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Sonntag, 30. Januar 2011

Playlist # 51 vom 30.01.11 - MATT DAMON Special

Matt Damon, der am 8. Oktober 1970 bei Cambridge, Massachusetts, geborene Schauspieler, wurde nicht nur 2007 vom People Magazine zum “Sexiest Man Alive” gekürt, sondern zählt seit den 90er Jahren zu den am höchsten gehandelten Schauspielern in Hollywood und ist derzeit in Clint Eastwoods Mystery-Thriller „Hereafter“ zu sehen. Als in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsener Sohn des Börsenmaklers Kent Telfer Damon und der Erziehungswissenschaftlerin Nancy Carlsson Paige lebte Damon nach deren Scheidung mit seiner Mutter und seinem Bruder Kyle in Cambridge – in unmittelbarer Nähe seines entfernten Cousins und engen Freundes Ben Affleck, mit dem er immer wieder gemeinsam an Filmen arbeitete.

© by Nicolas Genin
1988 machte Damon seinen Abschluss an der Cambridge Rindge and Latin School, wo er immer wieder in verschiedenen Theatergruppen spielte. Zwar studierte er von 1988 bis 1992 in Harvard Englisch, machte aber nie einen Abschluss, sondern widmete sich verstärkt der Schauspielerei. Nach einem ersten Auftritt in „Mystic Pizza“ mit Julia Roberts (1988) wurde man in Hollywood auf Damon aufmerksam, als er mit einer Nebenrolle in Walter Hills „Geronimo“ (1993) überzeugte. Damon zog nach Los Angeles und schaffte mit Edward Zwicks Kriegsdrama „Mut zur Wahrheit“ 1996 – fast - den Durchbruch als Schauspieler. In der Zwischenzeit lief es allerdings nicht so gut für Damon. Statt der durch „Geronimo“ erhofften Aufträge schnappte ihm Leonardo DiCaprio die Rolle in Sam Raimis „Schneller als der Tod“ weg, Joaquin Phoenix seinen Part in Gus Van Sants „To Die For“ und Edward Norton die Rolle in „Zwielicht“. Stattdessen arbeitete er mit seinem Freund Ben Affleck an dem Drehbuch zu „Good Will Hunting“, für das sich jedoch niemand zu interessieren schien. Matt Damon beobachtete, wie sein Freund Matthew McConnaughey in John Grishams „A Time To Kill“ durchstartete, und klapperte alle Grisham-Verfilmungen ab, die gerade im Umlauf waren, und hatte Glück: Er bekam die Hauptrolle in Francis Ford Coppolas Adaption von Grishams Bestseller „Der Regenmacher“. Um sich den Südstaaten-Akzent für die Rolle anzueignen, arbeitete er in Knoxville, Tennessee, für umsonst in einer Bar und heuerte einen der Kunden sogar als Stimm-Trainer an. Nach dem Erfolg von „Der Regenmacher“ war Miramax bereit, Affleck und Damon 500.000 Dollar für „Good Will Hunting“ zu zahlen.

Das Beste daran war, dass nicht nur Gus Van Sant („Drugstore Cowboy“) als Regisseur, Danny Elfman als Komponist und Robin Williams als Hauptdarsteller gewonnen werden konnten, sondern dass Damon und Affleck selbst ihre Wunschrollen verkörpern durften. Was allerdings niemand erwartete, war 1998 die Nominierung für sieben Oscars. Es wurden dann nur zwei, aber die beiden Freunde durften sich eine Trophäe für ihr Drehbuch teilen, den anderen erhielt Robin Williams als bester Nebendarsteller. Dann engagierte Steven Spielberg Matt Damon für eine Hauptrolle in seinem Kriegsdrama „Saving Private Ryan“ – wo er den Soldaten Ryan spielte, der von Tom Hanks gerettet wurde. Ebenfalls 1998 wirkte er in John Dahls Poker-Drama „Rounders“ mit, wo er mit seiner früheren Nemesis Edward Norton die Hauptrollen besetzte und die Spitze der US-Kinocharts eroberte.
Auch privat lief es für Damon blendend. Nach einer kurzen Affäre mit seiner „Good Will Hunting“-Freundin Minnie Driver ging er eine Beziehung mit Winona Ryder ein, die er nach zwei Jahren ausgerechnet an Mark Wahlberg verlor, auf dessen Street-Credibility Damon ohnehin schon eifersüchtig gewesen war. Daraufhin liierte er sich mit Ben Afflecks Assistentin Odessa Whitmire und spielte erfolgreich die Hauptrolle in Billy Bob Thorntons Verfilmung von Cormac McCarthys Bestseller „All die schönen Pferde“, wo er einen jungen Mann darstellte, der in Mexiko ein besseres Leben suchte und dort Liebe und tödliche Gefahr fand.

Die nächste einträchtige Hauptrolle hatte Damon als mysteriöser Thomas Ripley in der Patricia-Highsmith-Verfilmung ihres Klassikers „Der talentierte Mr. Ripley“ mit Jude Law und Gwyneth Paltrow in den weiteren Hauptrollen, dann in Robert Redfords Golf-Drama „Die Legende von Bagger Vance“.
Im Jahre 2001 trat er neben Brad Pitt, George Clooney, Andy Garcia und Julia Roberts in Steven Soderberghs Star-besetzten Remake von „Ocean’s Eleven“ auf, übernahm Sprechrollen in „The Majestic“ und „Spirit: Stallion Of The Cimarron“, ehe er nach „Good Will Hunting“ mal wieder für Gus Van Sant vor der Kamera stand, diesmal in dem Independent-Film „Gerry“, wo er mit Casey Affleck in der Wüste herumirrte. Zum endgültigen Superstar wurde er schließlich durch die „Bourne“-Trilogie.
Mit der körperlich herausfordernden Hauptrolle in der Verfilmung von Robert Ludlums Agenten-Thriller „Die Bourne-Identität“ verdiente Damon zehn Millionen Dollar. Nachdem das furios inszenierte Action-Spektakel, in dem Damon den CIA-Agenten Jason Bourne darstellte, der ohne jegliche Erinnerung angeschossen aus dem Meer gefischt wird und feststellen darf, dass er über ausgezeichnete Sprach- und Kampffähigkeiten verfügt, beim Einspielergebnis locker die 100-Millionen-Dolar-Grenze nahm, wurden gleich zwei Sequels geplant. Doch in der Zwischenzeit übernahm er eine Rolle in George Clooneys Regiedebüt „Confessions Of A Dangerous Mind“, ehe er mit Greg Kinnear in der Komödie „Unzertrennlich“ ein siamesisches Zwillingspaar mimt, das bei einer TV-Show groß rauskommt. Mit dem zweiten Bourne-Film „Die Bourne-Verschwörung“ wurde der Erfolg von „Die Bourne-Identität“ sogar locker getoppt. 176 Millionen Dollar spielte die Jagd von Jason Bourne auf seine von der CIA angeheuerten Attentäter allein in den USA ein. Aufgrund dieses Erfolgs bat Damon die Produzenten seines nächsten Films, dem Nachfolger von „Ocean’s Eleven“, seinen Part zu kürzen, doch diese planten eher Damons Rolle als Linus Caldwell zu vergrößern.
Nach der Trennung von Odessa Whitmire und einer kurzen Beziehung mit Eva Mendes schwor sich Damon, nie wieder etwas mit einer Kollegin anzufangen, und verliebte sich in die argentinische Innenarchitektin Luciana Barroso, die er 2005 auch heiratete.
Zusammen mit Heath Ledger spielte Damon in Terry Gilliams immer wieder verschobenen Film „The Brothers Grimm“, die gegen eine echte Hexe (Monica Bellucci) kämpfen mussten. In Martin Scorseses „The Departed“, einem Remake des asiatischen Thrillers „Infernal Affairs“, agierte Matt Damon zusammen mit Jack Nicholson, Leonardo DiCaprio und seinem verhassten Kollegen Mark Wahlberg. Es folgte die Hauptrolle in Robert De Niros „Der gute Hirte“, wo er den Studenten Edward Wilson spielte, der von der Vorläuferorganisation der CIA angeheuert wird und schnell lernt, seine Gefühle und moralischen Impulse zu unterdrücken, was die Beziehung zu seiner von Angelina Jolie gespielten Frau nicht erleichtert.
Wie bereits drei Jahre zuvor kamen auch 2007 die nächsten Sequels der höchst erfolgreichen „Ocean’s“- und „Bourne“-Reihen in die Kinos. Allerdings könnten die Rollen in Soderberghs „Ocean’s 13“ und Paul Greengrass‘ „The Bourne Ultimatum“ nicht unterschiedlicher sein. Während er als Linus Caldwell sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen durfte, musste Matt Damon als Jason Bourne wieder alle Register eines Top-Agenten ziehen, um seinem „Macher“ gegenüberzutreten.

