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Sonntag, 3. September 2023

Playlist #379 vom 10.09.2023 - WILLIAM FRIEDKIN (1935-2023) Special

Mit Filmen wie „The French Connection“ und „Der Exorzist“ schrieb William Friedkin in den 1970er Jahren Kinogeschichte, aber auch in den nachfolgenden Jahren lieferte der perfektionistische Filmemacher immer wieder bemerkenswerte Filme wie „Cruising“, „Leben und Sterben in L.A.“, „Bug“ und „Killer Joe“ ab. Am 7. August 2023 verstarb Friedkin im Alter von 87 Jahren an Herzversagen und einer Lungenentzündung. 
William Friedkin wurde am 29. August 1935 als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine geboren. Er absolvierte gerade so die High School und begann als Teenager, ins Kino zu gehen. Doch seine wahre Leidenschaft für Filme wurde erst 1960, im Alter von 25 Jahren, geweckt, als er Orson Welles‘ „Citizen Kane“ sah. Zu den weiteren Werken, die ihn als Teenager und jungen Erwachsenen beeindruckten, zählten Henri-Georges Clouzots „Die Diabolischen“ und „Lohn der Angst“ sowie Alfred Hitchcocks „Psycho“, aber auch Dokumentarfilme wie „Harvest of Shame“ (1960) trugen dazu bei, Friedkins Sinn für das Kino zu entwickeln. 
Seine Karriere begann Friedkin unmittelbar nach der High School in der Poststelle von WGN-TV, wo er innerhalb von zwei Jahren die Regie von Live-Fernsehshows und Dokumentationen übernahm, darunter die beim San Francisco International Film Festival ausgezeichnete Dokumentation „The People vs. Paul Crump“ (1962), die auch dazu führte, dass die Todesstrafe für Crump in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt wurde. Dieser Erfolg verhalf Friedkin zu einem Job bei Produzent David L. Wolper. 
1965 drehte er mit „Off Season“ eine der letzten Episoden von „The Alfred Hitchcock Hour“, zog nach Hollywood um und inszenierte zwei Jahre später mit Sonny und Cher seinen ersten Spielfilm, die Western-Komödie „Good Times“. Es folgten „The Birthday Party“, die Verfilmung eines unveröffentlichten Drehbuchs von Harold Pinter, die Musical-Komödie „Die Nacht, als Minsky aufflog“ mit Jason Robards und Britt Ekland sowie die Adaption von Mart Crowleys Stück „Die Harten und die Zarten“ über einen Freundeskreis von Homosexuellen. 
Seinen Durchbruch erzielte Friedkin mit dem Action-Thriller „The French Connection“. Gene Hackman und Roy Scheider verkörpern darin zwei befreundete New Yorker Detectives, die zwar in einem Jahr mehr Junkies festgenommen haben als ihre Kollegen, aber noch immer auf die große Festnahme warten. Die scheint sich zu ergeben, als sie erfahren, dass sich mit Alain Charnier (Fernando Rey) ein französischer Großdealer in New York aufhält. Charnier hat den französischen TV-Star Devereau (Frédéric de Pasquale) dazu überreden können, in dessen Auto 60 kg hochwertiges Heroin zu verstecken, um es an den Gangsterboss Weinstock (Harold Gary) zu verkaufen. Charnier, der mit seinem Killer Nicoli (Marcel Bozzuffi) in New York aufgetaucht ist, ist ein gewiefter Hund. Schnell merkt er, dass die Polizei ihn, Boca und die anderen Beteiligten beschattet… 
„The French Connection“ ist einer der düstersten und pessimistischsten Polizeifilme und fesselt durch seine realistische, quasi-dokumentarische Inszenierung und eine der berühmtesten Verfolgungsjagd der Filmgeschichte. Der Film gewann fünf Oscars, darunter für den besten Film, die beste Regie und den besten Hauptdarsteller (Gene Hackman). Dass „The French Connection“ keine Eintagsfliege gewesen ist, bewies Friedkin mit seinem nächsten Film. 
Seine Verfilmung von William Peter Blattys Bestseller „Der Exorzist“ (1973) revolutionierte das Horror-Genre und avancierte zu einem der erfolgreichsten Horror-Filme aller Zeiten. Der Film wurde für zehn Oscars nominiert – erneut für den besten Film und den besten Regisseur -, gewann aber nur zwei für das beste Drehbuch und den besten Sound. „Der Exorzist“ beginnt in einer Wüste im Nahen Osten, wo ein alter Mann durch eine archäologische Stätte zu einem Loch stolpert, in dem etwas die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen hat. Die Sequenz ist nicht nur wegen ihrer entsättigten Bilder und der naturalistischen Darbietungen, die die Hitze, den Schweiß und die Feuchtigkeit des Ortes einfangen, erschreckend, sondern auch wegen eines Soundtracks, in dem ein summendes, eindringliches Geräusch zu hören ist, das an Fliegen erinnert und immer lauter und bedrohlicher wird. Dabei bekam Friedkin den Auftrag erst, nachdem andere Filmemacher, darunter Mike Nichols und Stanley Kubrick, ihn abgelehnt hatten. 
