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Samstag, 15. Februar 2025

Playlist #417 vom 23.02.2025 - MICHELANGELO ANTONIONI (1912-2007)

Zusammen mit Filmemachern wie Roberto Rossellini, Luchino Visconti, Federico Fellini und Vittorio De Sica galt Michelangelo Antonioni als Mitbegründer des italienischen Neorealismus, entwickelte aber sehr schnell einen eigenen Stil, der das Thema der Unmöglichkeit funktionierender Beziehungen gerade im urbanen Umfeld auf visuell eindringliche Weise ästhetisierte und damit zu einem der profiliertesten und einflussreichsten Filmemacher der europäischen Autorenkinos avancierte. Nach Meisterwerken wie „Die mit der Liebe spielen“ (1960), „Die Nacht“ (1961), „Liebe 1962“ (1962) und „Rote Wüste“ (1964) sowie vieldiskutierten Werken wie „Blow Up“ (1966), „Zabriskie Point“ (1970) und „Beruf: Reporter“ (1975) starb Antonioni im Juli 2007 in Rom.
Michelangelo Antonioni wurde am 29. September 1912 als Sohn eines Gutsbesitzers in Ferrara geboren. Er schloss sein Studium an der Universität Bologna als Diplom-Volkswirt ab, arbeitete für kurze Zeit in einer Bank und verfasste Filmkritiken für den Corriere Padano. 1939 ging er nach Rom, „um sein Leben dem Film zu widmen“. Er schrieb für „L’Italia libera“, verfasste erste Entwürfe für Drehbücher und studierte Nahe der Filmstadt Cinecittà studierte am Centro Sperimentale di Cinematografia Filmtechnik. Hier traf Antonioni einige jener Künstler, mit denen er später zusammenarbeiten sollte, darunter Roberto Rossellini. Mit Rossellini arbeitete er 1942 am Script für dessen Film „Un pilota ritorna“ und assistierte bei Marcel Carnés „Die Nacht mit dem Teufel“.
Ebenfalls in Rom schrieb er für die Zeitschrift „Cinema“, eine von Mussolinis Sohn Vittorio herausgegebene, offizielle Filmzeitschrift, wurde aber wegen politischer Differenzen entlassen.
Mit seinen ersten, in den 1940er Jahren entstandenen Kurzfilmen dokumentierte Michelangelo Antonioni noch die armseligen Lebensbedingungen der am Po lebenden Menschen („Gente del Po“) oder die Arbeit von Straßenkehrern in Rom („N. U. – Nettezza urbana“), und obwohl er mit seinen Drehbüchern zu Roberto Rossellinis Frühwerk „Un pilota ritorna“ (1942) und zu Giuseppe De Santis‘ „Caccia tragica“ (Die tragische Jagd, 1947) einen Beitrag zum italienischen Neorealismus leistete, erwies sich sein Langfilmdebüt „Chronik einer Liebe“ (1950) nicht nur als radikale Abkehr von den Motiven des Neorealismus, sondern auch als Hommage an den Film noir.
Antonioni arbeitete mit langen Einstellungen, fing elegant Bilder von Straßen ein und umkreiste die Figuren, ohne ihnen wirklich nahezukommen, so wie sie sich auch emotional nicht wirklich aneinanderbinden können. Mit Massimo Girotti hat Antonioni den Hauptdarsteller aus Viscontis
„Ossessione“ (1943) verpflichten können, der neben dem Film noir aus dem Hollywood der 1940er Jahre eine große Inspiration für Antonionis ersten Langfilm darstellte. Die weibliche Hauptrolle übernahm die damalige Miss Italy Lucia Bosè, die damals zwar noch über keine Schauspielerfahrung verfügte, ihren Part aber überzeugend spielte und anschließend u.a. auch in Antonionis „Die Dame ohne Kamelien“ (1953) und Fellinis „Satyricon“ (1969) zu sehen war.
Antonioni zeichnete ein Portrait Mailands, in deren Urbanität die Menschen verloren wirken, zu keinen echten Gefühlen fähig scheinen und deren Luxus derart oberflächlich bleibt, dass selbst die materialistische, verwöhnte und launenhafte Paola in ihrer Rolle unglücklich bleibt. Erst die Erkenntnis, dass ihr Mann nur dank seiner Rücksichtslosigkeit zu Erfolg und Reichtum gelangte, treibt sie in Guidos Arme. Antonioni schuf hier die Blaupause für seine späteren Werke, wenn er in elegant komponierten Bildern die unvereinbaren Gegensätze in der Liebe zwischen einer wohlhabenden, schönen Frau und einem armen Mann thematisierte. Indem er sich aus den Milieus der Arbeiter und Armen herausbewegte, rief Antonioni allerdings auch viel Kritik hervor.
Nach der dokumentarisch anmutenden Auftragsarbeit „Kinder unserer Zeit“ (1952) kehrte Antonioni mit „Die Dame ohne Kamelien“ (1953) wieder zu seinem bevorzugten Thema zurück: Der Entfremdung des urbanen Menschen von sich selbst und seinen Mitmenschen:
Die junge Verkäuferin Clara (Lucia Bosè) wurde wegen ihres Aussehens für den Film entdeckt. Zum Premierenpublikum gehören auch die Produzenten Ercolino (Gino Cervi) und Gianni (Andrea Cecchi), deren Autoren und ein Regisseur. Zwar halten die Filmschaffenden das seichte Melodram für eher mäßig, attestieren der Hauptdarstellerin aber Sexappeal, das entsprechend eingesetzt werden will.
Unerfahren und naiv wie Clara ist, lässt sie sich von ihrem Produzenten Gianni zu einer Hochzeit mit ihm drängen, worauf der bereits in Arbeit befindliche nächste Film abgebrochen wird: Gianni möchte seine Gattin nunmehr in seriösen Filmen sehen…
Eigentlich wollte Antonioni gern Gina Lollobrigida für die Rolle der Clara verpflichten, doch reagierte sie beleidigt, weil sie glaubte, die Rolle der Protagonistin sei ihrer eigenen nachempfunden, worauf der Filmemacher wieder auf Lucia Bosè zurückgriff, die sich bereits in seinem Debüt in der weiblichen Hauptrolle hervortat. Erneut verkörpert Bosè eine Frau, die aus einfachen Verhältnissen stammt und durch ihr attraktives Äußeres in die Welt der Reichen und Schönen aufsteigt, dort aber nicht glücklich wird. Nachdem ihre Ehe mit dem eitlen Gianni gescheitert ist und Konsul Nardo offenbar nur daran interessiert gewesen war, eine Affäre mit einem Filmsternchen zu genießen, vertraut sie sich schließlich ihrem erfahrenen Schauspielkollegen Lodi (Alain Cuny) an, der ihr raten soll, ob sie tatsächlich eine Karriere als Schauspielerin einschlagen soll. Auch wenn „Die Dame ohne Kamelien“ wie eine Seifenoper ohne große Gefühle daherkommt, gewährt die Anspielung auf die Karriere italienischer Filmdiven wie Gina Lollobrigida und Sophia Loren doch einen Einblick in die italienische Filmproduktion in den 1950er Jahren und beleuchtet die schäbige Seite der römischen Traumfabrik Cinecittà.
Nach seinem Beitrag zur Kurzfilmsammlung „Liebe in der Stadt“ (1953), bei dem sechs Regisseure (darunter Federico Fellini) die Liebe in der Ewigen Stadt thematisierten, feierte Antonioni mit der Verfilmung von Cesare Paveses Roman „Die Freundinnen“ (1955) nicht nur seinen künstlerischen Durchbruch, sondern er konnte sich diesmal hinsichtlich seines Lieblingsthemas, der Entfremdung des mondänen Menschen von sich selbst und seiner Umwelt und sinnentleerten Beschäftigungen, gleich an einem ganzen Haufen unglücklicher Menschen in der Großstadt austoben. Besser als der Filmtitel drückt der Romantitel „Die einsamen Frauen“ die Einsamkeit der Frauen aus, die sich angesichts fehlender emotionaler Bindungen mit oberflächlichen Beschäftigungen und losen Beziehungen beschäftigen. Dabei muss der Filmemacher gar nicht in die Tiefe gehen, die ohnehin nicht vorhanden ist, sondern fast wahllos scheint die Kamera über die ziellos umherschwirrenden Figuren zu kreisen, die sich letztlich nur für sich selbst interessieren und keiner Illusion nachhängen, das Glück in der Liebe zu finden. Allerdings fällt die Inszenierung auch sehr geschwätzig aus, verliert sich in allzu vielen, austauschbaren Schauplätzen, die die innere Leere der Frauen allerdings zusätzlich betonen.
Mit dem 1957 realisierten Drama „Der Schrei“ präsentierte Antonioni ein meisterhaftes Spätwerk des italienischen Neorealismus mit seiner bereits ausgeprägten stilisierten Bildsprache.
Wie schon in seinen Vorgängerwerken „Chronik einer Liebe“ und „Die Dame ohne Kamelien“ beschreibt Antonioni, der zusammen mit Elio Bartolini („Die mit der Liebe spielen“, „Sonnenfinsternis“) und Ennio De Concini („Unter glatter Haut“, „Scheidung auf Italienisch“) auch das Drehbuch verfasst hat, das Zerplatzen einfacher Träume von Glück und Liebe, bleibt aber diesmal bei den einfachen Leuten, die in der tristen Kargheit der Po-Ebene hart für ihren Lebensunterhalt schuften müssen. 
Drei Jahre später lieferte Antonioni mit „Die mit der Liebe spielen“ sein Magnum Opus ab, eine zweieinhalbstündige Tour de Force der Emotionen im topografischen Spannungsfeld zwischen kargen Inseln, tosendem Meer und bedrohlichem Himmel.
Mit „Die mit der Liebe spielen“ wechselt Antonioni nicht nur das Milieu und lässt damit endgültig den italienischen Neorealismus hinter sich, sondern perfektioniert erstmals im Breitbildformat auch das Zusammenspiel der emotional ausgehöhlten Figuren mit der Landschaft. Unter schwierigsten Produktionsbedingungen, bei denen die Crew wochenlang auf den Inseln festsaß, das Geld ausging und einige Crewmitglieder wegen ausbleibender Lohnzahlungen vorzeitig das Set verließen, entstand ein etwas überlanges Drama, das wie ein Krimi beginnt, dann aber zunehmend Sandros Sehnsucht nach schönen Frauen thematisiert und damit auch die Leere in seinem Leben. Mit der Affäre, die Sandro mit Annas ebenfalls wankelmütigen Freundin Claudia unterhält, verblasst die Suche nach Anna mit der Zeit und macht ganz der Lust Platz, die sich nicht nur in Sandros Verhalten äußert, sondern besonders eindringlich in einer Straßenszene, als Claudia auf der Straße von unzähligen Männern wie ein Sexobjekt begafft wird. Der Eros spielt auch in der Beziehung zwischen Giulia und dem siebzehnjährigen Künstler Goffredo eine gewichtige Rolle, malt der junge Mann doch nur nackte Frauen, was Giulia schließlich zu einem Tête à tête hinreißen lässt. Antonioni lässt in diesem eher melancholischen als lustvollen Reigen einmal mehr ausdrucksstarke Bilder mehr erzählen als die Figuren, die wie andere Objekte auch den Raum füllen und damit ihre innere Leere zum Ausdruck bringen, gerade im Zusammenspiel mit den kargen Felsen der Insel, dem Tornado, der aus dem Himmel auf das unruhige Meer trifft, und den austauschbaren Straßenszenen.
Nach dem Auf und Ab von Beziehungen, die sich in „Die mit der Liebe spielen“ entwickelt und aufgelöst haben, beschreibt Antonioni in „Die Nacht“ (1961) den Stillstand in einer langjährigen Beziehung, aber auch die Unmöglichkeit, neue sinnerfüllende und leidenschaftliche Beziehungen einzugehen. Aber auch der Tod wird anders behandelt.
Antonioni und seine Co-Autoren Ennio Flaiano („8 ½“, „Das süße Leben“) und Tonino Guerra („Amarcord“, „Blow Up“) beschränken die Handlung auf einen Tag und die darauffolgende Nacht.
Antonioni benutzt vor allem die moderne Architektur in Mailand, eine baufällige Großstadtkulisse mit verlassenen Hinterhöfen und rissigen Mauern, um das triste Innenleben seiner Figuren zu beschreiben, die er wie Objekte in seine streng durchkomponierten Bilder platziert, mit Gittern voneinander trennt, selbst wenn sie miteinander sprechen, und in ihrer Bewegungslosigkeit konstatieren sie letztlich auch die Unfähigkeit, ihre tatsächlichen Gefühle auszuleben.
Wie schon in den beiden Vorgängerfilmen „Die mit der Liebe spielen“ (1960) und „Die Nacht“ (1961) spielt Antonioni auch mit dem Trilogie-Abschluss „Liebe 1962“ meisterhaft mit der Empfindungslosigkeit seiner Figuren, kontrastiert ihre Einsamkeit diesmal nicht mit dem oberflächlichen Treiben auf einer Party wie „Die Nacht“, sondern mit der geschäftigen Hektik an der römischen Börse. Auf den Filmtitel stieß der Regisseur, als er in Florenz eine Sonnenfinsternis filmen wollte und in der Finsternis eine ungewöhnliche Stille wahrnahm, in der er auch vermeinte, dass die Gefühle zum Stillstand gekommen wären. Diese Empfindung kommt auch in „L’eclisse“ zum Ausdruck. Ganze zwei Minuten lang verlieren Riccardo und Vittoria kein Wort aneinander, wenn sie die vergangene Nacht in seiner bedrückend dunklen Wohnung Revue passieren lassen und Vittoria das Ende ihrer Beziehung konstatiert. Die emotionale Leere, die Vittoria empfindet, lässt Antonioni mit der Leere in den Straßen, der erdrückenden Architektur unpersönliche Betonbauten korrespondieren. Monica Vitti bringt ihre Langeweile, Orientierungslosigkeit und Unnahbarkeit großartig zum Ausdruck und stiehlt Alain Delon locker die Schau. Selbst wenn sich Vittoria scheinbar auf eine Liebelei mit dem gefühlskalten, leidenschaftslosen Piero einzulassen scheint, bricht sie seine Annäherungsversuche jäh ab, nachdem sie sich aber ohne sich zu wehren von ihm küssen ließ.
Antonioni bringt einmal mehr seine Einstellung zum Ausdruck, dass die moderne Zivilisation mit ihren unwirtlichen Lebensbedingungen in den Städten jeder menschlichen Beziehung abträglich ist. Das wird vor allem in der langen Schlusssequenz deutlich, wenn die Kamera scheinbar wahllos einsam auf den Straßen stehende Menschen einfängt, mit leerem Blick ins Nichts starrend.
Antonioni-Filme kennen keine Hierarchie zwischen Umwelt und Innenwelt, sie zeigen den Wandel der Gefühle im Wandel der Zeit. In ihnen gibt es keine einfachen, dauernden Beziehungen, weil eine solche Form des Zusammenseins nicht mehr der komplexer werdenden Welt entspricht“, konstatiert Nils Meyer in „Filme der 60er“ (Taschen, S. 140). „Mit ,Liebe 1962‘ und den beiden Vorgängern ,Die mit der Liebe spielen‘ (1960) und ,Die Nacht‘ (1961) hat Antonioni das Kino revolutioniert, vielleicht noch radikaler als die Nouvelle Vague, weil er sich nicht wie die Franzosen auf die Geschichte des Kinos selbst bezieht, sondern eine eigene, eine neue Form des filmischen Erzählens erfunden hat.“
Antonioni hat lange gewartet, bis er in Farbe gefilmt hat, und das hat natürlich seine guten Gründe. In Interviews verkündete der international verehrte Filmemacher immer wieder, dass er den Film bemalen wolle wie eine Leinwand und dabei Farbbeziehungen entwickeln und Gemütszustände formen möchte. Die Geschichte seines nächsten Films „Rote Wüste“ (1964) spielt inmitten der Hochöfen, Silos, Maschinenhallen und Hafenanlagen der Industriestadt Ravenna, und Antonioni benutzt vor allem ausgewaschene Farben, so dass die im Nebel verschwimmenden Industrieanlagen wie in einem Schwarzweiß-Film wirken. 
Monica Vitti, die bereits in Antonionis Trilogie der Entfremdung überzeugend die von ihrer Umwelt irritierten und losgelösten, von Bindungsängsten und Liebessehnsucht gezeichneten Protagonistinnen verkörperte, wirkt auch in „Rote Wüste“ glaubwürdig entrückt von den Befindlichkeiten des modernen Lebens in einer industrialisierten Gesellschaft.  
Michelangelo Antonioni ließ sich für „Blow Up“ (1966) von Julio Cortázars in Paris spielender und 1959 veröffentlichter Erzählung „Las Babas del Diablo“ inspirieren, die wiederum auf einer Geschichte basiert, die der Fotograf Sergio Larrain dem Autor erzählte. Den surrealistischen Charakter der Geschichte über einen französischen Übersetzer und Amateur-Fotografen, der seine Pariser Wohnung verlässt, um auf der Ile Saint-Louis ein Liebespaar unterschiedlichen Alters beobachtet und fotografiert, fängt Antonioni vor allem in grellen Blautönen ein, aber auch die poppigen Kleider, in denen Thomas seine Models fotografiert, tragen zur künstlichen Atmosphäre des Films bei. Einmal mehr drehte Antonioni in einer Großstadt, wobei London die Swinging Sixties mit den Beatles und der damit einhergehenden Mod-Kultur natürlich das lebendige Zentrum jener Zeit gewesen ist. David Hemmings („Barbarella“, „Rosso – Die Farbe des Todes“) verkörpert den im Film namenlosen (Thomas heißt er nur im Drehbuch) Modefotografen als egozentrischen, aber auch coolen Lebemann, der von seinem Job (und den lustlosen Models) recht angeödet ist, aber nichts so recht zu Ende bringt, auch nicht sein ambitioniertes Fotobuch-Projekt, für das er immer neue Ideen entdeckt. Mit dem zufälligen Entdecken eines Mordversuchs hätte sich „Blow Up“ zu einem Krimi entwickeln könnte, wie es später Brian De Palmas von Antonionis Film inspirierter Thriller „Blow Out“ auch tat, doch so wie bei „Die mit der Liebe spielen“ verschwindet auch hier das Opfer. Schnell wird klar, dass es Antonioni nicht um die Aufklärung eines Mordes geht, sondern um verschiedene Arten der Wahrnehmung in einer wieder einmal entfremdeten urbanen Welt, in der der narzisstische Modefotograf nichts empfindet. Affären mit den hübschen Models interessieren ihn nicht, auch wenn sich die Fotosession mit Verushka (Veruschka von Lehndorff) wie eine sexuelle Verführung ausnimmt. Interessant sind die Zitate aus der Popkultur, der Drogenkonsum, der bei der Veränderung der Wahrnehmung eine gewichtige Rolle spielt, die Musik der Yardbirds im Club, die Beliebigkeit sexueller Begegnungen und die schrille Mode, die schnell ihren Reiz verliert.