In Soderberghs „The Informant!“ mimt Damon einen hochrangigen Industriemanager, der dem FBI erzählen muss, dass sein Unternehmen an internationalen Preisabsprachen beteiligt ist.
In Clint Eastwoods „Invictus“ tritt er als südafrikanischer Rugby-Kapitän auf, der von Nelson Mandela angeheuert wird, die Nation zu vereinen.
Im vergangenen Jahr stand Matt Damon wieder für Paul Greengrass vor der Kamera, wo er im Polit-Thriller „Green Zone“ eine Verschwörung im Irak aufzudecken versucht. In Clint Eastwoods „Hereafter“ spielt Matt Damon ein Medium, das mit den Toten kommunizieren soll, es aber lieber vermeiden würde, es zu tun. Und schließlich ist er in dem neuen Coen-Film „True Grit“ zu sehen. Auf weitere Filme mit dem sympathischen Top-Star darf man gespannt sein.
Die Soundtracks zu seinen Filmen sind dabei ebenso vielseitig wie die Rollen, in die Matt Damon mühelos zu schlüpfen scheint. Da sind die patriotischen Scores von James Horner („Courage Under Fire“) und John Williams („Saving Private Ryan“), der südstaatliche Score von Elmer Bernstein zu „Der Regenmacher“ und die gefühlvollen, melodischen Arbeiten von Rachel Portman („Die Legende von Bagger Vance“) und Danny Elfman („Good Will Hunting“) auf der einen Seite zu nennen, die rhyhthmisch-pulsierenden (John Powells Adrenalin-geschwängerten Scores zur „Bourne“-Reihe), lässig-groovenden (David Holmes‘ Soundtracks zu Soderberghs „Ocean’s“-Trilogie und Christopher Youngs „Rounders“) und die exotisch angehauchten Scores von Kyle Eastwood/Michael Stevens („Invictus“) und Alexandre Desplat („Syriana“) auf der anderen.

Filmographie:
1988: Pizza Pizza – Ein Stück vom Himmel (Mystic Pizza)
1990: Aufbruch der Söhne (Rising Son)
1992: Der Außenseiter (School Ties)
1993: Geronimo – Eine Legende (Geronimo: An American Legend)
1996: Mut zur Wahrheit (Courage Under Fire)
1997: Chasing Amy
1997: Der Regenmacher (The Rainmaker)
1997: Good Will Hunting
1998: Der Soldat James Ryan (Saving Private Ryan)
1998: Rounders
1999: Dogma
1999: Der talentierte Mr. Ripley (The Talented Mr. Ripley)
2000: Titan A.E.
2000: Forrester – Gefunden! (Finding Forrester)
2000: Die Legende von Bagger Vance (The Legend of Bagger Vance)
2000: All die schönen Pferde (All the Pretty Horses)
2001: Jay & Silent Bob schlagen zurück (Jay and Silent Bob Strike Back) (Cameo-Auftritt)
2001: Ocean’s Eleven
2002: Hilfe, ich habe ein Date! (The Third Wheel)
2002: Gerry
2002: Die Bourne Identität (The Bourne Identity)
2002: Geständnisse – Confessions of a Dangerous Mind (Confessions of a Dangerous Mind) (Cameo-Auftritt)
2003: Unzertrennlich (Stuck on You)
2004: Eurotrip (Cameo-Auftritt)
2004: Die Bourne Verschwörung (The Bourne Supremacy)
2004: Ocean’s Twelve
2004: Jersey Girl (Cameo-Auftritt)
2005: Brothers Grimm (The Brothers Grimm)
2005: Syriana
2006: Departed – Unter Feinden (The Departed)
2006: Der gute Hirte (The Good Shepherd )
2007: Das Bourne Ultimatum (The Bourne Ultimatum)
2007: Ocean’s Thirteen
2007: Jugend ohne Jugend (kurze Gastrolle)
2008: Che – Guerrilla (Cameo-Auftritt)
2009: Der Informant! (The Informant!)
2009: Entourage (kurze Gastrolle)
2009: Invictus – Unbezwungen (Invictus)
2010: Green Zone
2010: Hereafter
2010: 30 Rock
2010: True Grit
Playlist:
1 James Horner - Night Mutiny (Courage Under Fire) - 02:58
2 John Williams - Finding Private Ryan (Saving Private Ryan) - 04:37
3 Danny Elfman - Will Hunting (Good Will Hunting) - 02:41
4 Christopher Young - Rounders (Rounders) - 03:47
5 David Holmes - Tess (Ocean's Eleven) - 03:21
6 Dario Marianelli - Sleeping Beauties (Brothers Grimm) - 03:50
7 Gabriel Yared - Crazy Tom (The Talented Mr. Ripley) - 04:48
8 Rachel Portman - The Day Of The Match Dawns (The Legend Of Bagger Vance) - 03:07
9 Alexandre Desplat - The Commute (Syriana) - 04:21
10 Kyle Eastwood & Michael Stevens - To Conquer (Invictus) - 02:31
11 Marcelo Zarvos & Bruce Fowler - Miriam (The Good Shepherd) - 04:16
12 John Powell - Traffic Jam (Green Zone) - 02:59
13 John Powell - The Drop (The Bourne Supremacy) - 03:42
14 Clint Eastwood - End Titles (Hereafter) - 06:10

