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Donnerstag, 2. September 2010

Dead Can Dance (Teil 2) - Auf der Suche nach dem Mysteriösen

Wie intensiv Dead Can Dance ihre Suche vorantreiben, dokumentiert ihr 1987 veröffentlichtes, rundherum klassisch instrumentiertes Werk „Within The Realm Of A Dying Sun“, das in der Anhäufung der verwendeten Symbole - vom täuschenden Simulakrum auf dem Cover über den in den Songtiteln zum Ausdruck kommenden romantischen Eklektizismus bis zu den verwendeten Spielarten orchestraler Musik - ein postmodernes Werk im besten Sinne darstellt.

„Mit `Within The Realm Of A Dying Sun´ setzten wir uns intensiv mit der klassischen westlichen Tradition orchestraler Musik vom Barock bis zur Gegenwart auseinander“, erzählt Brendan. „Keiner von uns hat eine klassische Musikausbildung; alles, was wir bis zu diesem Zeitpunkt geschaffen und ausgedrückt hatten, haben wir uns selbst beigebracht. Mit Hilfe von Samplern, Computer-Technologie und ein paar Büchern lernten wir, wie man Orchesterarrangements schreibt.“
Und so bietet „Within The Realm Of A Dying Sun“ eine Fülle von mystischen, filmmusikalisch eindringlichen und äußerst hypnotischen Klangbildern, die Dead Can Dance auf dem Weg durch die Musikgeschichte aufgesogen zu haben scheinen. Ihre unglaubliche Imaginationskraft, mit deren Hilfe sie die Atmosphäre verfallener Gemäuer, heiliger Stätten, archaischer Rituale oder einer prächtigen Kathedrale in musikalische Entitäten transformieren können, hinterlässt auch beim Hörer einen nachhaltigen Eindruck, weckt intensiv aufwallende Assoziationen und führt ihn in sein inneres Wesen zurück. Obwohl das letztlich für die beiden Künstler nur einen Nebeneffekt ihrer eindrucksvollen Kompositionen darstellen wird, bildet dieser Aspekt ihrer Musik andererseits für sie selbst eine wichtige Grundlage des Arbeitens und auch ihres Interesses an den musikalischen Ausdrucksformen vergangener Zeiten.
„Ich finde, wir dürften uns alle ruhig ein bisschen mehr mit unserer Tradition identifizieren. Die wurde solange wie ein Schatz gehütet, bis sie aus lauter Behütung fast in Vergessenheit geriet. Da hat so etwas wie ein kollektiver Gedächtnisschwund bei uns Europäern eingesetzt. Aber wenn wir tief genug in uns hineinhören, können wir diese Dinge noch ans Tageslicht bringen“, meint Brendan, der gerade die Vitalität mittelalterlicher Musik schätzt. „Es sind wichtige Werte wie Menschlichkeit und Schönheit, die Leidenschaft, die diese Musik über Jahrhunderte begleitet hat. Ein anderer Aspekt ist die immerwährende Wärme dieser frühen Musik. Es ist eine Anhäufung auf vielerlei Art. Wir haben über die Musik gelernt, dass es da eine Menge Dinge gibt, die sich von selbst erarbeiten. Man besitzt kein geistiges Metermaß oder einen Zeitnehmer, deshalb besitzt die Interpretation einen großen Spielraum bezüglich ihrer Mittel.
So wird die zeitgemäße Interpretation ein kreativer Teilnehmer, nicht so wie ein Dirigent oder ein Künstler, der ein originales Musikstück mit all seiner Dynamik und seinen Kennzeichen fast ebenso spielt wie der Komponist.
Heutzutage musst du deine Vorstellungskraft und deine eigene Kreativität, die Intuition und den Instinkt benutzen. Das ist es, was uns so sehr beeinflusst und uns eine Menge Spaß an der frühen Musik gebracht hat.“
Allerdings lässt sich immer nur ein Teil der Wirkung, die die Musik von Dead Can Dance auf den Hörer ausübt, analysieren. Da der Instinkt, die Intuition und die Imagination eine so wichtige Funktion bei der Entstehung der Songs spielen, bleiben viele Einflüsse unbenannt oder einfach auf gerade vorherrschende Emotionen beschränkt.
„Es ist ein Rätsel. Ob du es als Geist ansiehst, der von außen in dich eindringt, oder als Geist, durch den du zum Leben erwachst“, versucht Lisa den kreativen Schaffensprozess zu definieren.
„Es hat damit zu tun, die bewusste Kontrolle zu verlieren“, ergänzt Brendan. „Ich kann dir erzählen, wie wundervoll es ist, sehr natürlich und sehr einfach. Es ist das eine Gefühl, das du hast, aber zur selben Zeit durchdringen dich andere Gefühle. Kannst du das verstehen? Man ist gerade dieses vielzellige Ding, das irgendwas durchstreift, was sehr schwierig zu sehen oder zu erkennen ist. Es ist etwas, was du ergreifst und du füllst es einfach mit Farben, die gerade zu diesem Zeitpunkt das Gefühl erfassen. Man kann mit unserer Musik machen, was man will. Sie gehört nicht mehr uns. Sie hat uns nie gehört. Wir haben etwas Zeit mit ihr verbracht und wir haben uns offen gehalten für irgendetwas, das uns durchdringt, aber es ist nicht länger unter unserer Kontrolle.“
Jedenfalls gelingt Dead Can Dance mit ihrem dritten Album auch der Durchbruch in Deutschland, wo ihre dunklen, von zarten Streichern, hellem Glockenspiel, durchdringenden Bläsern und ausdrucksstarken Gesängen getragenen Kompositionen für ausverkaufte Konzerthallen sorgen.
1988 ziehen Lisa Gerrard und Brendan Perry nach Spanien, wo sie die Musik zu einem Film von Augustin Villaronga, „El Nino De La Luna“, komponieren. Der Film, der ein Jahr später in Cannes vorgestellt wird und in dem Lisa die weibliche Hauptrolle übernommen hat, erhält zahlreiche internationale Auszeichnungen und drei große Preise in Spanien.
1988 erscheint auch das vierte Album „The Serpent’s Egg“, das größtenteils in der Sozialwohnung von Lisa und Brendan im 13. Stock eines Hochhauses aufgenommen und produziert wurde.
„Nach einer katastrophalen Session in einem 24-Spuren-Studio war uns klar, dass wir dringend unser eigenes Studio brauchten, um noch größere künstlerische Freiheit zu erlangen“, seufzt Brendan. Allerdings ist dem Duo mit „The Serpent’s Egg“ ein weitaus vielschichtigeres Album gelungen als das noch sehr homogen wirkende dritte Album gelungen. Neben die vertraut klassisch arrangierten Songs treten auch vermehrt mittelöstliche musikalische Einflüsse („Chant Of The Paladin“, „Ullyses“), afrikanische Rhythmen („Mother Tongue“) und feierliche, sakral anmutende Choräle („Orbis De Ignis“, „Echolalia“).
 Und wieder verweist das raffiniert inszenierte Cover mit der Luftaufnahme von einem sich windenden Fluss inmitten einer riesigen Grünfläche auf die Konzeption des Albums.
„Bei vielen Luftaufnahmen von der Erde kann man, wenn man sie als riesigen Organismus, als Makrokosmos betrachtet, sehen, dass das Wesen der Lebenskraft, das Wasser, in Schlangenform wandert“, erläutert Brendan. „Wir hatten diese Vision von dieser Schlange, die ein Ei, das heißt die Erde, umwindet. Und wieder projizierten wir uns in eine frühere Periode europäischer Musik, die Troubadour- oder Trovadore-Musik, die sich bis zur Renaissance hielt. Die romantischen Elemente waren verschwunden.“
Reduziert haben Lisa und Brendan bei den Aufnahmen zu „The Serpent’s Egg“ die Anzahl der Gastmusiker, die bislang dafür gesorgt haben, dass das Klangbild der DCD-Werke diese warme Aura ausstrahlte, die gerade durch das Streicher-Ensemble erreicht wurde.
„Das Problem in der Vergangenheit war für uns vor allem das Budget. Die Leute, die wir für unsere Arbeit gerne haben wollten, nahmen einfach zu viel Geld“, erklärt Brendan. „Ein anderer Aspekt ist der, dass der Komponist die Kontrolle über die Interpretation seiner Arbeit verliert. Deshalb haben wir die letzten beiden Alben zuhause in unserem eigenen Studio eingespielt. Es ist einfach komfortabler. Wir können unsere Ideen besser und besser umsetzen. Natürlich ist vieles am Prozess sehr kompliziert. Wir versuchen, so viel wie möglich von dem Material selbst einzuspielen, weil es uns persönlich mehr befriedigt. Da gab es Zeiten, als wir gewisse Parts anderen Leuten zum Spielen übergaben, und das nimmt einen großen Anteil des Reizes weg. Oftmals driftet das Ergebnis weit von der ursprünglichen Idee ab. Wir haben uns selbst dazu angehalten, die Musik so gut es geht selbst einzuspielen.“
Aber selbst dann scheint das Resultat nur eine Ahnung dessen zu vermitteln, was Lisa und Brendan ursprünglich umsetzen wollten. Auch wenn man es als außenstehender Hörer gewiss nicht bemerkt, geht bei der Transformation des Gefühls, das in Musik verwandelt werden soll, im künstlerischen Schaffensprozess auch immer wieder etwas verloren.
„Ich denke, es ist eine Frage, inwieweit ich Sounds ausdrücken kann. Je mehr ich ausdrücken kann, desto mehr befriedigt mich das, aber ich glaube kaum, dass es das allein ist“, meint Brendan nachdenklich. „Es ist dieser abstrakte Sinn vom Auffassen der Kunst, den du nicht wirklich findest. Es ist einfach nicht möglich auszudrücken, was man in einer Sekunde empfindet. So fühle ich mich mehr von der Musik befriedigt, die ich in meinem Innern höre. Es kommt von innen, und eine Menge des Problems liegt darin, dass die Stimmen im Innern surrealistisch verfärbt sind. Um das festzuhalten, musst du es auf ein magnetisches Band bringen. Man muss lernen, mit den Instrumenten und der Technik umzugehen, um die Vibrationen und Gefühle auf das Band zu übertragen. Aber es kommt nie der ursprünglichen Quelle nahe. Man kann diese grauen Zonen nicht erfassen, diese Tiefe. Es ist ein sehr sensitives Erlebnis, ein sehr tiefes, aber in manchen Zonen ist das Mysteriöse verloren gegangen.
Man benutzt die Sprache, die versucht, die Nähe und die Äquivalenz dessen zu vermitteln, was man gehört hat, und manchmal entwickelt sich das genau Entgegengesetzte des ursprünglichen Eindrucks, weil es dieses Gespür für Raum und Umgebung nicht übermitteln kann.
Es ist die falsche Farbe, der falsche Geschmack, der falsche Geruch.“
Vielleicht ist gerade aus diesem Grund Lisa dazu übergegangen, eine andere Sprache bei ihrem Gesang zu benutzen, ein Gesang, der nicht an die Grenzen der konventionellen Sprachsysteme gebunden ist, sondern viel eher in der Lage zu sein scheint, Gefühle zu vermitteln.
„Ich denke, das ist korrekt“, stimmt Brendan zu. „Es ist ein wenig mehr als das, aber Lisa arbeitet mehr auf einem intuitiven Niveau. Für sie ist es sehr wichtig, dass man mit der menschlichen Stimme innere Ängste, Leidenschaft, Freude und Liebe mit all ihren Vibrationen ausdrücken kann. Auf eine bestimmte Weise gehört mehr dazu, weil wir ein Gespür für die menschliche Stimme entdeckt haben, wahrscheinlich mehr, als irgendein anderer es bisher getan hat in bezug auf Nuancen und Worte.
Ich persönlich gehe auf traditionelle Weise an den Gesang heran, was meiner Poesie, meinem Verfassen von Poesie sehr zugute kommt. In Verbindung mit dem musikalischen Ambiente tendiere ich dahin, es auf diese Art anzugehen.“
Im Dezember 1988 kommen Dead Can Dance für vier Konzerte nach Deutschland, wo sie meist neue, nicht auf ihren Alben enthaltene Songs spielen und von einem begeisterten Publikum frenetisch gefeiert werden. Für die Band, die stets mit einigen Gastmusikern auftritt, bedeutet eine Tour immer sehr viel Arbeit; Soundchecks von fünf bis sieben Stunden sind bei Dead Can Dance keine Seltenheit. Doch das gewaltige Feedback entschädigt auch für diese Anstrengung.
„Es ist der härteste Teil der Arbeit“, bekennt Brendan. „In der Vergangenheit haben wir viele verschiedene Systeme benutzt. Das ist eine komplizierte Sache für uns. Nun gebrauchen wir mehr akustische Instrumente. Technologisch gesehen ist das weniger kompliziert. Abgesehen von den langen Soundchecks ist es das am meisten befriedigende Element des ganzen musikalischen Prozesses, weil es die einzige Gelegenheit ist, teilzuhaben an der Luft, der Atmosphäre, den Vibrationen, die wir von den Leuten erhalten, für die wir in erster Linie die Musik machen.“