„Der Film ist ein Kunstwerk. Meisterhaft in der Behandlung der Farbe, in der Führung der Handlung, vor allem aber im Erfassen der Londoner Jugend, der Popjugend mit Minirock und Marihuana und Beat, mit einer neuartigen Unbefangenheit und Unbelastetheit“, befand die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Nach dem künstlerischen wie kommerziellen Erfolg von Michelangelo Antonionis erster MGM-Produktion „Blow Up“ (1966) liefen die Dinge für seinen ersten in den USA gedrehten Film „Zabriskie Point“ (1970) alles andere als rund. Mit sieben Millionen US-Dollar an Produktionskosten verschlang Antonionis neues Werk nicht nur das Fünffache des Budgets von „Blow Up“, es entwickelte sich auch zu einem veritablen Flop, was nicht besonders überrascht, wenn man bedenkt, dass der italienische Autorenfilmer hier gegen alles schießt, was Amerika ausmacht. Dabei überzeugt „Zabriskie Point“ wie schon sein Vorgänger als ästhetisch perfekt inszeniertes Dokument einer spannenden Zeit, diesmal der Hippie-Bewegung.
Als Antonioni seinen Film „Blow Up“ in den USA vorstellte, fiel ihm ein Zeitungsartikel in die Hände, in dem über einen jungen Mann berichtet wurde, der ein Kleinflugzeug gestohlen hatte und beim Versuch, es in Phoenix (Arizona) zurückzugeben, erschossen worden war. Der Vorfall inspirierte den Regisseur zu einem Drehbuch-Entwurf, der von Sam Shepard, Franco Rossetti, Tonino Guerra und der britischen Autorin Clare Peploe, der späteren Ehefrau von Bernardo Bertolucci, weiterentwickelt wurde. Nach Art des cinéma vérité fangen Antonioni und sein Kameramann Alfio Contini („Verliebt in scharfe Kurven“, „Der Nachtportier“) zunächst eine hitzige Debatte zwischen schwarzen und weißen StudentInnen ein und die Polizeibrutalität in Zusammenhang mit Demonstrationen. Auf der anderen Seite wird mit Daria eine junge, attraktive Frau vorgestellt, die sich von der Lebensweise der Hippies verabschiedet und sich dazu entschieden hat, einem geregelten Job bei einem Unternehmen anzunehmen, der Luxuswohnungen in abgeschiedenen Gegenden baut. Die Lebenswelten des alternativen und des bürgerlichen Lebensstils prallen im landschaftlich atemberaubenden Death Valley zusammen, wenn Mark und Daria die Zivilisation und ein Stück weit ihr Leben hinter sich lassen und sich auf eine leidenschaftliche Affäre einlassen, wobei Antonioni Schauspieler des in New York ansässigen Open Theatre den akrobatisch verspielten Liebesakt im Sand vervielfachte und damit den Einfluss der Drogen mitschwingen ließ. Im Vergleich zu dem hektischen Auftakt mit den Studentenunruhen in Los Angeles wirken die Cinemascope-Aufnahmen am Zabriskie Point berauschend schön. Zu den psychedelischen Klängen von Pink Floyd, Grateful Dead, Jerry Garcia und Kaleidoscope wird hier ein Lebensentwurf skizziert, der zum Scheitern verurteilt wird. Wenn Daria am Ende davon träumt, dass die Luxusvilla in der Wüste, wo ihr Chef gerade sein nächstes großes Projekt eintüten will, in die Luft gesprengt wird, geht damit auch das Ende einer Ära einher, die mit der Wahl Richard Nixons zum US-Präsidenten manifestiert wurde.
Auch wenn Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ (1970) MGM einen enormen finanziellen Verlust bescherte, ließ das Studio den italienischen Ausnahmeregisseur den vereinbarten dritten Film,(„Blow Up“, 1966, war der erste innerhalb des MGM-Deals) drehen, allerdings einen anderen als vom Filmemacher vorgeschlagen. Statt ein Projekt namens „Tecnicamente Dolce (Technically Sweet)“ zu verwirklichen, das im Amazonas-Gebiet spielen sollte, adaptierte Antonioni erstmals einen fremden Stoff, eine Geschichte von Mark Peploe, dem Bruder von Antonionis Lebensgefährtin aus den 1960ern, Claire Peploe.
Dass Hollywood-Star Jack Nicholson für die Hauptrolle gewonnen werden konnte, erwies sich als Glücksgriff, nachdem „Zabrikie Point“ unter der Verwendung von Laiendarstellern gelitten hatte, die zwar hübsch anzusehen waren, aber ihren Rollen keine Tiefe verleihen konnten. „Beruf: Reporter“, im Original gefälliger „The Passenger“ betitelt, handelt einmal mehr von einer existentiellen Krise. Wie bei Antonioni üblich, treten die Figuren ohne Vorgeschichte in die Handlung ein. Der Zuschauer erfährt nicht, warum David Locke seines Lebens so überdrüssig ist, und auch von seiner Gefährtin erfahren wir nur, dass sie Architektur-Studentin ist. Maria Schneider ist zuvor durch Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“ bekannt geworden und wäre auch in einer Liebesszene mit Jack Nicholson zu sehen gewesen, wäre diese nicht hinausgeschnitten worden. Doch auch wenn das Setting die Form eines (Spionage-)Thrillers anzunehmen scheint, geht es Antonioni doch nicht um die Waffengeschäfte, in die der Reporter auf einmal involviert ist. Vielmehr handelt der Film vom Tod. Erst Robertsons Ableben ermöglicht David Lockes ersehnten Identitätstausch, und der Kreis schließt sich in einer der berühmtesten Schlussszene der Filmgeschichte: In einer einzigen langen, sieben Minuten langen Kamerafahrt, die mit einer 30 Meter hohen Krankonstruktion realisiert wurde, schwenkt die Kamera von Lockes Hotelbett durch das vergitterte Fenster auf die Plaza und nach den Ereignissen dort zurück in Lockes Zimmer. Antonioni findet in der Abbildung der kargen Wüste immer wieder eindrucksvolle Bilder und symbolträchtige Farben, um eine philosophische Meditation über Identität und Tod zu vollenden, die übrigens wie bei Antonioni üblich, mit sehr wenig Musik auskam.