Sonntag, 16. Januar 2011

Playlist # 50 vom 16.01.11 - DARREN ARONOFSKY Special

Der am 12. Februar 1969 im New Yorker Brooklyn geborene Drehbuchautor und Regisseur Darren Aronofsky, der gerade seinen neuen Film „Black Swan“ in den Kinos präsentiert, zählt derzeit neben Regisseuren wie David Fincher und Spike Jonze zu den interessantesten Filmemachern, die die Branche zu bieten hat. Nachdem er 1991 in Harvard sein Studium der Anthropologie, in Film und Animation mit Auszeichnung absolviert hatte, besuchte Aronofsky das American Film Institute und inszenierte seine ersten drei Kurzfilme „Supermarket Sweep“, „ Fortune Cookie" (beide 1991) und „Protozoa“ (1993), bevor er 1996 anfing, an seinem ersten Langfilm „Pi“ zu arbeiten.

Der 1998 beim Sundance Film Festival ausgezeichnete metaphysische Thriller „verknüpfte Elemente der Chaostheorie, abgehobene Mathematik, die Kabbala und paranoide Verschwörungsfantasien zu einer alle Vorstellungen sprengenden Filmerzählung über ein in seiner New Yorker Wohnung verschanztes, zahlenbesessenes Genie auf seiner Suche nach der mathematischen Formel für das Universum“, so Andrew Bailey in seinem Portrait des fantasiebegabten wie kopflastigen Filmemachers in „Cinema Now“ (Taschen, S. 66).

Für den vitalen elektronischen Soundtrack zeichnete nicht nur der ehemalige Pop-Will-Eat-Itself-Frontmann und Songwriter Clint Mansell mit seiner ersten Musik für einen Film verantwortlich, auch progressive Electro-Acts wie Orbital, Massive Attack, Autechre und Aphex Twin untermalten die gänzlich in Schwarz-Weiß festgehaltene Paranoia, den nervenaufreibenden halluzinativen Trip des Mathematik-Genies Max Cohen perfekt.
Ähnlich verstörend kam 2000 auch „Requiem For A Dream“ daher, eine ungeschönte Psycho-Studie über drogenabhängige junge Leute, die immer tiefer in den Sog aus Sucht und Verzweiflung geraten. Mit außergewöhnlich eingesetzten Stilmitteln wie Split-Screens, Zeitraffer, schnellen Schnittfolgen und der hypnotischen wie verstörenden Musik von Clint Mansells, die dieser mit dem Kronos-Quartett eingespielt hat, inszenierte Aronofsky Hubert Selbys 1978 veröffentlichtes Buch als qualvolles Anti-Sucht-Drama, das kein Happy End erlaubt.
Erst 2006 präsentierte Aranofsky seinen nächsten Film „The Fountain“. „Die Suche nach dem Sinn des Lebens und der Fortexistenz nach dem Tod ist Thema des auf drei Zeitebenen spielenden Films. Ausgehend von den fieberhaften Bemühungen eines Onkologen, den Wettlauf gegen den Tod seiner geliebten Frau zu gewinnen, entdeckt der Film Parallelen in den Mythen und Philosophien anderer Zeiten und Kulturkreise, bis hin zu einer 500 Jahre in der Zukunft angesiedelten Vision von der Vollendung des Lebens im ewigen Kreislauf des Kosmos“, fasst das Lexikon des Internationalen Films 2007 zusammen und befindet: „Ein komplexer, bildstarker Versuch, das menschheitsbewegende Thema durch die Allegorien und Symmetrien der ineinander verwobenen drei Geschichten auf sehr individuelle Weise für ein an Fantasy-Filmen geschultes Publikum aufzubereiten.“ (S. 419)

„Kein Wunder, dass der Film mit ‚2001: Odyssee im Weltraum‘ (1968) verglichen wurde. Die überwältigende Kameraführung von Matthew Libatique und eine Filmmusik, die das Kronos Quartet und Clint Mansell zusammenführt, trugen das ihre dazu bei, dass der Schöpfer von ‚Pi‘ seinen Status als visionärer Lieferant anspruchsvoller filmischer Kopftrips festigen konnte.“ (Cinema Now, S. 66)
Im Gegensatz zum philosophisch-prätentiösen „The Fountain“, aber auch Aronofskys vorangegangenen Werken, die durch ihre prachtvolle Ästhetik berauschten, traten 2008 bei „The Wrestler“ das audio-visuelle Element vollkommen in den Hintergrund, um die unaufgeregte Geschichte eines abgehalfterten Wrestlers (Mickey Rourke) möglichst einfühlsam wie schnörkellos zu erzählen, wobei die Kamera immer bei Mickey Rourke bleibt und seine Geschichte auf fast dokumentarische Weise einfängt.
Laut Aronofsky stellt sein neuer Film „Black Swan“ eine Art Pendant zu „The Wrestler“ dar. Begrub dieser jegliche Illusion über den Show-Kampfsport, zeigt „Black Swan“ nun die Schattenseiten des filigranen Balletts auf. Es ist eine doppelbödige Version von Tschaikowskis berühmtem „Schwanensee“, dessen Musik Clint Mansell für den „Black Swan“-Score aufgegriffen hat. In der ursprünglichen Geschichte wird eine Prinzessin in einen weißen Schwan verwandelt und kann nur durch die Liebe eines Prinzen ihre Freiheit zurückerlangen. Doch ihr düsteres Ebenbild, der schwarze Schwan, verführt den Prinzen … Dieses märchenhafte Element hat Aronofsky durch Mystery-Thriller-Elemente umzusetzen versucht, die dem Drama seine Spannung verleihen. Natürlich gibt es wundervolle Ballettszenen zu bewundern, die Aronofsky auf gewohnt virtuose Weise in Szene gesetzt hat, aber schonungslos rücken auch die geschundenen, blutenden Füße ins Bild.