Dead Can Dance (Teil 3) - Von einer Epoche zur nächsten

Mit ihrem fünften, 1990 veröffentlichten Album „Aion“ reflektieren Dead Can Dance ihr verstärktes Interesse an sakraler und liturgischer Musik vom Zeitalter der Troubadoure des 11. Jahrhunderts bis zur frühen Renaissance. Damit verbunden war die intensive Auseinandersetzung mit dem Mittelalter, jener Zeit, in der Europa durch die Kreuzzüge erstmals in Berührung mit arabischen Instrumenten, einem anderen Verständnis von Poesie, esoterischen Ideen und astrologischen Begriffen kam.
`Aion´ ist ein Begriff aus der bretonischen Philosophie, der seinen Ursprung bei den Griechen hat“, erläutert Brendan die Bedeutung des Albumtitels und damit auch das Konzept des Albums. „Er kennzeichnet eine gütige, wohltuende Energie, die immerwährend ist und sich selbst in der Zeit manifestiert. Er bezeichnet aber auch die Dauer von periodischen Zeitabläufen; man kann es in Beziehung zu dem Leben auf unserem Planeten bringen, und es kann auch auf das Universum angewandt werden. Wir haben diesen Einfluss benutzt, um weiter zurück, ins 14. und 16. Jahrhundert zu gehen.
Wir sehen die Übergänge von einer Epoche zur nächsten, wie die Arbeit und bestimmte Einflüsse die Zeit durchwandern, und wir sehen die Welt in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.“

Auf ihrer Reise in die Vergangenheit sind Dead Can Dance auf die beiden Songs „Saltarello“ und „The Song Of The Sibyl“ gestoßen, die ihre musikalischen Ursprünge im 14. und 16. Jahrhundert haben.
„Saltarello war ein italienischer Musikpublizist. Es gab eine Menge Stücke, die `Saltarello´ hießen, Tanzstücke, weil der Publizist die Arbeiten einsammelte. Er hat sie aber nicht geschrieben. Offensichtlich waren die Komponisten nicht bekannt. Nun habe ich einige von diesen Stücken gehört und ich mochte einige von ihnen. Ich konnte die Musik richtig fühlen, also entschloss ich mich dazu, es zu machen“, meint Brendan. „Sibyl war eine ernst zu nehmende Prophetin, aber sie wurde in den letzten Jahrhunderten durch die Christen übel verleumdet, weil große Widersprüche in ihren Prophezeiungen gefunden wurden. Aber es war weniger dieser Aspekt, der mich ansprach, sondern die arabische Herkunft der Musik, die Mischung von westlicher, weltlicher Musik und arabischen Sounds.
Wir haben seit jeher eine große Vorliebe dafür. Wir haben uns dazu entschlossen, das Stück zu machen, weil wir es sehr tröstlich fanden. Es sollte mehr Leuten zugänglich gemacht werden. Es ist keine Sache, die wir erst neulich entdeckt haben. Auf all unseren Platten verbinden sich westliche und arabische Musiktraditionen.“
Ein besonders schönes Beispiel für diese Symbiose stellt „Black Sun“ dar, das vor allem durch die eindringliche Melodieführung und den dichten Percussionsound besticht.
„Dieser Song behandelt vor allem die Heiligkeit des Lebens. Er ist sehr beeinflusst von Programmen und Büchern, die ich von Organisationen wie `Das Recht zum Sterben´ gelesen habe, und auch Lisas Arbeit in den Hospitälern. All die Leute, die sie sterben sah, Menschen, die mit Medikamenten vollgepumpt waren, ohne Lebensfunktionen. Viele Leute wollten sterben, und es ist barbarisch, dass sie im Namen der Menschlichkeit am Leben erhalten wurden. Also entschied ich mich, darüber auf eine konzeptionelle Art zu schreiben, die auch den physiologischen Aspekt der Existenz beleuchten sollte, wie wir um die Länge des Lebens kämpfen. Das ist ein Grund dafür, warum die Welt in solch einem Durcheinander steckt. Es ist sehr seltsam, wenn man diese Konzepte durchleuchtet, wenn man sieht, wie viel Energie aufgebracht wird, um Dinge in Bewegung zu halten, ohne dass sie tatsächlich leben.
Die Menschen, die das nicht mitmachen wollen, haben kein Recht zum Sterben, weil es gegen das Gesetz ist. In diesem Fall hast du keine Freiheit, aber welche Freiheit hat man überhaupt, wenn man nicht das Recht zu entscheiden hat, ob man leben will oder nicht?“
1991 widmen sich Brendan und Lisa ganz unterschiedlichen Projekten. So wirken sie bei Theater- und Festivalprojekten in Irland mit und stellen Lisas Musik zur Temenos-Produktion von Sophokles´ „Oedipus Rex“ im Andrews Lane Theatre in Dublin vor. Beim Cavan Lakes And Vales Festival spielen Dead Can Dance ihr Konzept zur Parade und der Schlusszeremonie.
Brendan leitet in Irland einen Percussion-Workshop für Kinder, während Lisa heiratet und ein Kind zur Welt bringt.
Außerdem veröffentlichen sie mit „A Passage In Time“ eine erste, vor allem für den amerikanischen Markt konzipierte Best-of-CD, die mit „Bird“ und „Spirit“ aber auch zwei sehr schöne neue Songs beinhaltet.
„Wir wählten Songs, um eine Reise zu beschreiben, bei der die Einzelelemente miteinander gekoppelt sind. Es handelt sich um Weiterentwicklung; etwas durchqueren im Gegensatz zu einer Zeit, die starr und linear ist. Von irgendwo herkommend und irgendwo hinführend“, erklärt Brendan. „Die Musik neigt dazu, weiter zu funkeln und zu glühen, obwohl die sie umgebenden Ereignisse sehr düster sind.“
1993 steuern Dead Can Dance den Track „The Host Of Seraphim“ zum Film „Baraka“ bei (der Soundtrack wurde später von Milan veröffentlicht), den Regisseur Ron Fricke und Produzent Mark Magidson in über vierzehn Monaten und 24 Ländern realisiert haben. An Hector Zazous „Sahara Blue“-Album, eine Hommage an den französischen Dichter Arthur Rimbaud, beteiligen sich Dead Can Dance neben Künstlern wie John Cale, Gerard Depardieu, David Sylvian, Bill Laswell und Ryuichi Sakamoto mit zwei Songs.
Im September erscheint dann endlich das langerwartete neue Album „Into The Labyrinth“.
„Wir haben viel gemacht, und unser Leben dreht sich nicht nur um Dead Can Dance“, erklärt Brendan die lange Veröffentlichungspause. „Wir finden auch Betätigungen in anderen Umfeldern, die uns reizen, denen wir gefühlsmäßig verbunden sind und die wir erforschen wollen. Das verleiht uns die Kraft für die Zukunft und die kommenden Alben.“
So sind Dead Can Dance zum Beispiel durch ihre Beteiligung an dem „Baraka“-Film mit der Sufi-Tradition vertraut geworden. „Baraka“ ist nämlich der sufische Begriff für die Substanz der objektiven Wahrheit, eine sufische Kraft, die die rein wörtliche Bedeutung einer Aussage durchtränkt. Die Sufi-Tradition ist eine im Wesentlichen islamische Bewegung, der es um die Verewigung des menschlichen Bewusstseins durch seine im Erkenntnisvermögen enthaltene Quelle geht. Der Sufismus wird von seinen Anhängern als die `geheime Lehre´ betrachtet, die in jeder Religion verborgen liegt, was als Konsequenz die Folge hat, dass die sufische Entwicklung notwendig überall zum Ausdruck kommen muss.
„Lisa ist mehr vertraut mit der Sufi-Philosophie als ich. Sie hat gerade ein Buch darüber gelesen und mir erzählt, dass der Mystizismus bei den Sufis sehr interessant ist“, erzählt Brendan. „Ich muss auf jeden Fall mehr darüber erfahren, weil alles, was ich davon weiß, direkt aus der Sufi-Musik stammt und den tanzenden Derwischen. Für mich bedeutete das einen Einfluss insofern, dass die Musik selbst zu einem Mantra wird und zu einem spiralförmigen Tanz führt. Dabei geht es um das Erreichen eines Trance-Zustandes und die Opferung der eigenen Kreativität, um zu einem Katalysator für Energien zu werden, die einen durchströmen. Es verbindet das Konzept des Göttlichen mit der materiellen Welt, um es einfach auszudrücken.
Letztlich steckt viel mehr dahinter, die Interaktion mit der Natur, das Erreichen eines höheren Bewusstseins - es ist der Tanz des Lebens im Kreis, in der Spirale der Zeit."
"Zeit ist kein linearer Begriff, wie uns das westliche klassische Denken zu vermitteln versuchte. Es geht vielmehr darum, herumzugehen und sich immer wieder im Spiegel zu betrachten und festzustellen, dass wir leider immer wieder Fehler machen, die aber nötig sind, um unser Leben organisieren zu können.“
Womit wir beim Album wären, dessen Cover wieder einmal sehr symbolträchtig ausgefallen ist.
Es zeigt nämlich ein vom marokkanischen Fotografen Touhami Ennadre aufgenommenes Portrait der Hand eines alten Mannes mit nach unten zeigender Handfläche. Sein Handgelenk wird dabei von den Händen eines Kindes umfasst, als wolle es den alten Mann irgendwohin führen.
„Die Hände des Mannes sind alt, die Hände eines Arbeiters, sie ist tief zerfurcht. Das passte zum Titel“, meint Brendan. „Es sah so aus, als sei eine Geschichte in seine Hände geätzt worden. Und wenn man dieses Labyrinth wie ein Handwahrsager sieht, dann heißt das, dein Schicksal ist in die Hand geätzt.“
An dieser Erklärung lässt sich schon ablesen, dass es sich bei „Into The Labyrinth“ nicht nur wieder um ein gewohnt musikalisch vielschichtiges Werk handelt, sondern auch um ein erneut sehr bedeutungsschwangeres, dessen symbolischer Gehalt für den Hörer zunächst allein auf intuitiver Ebene zu erschließen ist. Dennoch unternimmt Brendan den Versuch, einige Schlüsselsymbole und -songs des Albums zu erläutern.
„Für mich bedeutet das Labyrinth einen Prozess, eine Reise zur Selbstentdeckung, eine Reise zur eigenen Psyche, zum inneren Ich. Das Labyrinth beschwört die innere Welt ohnehin herauf, das Staunen darüber und die Dunkelheit darin. Wir müssen aber bis zum Mittelpunkt vordringen, um das Monster in uns zu töten. Dieses Monster ist die unterdrückte, dunkle Seite unserer Natur. Die haben wir zu entdecken. Aber das ist nur die erste Hälfte unseres Kampfes. Die zweite Hälfte besteht darin, zur ursprünglichen Welt zurückzukehren. Das funktioniert für mich auf diesem symbolischen Niveau.“
Damit verweist Brendan indirekt auf die Eigenschaften eines Eremiten, der sich von der Gesellschaft zurückgezogen hat, um das wahre Ich zu entdecken, Weisheit zu erlangen, und anschließend zurückkehrt, um das Licht des Wissens zur Führung anderer emporzuhalten.
Überhaupt wirkt Brendan selbst wie die Personifizierung des neunten Trumpfes der Großen Arkana beim Tarot: seine Texte sind voller Gleichnisse und dokumentieren ein tiefes Verständnis des menschlichen Unbewussten. Die magische Ausstrahlung, die die Musik von Dead Can Dance zweifellos besitzt, beruht demnach sich auch auf der brillanten Umsetzung der ewigen menschlichen Sehnsucht, Himmel und Erde zu vereinen, um wieder eine Ahnung von dem Paradies zu erhalten, aus dem man einst verstoßen wurde.
Während Brendan auf intuitiv-intellektueller Weise den Eremiten symbolisiert, der auf dem von ihm erklommenen Berg den universellen Gesetzen nachspürt, erreicht Lisa diese Transzendenz durch ihren engelsgleichen Gesang, der auf mehr intuitiv-emotionaler Ebene in vollendeten Klängen zu der kosmischen Geburtsstätte zurückkehrt, die ihn der irdischen Welt dargebracht hat. Und so wie der Eremit den Pfad der Erleuchtung empor klimmt, um sich zu einer höheren Wahrheit zu erheben, steigen Dead Can Dance mit ihrem musikalischen Wirken zu himmlischen Sphären auf, an denen der Hörer teilhaben kann, nachdem Brendan und Lisa ihre kraftvollen Träume der übrigen Welt zugänglich gemacht haben - sei es in Form ihrer ewig verzaubernden Tonträger oder gar durch ihre seltenen, aber höchst intensiven Konzerte, die die spirituelle Kraft ihrer Musik weitaus stärker zum Ausdruck bringen. Brendan betont aber auch, dass dem Hörer durch diese Musik die Möglichkeit gegeben wird, in die Welt von Dead Can Dance einzutauchen.
„Es liegt dann am Hörer, inwieweit er sich beim Hören in die Musik einbringt, wie er sie erfährt und schließlich wieder verlässt, um am Ende eines Tages die Reise des Narren zu interpretieren. Für uns ist es keine lineare Reise, die zu einem Album führt. Die Reise vollzieht sich in einer Spirale.“