Warner Bros. hingegen war skeptisch gegenüber einem Mann, der den Ruf hatte, schwierig zu sein. „Es gibt Zeiten im Filmgeschäft, in denen es sich lohnt, als gefährlich psychotische Person angesehen zu werden“, erklärte Friedkin. „Blatty hat versucht, diesen Ruf zu pflegen, und gelegentlich habe ich das auch getan.“ Die Männer teilten die Ansicht, dass dies „eine einzigartige und originelle Geschichte“ sei. „Ich habe es nicht als Horrorfilm gesehen, ganz im Gegenteil, ich habe es als transzendent gelesen, wie Blatty es beabsichtigt hatte.“ 
Friedkin blieb sein ganzes Leben lang von dem Thema fasziniert und kehrte für seinen letzten Film, einen Dokumentarfilm über den ältesten lebenden Exorzisten, „The Devil and Father Amorth“ (2017), zu ihm zurück, in dem er während eines Exorzismus persönlich die Kamera bediente. 
Zusammen mit Francis Ford Coppola und Peter Bogdanovich zählte Friedkin zu den ersten Regisseuren des „New Hollywood“. Das Trio rief bei Paramount Pictures die Formation The Directors Company aus, die Friedkin aber schnell wieder verließ und von Paramount bald darauf geschlossen wurde. Mit seinen nachfolgenden Filmen hatte Friedkin allerdings weit weniger Erfolg. So ging das 22 Millionen teure Drama „Atemlos vor Angst“ (1977), sein Remake von „Lohn der Angst“ mit Roy Scheider in der Hauptrolle, im Schatten des eine Woche zuvor gestarteten Blockbusters „Star Wars“ ebenso unter wie die Krimi-Komödie „Das große Dings bei Brinks“ (1978). 
1980 verfilmte Friedkin mit „Cruising“ den Thriller von Gerald Walker mit Al Pacino in der Hauptrolle als Cop, der einen Serienmörder sucht, der in den 1970er Jahren in New York City homosexuelle Männer tötete. Der Film löste bereits im Vorfeld heftige Kontroversen in Homosexuellenkreisen aus, weil befürchtet wurde, dass sie zu negativ dargestellt würden. In einem Artikel vom 16. Juli 1979 rief „The Village Voice“-Kolumnist Arthur Bell dazu auf, die Produktion, wo möglich, zu behindern. Es kam zu Protestveranstaltungen während der Dreharbeiten und zum Filmstart in den USA. 
Nachdem Friedkin im März 1981 eine Herzattacke aufgrund eines genetischen Defekts erlitten hatte, die Monate der Rehabilitation erforderten, drehte er 1983 die Satire „Das Bombengeschäft“ mit Chevy Chase, Gregory Hines und Sigourney Weaver in den Hauptrollen, dann die Musikvideos für Barbra Streisands „Somewhere“ und Laura Branigans „Self Control“. 
Mit dem Thriller „Leben und Sterben in L.A.“ (1985) kehrte Friedkin wieder zu alter Stärke zurück, und auch das Justizdrama „Rampage – Anklage Massenmord“ (1987) erhielt recht gute Kritiken. Es folgten der Horror-Thriller „Das Kindermädchen“ (1990), der Erotik-Thriller „Jade“ (1995), das Drama „Rules – Sekunden der Entscheidung“ (2000) und „Die Stunde des Jägers“ (2003). Im Jahr 2006 gab Friedkin sein Debüt als Opernregisseur an der Bayerischen Staatsoper mit „Salome“ von Richard Strauss und „Das Gehege“ von Wolfgang Rihm. Im gleichen Jahr wurde sein Horrorfilm „Bug“ veröffentlicht, der ebenso wie sein nächster Film auf einer Vorlage von Tracy Letts basiert. 2011 erhielt Friedkin für „Killer Joe“ seine erste Einladung in den Wettbewerb der 68. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Die schwarze Komödie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Saturn Award für den besten Independentfilm. Ende August 2022 wurde bekannt, dass Friedkin eine Verfilmung von Herman Wouks Broadway-Stück „The Caine Mutiny Court-Martial“ plant, das auf seinem mehrfach verfilmten Roman „Die Caine war ihr Schicksal“ basiert. Die Hauptrolle des Lt. Commander Queeg übernahm Kiefer Sutherland, der Friedkin in der Fernsehserie „24“ (2001–2010) aufgefallen war. Friedkin konnte den Film noch fertigstellen, starb aber vor der geplanten Premiere des Filmes bei den Filmfestspielen von Venedig 2023. 
 