„Seit Roman Polanskis ‚Repulsion‘ ('Ekel', 1965) hat man wohl keine so dichte und beklemmende Studie einer von Ängsten in die Psychose getriebenen jungen Frau gesehen. Die Ballerina Nina – eine Oscar-reife Leistung von Natalie Portman – strebt nach Perfektion und der Hauptrolle in ‚Schwanensee‘ und verliert sich immer mehr in Zwangsvorstellungen“, stellt Susanne Ostwald in der Neuen Züricher Zeitung fest. „Zwar bedient Aronofsky sich einiger recht vordergründiger Spannungseffekte, und auch die Spiegel-Symbolik sowie die Metapher vom guten und bösen Schwan sind recht plakativ. Doch als Mittel zum Zweck funktionieren sie ausgezeichnet, denn sein Film entwickelt einen Sog, dem man sich unmöglich entziehen kann.“

Filmographie:
1991: Supermarket Sweep (Kurzfilm)
1991: Fortune Cookie (Kurzfilm)
1993: Protozoa (Kurzfilm)
1998: Pi
2000: Requiem for a Dream
2006: The Fountain
2008: The Wrestler
2010: Black Swan
2011: The Wolverine

Playlist:
1 Clint Mansell - Cruel Mistress (Black Swan) - 03:29
2 Clint Mansell - We Got The Gun (Pi) - 04:49
3 Gus Gus - Anthem (Pi) - 04:52
4 Clint Mansell - Aeternal [Remix by Andy Gray & Paul Oakenfold] (Requiem For A Dream Remixed) - 06:50
5 David Holmes - No Man's Land (Pi) - 06:18
6 Clint Mansell feat. The Kronos Quartet - Hope Ouverture (Requiem For A Dream) - 02:34
7 Clint Mansell - Deluxed [Remix by Delerium] (Requiem For A Dream Remixed) - 07:20
8 Clint Mansell feat. The Kronos Quartet - Lux Aeterna (Requiem For A Dream) - 03:54
9 Clint Mansell feat. The Kronos Quartet & Mogwai - Tree Of Live (The Fountain) - 03:45
10 Clint Mansell feat. Slash - Glory Be (The Wrestler) - 02:00
11 Clint Mansell - A Swan Song (Black Swan) - 06:22

Sonntag, 2. Januar 2011

Playlist # 49 vom 02.01.11 - PATRICK DOYLE Special

Patrick Doyle ist ein eindrucksvollste Beispiel für die rasante Karriere eines Soundtrackkomponisten gewesen, dessen Marktwert mit jedem Film, den er mit einem ebenfalls aufstrebenden Regisseur macht, steigt. Ähnlich wie sich Howard Shore mit David Cronenberg oder Danny Elfman mit Tim Burton in die erste Liga der Hollywood-Komponisten katapultiert haben, ist es vor allem dem Multi-Talent Kenneth Branagh („Frankenstein“) zu verdanken, dass Doyle auch außerhalb der britischen Grenzen sehr gefragt gewesen ist.