Dead Can Dance (Teil 4) - Träume der Selbstverwirklichung

„Into The Labyrinth“ weist nicht nur in intellektueller Hinsicht diese Spiralform auf, sondern natürlich auch und vor allem in musikalischer. Immer wieder tauchen geradezu antipodisch Lisas archaisch-lautmalerischen Gesänge und Brendans hintergründigen Texte im äußerst melodischen Gewand auf, steigern sich aber von Stück zu Stück, bis das Album zum einen mit dem von Lisa dominierten Gesangsduett „Emilia“ und Brendans bislang unübertroffen genialen Komposition „How Fortunate The Man“ beendet wird. Während die ersten Alben „Dead Can Dance“, „Spleen And Ideal“ und „Within The Realm Of A Dying Sun“ noch einen eher homogenen Gesamteindruck hinterlassen, haben Dead Can Dance mit ihren Folgewerken „The Serpent’s Egg“ und „Aion“ zu einem abwechslungsreicheren Spektrum gefunden, das A-Capella-Songs ebenso enthielt wie viel-instrumentelle Bombaststücke, rhythmisch-verspielte Mittelaltertänze ebenso wie epische Sphärenmusik.

Die Vielseitigkeit und Experimentierfreudigkeit von Dead Can Dance wird gerade bei den Songs „Yulunga“ und „Towards The Within“ dokumentiert, wenn der Spannungsaufbau aus der Evolution der wechselnden Instrumentation und Stimmungsbilder resultiert.
Nachdem Brendan und Lisa mit „Saltarello“ und „The Song Of The Sibyl“ bereits bei „Aion“ zwei Songs aus der Renaissance adaptiert hatten, griffen sie für ihr neues Album auf das alte irische Volkslied „Wind That Shook The Barley“ zurück, das Lisa in gewohnt eindringlicher A-Capella-Manier mit beeindruckender Virtuosität vorträgt.
„Es gibt immer mehr Dinge aus der Vergangenheit, von denen wir meinen, dass sie heute einem breiteren Publikum zugeführt werden sollten, Dinge, die uns viel Freude bereiten und die wir mit anderen teilen wollen“, erklärt Brendan seine Vorliebe für die Adaption traditionellen Liedguts. „`Wind That Shook The Barley´ stammt aus Irland, wo die Leute noch alte Lieder singen.
Es ist ein A-Capella-Stück, weil es in der Geschichte um Worte geht und um Worte, die gesungen werden. Sie beruht auf einer bulgarischen Vorstellung, die besagt, dass diejenigen, die Worte sprechen, Barbaren sind, diejenigen aber, die sie singen, Engel. Man drückt mit den Worten mehr aus, wenn sie gesungen werden, weil dabei mehr Gefühl ins Spiel kommt. Wir haben über eine passende Instrumentation nachgedacht, es aber schließlich beim Gesang belassen, weil er allein perfekt dafür erschien.“
Mit welchem symbolischen Gehalt Brendan seine Texte versieht, wird besonders bei „Tell Me About The Forest“ deutlich. Was auf den ersten Blick wie eine Huldigung an ein Naturphänomen aussieht, das unter der weiterhin ungebrochenen Fortschrittsgläubigkeit der westlichen Zivilisation langsam zu einer Ausnahmeerscheinung degradiert wird, entpuppt sich als kritische Auseinandersetzung mit dem Problem, dass es in Brendans Wahlheimat Irland weniger Irländer gibt als im Ausland.
„Das ist ein interessantes Phänomen. Gerade junge Leute brechen mit den alten Traditionen und ziehen aus, um sich selbst zu entdecken. Früher wurden die Kinder ausgeschickt, um Erfahrungen zu sammeln und davon nach ihrer Rückkehr zu berichten. Aber mittlerweile ist die Kommunikation zusammengebrochen, und all die guten alten Traditionen gehen verloren. Die Träume der jungen Menschen richten sich mehr auf die Städte als auf das Land. `Tell Me About The Forest´ ist ein symbolischer Titel. Es geht um das Verlassen“, erzählt Brendan und geht sowohl auf die Bedeutung des Titels als auch die Art und Weise seines Songschreibens näher ein.
„Die meisten Titel sind symbolisch gemeint, symbolisch im Rahmen einer größeren, universellen Skala. In `Tell Me About The Forest´ geht es letztlich um den Verlust von Erinnerungen, Traditionen und Kulturen in Irland, die durch das Fabrik-dominierte Leben in den Städten ersetzt wurde. Es geht auch darum, zu beiden Aspekten seinen Teil beizusteuern, was schließlich dazu führt, dass der Regenwald abgeholzt und die Kulturen anderer Völker zerstört werden, die den Wald nicht verlassen wollen, sondern bleiben möchten. Sie wissen über den Wald Bescheid, aber sie werden umzingelt und ausgerottet.“Ein weiteres, etwas mehr im verborgenen liegendes, aber sicher nicht weniger relevantes gesellschaftliches Phänomen greift Brendan mit „How Fortunate The Man“ auf, das ebenso wie „Carnival Is Over“, „Ubiquitous Mr. Lovegrove“ und „Tell Me About The Forest“ einen leicht melancholischen Grundton aufweist, die der überragenden kompositorischen Qualität noch eine verträumtere, zeitlosere Note verleiht.
„Was der Erzähler in `How Fortunate The Man´ beschreibt, ist, dass wir über keinen Mut und keine Weisheit verfügen. Die Menschen haben nicht das Bedürfnis, diese Eigenschaften zu besitzen. Um glücklich zu sein, brauchen sie nur wenige Dinge. Das ist die konservative bürgerliche Einstellung. Daran sind wir selbst schuld. Das lässt sich der Erzähler durch den Kopf gehen und kommt zu dem Ergebnis: Es ist die Angst vor Gott, die uns in diesen Zustand geführt hat, was zum Ende des Liedes komplett umgeworfen wird: Wir haben keine Angst vor Gott. Das ist wirklich der beste Song, den ich je geschrieben habe.“
Brendans Kommentare zu seinen Songs verstärken sicher den Kontrast, den seine melodiösen Titel mit konkreten, wenn auch symbolischen Texten ohnehin schon zu Lisas rein intuitiv zu verstehenden Gesängen bilden. Während Lisa sich gestattet, als Katalysator für ihre unbewussten Energien zu dienen und damit erreicht, sich dem intellektuellen Verständnis nicht nur zu entziehen, sondern ihre Person wie ihren intuitiven Ausdruck vollends zu mystifizieren, tendiert Brendan dazu, bewusster an die Sache heranzugehen, was auch vonnöten ist, da er überwiegend mit dem Arrangement und der Produktion zu tun hat.
„Lisa und ich arbeiten beide auf eine intuitive Weise, aber Lisa neigt eher dazu, in eine Dämmerung einzutauchen, um gewisse Dinge hervorzubringen. Das wird auch dadurch sichtbar, dass sie stets in Zungen singt und spricht und sich gestattet, ein Katalysator dafür zu sein, urzeitliche, unterbewusste Aspekte ihrer Psyche aufzudecken, ein Katalysator für das zu sein, was sie fühlt und tut. Das tue ich in gewisser Hinsicht auch, aber ich tendiere dazu, bewusster an die Sache heranzugehen, weil ich mehr in das Arrangement und die Produktion involviert bin.
Da besteht ein Gleichgewicht zwischen uns, ohne die nichts funktionieren würde. Das ist keine Sache, worüber wir reden könnten. Das ist eine natürliche Kommunikation, die auf der jeweiligen Stärke des anderen beruht“, versucht Brendan die Zusammenarbeit der beiden musikalisch so verwandten, aber doch ganz unterschiedlich an die Sache herangehenden Seelen zu erklären. „Wir arbeiten anfänglich unabhängig voneinander und erlauben einander die Zeit und den Raum, unsere individuellen musikalischen Visionen entwickeln zu lassen. Wenn wir das Gefühl haben, jeder von uns hat für sich genug Musik geschrieben, kommen wir zusammen und schreiben das eigentliche Material. Wenn wir uns wiedersehen, ist oft ein Jahr vergangen oder zumindest ein großer Teil davon, aber da wir uns dann fast so nahe wie gute Freunde sind, entwickelt sich ein brillanter dynamischer Prozess, dem unsere Musik entspringt. Und wenn wir Musik schreiben, denken wir auch stets daran, wie der andere es mögen würde. Da besteht ein ähnliches Musikverständnis zwischen uns, das uns ermöglicht, unsere Musik so zu gestalten, wie jeder von uns es sich vorstellt.“
Doch auch wenn Brendan in Interviews durch seine sehr präzisen Antworten dazu beiträgt, den traumwandlerischen Klängen von Dead Can Dance einen intellektuellen Hintergrund zu verleihen, bleiben die Träume, die bei Lisa und Brendan eine adäquate musikalische Umsetzung erfahren, auch für Brendan eine Quelle der Selbstfindung.
„Träume sind sehr real. Immerhin verbringen wir ein Drittel unseres Lebens mit Träumen. Es sind vor allem Träume der Selbstverwirklichung, Träume davon, wie man sich als Individuum in ein Gleichgewicht mit seinem Stamm bringt.
Zum einen geht es darum, als Individuum, das sich von den anderen unterscheidet, akzeptiert zu werden. Zum anderen muss das Individuum verstehen, dass es die Gemeinschaft, die Familie braucht. Einige Indianerstämme haben eine brillante Lebensphilosophie. Das erste Gesetz lautet: Wir müssen erkennen, dass jeder von uns anders ist. Das zweite Gesetz heißt: Wir sind in einer Hinsicht alle gleich: Wir sind allein. In der Einsamkeit unterscheidet sich niemand von anderen. Alles andere ist großer Mist. Wenn wir unsere materielle Welt betrachten, wendet man den Begriff der Gleichheit nur auf Besitzverhältnisse an, aber das ist nebensächlich. Wir sind letztlich wie Inseln zueinander. Nur wenn wir miteinander kommunizieren, können wir uns bewusstwerden, dass wir Individuen sind. Dadurch erfahren wir etwas von den Träumen anderer, mit denen man die Welt wahrnimmt. Da spielen eine Menge Symbole eine Rolle, die hoffentlich Teil eines universellen Traumes sind, der unabhängig von den ganz persönlichen Träumen der Menschheit existiert. Es geht nicht darum, andere als Außenseiter abzustempeln, wenn man von ihren Träumen erfahren hat, die nicht in dieses Konzept passen. Man lernt diagnostische Methoden, um seine Träume zu verstehen, ob sie sich im Schlaf oder in Ideen manifestieren. Und man kann eine Menge über sich selbst dabei lernen und erkennen, dass Träume auch prophetisch sein können.“
Ein Traum für viele Fans erfüllt sich schließlich mit der 1994 mit der Veröffentlichung des Albums „Toward The Within“, das einige bei ihren Konzerten exklusiv vorgetragene Songs enthält, die bislang - wenn überhaupt - sonst nur auf den mittlerweile zahlreich kursierenden Bootlegs erhältlich gewesen sind.
„Wenn wir live spielen, wiederholen wir uns ungern. Wir nehmen lieber die Gelegenheit wahr und schaffen mit Hilfe eines offenen Systems neue Musik mit viel Platz für Spontanität und Improvisation. Wir haben gemerkt, dass wir so gefährlich schöne Musik schaffen können“, erläutert Brendan die Vorliebe der Band, bei Konzerten überwiegend unbekanntes neues Material vorzustellen.
Parallel dazu erscheint auch ein gleichnamiges Video, das Mark Magidson, der zuvor „Baraka“ produziert hatte, während des Dead-Can-Dance-Konzerts im Mayfair Theatre von Santa Monica, Kalifornien, gedreht hat. Zwischen den einzelnen Songs werden immer wieder Interview-Sequenzen mit Brendan und Lisa eingeblendet, was dem 77minütigen Film einen noch dokumentarischeren Charakter verleiht.