Filmographie: 

1962: The People vs. Paul Crump (Fernseh-Dokumentation) 
1965: The Bold Men (Fernseh-Dokumentation) 
1965: Alfred Hitchcock Presents (Fernsehserie, Folge Off Season) 
1965: Pro Football: Mayhem on a Sunday Afternoon (Fernseh-Dokumentation) 
1965: Time-Life Specials: The March of Time (Fernseh-Dokumentation) 
1966: US-Polizei im Kreuzverhör (The Thin Blue Line; Fernseh-Dokumentation) 
1967: Good Times 
1967: The Pickle Brothers (Fernsehfilm) 
1968: The Birthday Party 
1968: Die Nacht, als Minsky aufflog (The Night They Raided Minsky’s) 
1969: Die Harten und die Zarten (The Boys in the Band) 
1971: Brennpunkt Brooklyn (The French Connection) 
1973: Der Exorzist (The Exorcist) 
1975: Conversations with Fritz Lang (Dokumentarfilm) 
1977: Atemlos vor Angst (Sorcerer) 
1978: Das große Dings bei Brinks (The Brink’s Job) 
1980: Cruising
1983: Das Bombengeschäft (Deal of the Century) 
1984: Laura Branigan - Self Control (Musikvideo) 
1985: Barbra Streisand – Somewhere (Musikvideo) 
1985: Leben und Sterben in L.A. (To Live and Die in L.A.) 
1985: Twilight Zone (Fernsehserie, Folge Nightcrawlers) 
1986: C.A.T. – Die Elite schlägt zurück (C.A.T. Squad; Fernsehfilm) 
1987: Rampage – Anklage Massenmord (Rampage) 
1988: C.A.T. – Operation Python Wolf (C.A.T. Squad: Python Wolf; Fernsehfilm) 
1990: Das Kindermädchen (The Guardian) 
1992: Geschichten aus der Gruft (Tales from the Crypt; TV-Serie, Folge On a Deadman’s Chest) 
1994: Blue Chips 
1994: Rebel Highway (TV-Serie, 1 Folge) 
1994: Jailbreakers – Jung und Vogelfrei (Jailbreakers; Fernsehfilm) 
1995: Jade 
1997: Die 12 Geschworenen (12 Angry Men; Fernsehfilm) 
1998: Johnny Hallyday – Ce que je sais (Musikvideo) 
2000: Rules – Sekunden der Entscheidung (Rules of Engagement) 
2003: Die Stunde des Jägers (The Hunted) 
2006: Bug 
2007: The Painter’s Voice (Kurzfilm) 
2007/2009: CSI: Vegas (Fernsehserie, Folgen Mascara & Cockroaches) 
2011: Killer Joe 
2017: The Devil and Father Amorth (Dokumentarfilm) 
 