Doyles musikalischer Hintergrund ist dabei – ebenso wie bei so vielen der jüngeren Filmmusikkomponisten -äußerst ungewöhnlich. Der am 6. April 1953 im schottischen Uddingston geborene Doyle beendete sein Studium an der Royal Scottish Academy of Music and Drama 1974, wo er Piano und Gesang studierte, war aber bereits vorher als Musiker und Schauspieler tätig. Nachdem er 1978 seinen ersten Score geschrieben hatte, komponierte er die Musik für unzählige Radio-, Fernseh- und Theaterproduktionen. 1987 stieß Doyle zur Renaissance Theatre Company und arbeitete dort als Komponist und Musikregisseur. Unter der Regie von Derek Jacobi, Geraldine Mc Ewan und Judi Dench schrieb er die Scores zu den Theaterproduktionen von „Hamlet“, „As You Like It“ und „Much Ado About Nothing“. Mit „King Lear“ und „A Midsummer Night´s Dream“ ging die Renaissance Theatre Company auf Welttournee. Schließlich beauftragte Kenneth Branagh Patrick Doyle, den Score für sein Film-Debüt „Henry V.“ zu schreiben.
„Wir haben uns durch einen gemeinsamen Freund, John Sessions, kennengelernt, mit dem ich in den vorangegangenen Jahren zusammen gespielt habe“, erinnert sich Doyle an das erste Zusammentreffen mit Branagh. „Als John eines Tages mit Kenneth sprach, suchte dieser gerade einen Komponisten für seine nächste Theaterproduktion 'Twelfth Night', und John sprach von mir, dass ich sowohl schauspielerte als auch komponierte. Kenneth ließ John mich fragen, ob ich daran interessiert sei, die Musik für 'Twelfth Night' zu schreiben. So kamen wir zusammen. Nach 'Twelfth Night' ging ich mit 'Hamlet' auf Tour durch Großbritannien. Am Ende der Tour erfuhr ich, dass Kenneth 'Henry V.' verfilmen wollte. Ich fragte ihn, ob ich die Gelegenheit bekommen könnte, die Musik für den Film zu schreiben, obwohl ich noch nie für einen Film gearbeitet habe. Aber es war auch Kenneth' erster Film und eine große Herausforderung für uns beide, das Projekt anzugehen. Ich hatte keine Ahnung von all den technischen Dingen, die mit dem Musikprozess zusammenhängen. Ich verbrachte jeden Tag Stunden über Stunden damit, die Regieanweisungen mit Hilfe des Computers mit der Musik in Übereinstimmung zu bringen.“
Um Shakespeares Drama einem größeren Publikum nahezubringen, versuchte Branagh, eine moderne Sichtweise des Stückes herauszuarbeiten, eine Studie über das englische Klassensystem, den Krieg, die Rolle von Mann und Frau und Macht zu realisieren. Insofern wies er Doyle an, die Musik einer modernen Interpretation anzupassen.
„Ich verlangte keine authentischen mittelalterlichen Klänge. Der Score musste aus unserer Zeit stammen, auf klassische Weise reich in den Tönen, aber unmittelbar zugänglich. Eine von Pats großen Gaben ist die der Melodie, und ich wollte für jede Melodie eine Wirkung.
Die großen Bühnenbild-Stücke benötigten ein Underscoring, das genauso kraftvoll und direkt war wie die Worte an sich“, schrieb Branagh in den Liner Notes zu „Henry V.“, setzte mit diesem Statement aber zugleich Maßstäbe für seine zukünftigen Kollaborationen mit Doyle - „Viel Lärm um Nichts“, „Schatten der Vergangenheit“ und „Frankenstein“.
„Kenneth hat eine sehr genaue Vorstellung davon, welche wichtigen Eigenschaften der Score aufweisen muss. Er liebt melodiöse Scores mit sehr ausgeprägten Themen“, meint Doyle. „Bei 'Frankenstein' gab es z.B. Musik für eine Ballraumszene und die Flöte, die der alte Mann und die Kreatur spielten. Dafür mussten Songs eingespielt werden, und die Musik zur Ballraumszene wurde dann das Liebesthema des Films. Kenneth hat genaue Vorstellungen, wie Musik an bestimmten Punkten der Geschichte einzusetzen ist.“
Nach dem überraschenden Erfolg von Branaghs „Henry V.“-Verfilmung 1991 ließen weitere Engagements nicht lange auf sich warten. Doyle komponierte den voluminösen Score zum Walt-Disney-Abenteuer „Shipwrecked“, bevor im selben Jahr Branagh für Paramount die Sydney-Pollack-Produktion „Dead Again“ („Schatten der Vergangenheit“) realisierte - natürlich mit Doyle als Komponisten.
1992 schrieb Doyle die Musik für den Oscar-prämierten Film „Indochine“ von Regis Wargnier, für „Into The West“ von Mike Newell und die Renaissance-Theatre/BBC-Radio-3-Co-Produktionen von „Hamlet“ und „Romeo and Juliet“, ehe er ein Jahr später wieder mit Kenneth Branagh zusammenkam, um in der Toskana das Shakespeare-Stück „Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um Nichts“), diesmal mit solchen Stars wie Branaghs Ehefrau Emma Thompson, Michael Keaton, Denzel Washington und Keanu Reeves zu drehen.
„Es war ein großer Spaß. Ich bin vorher nie in Italien gewesen. Dort sind mir die meisten meiner musikalischen Ideen gekommen. Einige Melodien wurden dort auch geschrieben und von den Schauspielern eingesungen, wenn wir bei den späteren Aufnahmen in London auch andere Stimmen verwendeten. Das Liebesthema für 'Dead Again', das verworfen wurde, schrieb ich für 'Sigh No More Ladie'´ um.“
Spätestens mit diesem Erfolg wurde sowohl Branagh als auch Doyle der Weg nach Hollywood geebnet. Zunächst wurde Doyle von Frazer Heston für die Castle-Rock-Produktion einer der besseren Verfilmungen eines Stephen-King-Bestsellers engagiert: „Needful Things“ begeistert vor allem durch seine pompösen Chöre, die ein wenig an Jerry Goldsmiths bravouröse „Omen“-Trilogie erinnern. Schließlich wurde der gefragte Komponist für das Mafia-Epos „Carlito's Way“ von Brian de Palma rekrutiert.
„Es ist eine schöne Sache, mit vielen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich liebe die Zusammenarbeit mit Kenneth Branagh, und wir werden sicher weitermachen. Aber er weiß genauso gut, wie hilfreich es ist, mit anderen Schauspielern zu arbeiten, wie ich weiß, dass es nützlich ist, mit anderen Regisseuren zusammenzuarbeiten. Es ist sehr verdienstvoll, mit anderen Stilen konfrontiert zu werden, andere Arbeitsweisen kennenzulernen.
Ich genieße das sehr. Brian de Palma ist z.B. ein sehr talentierter Regisseur, von dem ich sehr viel gelernt habe. Er hat mir viel darüber erzählt, wie man Musik in einem Film platziert. Aber man lernt von jedem Regisseur. Es ist ein konstanter Lernprozess. Frazer Heston liebte es z.B., Stimmen in dem Score zu haben. Jeder hat seine eigenen Ideen.“
Der bislang größte Erfolg des eingespielten Teams Branagh/Doyle war eine Produktion von Francis Ford Coppola. Nachdem der Maestro sich selbst der Neuverfilmung von „Bram Stoker's Dracula“ angenommen hatte, produzierte er mit „Dracula“-Drehbuchautor James V. Hart „Mary Shelley's Frankenstein“, in dem Kenneth Branagh wieder einmal sowohl als Hauptdarsteller als auch als Regisseur agierte. Ausgestattet mit einem fürstlichen Budget schuf Doyle einmal mehr einen bombastischen, sehr melodiösen Orchesterscore.
„Natürlich hatte ich mehr Möglichkeiten, aber der Film benötigte auch eine große Musik. Der Score ist sehr opernhaft. Wir benutzten z.B. sechs Trompeten. Wenn das Budget vorhanden ist, um solche Sachen zu machen, nutzt man sie natürlich auch aus, wenn sie dem Film dienlich sind. Aber jeder Film benötigt einen anderen Stil, ein anderes Orchester, und man muss sich überlegen, welche die beste Verfahrensweise, welche Gruppe die kleinste und die größte sein soll.“
Wie bei früheren Branagh-Filmen war Doyle auch oft am Set. Schließlich mussten die Tanzsequenzen und das Lied vorher geschrieben und arrangiert werden. Darüber hinaus brachte Doyle Richard Briers (dem blinden Großvater) das Flötenspiel bei und übte mit Helena Bonham Carter am Klavier, trat aber auch selbst in der Festszene als Dirigent des Ballorchesters auf.
Dass Doyle aber nicht nur auf monumentale Scores festgeschrieben ist, bewies er nicht nur mit seinem Jazz angehauchten „Carlito's Way“, sondern auch jüngst mit dem leichtfüßigen Score zu Garry Marshalls Sadomaso-Komödie „Exit To Eden“ und der Musik zu „A Little Princess“. Doch trotz der steigenden Popularität ist es Doyle bislang vergönnt geblieben, mit seiner Familie in England wohnen zu bleiben. „Bislang war ich noch in der Lage, die meiste Zeit in England verbringen zu können. Ich bin für manche Projekte nach Hollywood geflogen, um mich mit dem Regisseur zu treffen, konnte die Musik aber in England schreiben und aufnehmen. Solange ich die Möglichkeit habe, hier zu bleiben, bleibe ich hier. Und sollte ich aus irgendwelchen Gründen nach Hollywood gehen müssen, werde ich auch das tun.“
Im November 1997 wurde bei dem sympathischen Komponisten Leukämie diagnostiziert, doch er erholte sich glücklicherweise von der Krankheit und stellte seine Arbeit für „Große Erwartungen“ und „Quest For Camelot“ fertig. Zu seinen jüngsten populären Werken zählt der vierte „Harry Potter“-Film „Harry Potter und der Feuerkelch“, die Verfilmung des Fantasy-Bestsellers „Eragon“, die Fred-Vargas-Thriller-Adaption von „Saat des Todes“ („Have Mercy On Us All“) und der Familienfilm „Die Insel der Abenteuer“ („Nim’s Island“).

Filmographie:
1989 - Henry V
1990 - Shipwrecked
1991 - Dead Again
1992 - Indochine
1992 - Into the West
1993 - Carlito's Way
1993 - Much Ado About Nothing
1993 - Needful Things
1994 - Mary Shelley's Frankenstein
1994 - Exit to Eden
1995 - A Little Princess
1995 - Sense and Sensibility
1995 - Une femme francaise
1996 - Hamlet
1996 - Mrs. Winterbourne
1997 - Donnie Brasco
1998 - Quest for Camelot
1998 - Great Expectations
1999 - East-West
2000 - Blow Dry
2000 - Love's Labour's Lost
2001 - Bridget Jones' Diary
2002 - Killing Me Softly
2002 - Gosford Park
2003 - Calendar Girls
2003 - Secondhand Lions
2003 - The Galindez File

2004 - Nouvelle-France
2005 - Harry Potter and the Goblet of Fire
2005 - Nanny McPhee
2005 - Jekyll & Hyde
2005 - Man to Man
2005 - Wah-Wah
2006 - Eragon
2006 - As You Like It
2006 - The Last Legion