Dead Can Dance (Teil 5) - Keine Angst vor der Technik

Als 1995 Lisa Gerrards Solodebüt „The Mirror Pool“ erscheint, kocht die Gerüchteküche um das mögliche Ende der Band. So wie die Band bislang zwischen verschiedenen musikalischen, kulturell unterschiedlichen Stilen und Epochen vermittelte, um eine zutiefst die Seele bewegende und aufrüttelnde, sakral anmutende Musik schuf, die die Sehnsucht nach der Wiederkehr des verlorenen Paradieses zu lindern vermochte, schienen Lisa Gerrard und Brendan Perry wie das unzertrennliche Götterpaar einer verschütteten Mythologie.
„The Mirror Pool“ ist nicht unbedingt das Produkt eines einheitlichen Schaffensprozesses, auch wenn natürlich jeder Song des Albums die vertraute Sorgfalt und Hingebung erkennen lässt, die auch die Musik von Dead Can Dance charakterisiert. Vielmehr handelt es sich um die Sammlung verschiedener Songs, die über Jahre hinweg nicht in das ausgetüftelte Konzept von Dead Can Dance passten und nie verwendet worden sind.

Ein neues Kapitel in ihrer Geschichte schlagen Dead Can Dance schließlich mit dem im Juli 1996 veröffentlichten Album „Spiritchaser“ auf, das nicht nur viel rhythmischer ausgefallen ist als seine Vorgänger, sondern auch intensiv Gebrauch von moderner Sample-Technik gemacht hat.
„Es ist eine Kombination aus echten Instrumenten und Technik, wir versuchen, etwa ein Verhältnis von 50:50 zu erreichen“, erklärt Brendan. „Wir arbeiten ja in ziemlicher Abgeschiedenheit und Intimität unseres eigenen Studios, wir machen das meiste selbst. Einmal hatten wir eine Session mit sechs Percussionisten, in der wir `Nierika´ und `Dedicace Outo´ aufgenommen haben. In anderen Stücken haben wir dagegen stärker gesampelt. Es kommt darauf an, die Technik so einzusetzen, dass sie einen persönlichen Ausdruck bekommt, dass es nicht nach Fabrik-Sampler klingt. Wir haben keine Angst vor der Technik. Wenn man sie richtig einsetzt, ist sie ein Freund.“
Tatsächlich haben Dead Can Dance die verwendeten Samples so in ihre Musik integriert, dass sie wie live im Dschungel vom Amazonas eingespielt klingt. In „Song Of The Nile“ beispielsweise setzte man CD-Samples von brasilianischen Vögeln und Vogel-Pfeifen ein; für den Opener „Nierika“ nahm man das Geräusch eines Bullroarer auf, welches ein über dem Kopf schwingendes, an einem Seil befestigtes Stück Holz ist, und spielte es von einem Keyboard ab. Ansonsten dominieren aber vor allem lateinamerikanische Rhythmen und Melodien.
„Die Grundlage war der Rhythmus. Es begann mit einem recht unbestimmten Konzept, als ich Lisa vorschlug, dass das Album stärker von Percussions beeinflusst werden sollte. Ihre Stimme sollte diesmal in der Evolution der Stücke am Schluss kommen, normalerweise machen wir es umgekehrt. Ihre Stimme ist definitiv stärker afrikanisch geprägt, mit dortigen traditionellen Einflüssen, aber das war eine der Prämissen“, erläutert Brendan.
„Als ich England ankam, hatte Brendan die Rhythmen mehr oder weniger schon ausgearbeitet. Es war eine ziemliche Herausforderung“, ergänzt Lisa. „Normalerweise haben wir eine wunderbare Mischung von fertigen melodischen Strukturen, die sich meiner Stimme anpassen und umgekehrt. Diesmal war alles, was wir hatten - Trommeln."
"Als Brendan mir sagte, er wolle das Album nicht europäisch, sondern eher karibisch und lateinamerikanisch, war ich erst mal sprachlos. Mein Vokabular, mit dem ich an melodische Strukturen herangehe, um mit der Musik zu arbeiten, musste ich bewusst ignorieren, um mich auf die Trommeln einlassen zu können. Es war ein Prozess des Verlernens, zunächst fühlte ich mich richtig nackt. Aber das war das Reizvolle: Ich habe mit Grundfarben gearbeitet, im Gegensatz zu den üppigen Bildern, die ich sonst immer mit meinem Gesang gemalt habe.“
Obwohl „Spiritchaser“ sicher nicht zu den stärksten Dead-Can-Dance-Alben zählt, muss man doch die immerwährende Experimentierfreudigkeit der Band bewundern, deren musikalischen Reisen zwar manchmal an vertraute Orte führen, doch verbinden sich die einmal dort gemachten Erfahrungen immer wieder auf wundersame Weise mit neuen Eindrücken und Ideen.
Leider haben sich Brendan Perry und Lisa Gerrard 1998 während der Aufnahmen zum „Spiritchaser“-Nachfolger dazu entschieden, Dead Can Dance aufzulösen, um verstärkt den jeweiligen Solo-Ambitionen nachzugehe. Es folgten noch Best-of-Compilations wie „Wake“ und das Box-Set „1981-1998“ und schließlich 2005 doch noch eine gemeinsame Welt-Tournee. Vor allem Lisa Gerrard hat sich mit verschiedenen Solo-Alben und Kollaborationen sowie etlichen Filmmusik-Arbeiten (u.a. „Gladiator“, „Ichi – Die blinde Schwertkämpferin“, „Ali“, The Insider“, „Whale Rider“) erfolgreich emanzipiert. Brendan Perry hat nach seinem 99er Solo-Debüt „Eye Of The Hunter“ erst kürzlich sein zweites Album mit „Ark“ vorgelegt …

Diskographie:
• Dead Can Dance - 1984 (4AD)
• Spleen And Ideal - 1985 (4AD)
• Within The Realm Of A Dying Sun - 1987 (4AD)
• The Serpent's Egg - 1988 (4AD)
• Aion - 1990 (4AD)
• A Passage In Time (Best of) – 1991 (4AD)
• Into The Labyrinth - 1993 (4AD)
• Toward The Within - 1994 (4AD)
• Spiritchaser - 1996 (4AD)
• 1981-1998 (Box-Set), 2001 (4AD)
• Wake (Best of) – 2003 (4AD)

Sonntag, 23. Mai 2010

Playlist # 33 vom 23.05.10 - RIDLEY SCOTT Special

Der britische Regisseur Ridley Scott zählt zu den besten Handwerkern seines Fachs. Nachdem er mit „Alien“ und „Blade Runner“ zwei wegweisende Werke des Sci-Fi-Genres abgeliefert hatte, wurde er dem breiten Publikum durch die monumentalen Historien-Epen „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ und „Gladiator“ bekannt und bewegt sich gern in unterschiedlichen Genres.