„Ich war schon immer gegen den traditionellen musikalischen Kommentar, die einschläfernde Funktion, die man ihm üblicherweise zuteilt. Es ist diese Vorstellung von Bildern zur Musik, als ob man ein Opernlibretto schriebe, die ich nicht mag. Was ich ablehne, ist diese Weigerung, der Stille ihren Raum zu geben, diesen Drang, das, was man für Leere hält, unbedingt zu füllen“, wird Antonioni in „Michelangelo Antonioni. Sämtliche Filme“ (Hg. Seymour Chatman, Paul Duncan, Taschen Verlag, S. 149) zitiert.

Nicht nur das Publikum war überrascht, dass Michelangelo Antonioni fünf Jahre nach seinem großartigen Hollywood-Einstand mit „Beruf: Reporter“ (1975) ausgerechnet mit seinem ersten Kostümfilm zurückkehrte, sondern diesen auch für das Fernsehen produzierte. Auch Antonioni selbst bezeichnet die Umstände des Entstehens von „Das Geheimnis von Oberwald“ (1980) als Rätsel. Am einfachsten scheint die Erklärung, dass der Film auf Drängen von Monica Vitti entstanden ist, die Antonioni als Regisseur bei der Theaterproduktion von John van Drutens „I Am a Camera“ in den 1950er Jahren kennengelernt hatte und mit der er in den 1960er Jahren seine berühmte Tetralogie der Entfremdung („Die mit der Liebe spielen“, „Die Nacht“, „Liebe 1962“, „Rote Wüste“) realisierte.
Mit „Das Geheimnis von Oberwald“ adaptierte Antonioni Jean Cocteaus Stück „L‘Aigle à deux têtes“ (1946), das entfernt auf der Geschichte Ludwigs II. von Bayern und der Kaiserin Elisabeth von Österreich basiert und das Cocteau zu einer neuen Geschichte formte, der Antonioni aber zusammen mit seinem Co-Autor Tonino Guerra den historischen Kontext entzog. Geblieben ist ein ungewöhnlich dialoglastiges Kostümdrama, das Antonioni die Gelegenheit bot, mit elektronischen Kameras und Magnetbändern zu experimentieren, so dass er die Farben vor Ort mischen konnte. Ungewöhnlich erscheint vor allem der Gebrauch von extremen Farbfiltern, so dass die Burgmauern im Sturm grün erscheinen, der intrigante Graf und seine unmittelbare Umgebung blau eingefärbt wird und die Wiesen und Bäume am Tag in grell leuchtenden Gelb- und Grüntönen erstrahlen. Gewohnt souverän agiert Antonionis Muse Monica Vitti als lustwandelnde, halb trauernde, halb desillusionierte Regentin, die durch den Anarchisten Sebastian neuen Lebensmut schöpft. Das Ganze wird von klassischen Klängen untermalt, die Richard Strauss („Eine Alpensinfonie“, „Tod und Verklärung“, „Don Quijote“), Johannes Brahms („Sinfonie Nr. 1“) und Arnold Schönberg („Verklärte Nacht“) beigesteuert haben.
Nach diesem überraschend dialoglastigen, auf einem Stück von Jean Cocteau beruhenden Kostümdrama kehrte Antonioni 1982 mit „Identifikation einer Frau“ wieder mehr zu seinen ursprünglichen Themen zurück.
Michelangelo Antonioni thematisiert in „Identifikation einer Frau“ einmal mehr die Unmöglichkeit echter menschlicher Beziehungen, drückt dies aber im Gegensatz zu seiner Tetralogie der Entfremdung mehr in Worten als in Bildern aus, obwohl die Verwendung von ausdruckskräftigen Rot- und Blaufarben in leuchtendem Technicolor auf Antonionis symbolischer Farbdramaturgie hinweist, die er bereits in seinem ersten Farbfilm „Rote Wüste“ perfekt inszeniert hatte.
Zu den für Antonioni ungewöhnlich vielen Dialogen gesellt sich auch ein umfangreicher Soundtrack, was insofern überrascht, als Antonioni immer betont hat, auf traditionelle musikalische Kommentare in seinen Filmen verzichten zu wollen. Hier gesellen sich zum elektronischen Score des ehemaligen Ultravox-Frontmanns John Foxx noch Stücke von Tangerine Dream („Tangram“, „Ricochet“), Peter Baumann, Brian Eno, Orchestral Manoeuvres in the Dark, Japan, XTC und Gianna Nannini hinzu.
Durch einen Schlaganfall, den Michelangelo Antonioni 1985 erlitt, verlor der Filmemacher weitgehend sein Sprachvermögen und war rechtsseitig gelähmt. Dennoch konnte er zehn Jahre später mit dem Episoden-Drama „Jenseits der Wolken“ einen weiteren Film realisieren, der auf seinem eigenen Erzählband „Bowling am Tiber” basierte und wobei ihm Wim Wenders nicht nur als Unterstützung beiseite stand, sondern auch die Rahmenhandlung inszenierte.
Auch wenn mit Wim Wenders („Paris, Texas“, „Himmel über Berlin“) ein renommierter Filmemacher über die Produktion wachte und selbst die Rahmenhandlung um den Regisseur auf der Suche nach Ideen für einen neuen Film inszenierte, trägt „Jenseits der Wolken“ doch eindeutig Antonionis Handschrift. Das liegt vor allem daran, dass das Drehbuch für die einzelnen Episoden recht genau den zugrundeliegenden Geschichten aus Antonionis Erzählband „Bowling am Tiber” folgte. Einmal mehr geht es um das (Nicht-)Zustandekommen von Beziehungen und Trennungen, es geht um überhöhte Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen und Verlustängste, um Begehren und dem Verzicht sinnlicher Erfahrungen. Durch die episodenhafte Struktur kommen wir den einzelnen, oft namenlosen Figuren nie wirklich nahe, und so wirken die Geschichten wie reine Gedankenspiele des Filmemachers, inspiriert von den jeweiligen (stets verregneten oder regennassen) Schauplätzen in Ferrara, Portofino, Paris und Aix-en-Provence. Erwähnenswert ist die illustre Riege an Stars, die allerdings kaum die Möglichkeit finden, ihren Figuren Profil zu verleihen, und der Soundtrack mit Stücken von Van Morrison, Passengers (einem Projekt von Brian Eno und Mitgliedern der irischen Rockband U2) und Piano-Klängen von Wim Wenders‘ Komponisten Laurent Petitgand.
Nachdem Michelangelo Antonioni mit „Jenseits der Wolken“ (1995) einige Geschichten seines Erzählbandes „Bowling am Tiber“ verfilmt hatte, bekam der armenische, überwiegend in Frankreich arbeitende Produzent Stéphane Tchalgadjieff die Idee, eine Trilogie rund um den „Eros“, um Liebe und Begehren, zu realisieren, wobei neben Antonioni noch zwei Regisseure verpflichtet werden sollten, die Antonioni künstlerisch nahestanden. Neben Wong Kar-Wai („In the Mood for Love“, „2046“) sollte zunächst Pedro Almodóvar („Volver“, „Alles über meine Mutter“) das Trio abrunden, doch musste er wegen des Starts der Produktion seines eigenen Films „Schlechte Erziehung“ dann passen. Als Ersatz wurde Steven Soderbergh („The Limey“, „Ocean’s Eleven“) verpflichtet, der vor allem aus dem Grund zusagte, seinen Namen auf einem Poster mit Antonioni zu sehen.
Am 30. Juli 2007 verstarb Antonioni im Alter von 94 Jahren in Rom - am gleichen Tag wie sein nicht minder legendärer Regie-Kollege Ingmar Bergman.