2007 - Sleuth
2007 - Have Mercy on Us All
2008 - Nim's Island
2008 - Igor

Playlist:
1 Patrick Doyle - Goodnight, Children (Nanny McPhee) - 04:22
2 Patrick Doyle - Opening Title (Henry V) - 03:34
3 Patrick Doyle - Yes I Speak (Mary Shelley's Frankenstein) - 05:39
4 Patrick Doyle - The Headlines (Dead Again) - 03:25
5 Patrick Doyle - The Escape (A Little Princess) - 02:59
6 Patrick Doyle - Finn (Great Expectations) - 02:54
7 Patrick Doyle - The Adoption (Indochine) - 03:50
8 Patrick Doyle - Une Femme Francaise (Une Femme Francaise) - 05:04
9 Patrick Doyle - Carlito And Gail (Carlito's Way) - 04:05
10 Patrick Doyle - Donnie And Lefty (Donnie Brasco) - 04:27
11 Patrick Doyle - Camille (Saat des Todes) - 02:16
12 Patrick Doyle - The Turning Point (Needful Things) - 12:08

Sonntag, 19. Dezember 2010

Playlist # 48 vom 19.12.10 - JEAN-PIERRE JEUNET Special

Der französische Filmemacher Jean-Pierre Jeunet zählt fraglos zu den innovativsten Vertretern seiner Zunft. Lange bevor der am 3. September 1953 in Roanne geborene Jeunet mit „Delicatessen“, den er zusammen mit seinem Freund Marc Caro 1991 realisierte, den Durchbruch feierte, ging er mit dem Wunsch schwanger, Filme zu machen. Er kaufte sich im Alter von 17 Jahren eine Filmkamera und drehte erste Kurzfilme, während er bei den Cinémation Studios die Kunst der Animation erlernte. Zu jener Zeit freundete sich Jeunet mit Marc Caro an, der wie er selbst Comics zeichnete. 1978 realisierten sie gemeinsam ihren ersten Animationsfilm „L’Évasion“, gefolgt von ihrem ersten Live-Action-Kurzfilm „Letzter Feuerstoß im Bunker“ (1981) und „Foutaises“ (1990). Dazwischen entstanden weitere Kurzfilme, Werbeclips und Musikvideos.

1991 erschien mit „Delicatessen“ der erste abendfüllende Spielfilm des Regieduos. Der visuell eindrucksvolle, mit skurrilen Figuren bevölkerte Film wurde mit vier Césars prämiert und auch international gefeiert. Es dauerte vier Jahre, bis mit „Die Stadt der verlorenen Kinder“ der nächste phantasievolle Streich des Duos auf der Leinwand das Publikum verzaubern sollte. Musikalisch untermalt von den melancholischen Klängen Angelo Badalamentis („Twin Peaks“, „Blue Velvet“), verblüfften Jeunet und Caro die Zuschauer erneut mit einer ungewöhnlichen Geschichte um einen Orden von blinden Männern, die kleine Kinder für künstliche Augen verkauften.
1997 folgte Jeunet bislang ein einziges Mal dem Ruf aus Hollywood, um den vierten Teil in der „Alien“-Saga zu drehen. Mit seinem undurchsichtigen Plot und der für Jeunet typischen Ironie konnte die „Alien“-Fangemeinde allerdings wenig anfangen, und Jeunet war frustriert, dass es in Hollywood scheinbar nur darum geht, das Budget zu drücken, während die Dreharbeiten nervend langsam vorangingen. Dennoch avancierte „Alien: Resurrection“ zum zweiterfolgreichsten Film der Reihe und wurde durch Horror-Spezi John Frizzell („I Still Know What You Did Last Summer“, „Beneath“) mit einem passenden düster-bedrohlichen Soundtrack ausgestattet.
Zurück in Frankreich inszenierte Jeunet mit „Die fabelhafte Welt der Amélie" (2001) seinen bislang persönlichsten und erfolgreichsten Film und verhalf Hauptdarstellerin Audrey Tatou zu ihrem Durchbruch. Sie spielt die gutmütige Amélie, die zufällig eine Dose findet, die ein Junge in den 50ern in ihrem Badezimmer versteckt haben muss. Auf der Suche nach ihm erlebt sie einige Abenteuer und lernt über Umwege auch die Liebe kennen. Die bezaubernde Geschichte mit ihrer ebenso hinreißenden Hauptdarstellerin brilliert mit ausgefallenen visuellen Ideen, grotesken Figuren, die die märchenhafte Szenerie mit blühendem Leben füllen. Yann Tiersen schuf dazu eine typisch französische, leichtfüßige Musik, die fast ebenso berühmt wurde wie der Film selbst.
Audrey Tatou spielte auch in Jeunets nächstem Film die Hauptrolle, in der größtenteils mit amerikanischen Dollars finanzierten Verfilmung von Sébastien Japrisots Roman „Mathilde - Eine große Liebe“ (2004). Als junge Frau erfährt sie kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs vom Tod ihres Verlobten und macht sich auf die Suche nach den genauen Umständen. Es versteht sich von selbst, dass „Mathilde“ erneut ein Fest für die Sinne bietet. Die einzigartige Mischung aus Kriegsdrama, Love-Story, Krimi und Film Noir entfaltet sich in drei verschiedenen Handlungssträngen über zwei Jahrzehnte und wurde von Kameramann Bruno Delbonnel in atemberaubende Bilder gegossen. Den ätherischen, eindringlichen Score komponierte wieder Angelo Badalamenti.
Eigentlich sollte sich nach „Mathilde“ eine weitere Literaturverfilmung anschließen, doch der Produktionsfirma waren die Kosten für die Umsetzung von Yann Martels „Schiffbruch mit Tiger“ zu hoch. Dabei hatte der passionierte Filmemacher schon einiges an Vorarbeiten geleistet. Jeunet lehnte es schließlich ab, „Harry Potter und der Orden des Phönix“ zu drehen.
„In Frankreich genieße ich totale künstlerische Freiheit und muss nicht um Geld betteln. Das will ich nicht aufgeben. Natürlich erreiche ich weniger Zuschauer als mit einer amerikanischen Produktion, aber ich habe meine persönlichen Vorstellungen und deshalb auch ‚Harry Potter‘ abgesagt“, begründete er seine Entscheidung in einem Interview mit ”BR Online”. „In einem schon vorgegebenen Universum zu arbeiten, wo Besetzung, Kostüme und Dekor feststehen, ödet mich an. Was interessieren mich fliegende Besen und Hexen, wo bleibt da meine eigene Handschrift? Mit dem Geld hätte ich mich zwar am Mittelmeer zur Ruhe setzen können, aber nur Regie ist mir zu wenig. Die Alien-Welt dagegen war eine tolle Herausforderung. Ich konnte meine Ideen verwirklichen. Ein Film kostet Lebenszeit, deshalb stürze ich mich nicht mehr Hals über Kopf ins unkalkulierbare Abenteuer.“
Stattdessen schuf Jeunet mit „Micmacs – Uns gehört Paris!“ wieder einen für ihn typischen humor- und fantasievollen Film über einen einfachen Mann, dessen Leben eine dramatische Wende nimmt, als er von einer Kugel in den Kopf getroffen wird und es sich zur Aufgabe macht, sich an der ortsansässigen Waffenindustrie mit Hilfe einer skurrilen Gemeinschaft zu rächen. Schon nach wenigen Sekunden offenbart der Film Jeunets Handschrift, den unverkennbaren Retro-Look, die warmen braunen Farben und ungewöhnliche Kameraeinstellungen, die das Treiben der liebenswürdigen Figuren einfangen. „Ich mag die Realität nicht so filmen, wie sie ist, sondern im Sinne des poetischen Realismus der 1940er-Jahre. Mit ganz eigenen Dialogen, Licht und Farben, Humor und Fantasie“, bekundet Jeunet im Interview mit ”BR Online”. „Mir kommt es darauf an, ein ganz spezielles Universum zu erfinden. Das sollte man aber nicht ins Fantastische einordnen, das mag ich - im Gegensatz zu Science Fiction - überhaupt nicht.“