Seine künstlerische Laufbahn begann der am 30. November 1937 im britischen South Shields geborene Ridley Scott mit einem Studium an der Kunsthochschule West Hartlepool, wechselte anschließend auf das Royal College of Art in London und arbeitete dann als Setdesigner für die BBC, wo er Anfang der 70er auch einzelne Folgen der Serien „Z-Cars“ und „The Informer“ inszenierte.
Er gründete mit seinem Bruder Tony die Werbefilmagentur Ridley Scott Associates und lieferte mit dem historischen Abenteuerfilm „Die Duellisten“ 1977 sein Kinofilmdebüt ab.
Schon mit seinem nächsten Projekt gelang dem Filmemacher der künstlerische und kommerzielle Durchbruch: 1979 adaptierte er mit „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ das Drehbuch des Sci-Fi-Spezialisten Dan O’Bannon („Dark Star – Finsterer Stern“) und kreierte einen extrem düsteren wie grausamen Schocker, für den der Schweizer Künstler H.R. Giger das beeindruckende Design des Alien-Monsters beisteuerte. Star-Komponist Jerry Goldsmith lieferte zudem einen eindringlichen Soundtrack ab, der die durchweg beunruhigende Wirkung des Films noch verstärkte.
Wie sehr Ridley Scott futuristische Designs schätzt, bewies er auch bei der Verfilmung von Philip K. Dicks Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ . In „Blade Runner“ leben Androiden und Menschen nahezu voneinander nicht unterscheidbar nebeneinander in übervölkerten Metropolen. Neue Aspekte des Films traten beim 1992 veröffentlichten „Director’s Cut“ zutage, auch wenn Ridley Scott betonte, dass Warner Bros. Nur sieben der siebzig vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigt hätten. Änderungen hin oder her, „Blade Runner“ wurde zum ästhetischen Meilenstein der 80er Jahre. Er entwarf das düstere Szenario einer vielleicht nicht allzu entfernten Zukunft, in der der Kopfgeldjäger Deckard (Harrison Ford) Jagd auf Replikanten macht, die sich unerlaubterweise auf der Erde aufhalten, um ihre genetisch festgelegte Lebensdauer von vier Jahren zu verlängern. Ridley Scott zeichnet das deprimierende Bild eines immer in Dunkel getauchten Los Angeles, in dem ethnische Identitäten keine Rolle mehr spielen. Reich an philosophischen Verweisen auf die menschliche Selbstgewissheit und Nietzsches Übermenschen, hat der „Blade Runner“ seine filmischen Wurzeln sowohl in Fritz Langs „Metropolis“ als auch im Film noir und stellt die wesentliche Frage nach der menschlichen Identität.
Perfekt dazu passt der elektronische Score von Vangelis, mit dem Ridley Scott erneut bei „1492“ erfolgreich zusammenarbeitete. Bis dahin übte sich der Regisseur in eher optisch ansprechenden, inhaltlich jedoch weniger überzeugenden Filmen.
Das affektiert und prätentiös wirkende Fantasy-Märchen „Legende“ entstand 1985 mit dem jungen Tom Cruise in der Hauptrolle eines Prinzen, der sich mit Hilfe eines Elementargeists in die Tiefen der Hölle hinabbegeben muss, um das Paradies retten zu können. Interessanter als die klischeehaften Figuren und die wenig originelle Story wirken hier das knallbunte Produktionsdesign und die Tatsache, dass Tangerine Dream die Filmmusik nur für den europäischen Markt komponierten. Für die amerikanische Version wurde Jerry Goldsmith engagiert, der das unausgegorene Fantasy-Machwerk aber auch nicht retten konnte.
1987 inszenierte Scott mit „Der Mann im Hintergrund“ einen wenig spektakulären Erotik-Psycho-Thriller um einen Cop (Tom Berenger), der sich in seinen Schützling (Mimi Rogers) verliebt. Der Cop-Thriller „Black Rain“ (1989) erwies sich als One-Man-Show für Michael Douglas, der in Tokyo gezwungenermaßen mit seinen japanischen Kollegen gegen Yakuza-Gangster ermittelt.
Dieser Film war die erste Zusammenarbeit zwischen Ridley Scott und dem deutschen Komponisten Hans Zimmer, der damals für seine exotischen wie elektronischen Klänge bekannt war und so die Idealbesetzung für die musikalische Untermalung im Kampf der Kulturen schien.
Erst 1991 fand Ridley Scott mit „Thelma & Louise“ zu alter Stärke zurück. Susan Sarandon und Geena Davis flüchten vor gewalttätigen Männern und schlagen schließlich zurück. Auf dieses feministische Roadmovie fuhren aber nicht nur Frauen ab. Der Film dokumentiert auch Scotts Vorliebe für gesellschaftliche Außenseiter, die verzweifelt versuchen, ihre Individualität zu entwickeln.
Ein Jahr später – und 500 Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus – inszenierte Scott mit „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ allerdings ein Abenteuer-Drama, das Kolumbus (Gérard Depardieu) als fortschrittlichen Wissenschaftler glorifizierte, der zwar Tod und Krankheit über die Ureinwohner brachte, allerdings schienen diese Opfer nicht weiter tragisch zu sein. Gegen die fragwürdige Aussage des Films konnten die prächtigen Kostüme und Bilder wenig ausrichten. Immerhin gab es einen Oscar für die vor allem auch kommerziell erfolgreiche Musik von Vangelis.
Dem Meer blieb Ridley Scott auch beim Hochsee-Drama „White Squall“ treu. Da Hans Zimmer für diesen Film nicht zur Verfügung stand, brachte er mit Jeff Rona einen bis dahin gänzlich unbekannten Komponisten aus seinem umfangreichen Studio-Umfeld in Position – eine Praxis, die von einigen Hollywood-Komponisten immer wieder kritisiert wird. Wenn man Hans Zimmer nicht bekommen kann, nimmt man einfach jemanden aus seinem Team …
Einen kreativen wie kommerziellen Tiefpunkt erlebte Scott 1997 mit dem Militärdrama „G.I. Jane“, in dem Demi Moore die erste Frau spielte, die zu den Navy Seals wollte.
Erst mit „Gladiator“ gelang dem Regisseur im Jahre 2000 wieder ein Welterfolg, belebte er doch ein Genre, das seit 40 Jahren als ausgestorben galt. Inspiriert von Jean-Léon Gérômes Gemälde „Pollice Verso“ („Daumen nach unten“) erzählt er die bewegende und actionreiche Geschichte des Feldherrn Maximus (Russell Crowe), der von seinem Nebenbuhler um den kaiserlichen Thron verraten wird und schließlich Heimat und Familie verliert. Zum Sklaven degradiert macht er als Gladiator Furore und kann sich schließlich an seinem Verräter rächen.
Ridley Scott ist es hervorragend gelungen, die Epoche des antiken Roms mit prächtigen Kulissen und Kostümen sowie imposanten Schlachten wieder lebendig werden zu lassen und bei aller Gigantomie und brachialer Barbarei doch glaubwürdig das menschliche Drama seines Protagonisten im Fokus behält.
„Ich liebe es, Welten zu erschaffen, und jede Facette dieser Welt muss in das Gesamtbild der Filmhandlung passen. Man muss das Schlachtfeld riechen können und die Schönheit und das Licht der goldenen Stadt vor sich sehen. Der Film sollte einen so in diese Welt hineinziehen, dass man sich in das Jahr 175 n.Chr. zurückversetzt fühlt“, erzählt der Regisseur in der Einführung zu „Gladiator. Die Entstehung des Epos von Ridley Scott“ (Burgschmiet Verlag).
Musikalisch konnte sich Ridley Scott einmal mehr auf Hans Zimmer verlassen, der sich als besonderen Clou mit Lisa Gerrard eine versierte Musikerin und Sängerin an Bord holte, die dem Soundtrack eine besonders einfühlsame, menschliche Note verlieh.
Eindrucksvoll fiel auch die Fortsetzung von Jonathan Demmes Thriller-Meisterwerk „Das Schweigen der Lämmer“ (1992) aus. Bei „Hannibal“ (2001) konnte er vor allem auf Anthony Hopkins bauen, der den kultivierten Kannibalen Hannibal Lecter erneut mit lässiger Eleganz verkörperte und seine Gegenspielerin – diesmal mit Julianne Moore in der Rolle der gescholtenen FBI-Agentin Clarice Starling – in einen intellektuellen wie emotionalen Schlagabtausch verwickelt.
Zwar wird auch Ridley Scotts Verfilmung der grandios spannenden Romanvorlage von Thomas Harris nicht gerecht, aber dem Regisseur gelingt zumindest eine atmosphärisch dichte, sehr düstere Adaption mit drastischen Horror-Effekten (weshalb Jodie Foster es ablehnte, erneut die Rolle von Clarice Starling zu übernehmen).
Hans Zimmer komponierte wiederum die Filmmusik, ebenso zum nachfolgenden Kriegsdrama „Black Hawk Down“, ehe sich Ridley Scott ganz anderen Genres zuwandte. Die Gaunerkomödie „Tricks“ (2003) ging dabei allerdings ebenso künstlerisch wie kommerziell unter wie die Romanze „Ein gutes Jahr“ (2006), bei der Scott erstmals auf den bis dato unbekannten Komponisten Marc Streitenfeld zurückgriff. Dieser stammt wie zuvor schon Jeff Rona („White Squall“) und Harry Gregson-Williams („Königreich der Himmel“) aus Hans Zimmers direkten Umfeld.
„Königreich der Himmel“ bedeutete im Jahre 2005 noch einmal eine Rückkehr zu einem historischen Stoff, der im später veröffentlichten Director’s Cut um satte 40 Minuten verlängert erschien. Orlando Bloom, der durch „Herr der Ringe“ und „Fluch der Karibik“ zu Weltruhm kam, mimt den französischen Schmied Balian, der um 1184 herum plötzlich mit der Tatsache konfrontiert wird, adliger Herkunft zu sein und nach Jerusalem ziehen soll, wo er den zerbrechlichen Waffenstillstand zwischen Christen und Muslimen bewahren soll. Doch sowohl unter den Tempelrittern als auch Muslimen sind Kräfte am Werk, die nicht auf Frieden, sondern persönliche Macht aus sind.
Wie bei „Gladiator“ sind auch hier prächtige Kulissen und aufwendig inszenierte Schlachten zu bestaunen, zu denen Harry Gregson-Williams – der sonst vor allem bei Ridleys Bruder Tony Scott („Déjà vu“, „Die Entführung der Pelham 1-2-3“) und Joel Schumacher („Phone Booth"“ „Number 23“) zum Einsatz kommt, den passenden opulenten Soundtrack liefert.
Die Zusammenarbeit zwischen Ridley Scott und Russell Crowe, die mit „Gladiator“ so erfolgreich begann und bei „Ein gutes Jahr“ fortgesetzt wurde, etablierte sich auch bei Scotts weiteren Filmen, dem 2007 inszenierten Gangster-Epos „American Gangster“, dem CIA-Thriller „Der Mann, der niemals lebte“ (2008) und der diesjährigen Neuauflage des Abenteuer-Klassikers „Robin Hood“.
Filmographie:
1977: Die Duellisten (The Duellists)
1979: Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Alien)
1982: Blade Runner
1985: Legende (Legend)
1987: Der Mann im Hintergrund (Someone to Watch Over Me)
1989: Black Rain
1991: Thelma & Louise
1992: 1492 – Die Eroberung des Paradieses (1492 – Conquest of Paradise)
1996: White Squall – Reißende Strömung (White Squall)
1997: Die Akte Jane (G.I. Jane)
2000: Gladiator
2001: Black Hawk Down
2001: Hannibal
2003: Tricks (Matchstick Men)
2005: Königreich der Himmel (Kingdom of Heaven)
2006: Ein gutes Jahr (A Good Year)
2007: American Gangster
2008: Der Mann, der niemals lebte (Body of Lies)
2010: Robin Hood