Filmografie

1943–47: Menschen am Po (Gente del Po, Kurzfilm)
1948: Straßenreinigung (N. U. – Nettezza urbana, Kurzfilm)
1949: L’amorosa menzogna (Kurzfilm)
1949: Aberglauben (Superstizione, Kurzfilm)
1949: Sette canne un vestito (Kurzfilm)
1950: La funivia del Faloria (Kurzfilm)
1950: La villa dei mostri (Kurzfilm)
1950: Chronik einer Liebe (Cronaca di un amore)
1953: Kinder unserer Zeit (I vinti)
1953: Die große Rolle (La signora senza camelie)
1953: Liebe in der Stadt (L’amore in città, Episode Tentato suicidio)
1955: Die Freundinnen (Le amiche)
1957: Der Schrei (Il grido)
1960: Die mit der Liebe spielen (L’avventura)
1961: Die Nacht (La notte)
1962: Liebe 1962 (L’eclisse)
1964: Die rote Wüste (Il deserto rosso)
1965: Drei Gesichter einer Frau (I tre volti, Episode Die Probeaufnahme)
1966: Blow Up (Blowup)
1970: Zabriskie Point
1972: Antonionis China (Chung Kuo Cina) (Dokumentarfilm)
1975: Beruf: Reporter (Professione: reporter)
1980: Das Geheimnis von Oberwald (Il mistero di Oberwald)
1982: Identifikation einer Frau (Identificazione di una donna)
1989: 12 registi per 12 città (Episode Rom)
1995: Jenseits der Wolken (Al di là delle nuvole)
1995: Ritorno a Lisca Bianca (Kurzfilm)
2004: Lo sguardo di Michelangelo (Kurzfilm)
2004: Eros (Episode Il filo pericoloso delle cose)

Playlist:
01. Herbie Hancock - The Naked Camera (Blow-Up) - 03:25 
02. Giovanni Fusco - Seq. 4 (Le amiche) - 05:01 
03. Giovanni Fusco - Tema attesa 4 (L'avventura) - 03:18 
04. Giovanni Fusco - L'eclisse Slow Vers. (L'eclisse) - 02:47 
05. Giovanni Fusco - Il surf della luna 3 (Il deserto rosso) - 03:01 
06. Giorgio Gaslini - Lettura della lettera (La notte) - 04:08 
07. Giovanni Fusco - Non lo saprai mai (Il grido) - 02:46 
08. Herbie Hancock - Jane's Theme (Blow-Up) - 05:05 
09. Pink Floyd - Love Scene Improvisation 6 (Zabriskie Point) - 06:43 
10. Passengers - Your Blue Room (Al di là delle nuvole) - 05:27 
11. Giovanni Fusco - Eclisse Twist (L'eclisse) - 02:50 
12. Giorgio Gaslini - Ballo di Lidia (La notte) - 03:06 
13. Ivan Vandor - End Credits (The Passenger) - 02:35 
14. Giovanni Fusco - Valzer 2 (L'avventura) - 03:02 
15. Giovanni Fusco - Il surf della luna 4 (Il deserto rosso) - 03:09 
16. Giorgio Gaslini - Voci dal fiume (La notte) - 05:57 
17. Giovanni Fusco - Commento (Il grido) - 02:14 
18. John Fahey - Dance of Death (Zabriskie Point) - 02:41 
19. Pink Floyd - Unknown Song (Zabriskie Point) - 06:00 
20. Giovanni Fusco - Titoli 5 (L'avventura) - 03:10 
21. Passengers - Beach Sequence (Al di là delle nuvole) - 03:34 
22. Japan - Sons of Pioneers (Identificazione di una donna) - 07:09 
23. Herbie Hancock - The Kiss (Blow-Up) - 04:16 
24. Peter Baumann - This Day (Identificazione di una donna) - 05:11 
25. Jerry Garcia - Love Scene Improvisation 2 (Zabriskie Point) - 08:00 
26. Tangerine Dream - Tangram - Set 1 [excerpt] (Identificazione di una donna) - 10:01

Sonntag, 3. September 2023

Playlist #379 vom 10.09.2023 - WILLIAM FRIEDKIN (1935-2023) Special

Mit Filmen wie „The French Connection“ und „Der Exorzist“ schrieb William Friedkin in den 1970er Jahren Kinogeschichte, aber auch in den nachfolgenden Jahren lieferte der perfektionistische Filmemacher immer wieder bemerkenswerte Filme wie „Cruising“, „Leben und Sterben in L.A.“, „Bug“ und „Killer Joe“ ab. Am 7. August 2023 verstarb Friedkin im Alter von 87 Jahren an Herzversagen und einer Lungenentzündung. 
William Friedkin wurde am 29. August 1935 als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine geboren. Er absolvierte gerade so die High School und begann als Teenager, ins Kino zu gehen. Doch seine wahre Leidenschaft für Filme wurde erst 1960, im Alter von 25 Jahren, geweckt, als er Orson Welles‘ „Citizen Kane“ sah. Zu den weiteren Werken, die ihn als Teenager und jungen Erwachsenen beeindruckten, zählten Henri-Georges Clouzots „Die Diabolischen“ und „Lohn der Angst“ sowie Alfred Hitchcocks „Psycho“, aber auch Dokumentarfilme wie „Harvest of Shame“ (1960) trugen dazu bei, Friedkins Sinn für das Kino zu entwickeln. 
Seine Karriere begann Friedkin unmittelbar nach der High School in der Poststelle von WGN-TV, wo er innerhalb von zwei Jahren die Regie von Live-Fernsehshows und Dokumentationen übernahm, darunter die beim San Francisco International Film Festival ausgezeichnete Dokumentation „The People vs. Paul Crump“ (1962), die auch dazu führte, dass die Todesstrafe für Crump in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt wurde. Dieser Erfolg verhalf Friedkin zu einem Job bei Produzent David L. Wolper. 
1965 drehte er mit „Off Season“ eine der letzten Episoden von „The Alfred Hitchcock Hour“, zog nach Hollywood um und inszenierte zwei Jahre später mit Sonny und Cher seinen ersten Spielfilm, die Western-Komödie „Good Times“. Es folgten „The Birthday Party“, die Verfilmung eines unveröffentlichten Drehbuchs von Harold Pinter, die Musical-Komödie „Die Nacht, als Minsky aufflog“ mit Jason Robards und Britt Ekland sowie die Adaption von Mart Crowleys Stück „Die Harten und die Zarten“ über einen Freundeskreis von Homosexuellen. 
Seinen Durchbruch erzielte Friedkin mit dem Action-Thriller „The French Connection“. Gene Hackman und Roy Scheider verkörpern darin zwei befreundete New Yorker Detectives, die zwar in einem Jahr mehr Junkies festgenommen haben als ihre Kollegen, aber noch immer auf die große Festnahme warten. Die scheint sich zu ergeben, als sie erfahren, dass sich mit Alain Charnier (Fernando Rey) ein französischer Großdealer in New York aufhält. Charnier hat den französischen TV-Star Devereau (Frédéric de Pasquale) dazu überreden können, in dessen Auto 60 kg hochwertiges Heroin zu verstecken, um es an den Gangsterboss Weinstock (Harold Gary) zu verkaufen. Charnier, der mit seinem Killer Nicoli (Marcel Bozzuffi) in New York aufgetaucht ist, ist ein gewiefter Hund. Schnell merkt er, dass die Polizei ihn, Boca und die anderen Beteiligten beschattet… 
„The French Connection“ ist einer der düstersten und pessimistischsten Polizeifilme und fesselt durch seine realistische, quasi-dokumentarische Inszenierung und eine der berühmtesten Verfolgungsjagd der Filmgeschichte. Der Film gewann fünf Oscars, darunter für den besten Film, die beste Regie und den besten Hauptdarsteller (Gene Hackman). Dass „The French Connection“ keine Eintagsfliege gewesen ist, bewies Friedkin mit seinem nächsten Film. 
Seine Verfilmung von William Peter Blattys Bestseller „Der Exorzist“ (1973) revolutionierte das Horror-Genre und avancierte zu einem der erfolgreichsten Horror-Filme aller Zeiten. Der Film wurde für zehn Oscars nominiert – erneut für den besten Film und den besten Regisseur -, gewann aber nur zwei für das beste Drehbuch und den besten Sound. „Der Exorzist“ beginnt in einer Wüste im Nahen Osten, wo ein alter Mann durch eine archäologische Stätte zu einem Loch stolpert, in dem etwas die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen hat. Die Sequenz ist nicht nur wegen ihrer entsättigten Bilder und der naturalistischen Darbietungen, die die Hitze, den Schweiß und die Feuchtigkeit des Ortes einfangen, erschreckend, sondern auch wegen eines Soundtracks, in dem ein summendes, eindringliches Geräusch zu hören ist, das an Fliegen erinnert und immer lauter und bedrohlicher wird. Dabei bekam Friedkin den Auftrag erst, nachdem andere Filmemacher, darunter Mike Nichols und Stanley Kubrick, ihn abgelehnt hatten. 
Warner Bros. hingegen war skeptisch gegenüber einem Mann, der den Ruf hatte, schwierig zu sein. „Es gibt Zeiten im Filmgeschäft, in denen es sich lohnt, als gefährlich psychotische Person angesehen zu werden“, erklärte Friedkin. „Blatty hat versucht, diesen Ruf zu pflegen, und gelegentlich habe ich das auch getan.“ Die Männer teilten die Ansicht, dass dies „eine einzigartige und originelle Geschichte“ sei. „Ich habe es nicht als Horrorfilm gesehen, ganz im Gegenteil, ich habe es als transzendent gelesen, wie Blatty es beabsichtigt hatte.“ 
Friedkin blieb sein ganzes Leben lang von dem Thema fasziniert und kehrte für seinen letzten Film, einen Dokumentarfilm über den ältesten lebenden Exorzisten, „The Devil and Father Amorth“ (2017), zu ihm zurück, in dem er während eines Exorzismus persönlich die Kamera bediente. 
Zusammen mit Francis Ford Coppola und Peter Bogdanovich zählte Friedkin zu den ersten Regisseuren des „New Hollywood“. Das Trio rief bei Paramount Pictures die Formation The Directors Company aus, die Friedkin aber schnell wieder verließ und von Paramount bald darauf geschlossen wurde. Mit seinen nachfolgenden Filmen hatte Friedkin allerdings weit weniger Erfolg. So ging das 22 Millionen teure Drama „Atemlos vor Angst“ (1977), sein Remake von „Lohn der Angst“ mit Roy Scheider in der Hauptrolle, im Schatten des eine Woche zuvor gestarteten Blockbusters „Star Wars“ ebenso unter wie die Krimi-Komödie „Das große Dings bei Brinks“ (1978). 
1980 verfilmte Friedkin mit „Cruising“ den Thriller von Gerald Walker mit Al Pacino in der Hauptrolle als Cop, der einen Serienmörder sucht, der in den 1970er Jahren in New York City homosexuelle Männer tötete. Der Film löste bereits im Vorfeld heftige Kontroversen in Homosexuellenkreisen aus, weil befürchtet wurde, dass sie zu negativ dargestellt würden. In einem Artikel vom 16. Juli 1979 rief „The Village Voice“-Kolumnist Arthur Bell dazu auf, die Produktion, wo möglich, zu behindern. Es kam zu Protestveranstaltungen während der Dreharbeiten und zum Filmstart in den USA. 
Nachdem Friedkin im März 1981 eine Herzattacke aufgrund eines genetischen Defekts erlitten hatte, die Monate der Rehabilitation erforderten, drehte er 1983 die Satire „Das Bombengeschäft“ mit Chevy Chase, Gregory Hines und Sigourney Weaver in den Hauptrollen, dann die Musikvideos für Barbra Streisands „Somewhere“ und Laura Branigans „Self Control“. 
Mit dem Thriller „Leben und Sterben in L.A.“ (1985) kehrte Friedkin wieder zu alter Stärke zurück, und auch das Justizdrama „Rampage – Anklage Massenmord“ (1987) erhielt recht gute Kritiken. Es folgten der Horror-Thriller „Das Kindermädchen“ (1990), der Erotik-Thriller „Jade“ (1995), das Drama „Rules – Sekunden der Entscheidung“ (2000) und „Die Stunde des Jägers“ (2003). Im Jahr 2006 gab Friedkin sein Debüt als Opernregisseur an der Bayerischen Staatsoper mit „Salome“ von Richard Strauss und „Das Gehege“ von Wolfgang Rihm. Im gleichen Jahr wurde sein Horrorfilm „Bug“ veröffentlicht, der ebenso wie sein nächster Film auf einer Vorlage von Tracy Letts basiert. 2011 erhielt Friedkin für „Killer Joe“ seine erste Einladung in den Wettbewerb der 68. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Die schwarze Komödie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Saturn Award für den besten Independentfilm. Ende August 2022 wurde bekannt, dass Friedkin eine Verfilmung von Herman Wouks Broadway-Stück „The Caine Mutiny Court-Martial“ plant, das auf seinem mehrfach verfilmten Roman „Die Caine war ihr Schicksal“ basiert. Die Hauptrolle des Lt. Commander Queeg übernahm Kiefer Sutherland, der Friedkin in der Fernsehserie „24“ (2001–2010) aufgefallen war. Friedkin konnte den Film noch fertigstellen, starb aber vor der geplanten Premiere des Filmes bei den Filmfestspielen von Venedig 2023. 
 