Filmographie:
1991: Delicatessen (Delicatessen)
1995: Die Stadt der verlorenen Kinder (La Cité des enfants perdus)
1997: Alien – Die Wiedergeburt (Alien: Resurrection)
2001: Die fabelhafte Welt der Amélie (Le Fabuleux destin d'Amélie Poulain)
2004: Mathilde – Eine große Liebe (Un long dimanche de fiançailles)
2009: Micmacs – Uns gehört Paris! (Micmacs à tire-larigot)

Playlist:
1 Carlos D'Alessio - Delicatessen Generique Fin (Delicatessen) - 05:08
2 Carlos D'Alessio - Bongo Bolero (Delicatessen) - 03:18
3 Angelo Badalamenti - Death Of The Twins (Die Stadt der verlorenen Kinder) - 04:01
4 John Frizzell - Main Title (Alien: Resurrection) - 02:06
5 Yann Tiersen - Le Moulin (Die fabelhafte Welt der Amélie) - 04:27
6 Angelo Badalamenti - Mathilde's Theme (Mathilde - Eine große Liebe) - 04:19
7 Yann Tiersen - La Dispute (Die fabelhafte Welt der Amélie) - 04:15
8 Carlos D'Alessio - Les Bulles (Delicatessen) - 03:04
9 Angelo Badalamenti - Finale (Die Stadt der verlorenen Kinder) - 05:07
10 Raphael Beau - Larrons en foire (Micmacs - Uns gehört Paris!) - 02:56
11 Yann Tiersen - La Valse Des Monsters (Die fabelhafte Welt der Amélie) - 03:39
12 Raphael Beau - Dernier vol (Micmacs - Uns gehört Paris!) - 03:58
13 Angelo Badalamenti - End Titles (Mathilde - Eine große Liebe) - 06:51

Sonntag, 5. Dezember 2010

Playlist # 47 vom 05.12.10 - CHARLIE CLOUSER Special

Mit „Saw 3D“ geht die 2004 initiierte Slasher-Horror-Reihe „Saw“ bereits in die siebte Runde. Zu allen sieben Teilen komponierte Charlie Clouser die markante, elektronisch treibende Musik und scheint daher auf das Horror-Genre abonniert zu sein. Schließlich sind es Filme wie „Resident Evil: Extinction“, „Dead Silence“ oder „Death Sentence“, für die der am 28. Juni 1963 in Hanover, New Hampshire geborene Charles Alexander Clouser weitere Credits einfahren konnte.