Playlist
1 Hans Zimmer - Weird Is Good (Matchstick Men) - 06:42
2 Jerry Goldsmith - Main Title (Alien) - 03:30
3 Vangelis - Perfume Exotico (Blade Runner) - 05:21
4 Jeff Rona - The Return Home (White Squall) - 03:24
5 Hans Zimmer - Hunger (Black Hawk Down) - 06:37
6 Hans Zimmer & Lisa Gerrard - Duduk Of The North (Gladiator) - 05:35
7 Harry Gregson-Williams - Terms (Kingdom Of Heaven) - 04:26
8 Hans Zimmer - Avarice (Hannibal) - 03:55
9 Marc Streitenfeld - Frank Lucas (American Gangster) - 02:42
10 Marc Streitenfeld - Betrayal (Body Of Lies) - 03:31
11 Marc Streitenfeld - Godfrey (Robin Hood) - 03:35
12 Vangelis - Pinta, Nina, Santa Maria (1492 - Conquest Of Paradise) - 13:19

Sonntag, 9. Mai 2010

Playlist # 32 vom 09.05.10 - MICHAEL MANN Special

Der am 5. Februar 1943 geborene Michael Mann wird oft als „Hollywoods letzter Autorenfilmer“ bezeichnet, weil er zu vielen seiner Filme auch die Drehbücher schreibt. Aufgewachsen in einem Chicagoer Arbeiterviertel, war es ihm als einer der wenigen seines Jahrgangs vergönnt, die Universität von Wisconsin zu besuchen, wo er sich für englische Literatur einschrieb. Ein Seminar für Filmgeschichte faszinierte ihn aber so stark, dass er nach London auf die Internationale Filmschule ging, wo er sich auch der Einberufung in die Armee und einem Einsatz im Vietnam-Krieg entziehen konnte, den er ablehnte.
Nach dem Studium gründete er die Filmproduktionsfirma Michael Mann Productions und drehte 1970 den Kurzfilm „Jaunpuri“. 1971 kehrte er in die USA zurück und realisierte den Kurzfilm „17 Days Down The Line“, das Ergebnis seiner 17-tägigen Reise durch sein Heimatland, während der Mann verschiedene Amerikaner interviewte, die sich über ihren Beruf definieren. Mann schrieb in der Folge Drehbücher zu den Fernsehserien „Starsky & Hutch“ und „Police Story“ und verfilmte 1979 den Gefängnisroman „Jericho Mile“, die Geschichte des lebenslänglich verurteilten Mörders Rain Murphy, dem die Möglichkeit geboten wird, bei den Olympischen Spielen mitzulaufen, doch da Murphy den Mord an seinem Vater nicht bereut und seine Strafe absitzen will, schlägt er die Chance aus. Sein Kinodebüt feierte Michael Mann 1981 mit „Thief“, zu dem die deutschen Elektronik-Pioniere Tangerine Dream ebenso den Soundtrack beisteuerten wie zu Manns nächstem Film, dem Sci-Fi-Horrorfilm „The Keep“ (1983).
Das bei Michael Mann hervorstechende Motiv des auf sich allein gestellten Antihelden – in „Jericho Mile“ war es der olympiareif laufende Mörder Murphy, in „Thief“ der von James Caan gespielte Juwelendieb Frank, der davon träumt, sich mit seiner Familie zur Ruhe zu setzen, aber nicht aus den Fängen der Mafia entkommt – tritt bei all seinen weiteren Filmen deutlich zutage. Bevor Anthony Hopkins die Rolle des kultivierten Serienkillers in den Verfilmungen von Thomas Harris‘ „Hannibal Lecter“-Trilogie übernahm, versuchte sich Michael Mann bereits 1986 in „Manhunter“ an der Suche von Detective Will Graham (William Peterson) nach einem Serienmörder, bei der ihm der inhaftierte Serienmörder Hannibal Lecter (Brian Cox) behilflich sein soll.
„Manhunter“ besticht durch eine ausgefeilte visuelle und auditive Inszenierung, wobei Michael Mann wiederum verstärkt auf elektronische Musik setzte. Neben dem eigentlichen Score von Michel Rubini und The Reds kamen vor allem atmosphärische Tracks der britischen Band Shriekback („Evaporation“, „This Big Hush“, „Coelocanth“) hinzu.
Trotz seiner Stärken floppte „Manhunter“ an den Kinokassen, worauf sich Mann wieder zum Fernsehen wandte, wo unmittelbarer und effektiver arbeiten konnte. Vor allem bei der hippen Fernsehserie „Miami Vice“ machte er als leitender Produzent Furore, dann inszenierte er 1989 mit „L.A. Takedown“ nicht nur seinen bis heute letzten Fernsehfilm, sondern auch gleich eine erste Version seines 95er Meisterwerks „Heat“. Dazwischen beeindruckte Michael Mann Publikum und Kritiker mit der Neuverfilmung des Klassikers „The Last of the Mohicans“ mit Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle des weißen Adoptivsohnes eines Indianers, der seinen Platz zwischen den Kulturen im jungen Amerika sucht.
Die Musik von Trevor Jones und Randy Edelman erhielt sogar eine Oscar-Nominierung und zählt nicht nur zu den schönsten Scores überhaupt, sondern markierte auch den Wechsel von den elektronisch geprägten Soundtracks zu orchestralen Kompositionen. Damit passte sich Mann zwar mehr dem üblichen Hollywood-Sound an, doch nach wie vor verwendete der Regisseur und Produzent besonders viel Sorgfalt bei der Auswahl der Musik zu seinen Filmen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ihre Filme erst im Post-Produktions-Prozess mit Musik versehen lassen, arrangiert Michael Mann wie bei einem Musikvideoclip die Bilder, sogar die Erzählstruktur zur Musik.
Das wird besonders bei „Heat“ deutlich, dem grandiosen Gangster-Epos, bei dem sich Al Pacino als ehrgeiziger Cop und Robert De Niro als gewitzter Boss einer Diebesbande einander hinterherjagen. Die teilweise vom Kronos Quartet umgesetzte Musik von Komponist Elliot Goldenthal wird von so unterschiedlichen Künstlern wie Passengers (einem Soundtrack-Projekt von Brian Eno und U2), Moby, Lisa Gerrard und der deutschen Industrial-Avantgarde-Band Einstürzende Neubauten ergänzt, was dem Soundtrack einen sehr eklektischen Charakter verleiht. Michael Mann war von den Lisa-Gerrard-Songs „La Bas“ und „Gloradin“ (von ihrem Solo-Debüt „The Mirror Pool“) so angetan, dass er sie und Pieter Burke mit der Filmmusik zu seinem Thriller-Drama „The Insider“ (1999) und seinem Muhammed-Ali-Biopic „Ali“ (2001) engagierte.
Doch auch hier mussten sich die Komponisten das musikalische Feld mit vielen anderen im Film eingesetzten Songs und Instrumentals teilen. Bei „The Insider“ - mit Al Pacino als investigativer Journalist und Russell Crowe als ehemaliger Manager eines Tabakkonzerns, die gemeinsam dunkle Machenschaften der Tabak-Industrie aufdecken wollen - wurde Graeme Revell als weiterer Komponist hinzugezogen, darüber hinaus kamen Tracks der britischen Trip-Hopper Massive Attack, des Jazz-Musikers Jan Garbarek und des argentinischen Komponisten Gustavo Santaolalla zum Einsatz. Zu „Ali“ gab es gleich zwei Soundtracks, auf denen neben dem Score von Gerrard & Bourke natürlich vor allem Black Music von Künstlern wie Aretha Franklin, Everlast, R. Kelly, Bilal, Soul Clan und Salif Keita vertreten sind.

In dem 2004 realisierten Gangster-Thriller „Collateral“ treffen gleich zwei Anti-Helden aufeinander: Tom Cruise engagiert als Auftragskiller den lethargischen Taxifahrer Max (Jamie Foxx), damit er diesen im nächtlichen Los Angeles von einem Tatort zum nächsten kutschiert. Michael Mann inszenierte den Film erstmals auf Video und behielt diese Technik bei seinen folgenden Filmen bei. Von den Original-Kompositionen, die James Newton Howard und Antonio Pinto für „Collateral“ produzierten, war auf dem Soundtrack nicht mehr viel zu hören. Dafür tummelten sich Acts wie Audioslave, Groove Armada, Oakenfold, Miles Davis und Calexixo auf dem Soundtrack-Album.
Im Jahre 2006 inszenierte Mann eine Kinoversion von „Miami Vice“ und engagierte John Murphy und Klaus Badelt für die Musik, das Gangster-Epos „Public Enemies“ (2009) um John Dillinger (Johnny Depp) wurde wieder von Elliot Goldenthal vertont, der die Zusammenarbeit mit Michael Mann so beschrieb: „Er mag nicht zu viele Tricks und Wendungen in der Struktur der Musik. Er interagiert wirklich mit den Dingen, die sich sehr, sehr langsam entwickeln. Er möchte Musik, zu denen die Bilder, die Schnitte und Dialoge hinwegfließen können, ohne zu sehr mit ihnen korrespondieren zu müssen. Wenn du mit Michael arbeitest, musst du darauf vorbereitet sein, viele Veränderungen durchzumachen. Er ändert seine Meinung. Er schaut sich den Film jeden Tag als Ganzes an und verändert immer wieder etwas, also musst du wissen, dass zu deinem Job ebenso ständige Veränderungen gehören.“
Michael Mann erzählt zwar keine anspruchsvollen Geschichten und präsentiert keine Helden, wohl aber Figuren aus dem (oft) wahren Leben, die sich ihrer Rolle in der Gesellschaft vollkommen bewusst sind und schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, sobald sie mal über sich hinausgewachsen sind.
Obwohl Michael Mann weder zu der illustren Garde des „New Hollywood Cinema“ zählt, in dem Spielberg, Lucas, Scorsese, Bogdanovich und Coppola neue Formen des Geschichtenerzählens entwickelt haben, und auch nicht zur zweiten Welle zugeordnet werden kann, in der Ron Howard, Ridley Scott und Robert Zemeckis das Kino der 80er geprägt haben, ist er einer interessantesten Filmemacher der heutigen Zeit und mit einem besonderen Gespür für visuelle und musikalische Ausdrucksformen ausgestattet.

Filmographie:
1971: Jaunpuri (Kurzfilm)
1972: 17 Days Down the Line
1979: The Jericho Mile - Ein Mann kämpft allein
1981: Thief - Der Einzelgänger
1983: The Keep - Die unheimliche Macht
1986: Manhunter – Roter Drache/Blutmond
1989: L.A. Takedown - Showdown in L.A. (TV)
1992: The Last of the Mohicans - Der letzte Mohikaner
1995: Heat
1999: The Insider
2001: Ali
2004: Collateral
2006: Miami Vice
2009: Public Enemies
Playlist:
1 Tangerine Dream - Sam's Forge (Thief) - 03:10
2 Tangerine Dream - Ancient Powerplant (The Keep) - 04:26
3 Shriekback - Evaporation (Manhunter) - 03:18
4 Lisa Gerrard & Pieter Bourke - See The Sun (Ali) - 03:22
5 Moby - God Moving Over The Face Of The Waters (Heat) - 06:57
6 Oakenfold - Ready Steady Go (Remix) (Collateral) - 04:48
7 John Murphy - CDE (Miami Vice) - 02:47
8 Jan Garbarek - Rites (Special Edit For The Film) (The Insider) - 03:34
9 Elliot Goldenthal - Plane To Chicago (Public Enemies) - 03:25
10 Lisa Gerrard & Pieter Bourke - Liquid Mood (The Insider) - 04:06
11 Trevor Jones - Promentory (The Last Of The Mohicans) - 06:13
12 Tangerine Dream - Main Title/The Heist (Thief) - 10:46

Sonntag, 15. März 2009

Lisa Gerrard (Teil 1) - Neue Visionen auf Solo-Pfaden

In einer Zeit, in der irgendwie jede neue musikalische Spielart ihre eigene Szene bildet, verstehen es nur noch wenige Musiker, Brücken nicht nur zwischen den verschiedensten musikalischen Polen zu schlagen, sondern damit gleichsam die Grenzen zwischen den einzelnen Publikumsschichten aufzuheben. Lisa Gerrard ist dieses Kunststück bereits mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Brendan Perry in den Jahren von 1984 bis 1998 bei Dead Can Dance gelungen, aber auch während ihrer vielseitigen Solokarriere, die eigenverantwortliche Arbeiten ebenso beinhaltet wie Kollaborationen mit Musikern wie Jeff Rona, Pieter Bourke und Patrick Cassidy als auch Filmmusikkompositionen.