Filmographie: 

1962: The People vs. Paul Crump (Fernseh-Dokumentation) 
1965: The Bold Men (Fernseh-Dokumentation) 
1965: Alfred Hitchcock Presents (Fernsehserie, Folge Off Season) 
1965: Pro Football: Mayhem on a Sunday Afternoon (Fernseh-Dokumentation) 
1965: Time-Life Specials: The March of Time (Fernseh-Dokumentation) 
1966: US-Polizei im Kreuzverhör (The Thin Blue Line; Fernseh-Dokumentation) 
1967: Good Times 
1967: The Pickle Brothers (Fernsehfilm) 
1968: The Birthday Party 
1968: Die Nacht, als Minsky aufflog (The Night They Raided Minsky’s) 
1969: Die Harten und die Zarten (The Boys in the Band) 
1971: Brennpunkt Brooklyn (The French Connection) 
1973: Der Exorzist (The Exorcist) 
1975: Conversations with Fritz Lang (Dokumentarfilm) 
1977: Atemlos vor Angst (Sorcerer) 
1978: Das große Dings bei Brinks (The Brink’s Job) 
1980: Cruising
1983: Das Bombengeschäft (Deal of the Century) 
1984: Laura Branigan - Self Control (Musikvideo) 
1985: Barbra Streisand – Somewhere (Musikvideo) 
1985: Leben und Sterben in L.A. (To Live and Die in L.A.) 
1985: Twilight Zone (Fernsehserie, Folge Nightcrawlers) 
1986: C.A.T. – Die Elite schlägt zurück (C.A.T. Squad; Fernsehfilm) 
1987: Rampage – Anklage Massenmord (Rampage) 
1988: C.A.T. – Operation Python Wolf (C.A.T. Squad: Python Wolf; Fernsehfilm) 
1990: Das Kindermädchen (The Guardian) 
1992: Geschichten aus der Gruft (Tales from the Crypt; TV-Serie, Folge On a Deadman’s Chest) 
1994: Blue Chips 
1994: Rebel Highway (TV-Serie, 1 Folge) 
1994: Jailbreakers – Jung und Vogelfrei (Jailbreakers; Fernsehfilm) 
1995: Jade 
1997: Die 12 Geschworenen (12 Angry Men; Fernsehfilm) 
1998: Johnny Hallyday – Ce que je sais (Musikvideo) 
2000: Rules – Sekunden der Entscheidung (Rules of Engagement) 
2003: Die Stunde des Jägers (The Hunted) 
2006: Bug 
2007: The Painter’s Voice (Kurzfilm) 
2007/2009: CSI: Vegas (Fernsehserie, Folgen Mascara & Cockroaches) 
2011: Killer Joe 
2017: The Devil and Father Amorth (Dokumentarfilm) 
 

Playlist: 

1. Mike Oldfield - Georgetown / Tubular Bells (The Exorcist) - 03:15 
2. Arthur B. Rubinstein - The Seduction (Deal of the Century) - 02:42 
3. Tangerine Dream - Creation (Sorcerer) - 05:05 
4. Wang Chung - Every Big City (To Live and Die in L.A.) - 05:10 
5. Jack Nitzsche - Opening (Cruising) - 01:43 
6. Tangerine Dream - Nebulous Jungle Path (Sorcerer) - 07:21 
7. Don Ellis - Subway (The French Connection) - 03:48 
8. Lalo Schifrin - Suite from the Unused Score (The Exorcist) - 11:06 
9. Ennio Morricone - Since Childhood (Rampage) - 03:23 
10. Loreena McKennitt - The Mystic's Dream (Jade) - 07:43 
11. Mark Isham - On the Threshold of Liberty (Rules of Engagement) - 07:28 
12. Brian Tyler - Peterception (Bug) - 03:04 
13. Brian Tyler - A Vision of War (The Hunted) - 02:33 
14. Tyler Bates - Rabbits Scream (Killer Joe) - 03:11 
15. Ennio Morricone - Rampage (Rampage) - 04:01 
16. Wang Chung - To Live and Die in L.A. (To Live and Die in L.A.) - 04:54 
17. James Horner - Matt Hets Turned On (Jade) - 04:46 
18. Tangerine Dream - Betrayal (Sorcerer) - 03:43 
19. Jack Hues - Finale (The Guardian) - 04:15 
20. Don Ellis - Hotel Chase (The French Connection) - 05:30 
21. Tyler Bates - Texas Motel (Killer Joe) - 02:41 
22. Tangerine Dream - In the Mist of the Night (Sorcerer) - 05:51 
23. Ennio Morricone - Recollections (Rampage) - 03:43 
24. Wang Chung - City of the Angels (To Live and Die in L.A.) - 09:18

Sonntag, 1. Februar 2015

Playlist #156 vom 08.02.2015 - TANGERINE DREAM Special

Seit ihrer Gründung im Jahre 1967 zählen Tangerine Dream als einer der wenigen deutschen Bands, die es – neben Kraftwerk und den Scorpions – zu internationaler Berühmtheit geschafft haben und als Wegbereiter der sogenannten Berliner Schule zu Pionieren der elektronischen Musik gehören. Am 20. Januar 2015 verstarb Bandgründer Edgar Froese im Alter von 70 Jahren an einer Lungenembolie. Bis dahin wurde ihre Musik sowohl zu den Genres Krautrock, New Age, Progressive Rock und Ambient zugeordnet, und vor allem in den 80er Jahren waren Tangerine Dream auch als Soundtrack-Komponisten sehr gefragt. In den folgenden zwei Stunden werden zwar auch die filmmusikalischen Arbeiten der Band berücksichtigt, aber mindestens ebenso im Vordergrund stehen die Meilensteine aus ihren unzähligen Studioproduktionen.