Playlist: 

1. Mike Oldfield - Georgetown / Tubular Bells (The Exorcist) - 03:15 
2. Arthur B. Rubinstein - The Seduction (Deal of the Century) - 02:42 
3. Tangerine Dream - Creation (Sorcerer) - 05:05 
4. Wang Chung - Every Big City (To Live and Die in L.A.) - 05:10 
5. Jack Nitzsche - Opening (Cruising) - 01:43 
6. Tangerine Dream - Nebulous Jungle Path (Sorcerer) - 07:21 
7. Don Ellis - Subway (The French Connection) - 03:48 
8. Lalo Schifrin - Suite from the Unused Score (The Exorcist) - 11:06 
9. Ennio Morricone - Since Childhood (Rampage) - 03:23 
10. Loreena McKennitt - The Mystic's Dream (Jade) - 07:43 
11. Mark Isham - On the Threshold of Liberty (Rules of Engagement) - 07:28 
12. Brian Tyler - Peterception (Bug) - 03:04 
13. Brian Tyler - A Vision of War (The Hunted) - 02:33 
14. Tyler Bates - Rabbits Scream (Killer Joe) - 03:11 
15. Ennio Morricone - Rampage (Rampage) - 04:01 
16. Wang Chung - To Live and Die in L.A. (To Live and Die in L.A.) - 04:54 
17. James Horner - Matt Hets Turned On (Jade) - 04:46 
18. Tangerine Dream - Betrayal (Sorcerer) - 03:43 
19. Jack Hues - Finale (The Guardian) - 04:15 
20. Don Ellis - Hotel Chase (The French Connection) - 05:30 
21. Tyler Bates - Texas Motel (Killer Joe) - 02:41 
22. Tangerine Dream - In the Mist of the Night (Sorcerer) - 05:51 
23. Ennio Morricone - Recollections (Rampage) - 03:43 
24. Wang Chung - City of the Angels (To Live and Die in L.A.) - 09:18

Sonntag, 1. Februar 2015

Playlist #156 vom 08.02.2015 - TANGERINE DREAM Special

Seit ihrer Gründung im Jahre 1967 zählen Tangerine Dream als einer der wenigen deutschen Bands, die es – neben Kraftwerk und den Scorpions – zu internationaler Berühmtheit geschafft haben und als Wegbereiter der sogenannten Berliner Schule zu Pionieren der elektronischen Musik gehören. Am 20. Januar 2015 verstarb Bandgründer Edgar Froese im Alter von 70 Jahren an einer Lungenembolie. Bis dahin wurde ihre Musik sowohl zu den Genres Krautrock, New Age, Progressive Rock und Ambient zugeordnet, und vor allem in den 80er Jahren waren Tangerine Dream auch als Soundtrack-Komponisten sehr gefragt. In den folgenden zwei Stunden werden zwar auch die filmmusikalischen Arbeiten der Band berücksichtigt, aber mindestens ebenso im Vordergrund stehen die Meilensteine aus ihren unzähligen Studioproduktionen.