Auf eigenen Füßen stehen

Als nach Abschluss ihrer klassischen Ausbildung Brendan Perry und Lisa Gerrard 1981 die Band Dead Can Dance gründeten, begann ein kometenhafter Aufstieg der beiden Australier, die mit Alben wie "Within The Realm Of A Dying Sun", "The Serpent's Egg", "Aion" und "Into The Labyrinth" Einflüsse aus mittelalterlichen Sakralklängen, barockem Bombast, neoklassizistischen Harmonien, Elementen der mittel- und fernöstlichen Musikkultur, aber auch aus dem modernen Folk- und Pop-Repertoire verbanden. Die dank der außergewöhnlichen Stimmen der beiden Künstler magische Ausstrahlung dieser Symbiose faszinierte sowohl ein jugendliches Publikum, das sonst eher The Sisters Of Mercy und The Cure hört, als auch ältere Jahrgänge, die überwiegend der Klassik frönen.

Nach acht Dead-Can-Dance-Alben veröffentlichte Lisa Gerrard 1995 erstes Solo-Album "The Mirror Pool". Dabei habe sie nie geplant, ein eigenes Album zu machen, vertraute sie mir damals im Kölner Maritim-Hotel an. Allerdings schrieben die beiden Musiker ständig an so vielen Songs, dass viele von ihnen der Kontinuität, die für die Werke von Dead Can Dance so charakteristisch ist, zum Opfer fielen, so dass immer ein Überschuss nicht verwendeten Materials vorhanden sei.
Nachdem Brendan Perry nach der 94er "Toward The Within"-Tour verkündete, einige Jahre an seinem eigenen Solo-Album arbeiten zu wollen, konnte Lisa sich die Zeit nehmen, ihren eigenen Plänen nachzugehen. Sie versicherte sich, dass das Budget der Plattenfirma für ein Solo-Album ausreichend wäre, um einen lang gehegten Traum zu verwirklichen, nämlich Teile des Albums mit einem Orchester aufzunehmen. Lisa spielte die akustischen Stücke in ihrem eigenen Studio ein und ließ die für das Orchester bestimmten Songs von dem australischen Komponisten John Bonnar orchestrieren.
Zwar fehlen auf dem gut 70minütigen Werk die rhythmischen Akzente und der männliche Gesang, sowie die ausgeprägten Ohrwurm-Melodien, für die Brendan bei Dead Can Dance verantwortlich zeichnet, aber Lisas ätherischen, sehr feinfühligen Kompositionen und ihr archaisch anmutender Gesang auf "The Mirror Pool" klingen doch sehr vertraut.
"Wie könnte ich anders als Dead Can Dance klingen? Schließlich bin ich ein Teil davon", macht mir die versierte Musikerin und Sängerin klar. "Das, was ich gemacht habe, ist nur eine Weiterentwicklung der Arbeit, die ich mit Brendan vollbracht habe. Das, was ich mit Brendan nur zur Hälfte realisieren konnte, kam auf meinem Solo-Album zu einem glücklichen Abschluss."
Die Erleichterung darüber merkt man Lisa an. Ihre Augen strahlen einen aufmerksam an, immer wieder lacht sie ausgelassen bei dem Rückblick auf das, was sie bei den Aufnahmen von "The Mirror Pool" erlebt hat. Natürlich sei es ungewohnt für sie gewesen, plötzlich auf eigenen Füßen zu stehen und das, was sie sonst mit ihrem Gefährten gemeinsam gemacht hat, nun allein realisieren zu müssen.
"Es war ein enormer Unterschied zu dem, was ich mit Dead Can Dance mache, weil ich es allein machen musste. Es ist schwer, dabei nicht seine Objektivität zu verlieren."
Man hätte schon im alltäglichen Leben ständig mit irgendwelchen Problemen zu kämpfen, stünde immer vor Entscheidungen, meint Lisa lächelnd. Ihr hätte eine weitere Perspektive gefehlt von jemandem, der ihre Gefühle bekräftigt oder ihnen widersprochen hätte.
"Wenn man allein an etwas arbeitet, fehlt diese Perspektive. Man ist mit sich selbst im Streit. Einige der Argumente, die damit einhergehen, sind wirklich bizarr", sagt sie lachend, um etwas nachdenklicher hinzuzufügen: "Da muss man durch, um zu den essentiellen Dingen zu gelangen, die dein Werk wertvoll machen."
Sie habe es sehr ermüdend empfunden, mit ihrem Mann das Album abzumischen, stöhnt Lisa leicht und drückt ihre Bewunderung für Brendans ausgeprägtes Verständnis von technischen Dingen aus. "Es gab Zeiten, da hätte ich Mauern einreißen können, aber letztlich kommt man ans Ziel", stellt Lisa erleichtert fest. Schließlich habe sie sieben Tage in der Woche sehr hart an dem Album gearbeitet und drei Probekonzerte in Amerika absolviert, um zu sehen, ob ihre Ideen funktionieren, um in Form der Publikumsreaktionen dann doch eine weitere Perspektive zu erhalten.
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich so eine Arbeit ohne Brendan schaffen könnte, aber ich kann es. Jetzt, da ich mit Brendan wieder an Dead Can Dance arbeite, fühle ich mich so glücklich. Ich werde sicherlich weiterhin eigene Sachen machen, was davon abhängt, wie das Album läuft."