Als der studierte Maler und Grafiker Edgar W. Froese (Gitarre) im September 1967 die Band aus der Taufe hob, zählten Volker Hombach (Violine, Flöte und Gesang), Lanse Hapshash (Schlagzeug), Charlie Prince (Gesang) und Kurt Herkenberg (Bass) zum Line-up der Gründungstage. Nach dem ersten Konzert in der Mensa der TU Berlin und weiteren Auftritten bei Studentenpartys und Kunst-Events wurden die Karten allerdings neu gemischt. Zusammen mit Conny Schnitzler und dem Multiinstrumentalisten und Klangpionier Klaus Schulze entstand 1970 zunächst das Debütalbum „Electronic Meditation“, danach verfolgte Schnitzler seine Solokarriere und Schulze schloss sich dem Ash Ra Temple an. Froese fand in dem 17-jährigen Drummer Christopher Franke, der am Berliner Konservatorium Klassische Musik und Komposition studierte und zuvor bei Agitation Free spielte, und dem Keyboarder Steve Schroyder aber schnell passenden Ersatz.
Das 1971 produzierte Album „Alpha Centauri“ wurde von den Lesern des „Sounds“-Magazins zum besten Album des Jahres gewählt und stieß auch im Ausland auf offene Ohren. Während Tangerine Dream auf den ersten beiden Alben noch herkömmliche Instrumente und elektronische Effekte einsetzten, benutzten sie auf der 1972 erschienenen Doppel-LP „Zeit“ den Synthesizer EMS VCS 3, für dessen Erwerb maßgeblich Peter Baumann verantwortlich war, der für Schroyder zur Band gestoßen war.
Das ein Jahr später veröffentlichte Album „Atem“ fand vor allem auf den britischen Inseln großen Anklang und wurde von BBC-DJ John Peel zur „Platte des Jahres“ gekürt.
„Wir haben nie wirklich elektronische Musik gemacht. Wir haben nur Instrumente benutzt, mit denen man über die klanglichen Bereiche der konventionellen Instrumentarien hinausgehen konnte“, beschrieb Edgar Froese im Interview mit der taz.de die Entwicklung von Tangerine Dream zu einem Pionier in der elektronischen Musikszene. „Die eigentlich elektronische Musik, wie sie von Karlheinz Stockhausen oder Iannis Xenakis komponiert wurde, das war ja echte experimentelle Klanganalyse und Klangsynthese. Das kannten wir natürlich alles und haben entsprechend auch das innovative Umgehen mit Klang gelernt. Aber dann haben wir uns nicht hingesetzt, um aus der Sicht des Elfenbeinturms nach unten das Volk damit zu belästigen. Wir kamen aus der Rockmusik und haben schnell gemerkt, dass man in Deutschland nicht mit dem konkurrieren konnte, was auf diesem Gebiet in England oder den USA passierte. Also musste irgendetwas anderes her, man brauchte ja in Amerika nicht mit der Kiste Coca-Cola ankommen, da war schon eher Buttermilch gefragt.“ 
Während „Zeit“ (1972) und „Atem“ (1973) sich noch stark an die Collagen-Struktur von „Alpha Centauri“ anlehnten, schlugen TD mit „Phaedra“ (1974) elektronischere und rhythmischere Wege ein, die nicht nur John Peel begeisterten, sondern auch Richard Branson dazu brachten, Tangerine Dream für sein neu gegründetes Label Virgin unter Vertrag zu nehmen, auf dem „Phaedra“ es bis in die britischen Top 20 schaffte.
Am 16. Juni 1974 absolvierten Tangerine Dream im Londoner Victoria Palace ihr erstes Konzert im englischsprachigen Ausland, auf die eine dreiwöchige Tournee durch Großbritannien folgte. Im Frühjahr 1975 zog es die Band nach Australien und Neuseeland, nachdem Baumann die Band verlassen hatte, um mit dem Auto durch Asien zu reisen, und Michael Hoenig für die Dauer der Tour eingesprungen war. Nach Baumanns Rückkehr wurde das Album „Rubycon“ (1975) in der Besetzung Froese/Franke/Baumann eingespielt, Ende des Jahres erschien mit „Ricochet“ das erste TD-Live-Album, das während der 75er Tour durch Frankreich und England aufgezeichnet wurde. 1976 erschien das Album „Stratosfear“, das auf 31 Konzerten in Deutschland, Spanien, Frankreich, Schweiz und England ausführlich vorgestellt wurde, bevor es Anfang 1977 für 16 Konzerte in die USA ging.
Der amerikanische Regisseur William Friedkin („Der Exzorzist“) wurde auf die Band aufmerksam und engagierte sie, die Musik zu seinem Remake des Klassikers „Wages of Fear“ („Atemlos vor Angst“) zu schreiben. Er war von dem Resultat so angetan, dass er den Film nach der Musik zu „Sorcerer“ umschnitt. Nach einem kurzen Gastspiel von Steve Joliffe, dessen Gesang auf dem 78er Album „Cyclone“ die Fangemeinde spaltete, stieß Johannes Schmoelling zur Band, mit dem das 79er Meisterwerk „Force Majeure“ und das 80er Album „Tangram“ entstanden. Froese veröffentlichte mit „Aqua“ sein erstes Solo-Album, dann begannen sich Tangerine Dream mit der Komposition von Filmmusik ein zweites Standbein zu schaffen.
Während sie in den 80ern die Musik zu über dreißig Filmen komponierten, blieb aber erstaunlicherweise immer wieder auch Zeit, um Studio-Alben aufzunehmen. Am 31. Januar 1980 gaben Tangerine Dream als erste westdeutsche Band in der DDR ein Konzert, das von der DDR-Plattenfirma Amiga auf dem Album „Quichote“ veröffentlicht wurde, ehe Virgin es 1986 unter dem Namen „Pergamon Live“ offiziell herausbrachte. 1981 erschien nicht nur der Soundtrack zu Michael Manns Thriller „Thief“ („Der Einzelgänger“), sondern auch das Studioalbum „Exit“. Mit der Titelmelodie zum Schimanski-Tatort „Das Mädchen auf der Treppe“ erzielten Tangerine Dream 1982 sogar einen Top-20-Hit. Auf dem nachfolgenden Studioalbum „White Eagle“ fand sich mit dem Titelstück schließlich die ursprüngliche Form des Tatort-Titeltracks.
1983 veröffentlichten Tangerine Dream nicht nur das Studio-Album „Hyperborea“, sondern auch die Soundtracks zu „Wavelength“ und „The Keep“. Mit dem in Polen aufgenommenen Live-Album „Poland“ wechselten sie von Virgin zu Jive-Elektro. Es folgten die Soundtracks zur Teenie-Komödie „Risky Business“ (1983) mit Tom Cruise in der Hauptrolle, zur Stephen-King-Verfilmung „Der Feuerteufel“ („Firestarter“), zu William Tannens Krimi-Drama „Flashpoint – Die Grenzwölfe“, zum Drama „Die Herzensbrecher“ (1984) und zu Ridley Scotts Fantasy-Film „Legende“ (1985).
Für das Konzeptalbum „Le Parc“, das letztmalig in der klassischen Besetzung Froese/Franke/Schmoelling eingespielt wurde, ließen sich Tangerine Dream von den schönsten Parks der Welt inspirieren. Für Schmoelling, der die Band 1986 verließ, um seinen eigenen Soundtrack-Kompositionen nachzugehen, kam der erst 21-jährige österreichische Funk- und Jazz-Pianist Paul Haslinger zur Band und sorgte so für einen Generationenwechsel bei Tangerine Dream. Nachdem sich Haslinger zunächst bei Live-Auftritten bewährt hatte, spielten Froese und Franke mit ihm das 86er Album „Underwater Sunlight“ ein, auf dem der Österreicher vor allem am Piano und Synthesizer eingesetzt wurde, weniger als Komponist glänzen konnte. 1987 erschienen die Soundtracks zu „Three O’Clock High“, „Shy People“ und Kathryn Bigelows Vampir-Thriller „Near Dark“, die Arbeit zum amerikanischen Fernsehfilm „Deadly Care“ wurde erst 1991 veröffentlicht. Mit „Tyger“ vertonten Tangerine Dream Gedichte des britischen Poeten William Blake und setzten dabei erstmals seit dem missglückten „Cyclone“ wieder Gesang ein. Ihre Musik zu einem Dokumentarfilm über den Grand Canyon erschien 1987 unter dem Titel „Canyon Dreams“, auf dem auch erstmals der Name von Edgar Froeses Sohn Jerome auftaucht und die der Band ihre erste Grammy-Nominierung einbrachte. Mit dem Live-Album „Livemiles“ verabschiedeten sich Tangerine Dream 1988 vom Jive-Elektro-Label, Christopher Franke verließ die Band, um eine Solokarriere vor allem als Komponist im Film- und Fernsehbereich zu starten.
Im September 1988 erschien erstmals auf dem Peter-Baumann-Label Private Music das Album „Optical Race“, auf dem neben Froese und Haslinger auch Ralph Wadephul mitwirkte, der die Band anschließend auch auf der folgenden Nordamerikatour begleitete, dann aber wieder eigener Wege ging. 1989 entstanden nicht nur die Soundtracks zum Thriller-Drama „Nacht der Entscheidung – Miracle Mile“ und zu „Destination Berlin“, sondern auch das Studioalbum „Lily On The Beach“, bei dem Froese und Haslinger Unterstützung von Hubert Waldner an Saxophon und Flöte und Jerome Froese an der Gitarre erhielten.
1990 wurden die Soundtracks zu „Dead Solid Perfect“ und „Heartbreakers“ veröffentlicht. Nach dem einzigen Deutschland-Konzert am 20. Februar 1990 in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle, bei dem die Saxophonistin Linda Spa ihre Kollegen Hubert Walder unterstützte und Jerome seinen ersten Live-Auftritt mit Tangerine Dream absolvierte, wurde Jerome festes Bandmitglied.
In der Besetzung Froese/Haslinger/Froese entstand 1990 das Album „Melrose“, danach verließ Haslinger die Band, um sich eigenen Projekten zu widmen. 1991 erschien neben dem Soundtrack zu „The Man Inside/L’Affaire Wallraff“ die Märchen-CD „Rumpelstiltskin“, auf der Tangerine Dream die von Kathleen Turner erzählte Geschichte von Rumpelstilzchen musikalisch untermalten. Auf dem Album „Rockoon“ kam erstmals der rockige Einfluss von Jerome zum Tragen. 1994 erschienen der Soundtrack zum bereits 1989 veröffentlichten Film „Catch Me If You Can“ und das Album „Turn Of The Tides“. Virgin veröffentlichte mit „Tangents 1973 – 1983“ eine 5-CD-Box mit remasterten Auszügen aus den bei Virgin erschienen Alben, darunter eine CD mit Soundtrack-Cues aus „Sorcerer“, „Flashpoint“, „Risky Business“, „Thief“, „Wavelength“ und „Firestarter“ sowie eine CD mit unveröffentlichtem Material.
Das 95er Album „Tyranny Of Beauty“ brachte Tangerine Dream die fünfte Grammy-Nominierung ein, doch gewinnen konnten sie den Preis bislang nicht. 1996 wurden der Soundtrack zum Videofilm „Zoning“ und das Album „Goblin’s Club“ veröffentlicht, das mit dem Wiener Boys Chor eingespielt worden ist. Edgar und Jerome Froese gründeten mit TDI schließlich ihr eigenes Label, zu dessen ersten Veröffentlichungen das Soundtrack-ähnliche „Oasis“, die beiden Live-Alben „Tournado“ und „Valentine Wheels“ sowie das Album „Ambient Monkeys“ (1997) zählten, auf dem die Band neben eigenen Kompositionen auch Teile von Werken Georg Friedrich Händels, Johann Sebastian Bachs und Wolfgang Amadeus Mozarts verwendete und diese mit Aufnahmen von Vogelstimmen, fahrenden Zügen, Urwaldgeräuschen etc. miteinander verband. Schließlich erschienen mit den beiden Compilations „Hollywood Years Vol. I und Vol. II“ Sammlungen von Titeln, die für verschiedene Filme komponiert, aber nicht dafür verwendet worden sind. Aus den Titeln und Liner Notes geht allerdings nicht hervor, für welche Filme diese Tracks entstanden sind.
Außerdem entstanden Soundtracks zu einem Film über den russischen Transsibirien-Express („Transsiberia“), über einstürzende Hochhäuser („What A Blast! Architecture In Motion“) und über die Chinesische Mauer („Great Wall Of China“). Die Musik zu Dokumentationen zu komponieren, lag Froese letztlich mehr, als den Anforderungen in Hollywood gerecht zu werden. Filmmusik an sich bot dem TD-Gründer keine wirkliche Herausforderung mehr.
„Selbst da herrscht mittlerweile Massenfertigung vor. Interessant wäre allenfalls eine radikale Umsetzung von Bildern in Musik, möglichst ohne Dialog, etwa für Dokumentationen. Ansonsten können Soundtracks leicht zur Routine werden“, gab er in einem Interview mit dem Rolling Stone zur Auskunft.
Im Zweijahresrhythmus erschien ab 2001 Edgar Froeses ambitionierte Trilogie zu Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie“ („Inferno“, „Purgatorio“, „Paradiso“), das als eine Art Oper mit verschiedenen Sängern aufgeführt worden ist. In den folgenden Jahren waren Tangerine Dream viel auf internationalen Bühnen zu sehen. 2012 absolvierten sie eine Tournee durch Europa, Kanada und die USA.
„Bei deutschen Medien hatten Tangerine Dream immer einen schweren Stand, sie wurden von Feuilletonisten und Fachmagazinen belächelt. Vielleicht weil ihr Elektro-Geschnurre zu gefällig schien und der Tangerine-Dream-Regisseur Edgar Froese, das einzig beständige Mitglied von 1967 bis in dieses Jahrtausend, stets zu unglamourös und dezent daher kam. Dabei gab sich sogar Salvador Dali als früher Froese-Fan zu erkennen“, rekapitulierte Christoph Dallach zur Veröffentlichung der Compilation „The Virgin Years 1977-1983“ auf spiegel.de.
„Vielleicht ist es aber auch ein Problem, dass Tangerine Dream einfach viel zu viele Alben ablieferten - bislang 107! Wenige davon waren unbedingt zwingend, wobei die meisten Stücke, die Tangerine Dream in den Siebzigern einspielten, auch in diesem Jahrtausend noch erstklassig und erstaunlich zeitgemäß klingen. Wer nun den frischen Neuauflagen der alten Platten lauscht, wird daran erinnert, wie sehr der Sound von Tangerine Dream den Klang von Moby, Air, Royksopp, Underworld oder Portishead beeinflusste und vorwegnahm. Etwas mehr Respekt wäre längst fällig.“ 
Michael Mann erinnert sich zum Tode von Edgar Froese jedenfalls gern an die Zusammenarbeit mit Tangerine Dream an seinem ersten Film „Thief“.
"Es kommt mir so vor, als wäre unsere Zusammenarbeit 15 Jahre her, nicht 35“, erzählte er in einem Interview mit billboard.com. „Ihr Studio war fantastisch. Es war ein ausgeschlachtetes Kino in der Nähe der Berliner Mauer. [...] Dort produzierten sie wirklich innovative Musik. Und es hatte wirklich Gehalt. Es war nicht nur atmosphärischer Klang. Nirgendwo in England oder Amerika gab es etwas Vergleichbares." Dennoch hatte Mann zunächst mit dem Gedanken gespielt, anstatt der experimentellen Sounds von Tangerine Dream, Bluesmusik für den Soundtrack zu verwenden, was "Thief" zu einem "komplett anderen Filmerlebnis" gemacht hätte. "Allerdings gab es zwischen Froese und dem Blues eine Verbindung, da er als Blues-Gitarrist begonnen hatte. Obwohl Tangerine Dream elektronische Musik machten, besaßen viele ihrer Kompositionen Blues-Strukturen. Außerdem fand er als Mann und Künstler Inspiration auf der Straße. [...] Der fertige Soundtrack war wirklich abenteuerlich. Wir arbeiteten mit analogen Sequencern und Synthesizern und bearbeiteten auch Soundeffekte, sodass die Ozeanwellen in der Tonart G-Dur zu hören waren."
Auf eine ausführliche Diskographie verzichte ich an dieser Stelle, dafür beschränke ich mich auf die Filmographie:
1977: Atemlos vor Angst (Sorcerer)
1981: Der Einzelgänger (Violent Streets/Thief)
1981: Avanaida – Der Biß (Spasms/Death Bite)
1982: Die unheimliche Macht (The Keep)
1982: Der Söldner (The Soldier)
1983: Das Ende der Angst (Wavelength)
1983: Lockere Geschäfte (Risky Business)
1984: Auf der Jagd nach dem Wüstenschatz (Flashpoint)
1984: Der Feuerteufel (Firestarter)
1985: Versteckt (Forbidden)
1985: Herzensbrecher (Heartbreakers)
1985: Streethawk
1985: Crazy For You (Vision Quest)
1986: Zoning – Gefangen im System
1986: Legende
1986: Der Herrscher des Central Parks (The Park Is Mine)
1987: Bedrohliches Schweigen (Shy People)
1987: Die Nacht hat ihren Preis (Near Dark)
1987: Faustrecht – Terror in der Highschool (Three O’Clock High)
1987: Mörderische Nächte (Red Nights)
1987: Canyon Dreams
1987: Deadly Care
1988: Die Nacht der Entscheidung (Miracle Mile)
1988: Lucky Date (Tonight’s The Night)
1989: Tödliche Nachrichten (The Man Inside)
1989: Destination Berlin
1989: Heartpower (Catch Me If You Can)
1996: Oasis
1998: Transsiberia
1999: What A Blast
2000: Great Wall Of China
2003: Mota Atma
2013: Grand Theft Auto V (Video-Game)
Playlist: 
01. Tangerine Dream - Betrayal (Sorcerer) - 04:00
02. Tangerine Dream - For The Summit Only (Mota Atma) - 07:56
03. Tangerine Dream - Going West (Flashpoint) - 04:09
04. Tangerine Dream - Ricochet (Ricochet) - 07:13
05. Tangerine Dream - The Dream Is Always … (Risky Business) - 03:28
06. Tangerine Dream - White Eagle (White Eagle) - 04:14
07. Tangerine Dream - Alien Goodbye (Wavelength) - 03:07
08. Tangerine Dream - Monolight [Yellow Part] (Encore) - 07:15
09. Tangerine Dream - Rain in the Third House (Near Dark) - 02:56
10. Tangerine Dream - Sam's Forge (Thief) - 03:10
11. Edgar Froese - Era Of The Slaves (Ages) - 08:12
12. Tangerine Dream - 21st Century Common Man Part I (Tyger) - 04:48
13. Tangerine Dream - Snake Men's Dance At Dawn (Mala Kunia) - 05:51
14. Tangerine Dream - Twin Soul Tribe (Optical Race) - 04:40
15. Tangerine Dream - Mombasa [Tuareg Remix] (One Night In Africa) - 09:42
16. Tangerine Dream - Beyond The Weakest Point (GTA 5) - 06:08
17. Tangerine Dream - Yellowstone Park [Rocky Mountains] (Le Parc) - 06:12
18. Tangerine Dream - Apus (Chandra - The Phantom Ferry Part II) - 05:57
19. Tangerine Dream - In Julie's Eyes (Miracle Mile) - 03:15
20. Tangerine Dream - Towards The Evening Star (Goblin's Club) - 06:17
21. Tangerine Dream - The Metropolitan Sphere (Dream Mixes IV) - 09:13