Bevor er sich in der alternativen Musikszene als Programmierer, Keyboarder und vor allem Remixer einen Namen machen konnte, lernte er bereits als Kind, Schlagzeug zu spielen, und setzte sich an der Highschool mit Synthesizern und Drumcomputern auseinander, wollte aber zunächst Architekt werden. Als er 1981 seinen ersten Computer bekam, studierter er die technischen Aspekte elektronischer Musik am New Yorker Institute of Audio Research, arbeitete als Programmierer für den australischen Filmkomponisten Cameron Allan und an dessen TV-Serie „Der Equalizer“. In Los Angeles traf er 1994 Trent Reznor, produzierte Soundeffekte für ein Musikvideo und programmierte Schlagzeug-Sounds für das Marilyn-Manson-Album „Antichrist Superstar“. Als Mitglied von Nine Inch Nails spielte er auf der „Self Destruct“-Tour und war im Studio maßgeblich am Gelingen der Alben „The Downward Spiral“ und „Fragile“ beteiligt. Dabei machte er sich auch einen Namen als Remixer für Künstler wie Nine Inch Nails, David Bowie, Rob Zombie und Alice Cooper, verließ Nine Inch Nails nach der „Fragility“-Tour, um mit Alec Empire und Atari Teenage Riot auf Tour zu gehen und Musik für Fernsehserien wie „Fastlane“ und „Numb3rs“ zu komponieren.
Den Durchbruch als Filmkomponist schaffte Charlie Clouser schließlich mit dem Kinoüberraschungserfolg „Saw“. Der Film von Regiedebütant James Wan erzählt die Geschichte von zwei Männern, die in einer kargen Kellerzelle aus einer Ohnmacht erwachen und sich dabei angekettet an gegenüberliegenden Wänden wiederfinden. Zwischen ihnen liegt eine entsetzlich verstümmelte Leiche. Durch immer wieder zugespielte Hinweise haben die beiden Männer die Möglichkeit, den Weg in die Freiheit zu finden – oder in einen elenden Tod... Der spannende Wettlauf mit der Zeit wird immer wieder durch Rückblenden und eine parallele Story unterbrochen, in der sich ein obsessiver Cop auf der Suche nach dem Jigsaw-Killer befindet, wobei der Zuschauer in die Rolle der Opfer schlüpft und am Ende auch noch in die Irre geführt wird.
Charlie Closers atmosphärisch dichte wie beklemmende Musik unterstreicht dieses spannende Szenario äußerst wirkungsvoll. Er setzt damit eine Tradition fort, die mit den Soundtracks zu Filmen wie „The Crow“, „Resident Evil“, „Dracula 2000“ oder „Underworld“ eine echte Erfolgsgeschichte geschrieben hat.
„Als sich der Soundtrack zu 'The Crow' so gut verkaufte, haben sich die Film- und Soundtrack-Produzenten vor den Kopf geschlagen und sich gefragt, warum sie nicht früher auf die Idee gekommen sind, Soundtracks mit alternativer Rockmusik zu veröffentlichen“, beschreibt Charlie das Phänomen, warum es mittlerweile zur Regel geworden ist, Soundtracks zu Fantasy-Horror-Filmen mit Songs von Acts zu versehen, die beim jugendlichen Publikum gerade angesagt sind. „Es ist eben so, dass viele Leute, die sich gern Horror-Filme angucken, auch gern harte, aggressive Rockmusik hören. Das wirkt auch im Film besser als orchestrale Musik.“ Und so machten in Hollywood in den letzten Jahren vor allem Komponisten wie Graeme Revell („The Crow“, „The Craft“, „Pitch Black“), Marco Beltrami („Scream“, „Mimic“, „Terminator 3“), John Frizzell, John Powell und Craig Armstrong Karriere, weil sie sehr versiert elektronische und orchestrale Elemente in ihrer Musik zu vereinen wissen. Nun werden nicht nur die Soundtracks mit Alternative-Rock-Songs versehen, ihre Protagonisten stürmen nun auch die Bastion der Filmmusikkomponisten.  
Marilyn Manson steuerte ein paar Score-Tracks zu „Resident Evil“ bei, Charlies NIN-Kollege Danny Lohner komponierte als Renholder ein paar atmosphärische Cues zu „Underworld“. Charlie Clouser machte seine ersten Erfahrungen im Soundtrack-Business beim „Beavis And Butt-Head“-Film, war mit Tracks auf den Soundtrack zu „Underworld“ (Throwing Punches“ von Page Hamilton) und „Valentine“ („Superbeast“ von Rob Zombie) vertreten. Mit Danny Lohner, den er für die Gitarrenparts des Scores zu „Saw“ engagierte, konnte er schließlich wertvolle Erfahrungen austauschen. Schwierig fand Charlie aber vor allem die ruhigen Momente im Film.
„Die härtesten Sachen waren die ruhigen Stücke. Durch meine Arbeit mit Rob Zombie, Helmet und Nine Inch Nails bin ich hinsichtlich harter, aggressiver Musik gut trainiert, aber es wird ganz schon schwierig, wenn man ruhige Sachen mit zurückhaltender Melodie kreieren muss.“ Regisseur James Wan hat Charlie übrigens über den gemeinsamen Anwalt kennen gelernt. Als Fan von Acts wie Ministry und Nine Inch Nails war Charlie Clouser schnell die erste Wahl für den Score zu „Saw“. „Ich hatte gerade mal fünf Wochen Zeit, um all die Musik zu komponieren“, meint Charlie. „Zum ersten Treffen morgens um 8 Uhr brachte ich mein Frühstück von McDonalds mit. Als ich den Film dann gesehen habe, dachte ich, dass es keine gute Idee war, kurz vor dem Film etwas gegessen zu haben...“ Seit dem Erfolg von „Saw“ ist Charlie Clousers Name in aller Munde. Er komponierte nicht nur die Soundtracks zu allen weiteren „Saw“-Sequels und dem dazugehörigen Videospiel, sondern auch zu weiteren Horror-Filmen wie „Dead Silence“, "Death Sentence" und „Resident Evil: Extinction“.
Für den dritten „Resident Evil“-Teil versuchte Clouser, der Komponisten wie John Powell, Marco Beltrami und Harry Gregson-Williams schätzt, neue Akzente zu setzen.
„So sehr ich den Score von Beltrami und Manson zum ersten Film der Serie liebte, war ich überzeugt davon, dass ihre Synth-and-Drum-Machine-Industrial-Dunkelheit am besten im Untergrund funktionierte, in den Tunneln von Raccoon City. Von diesen Szenen gibt es in dem neuen Film nicht viel zu sehen, meistens spielt sich die Handlung bei hellem Tageslicht in der Wüste ab. Also dachte ich mir, dass wir mehr ‚outdoorsy‘ Sounds benötigen, akustische statt elektronische, also sammelte ich ein Set von Metal Junk, Rototoms und andere schnoddrig klingende Drums, die ich für all die Drum-Attacken statt der mehr programmierten, elektronischen Sounds verwendete“, gab Clouser im Interview mit dem Inter-Activities Blog zu Protokoll. „In solchen Szenen, in denen wir unterirdisch reisen, ändert sich der Sound all der Instrumente in eine elektronische, dunkle und klaustrophobische Richtung. Es ist etwas schwer herauszuhören, aber in den Szenen, in denen wir den Fahrstuhl nach unten zu den Tunnels nehmen, legt sich eine Art elektronischer Vorhang über den Sound und verfolgt uns durch Raccoon City.“
Den Unterschied zwischen der Arbeit an regulären Musikalben und an Filmen beschreibt der Komponist so: „An Alben zu arbeiten ist völlig anders als Soundtracks zu kreieren, aber einige Werkzeuge und Techniken sind ähnlich. Ich beschreibe das mal so: Einen Rocksong zu produzieren oder zu schreiben ist so, als wird man als Maler angeheuert, um das Portrait eines Geschäftsführers zu machen, das in der Lobby aufgehängt werden soll. Du musst ihn jünger aussehen lassen als er wirklich ist, ihn freundlicher machen, auch wenn er ein bösartiger Bastard ist, die Nase muss passen … An einem Soundtrack zu arbeiten ist wie Pollock in einer Minute zu sein, Rothko in einer anderen. Man entfernt sich davon, ein einfaches Blau zu machen, sondern muss eine große psychedelische Collage erstellen, alles am selben Tag, manchmal im selben Musikstück. Das fasziniert mich ungemein.“
Allerdings wirken Clousers musikalische Fähigkeiten doch sehr eingeschränkt. Seit „Saw“ sind seine Filmarbeiten zwar eindeutig seiner Handschrift zuzuordnen, aber bewegen sich seine Kompositionen und Soundcollagen in einem doch sehr eng abgesteckten Rahmen und hören sich oft nur wie weitere Variationen des „Saw“-Materials an.

Filmographie:
2002 – Fastlane (TV-Serie)
2003 – Las Vegas (TV-Serie)
2004 – Saw
2005 – Numb3rs (TV-Serie)
2005 – Deepwater
2005 – Saw II
2006 – Saw III
2007 – Dead Silence
2007 – Death Sentence – Todesurteil
2007 – Resident Evil: Extinction
2007 – Saw IV
2008 – Fear Itself (eine Episode)
2008 – Saw V
2009 – The Stepfather
2009 – Saw VI
2010 - Singularity (Video-Game, mit Michael Wandmacher)
2010 – Saw 3D – Vollendung
Playlist:
1 Charlie Clouser - X Marks The Spot (Saw) - 04:34
2 Charlie Clouser - Nat's End (Deepwater) - 03:51
3 Charlie Clouser - Surprised (Saw III) - 02:01
4 Charlie Clouser - Autopsy (Mix II) (Saw IV) - 04:30
5 Charlie Clouser - Main Titles (Dead Silence) - 03:00
6 Charlie Clouser - Car Fight (Death Sentence) - 04:04
7 Charlie Clouser - True Edge (Saw V) - 03:15
8 Charlie Clouser & Michael Wandmacher - Research Facility Medley #1 (Singularity) - 05:07
9 Charlie Clouser - New Headquarters (Resident Evil: Extinction) - 01:53
10 Charlie Clouser - For Alaska (Resident Evil: Extinction) - 03:00
11 Charlie Clouser - New Year's Day - Part 5 (Fear Itself) - 05:07
12 Charlie Clouser - Menu (Saw: The Game) - 02:17
13 Charlie Clouser - Talk Show (Saw 3D) - 03:48
14 Charlie Clouser - Carousel (Saw VI) - 07:58

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