Die Wiedervereinigung mit dem Absoluten

Nachdem Lisa Gerrard und Brendan Perry mit Dead Can Dance über Jahre hinweg eine so fruchtbare musikalische Verbindung eingegangen sind, mochte man sich eigentlich kaum vorstellen, dass Lisa - immer auf der Suche, das abstrakte Absolute in der Musik zu finden - eine ähnliche Konstellation auch mit einem anderen Musiker erreichen könnte. Umso erstaunlicher mutet daher das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit Pieter Bourke an, der bislang eher mit elektronischen Projekten wie Eden, Snog, This Digital Ocean und vor allem seit einigen Jahren mit dem innovativen Ethno-Ambient-Projekt Soma auf sich aufmerksam gemacht hat.
Mit „Duality“ haben die beiden Ausnahmemusiker 1998 allerdings ein Album geschaffen, das weit homogener ist als die Alben der Projekte, an denen Lisa und Pieter bislang gearbeitet haben. „Duality“ ist ein recht leichtfüßig klingendes, überwiegend auf Percussions, Streichern, Synthesizern, Samples und natürlich Lisas einfühlsam-eindringlichen Gesang basierendes Werk geworden, das wie aus einem Guss wirkt und äußerst melodiös und intensiv gelungen ist. Damit bildet es fast einen krassen Gegensatz zum ersten Album „The Mirror Pool“, das zwar einige aus dem Dead-Can-Dance-Kontext bekannten Elemente aufwies, aber vielleicht auch durch die voll-orchestrale Instrumentierung und dem Fehlen der für Dead Can Dance charakteristischen Melodiebögen und Percussion-Arrangements wirkte das 70-Minuten-Werk doch schwerer zugänglich als die Dead-Can-Dance-Werke.
`The Mirror Pool´ war eine Dokumentation von Arbeiten, an die ich keine anderen Hände lassen wollte. Brendan hat diese Stücke also nie gehört. Ich wollte etwas machen, über das ich mit niemandem reden musste, etwas, das von niemandem kritisiert wurde. Es ist also nicht so gewesen, wie viele Leute geschrieben haben, dass die Songs von Dead Can Dance verworfen wurden. Es war eine Sache, die ich für mich selbst tun wollte, dass ich Stücke ganz allein kreieren wollte. Ich hatte nie vor, sie Brendan vorzuspielen. Das waren meine privaten Stücke."
In einer ähnlich privaten Atmosphäre, nämlich in Lisas Heimstudio und allein mit Pieter Bourke als weiteren beteiligten Musiker, entstand auch „Duality“.
Natürlich hat sich diese Zusammenarbeit nicht von einem Tag auf den anderen ergeben. Da beide Musiker in Melbourne leben, war es allerdings recht einfach, sich über die Jahre hinweg näher kennen zu lernen, vor allem seit Pieter Bourke bei Lisas Solo-Debüt, der anschließenden Tour und auch bei der Dead-Can-Dance-Tour zum 96er „Spiritchaser“-Album einige Percussioneinsätze beisteuerte.
„Die Zusammenarbeit kam sehr einfach zustande“, blickt Pieter zurück. „Es war eigentlich nur die Erweiterung der Zusammenarbeit, die mit `The Mirror Pool´ begonnen hat, wofür ich ein paar Percussions zu den Aufnahmen beisteuerte. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen, die ich früher bei anderen Projekten gesammelt habe, gab Lisa den Musikern überraschend viel Freiraum, damit sie ihren eigenen Platz in der Musik finden konnten, so dass wir die Musik wirklich als Gruppe auf der Bühne präsentierten, gerade bei der Musik auf den Konzerten, die nicht auf dem Album war. So begann sich 1994/95 eine kreative Basis und ein gegenseitiges Vertrauen auszubilden. Ich arbeitete dann mit Lisa und Brendan zusammen an der `Spiritchaser´-Tour.
Als Lisa und ich von der Tour nach Melbourne zurückkamen, wollten wir erst einmal einen Monat Pause machen. Nach einer so anstrengenden Tour nimmt man sich eigentlich vor, nicht allzu viel über Musik nachzudenken, aber die Pause hielt nicht sehr lange an. Lisa hatte die Idee, einige Vocal-Stücke aufzunehmen und sie durch kurze Interludes, die hauptsächlich aus Gesang und Percussions bestehen sollten, verbunden werden sollten, um einerseits die langen Vocal-Stücke aufzubrechen und zum anderen eine gewisse Kontinuität herzustellen.“
Wie beide Musiker betonen, vollzog sich dieser Arbeitsprozess in einer völlig entspannten Atmosphäre, und schon bald begannen die kurzen Interludes, an denen man arbeitete, ein faszinierendes Eigenleben zu entwickeln.
„Als wir mit dem dritten Stück anfingen, stellten wir fest, dass die Musik, die wir produzierten, etwas Größeres werden wollte“, erzählt Pieter weiter. „So beschlossen wir, einfach abzusehen, wohin uns diese Stücke führen würden und setzten unsere Arbeit fort. Es kamen drei oder vier Versionen eines Stückes bei der Verfolgung dieses Weges heraus, die schließlich in dem ersten Song auf der CD, `Shadow Magnet´, resultierten. Es war für uns ganz interessant zu sehen, wie die Musik zwar nicht ins ursprünglich geplante Konzept passte, aber es war die Intention zu erkennen, unsere persönlichen Vokabulare zu erforschen und sie miteinander zu verbinden. Dazu kam die wundervolle Arbeitsumgebung, in der wir uns befanden, die sehr frei und vertrauensvoll war. Es war einfach großartig, diese wundervollen Stücke nur zu zweit einzuspielen, ohne irgendwelche anderen Leute zu involvieren, sondern eine Art von Intimität in einer relaxten Umgebung herzustellen.“
So arbeiteten Lisa und Pieter Stück für Stück weiter, ohne ein bestimmtes Konzept vor Augen zu haben, einfach abwartend, was passieren würde. Man war sogar von dem Druck beispielsweise einer Plattenfirma befreit, die nach Hörproben verlangt. Eigentlich wusste während des Entstehungsprozesses niemand außer den beiden Musikern, was da allmählich entstand.
„Dieses Projekt war für mich wirklich befreiend“, meint Lisa gut aufgelegt. „Seit dem wir begannen, an den Interludes zu arbeiten, habe ich realisiert, dass etwas ganz besonderes in Gange war. Während der verschiedenen Produktionsstufen wurde die Musik an einen Ort gebracht, der allein von unserer Imagination und vollkommener Unmittelbarkeit geprägt wurde. Das war ein interessanter Teil des Prozesses, da ich plötzlich realisierte, dass die Fertigkeiten, die wir beide in das Projekt einbringen konnten, zu einer Einheit verschmelzen und etwas wirklich Großartiges kreieren konnten. Als wir an diesem Punkt angelangt waren, entschieden wir uns, nicht viele Worte darüber zu verlieren, sondern einfach unsere Positionen und unser Gleichgewicht zu finden und festzustellen, was wir machen können.
Wenn man einen Schaffensprozess durchmacht, durchforstet man normalerweise den 20jährigen Erfahrungsschatz, der sich angehäuft hat, aber hier verlief alles so flüssig.“
Insofern fällt es bei „Duality“ auch schwer herauszufinden, wer für welchen Part in der Musik verantwortlich gewesen sein könnte, weil zum einen die Gesamtstruktur des Albums ungewöhnlich homogen, kompakt und dadurch äußerst intensiv konstruiert worden ist, zum anderen weil die Arrangements sowohl der Instrumente als auch Lisas Gesang so harmonisch ineinander verflochten sind. Dagegen kann man bei Dead Can Dance meist sehr schnell ausmachen, für welche Stücke Brendan und für welche Lisa verantwortlich gewesen ist. Daher findet Lisa es stets etwas merkwürdig, wenn man Parallelen zwischen „Duality“ und Dead Can Dance zieht.
„Die Leute sprechen mich immer auf die Ähnlichkeit mit Dead Can Dance an, aber ich kann sie nicht erkennen. Ich finde, das Projekt ist einfach einzigartig“, sagt sie entschlossen. „Die Essenz und die Realität, die wir mit der Musik kreiert haben, ist so kraftvoll, dass ich weder meine noch Pieters Identität darin wiederfinden kann und Pieter kann es ebenso wenig. Es scheint, ein eigenes Leben angenommen zu haben. Aber das trifft auch auf unsere Arbeitsweise zu. Statt einem Pfad zu folgen, der offensichtlich war, transformierten wir nur das, was ohnehin vorhanden war und was die Stränge unserer Arbeit wurden. Das Werk an sich ist ja ziemlich einfach, aber die ewige Essenz des Albums ist unglaublich kraftvoll. Was uns am Ende selbst überrascht hat, ist, dass die Linie vom Anfang bis zum Ende des Albums intakt ist. Wir wurden durch den ganzen Prozess, in dem das Album entstand, inspiriert, aber auch durch die Tatsache, dass wir in Kontakt mit unseren tiefsten Wurzeln kamen, mit all dem, was sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren angesammelt hat, und das herausbrachten, was wir zusammengesammelt haben. Nicht alles davon hat überlebt, aber es war eine wundervolle Erfahrung, das aufzudecken, was wir erworben haben.“
„Da wir uns als Einheit fühlten, hat es keinen Unterschied gemacht, ob ich z.B. die Drums gespielt habe, weil wir beide es waren, die erkannt haben, wonach wir suchten“, beschreibt Pieter diese Erfahrung ganz ähnlich. „Man kann es nicht einfach trennen. Ich konnte Lisa erlauben, ihre Stimme frei zu erforschen, ohne an irgendetwas anderes zu denken. Da wir spontan arbeiteten, konnte eine Person sich frei entfalten, ohne dass die andere Person meinte, dass das nicht funktioniere, dass ihr der Sound nicht gefalle. Es war eher so, dass man einander gewähren ließ und an bestimmten Stellen sagte, dass das ein interessantes Gebiet sei.
Wenn man sich selbst in die tiefsten Tiefen seiner Fähigkeiten begibt, um nach etwas Ausschau zu halten, dann kann man sich manchmal darin verlieren, weil man sich auf unbekanntem Terrain bewegt. In diesem Fall ist das gegenseitige Vertrauen sehr wichtig.
Insofern sind wir beide gleichermaßen für das Resultat verantwortlich, weil wir gemeinsam geforscht haben. Es gab keinen getrennten Schreibprozess, dass ich beispielsweise einen Rhythmus-Track schrieb und Lisa einige Vocals dazu beitrug. Es waren die ganze Zeit beide Elemente vorhanden.“
Um diese besondere, sicherlich auch sehr empfindliche Atmosphäre nicht zu stören, haben Lisa und Pieter sehr früh entschieden, keine weiteren Leute in das Projekt zu involvieren. Deshalb wurden die Streicher per Synthesizer erzeugt, viele Sounds mit dem Sampler eingespeist, allein die Percussions und der Gesang wurden live gespielt. Schließlich wollten die beiden auch keine anderen Einflüsse auf ihr Werk zulassen als ihre ureigensten musikalischen Wurzeln und Erfahrungen, so dass „Duality“ diesen ungemein intimen Charakter ausstrahlt, aber auch eine Ruhe der Zufriedenheit, ein seelisches Gleichgewicht und eine musikalische Ausgewogenheit, die man nur selten zu hören bekommt.
„Wir wollten an diesem Punkt nicht unsere Vision unterbrechen. Deshalb wollten wir keine anderen Einflüsse in das Projekt einfließen lassen. Es wäre nicht mehr das gleiche Bild“, erklärt Lisa. „Es ist interessant, wenn Leute, die dich wirklich lieben, diese Musik hören, gerade Leute, die sich seit mehr als zwanzig Jahren kennen, wie z.B. meine Mutter und mein Vater. Sie haben einen ganz anderen Blickpunkt, von dem sie mich als Person betrachten. Es ist schließlich eine alte Liebesbeziehung zwischen dir und deinen Eltern. Als sie das Album hörten, waren sie wirklich erleichtert. Wann immer sie ein Album von mir hörten, dachten sie, es sei brillant, aber irgendwie wussten sie, dass ich mit mir selbst kämpfte, dass meine Pein herauszuhören war, aber nicht bei diesem Album. Hier verspürten sie ein wirklich tiefes Lächeln. Sie waren sehr erleichtert, dass ich in der Lage war, etwas so tiefgehendes zu erreichen. Solche Menschen schauen ja nicht auf das Album an sich, sondern auf den Teil von dir, den sie in dem Album wiedererkennen. In der Regel schauen die Leute nicht nach dir, wenn sie dein Werk hören, sondern nach sich selbst, und das ist es ja auch, was du beabsichtigst.“
Letztlich soll auch der Albumtitel dieses Eintauchen in die tiefsten Persönlichkeitsstrukturen, in den großen Erfahrungsschatz reflektieren, von dem schon so viel wieder verschüttet zu sein scheint. Denn wenn man die beiden Musiker im Gespräch verfolgt, wird einem nur allzu klar, wie weit hinab sich beide - gestützt auf das Vertrauen des anderen, auf den sie sich verlassen konnten - Musiker in die Regionen eines tief verwurzelten Musikverständnisses begaben, um ein außergewöhnliches, eben von dieser Intimität des gemeinsam Erforschten geprägtes Werk zu kreieren.
„Mit `Duality´ wollten wir das Zusammentreffen von zwei kreativen Visionen beschreiben, das Zusammentreffen von zwei wachsenden Lebewesen, um etwas aufzudecken, das sie zu einer Intimität führt, die sie sonst vielleicht nie antreffen würden“, erklärt Lisa die Bedeutung des Albumtitels.
„Ich finde, `Duality´ hat auch damit zu tun, dass man sich selbst nicht zu sehr in dem Werk hervortut, indem man nicht zu sehr intellektualisiert und die Kontrolle übernimmt, sondern stattdessen die Dinge laufen lässt, so dass man ein deutlicheres Bild erhält, als wenn man sich selbst zu sehr betont“, ergänzt Pieter.
Recht unkontrolliert kamen auch die Vocals zu „The Human Game“ zustande. Nachdem man von Lisa bislang eine ausschließlich intuitive, lautmalerische und archaische Sprache gewohnt gewesen war, überrascht sie in diesem Stück mit einem verständlichen Text, der aber aus dem gleichen intuitiven Kontext heraus entstand, der für ihre Vocal Performance charakteristisch ist.
„Diese Worte kamen auf die gleiche Weise zustande wie die in den anderen Stücken. Ich habe ein wenig mit ihnen gearbeitet, schrieb sie auf, änderte ein paar Dinge drum herum. Das kann ich mit der erfundenen Sprache nicht tun. Wenn ich das versuchen sollte, würde ich scheitern“, erklärt Lisa.
„Der Song handelt von einer Reise hier auf der Erde aus dem Blickwinkel eines Kindes. Es geht darum, in eine Situation zu gelangen, in der es für dich darum geht, deine Reise zu finden und die Werte loszulassen, die du als Geburtsrechte automatisch besitzt, nämlich zu lieben und geliebt zu werden. Bei der Reise geht es darum, ein Ganzes zu werden, und die Worte in `The Human Game´ stammen dabei aus Kindersicht. Vielleicht kamen sie an die Oberfläche, weil ich nun Mutter bin und versucht habe, die Welt mit Kinderaugen zu betrachten, damit ich dem Kind dabei helfen kann, mit Dingen wie den Spice Girls umzugehen, mit Dingen, die ihm helfen, seine eigene Identität zu finden und ihnen eine Identität nahe zu legen, wie sie sein sollte und nicht wie sie sein könnte.“
Kurz nach Beendigung der Aufnahmen zu „Duality“ erhielten Lisa und Pieter die Anfrage der italienischen Regisseurin Ivana Massetti, für ihren Film „Nadro“ die Musik zu komponieren, was die beiden dankend annahmen.
„Es gibt so viele Dinge, an denen wir beteiligt sind“, meint Lisa dazu. „Bei diesem Projekt haben wir uns wirklich geöffnet für neue Ideen. Wir wollen alles Mögliche probieren. Wir haben keinen so engen Horizont, wohin wir uns bewegen wollen. Das ist der Luxus, den wir besitzen, den Wunsch, alles in der Musik auszuprobieren und Orte zu erforschen, an denen wir nie zuvor gewesen sind.“

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