ich habe immer Musik aus der ganzen Welt gemocht, und ich finde, sie hat es verdient, viel mehr gehört zu werden.
Ich denke, Crossover-Projekte sind dafür sehr geeignet, um diese Musik bekannter zu machen, wie Eddie Vedder und andere Leute zeigen können, die daran interessiert sind, verschiedene Musikstile aus aller Welt miteinander zu verbinden. Außerdem versuche ich, verschiedene Vocals aus aller Welt mit einer Orchester-Suite zu verbinden. Ich bin mehr daran interessiert, etwas Exotisch-Gefühlvolles zu machen, als mich darum zu kümmern, ob etwas akademisch von Bedeutung ist."
Revells Engagement in nicht-filmischen Bereichen soll natürlich auch dazu dienen, eine musikalische Seite von ihm zu demonstrieren, von der man in Hollywood noch nichts zu ahnen scheint.
"Ich habe während meiner Karriere festgestellt, dass es sehr schwierig ist, ein Teil vom anderen zu trennen. Die Leute haben mich noch nicht für wirklich dramatische Filme wahrgenommen, mit wirklichen menschlichen Charakteren und nicht mit Aliens. Das frustriert mich etwas. Und ich denke, das wird auch niemand tun, bis ich nicht vielleicht außerhalb der Filmmusik bewiesen habe, dass ich wirklich schöne Musik schreiben kann, die die Leute berührt. Statt neun Filme wie im letzten Jahr zu machen, werde ich mich auf diesem Gebiet weniger engagieren und stattdessen meine Horizonte erweitern. Es ist ziemlich frustrierend, wenn man in einem Jahr viel gute Musik geschrieben hat und niemand hat sie gehört oder die Filme gesehen. Aber davon abgesehen war das letzte Jahr für fast jeden ein schlechtes Jahr. Hoffentlich wird dieses Jahr besser."
Seit diesem Interview, das ich mit Graeme Revell Mitte der 90er geführt habe, hat sich der Hollywood-Komponist längst etabliert, für namhafte Regisseure wie Edward Zwick („The Siege“), Andrew Davis („Collateral Damage“) gearbeitet und enge Beziehungen zu Filmemachern wie Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“, „Sin City“) und David Ayer („Harsh Times“, „Street Kings“) geknüpft. Seine stärksten Werke sind noch immer von einer starken ethnischen und elektronischen Struktur, wie die Soundtracks zum Doku-Drama „Dafur Now“ oder die im Dschungel angesiedelten Filme „Walking Tall“, „Ruinen“ und „Die Todeskandidaten“ beweisen.

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