Soundtrack Adventures #156 with TANGERINE DREAM @ Radio ZuSa 2015-02-08 by Dirk Hoffmann on Mixcloud

Freitag, 1. März 2013

DIE 3. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 01./02.03.2013 - KATHRYN BIGELOW Special

Wenn nicht die einzige, so ist Kathryn Bigelow doch mit Abstand die bekannteste Regisseurin im Action-Genre, das üblicherweise eine reine Männerdomäne ist. Nach ihrem Oscar®-prämierten Meisterwerk „Tödliches Kommando“ hat die amerikanische Regisseurin offenbar Geschmack am Kriegs-Thema gefunden. In ihrem neuen Film „Zero Dark Thirty“ macht die Ex-Frau von James Cameron („Avatar“, „Titanic“) Jagd auf Osama Bin Laden.

Die Tochter einer Bibliothekarin und eines Farbenfabrikmanagers studierte zwei Jahre lang am San Francisco Art Institute und zog anschließend nach New York, wo sie 1971 ein Stipendium am Whitney Museums of American Art bekam. Sie wirkte bei der Avantgarde-Künstlergruppe Art & Language mit und studierte Film an der Columbia University, wo sie 1978 als Abschlussarbeit den 20-minütigen Kurzfilm „The Set-up“ präsentierte. Zusammen mit Monty Montgomery realisierte Bigelow 1982 das Bikerdrama „The Loveless“, das innerhalb eines Tages Ende der 50er in einer amerikanischen Kleinstadt die Auseinandersetzung zwischen einer Truppe von Bikern und der ansässigen Bevölkerung schildert.
Nachdem Bigelow 1983 eine Hauptrolle in Lizzie Bordens feministischen Science-Fiction-Drama „Born In Flames“ übernommen hatte, inszenierte sie 1987 mit „Near Dark“ ein düsteres Vampirdrama, zu dem die deutschen Elektronik-Pioniere Tangerine Dream den Soundtrack produzierten.
„Letztendlich schafft es Bigelow in ‚Near Dark‘, ihren Vampirfilm auf gelungene Weise mit Elementen des Roadmovies, des Westerns und der Romanze anzureichern, ohne dass dieses Konglomerat jemals unnatürlich oder aufgesetzt wirken würde. Die verschiedenen Subgenres greifen perfekt ineinander und ergeben einen äußerst spannenden, düsteren und über große Strecken originellen Blutsaugerstreifen. Dass auf Klischees (Kreuze, Knoblauch etc.) völlig verzichtet und anstelle dessen auf eine gute Geschichte, Zwischentöne, welche die Charaktere interessant halten und eine originäre Bildsprache gesetzt wird, macht ‚Near Dark‘ zu einem der interessantesten Vampirfilme“, resümiert Björn Helbig auf filmstarts.de
Nachdem Bigelow für New Order das Video zu ihrer Single „Touched By The Hand Of God“ gedreht hatte, inszenierte sie den Serienkiller-Thriller „Blue Steel“ (1989). Jamie Lee Curtis spielt darin die junge Polizistin Megan Turner, die einen bewaffneten Supermarkträuber erschießt. Da sich jedoch der Börsenmakler Eugene Hunt (Ron Silver) im Chaos nach der Schießerei die Waffe des Räubers schnappt, bekommt Megan Probleme, ihre Schilderung der Ereignisse bei ihren Vorgesetzten glaubhaft zu vermitteln. Als Hunt eine Beziehung zu Megan aufbaut, ahnt sie nicht, in welche Gefahr sie sich begibt. Brad Fiedel, der für Bigelows Mann James Cameron die „Terminator“-Filme musikalisch untermalte, schuf auch für „Blue Steel“ einen eindrucksvollen, atmosphärisch düsteren Score, der kongenial die Bedrohung illustriert, die die junge Polizistin umgibt.

Etwas handfester ging es in Bigelows Thriller „Gefährliche Brandung“ (1991) zu. Keanu Reeves spielt den FBI-Agenten Johnny Utah, der sich undercover in das Surfer-Milieu einschleust, um eine Reihe von Banküberfällen in Los Angeles aufzuklären. Schnell freundet er sich mit der attraktiven Tyler (Lori Petty) und dem charismatischen Surf-As Bodhi (Patrick Swayze) an. Doch das bringt den FBI-Mann in eine echte Zwickmühle … Keanu Reeves überzeugte erstmals in einer Action-Rolle und legte so den Grundstein für seine Erfolge in „Speed“ und der „Matrix“-Trilogie, Patrick Swayze durfte etwas mehr Talent beweisen als in „Dirty Dancing“. Davon abgesehen bot „Point Break“ – so der Originaltitel – vor allem tolle Surfer-Aufnahmen und unterhaltsame Action, die von Mark Isham adäquat musikalisch untermalt wurden.
1995 inszenierte Bigelow mit „Strange Days“ einen düsteren Science-fiction-Thriller mit sozialkritischer Note. Kurz vor der Jahrtausendwende ist es den Menschen möglich, Erlebnisse von Menschen aufzuzeichnen und abzuspielen. Der heruntergekommene Ex-Cop Lenny Nero (Ralph Fiennes) handelt mit Mikrochips, die jede Art von Sex-&-Crime-Geschichten enthalten, auf die seine Kundschaft abfahren. Doch dann stößt er auf einen Chip mit höchst brisantem Inhalt, nämlich der Hinrichtung eines schwarzen Sängers durch Polizisten. Mit Hilfe der Leibwächterin Mace (Angela Bassett) und dem Privatdetektiv Max (Tom Sizemore) versucht Lenny, dem Verbrechen auf die Spur zu kommen … Kathryn Bigelow ist mit „Strange Days“ ein packender wie düsterer Thriller um virtuelle Realitäten gelungen, visuell beeindruckend inszeniert und mit einem vielschichtigen Soundtrack versehen, der Graeme Revells innovativen Kompositionen mit World Music Beats von Deep Forest und Peter Gabriel verbindet. Zwischenzeitlich arbeitete die Regisseurin auch fürs Fernsehen, so stand sie für eine Episode von Oliver Stones Mystery-Thriller-Mehrteiler „Wild Palms“ und für die Cop-Serie „Homicide“ hinter der Kamera, ehe sie im Jahre 2000 mit dem Psycho-Thriller „Das Gewicht des Wassers“ auf die große Leinwand zurückkehrte.
In der Verfilmung von Anita Shreves Bestseller recherchiert eine Zeitungsfotografin (Catherine McCormack) zu einer Mordgeschichte aus dem Jahre 1873, die sie in ihrer Geschichte mit einem aktuellen Doppelmord verbindet. Doch je mehr sie sich in die Themen von Mord und Obsession vertieft, desto mehr wird ihre Ehe mit Thomas (Sean Penn) durch Eifersuchtsanfälle und gegenseitige Verdächtigungen in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem bereits „Strange Days“ nicht so recht beim Publikum ankommen wollte und „Das Gewicht des Wassers“ völlig baden gegangen war, präsentierte Bigelow mit „K-19“ – Showdown in der Tiefe“ wieder solides Spannungs-Kino mit Harrison Ford und Liam Neeson in den Hauptrollen. Der Film spielt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges im Jahr 1961, als amerikanische U-Boote vor der sowjetischen Küste in Stellung gegangen sind, worauf die Russen ihr brandneues Atom-U-Boot „K-19“ vor die amerikanische Ostküste in Position bringen wollen. Nach einer verpatzten Übung wird Kapitän Polenin (Liam Neeson) degradiert und muss unter seinem Nachfolger Vostrikov (Harrison Ford) als Erster Offizier dienen, was der Mannschaft überhaupt nicht passt. Doch ein Leck im Kühlsystem des Reaktors droht zu einer nuklearen Katastrophe zu werden …
„Technisch auf dem neuesten Stand und ohne Mängel versteht es Bigelow, aus dem stark limitierten Raum auf dem Boot, die nötige Authentizität zu kitzeln, die Enge spürbar zu machen. Auf große Actionszenen verzichtet sie wohlwollend. Leider hat ‚K-19‘ aber doch noch einen Haken. Nachdem das dramatische Potenzial des Stoffes im Mittelteil voll ausnutzt wurde und einige nette Wendungen für Abwechslung sorgen, kippt der Film gegen Ende wieder in den typischen Hollywood-Stil und feiert den Heldenmut der Besatzung ein bisschen zu heftig“, urteilt Carsten Baumgardt auf filmstarts.de. Dass der Film wieder einmal floppte, lag vor allem daran, dass „K-19“ allein aus russischer Perspektive erzählt wurde, womit sich das amerikanische Publikum kaum anfreunden konnte. Nach diesem 100-Millionen-Dollar-Flop wollte kein Studio mehr ein großes Budget in Bigelows fraglos talentierte, aber unglückliche Hände geben.
Erst 2009 bekam Bigelow wieder das Vertrauen geschenkt und wurde gleich mit ihrem ersten Oscar® belohnt. „Tödliches Kommando“ schildert den Alltag eines amerikanischen Bombenräumkommandos im Irak. Als der Vorgesetzte von Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) im Einsatz stirbt, bekommt das Kommando mit dem waghalsigen Staff Sergeant William James (Jeremy Renner) einen neuen Anführer, der Sanborn und Eldridge mit seiner lässigen Macho-Art an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt.
„Die 57-jährige Regisseurin und ihr Drehbuchautor Mark Boal (der 2004 als embedded journalist im Irak war und schon das Script zu ‚Im Tal von Elah‘ schrieb) klagen nicht an. Sie analysieren vielmehr mit dokumentarischer Präzision die Mechanismen der Todesangst und ihrer Verdrängung. Mechanismen, ohne die kein Krieg geführt werden kann. ‚Hurt Locker‘, der Originaltitel, bezeichnet im Soldatenjargon einen Ort, an dem der Schmerz weggesperrt wird“, erläutert Christiane Peitz auf zeit.de. „Eigentlich tut das Bombenräumkommando nichts anderes als das Kinopublikum. Es schaut genau hin, misstraut dem Augenschein, will erkennen, begreifen. Eine Plastiktüte, eine lahmende Katze, ein Eselskarren, Menschen auf einem Minarett – wer das Straßenbild falsch deutet, riskiert sein Leben. Immer wieder geht es mit Barry Ackroyds unruhiger 16-Millimeter-Kamera zum Einsatz, sieben, acht Mal in 120 Minuten. Immer wieder wird gepeilt, fokussiert, ins Visier genommen, Schärfe nachgezogen; die Zeitlupen entstanden mit hyperpräzisen Digitalkameras. Oft wussten die Schauspieler nicht, von wo sie gefilmt werden – Guerillataktik einer gewieften Genre-Regisseurin. Beobachten, wer einen beobachtet. Sehen und dabei unsichtbar bleiben. Ungemütlich ist dieser Film auch deshalb, weil Krieg und Kino einander so verdammt ähnlich werden. Seit Paul Virilio ist das kein neuer Gedanke. Aber er geht einem hier gefährlich nahe.“ 
Mit insgesamt sechs Academy Awards in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch, Bester Schnitt, Bester Ton und Bester Tonschnitt stellte die Regisseurin ihre Credibility bei den Studios wieder her und durfte nun mit „Zero Dark Thirty“ wieder ins Oscar®-Rennen gehen.
Aus der Sicht der jungen CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) schildert Bigelow die Jagd nach Osama bin Laden, ausgehend von den Anschlägen vom 11. September 2001 bis zur Tötung des so verzweifelt gesuchten al-Qaida-Anführers. Der mit expliziten Folterszenen angereicherte Film hat für viel Diskussionsstoff und Kritik gesorgt. „In erster Linie ist der Film ein sehenswerter, für fünf Oscars nominierter Spionage-Thriller, kein politisches Manifest. Zu jeder Darstellung des so genannten ‚Krieges gegen den Terror‘ gehören eben auch zwingend Waterboarding, CIA-Entführungen, Geheimgefängnisse und Guantanamo. Alles andere wäre unvollständig. Die heftigen Reaktionen auf den Film haben immerhin gezeigt, dass die Amerikaner dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte nicht vergessen haben und noch immer leidenschaftlich darüber streiten. Es bleibt dem kritischen Zuschauer überlassen, wie er die Bedeutung der brutalen Praxis bewertet. Denn am Ende, wenn Maya nach zehn Jahren Jagd alleine und erschöpft in einem Militärtransporter sitzt und weint, wird sich jeder zwangsläufig fragen: War es das alles wert?“, heißt es dazu bei handelsblatt.com.

Filmographie:
1978: The Set-Up (Kurzfilm)
1982: Die Lieblosen (The Loveless)
1987: Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (Near Dark)
1990: Blue Steel
1991: Gefährliche Brandung (Point Break)
1993: Wild Palms (TV, Folge „Rising Sons“)
1995: Strange Days
1998/99 Homicide (TV, 3 Folgen)
2000: Das Gewicht des Wassers (The Weight of Water)
2002: K-19 – Showdown in der Tiefe (K-19: The Widowmaker)
2004: Karen Sisco (TV, 1 Folge)
2007: Mission Zero (Kurzfilm)
2009: Tödliches Kommando – The Hurt Locker (The Hurt Locker)
2012: Zero Dark Thirty
Playlist: 
1 Lords Of Acid - The Real Thing (Strange Days) - 03:32
2 Tangerine Dream - Caleb's Blues (Near Dark) - 03:10
3 Brad Fiedel - Main Titles (Blue Steel) - 04:58
4 Mark Isham - Night Surf Feelings (Point Break) - 03:00
5 Ryuchi Sakamoto - Harry To Hospital (Wild Palms) - 03:39
6 Jeff Rona - Late Night Tale (Homicide) - 04:01
7 Tricky - Overcome (Strange Days) - 04:29
8 Graeme Revell - Happy New Year (Strange Days) - 03:51
9 Deep Forest - Coral Lounge (Strange Days) - 03:27
10 Graeme Revell - End Credits (Strange Days) - 03:49
11 Lori Carson & Graeme Revell - Fall In The Light (Strange Days) - 04:24
12 Klaus Badelt - Missile I (K-19) - 03:00
13 Marco Beltrami & Buck Sanders - A Guest In My House (The Hurt Locker) - 03:11
14 Alexandre Desplat - Northern Territories (Zero Dark Thirty) - 03:47
15 Peter Gabriel & Deep Forest - While The Earth Sleeps (Strange Days) - 03:50
16 Alexandre Desplat - Monkeys (Zero Dark Thirty) - 03:00

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