Als der studierte Maler und Grafiker Edgar W. Froese (Gitarre) im September 1967 die Band aus der Taufe hob, zählten Volker Hombach (Violine, Flöte und Gesang), Lanse Hapshash (Schlagzeug), Charlie Prince (Gesang) und Kurt Herkenberg (Bass) zum Line-up der Gründungstage. Nach dem ersten Konzert in der Mensa der TU Berlin und weiteren Auftritten bei Studentenpartys und Kunst-Events wurden die Karten allerdings neu gemischt. Zusammen mit Conny Schnitzler und dem Multiinstrumentalisten und Klangpionier Klaus Schulze entstand 1970 zunächst das Debütalbum „Electronic Meditation“, danach verfolgte Schnitzler seine Solokarriere und Schulze schloss sich dem Ash Ra Temple an. Froese fand in dem 17-jährigen Drummer Christopher Franke, der am Berliner Konservatorium Klassische Musik und Komposition studierte und zuvor bei Agitation Free spielte, und dem Keyboarder Steve Schroyder aber schnell passenden Ersatz.
Das 1971 produzierte Album „Alpha Centauri“ wurde von den Lesern des „Sounds“-Magazins zum besten Album des Jahres gewählt und stieß auch im Ausland auf offene Ohren. Während Tangerine Dream auf den ersten beiden Alben noch herkömmliche Instrumente und elektronische Effekte einsetzten, benutzten sie auf der 1972 erschienenen Doppel-LP „Zeit“ den Synthesizer EMS VCS 3, für dessen Erwerb maßgeblich Peter Baumann verantwortlich war, der für Schroyder zur Band gestoßen war.
Das ein Jahr später veröffentlichte Album „Atem“ fand vor allem auf den britischen Inseln großen Anklang und wurde von BBC-DJ John Peel zur „Platte des Jahres“ gekürt.
„Wir haben nie wirklich elektronische Musik gemacht. Wir haben nur Instrumente benutzt, mit denen man über die klanglichen Bereiche der konventionellen Instrumentarien hinausgehen konnte“, beschrieb Edgar Froese im Interview mit der taz.de die Entwicklung von Tangerine Dream zu einem Pionier in der elektronischen Musikszene. „Die eigentlich elektronische Musik, wie sie von Karlheinz Stockhausen oder Iannis Xenakis komponiert wurde, das war ja echte experimentelle Klanganalyse und Klangsynthese. Das kannten wir natürlich alles und haben entsprechend auch das innovative Umgehen mit Klang gelernt. Aber dann haben wir uns nicht hingesetzt, um aus der Sicht des Elfenbeinturms nach unten das Volk damit zu belästigen. Wir kamen aus der Rockmusik und haben schnell gemerkt, dass man in Deutschland nicht mit dem konkurrieren konnte, was auf diesem Gebiet in England oder den USA passierte. Also musste irgendetwas anderes her, man brauchte ja in Amerika nicht mit der Kiste Coca-Cola ankommen, da war schon eher Buttermilch gefragt.“ 
Während „Zeit“ (1972) und „Atem“ (1973) sich noch stark an die Collagen-Struktur von „Alpha Centauri“ anlehnten, schlugen TD mit „Phaedra“ (1974) elektronischere und rhythmischere Wege ein, die nicht nur John Peel begeisterten, sondern auch Richard Branson dazu brachten, Tangerine Dream für sein neu gegründetes Label Virgin unter Vertrag zu nehmen, auf dem „Phaedra“ es bis in die britischen Top 20 schaffte.
Am 16. Juni 1974 absolvierten Tangerine Dream im Londoner Victoria Palace ihr erstes Konzert im englischsprachigen Ausland, auf die eine dreiwöchige Tournee durch Großbritannien folgte. Im Frühjahr 1975 zog es die Band nach Australien und Neuseeland, nachdem Baumann die Band verlassen hatte, um mit dem Auto durch Asien zu reisen, und Michael Hoenig für die Dauer der Tour eingesprungen war. Nach Baumanns Rückkehr wurde das Album „Rubycon“ (1975) in der Besetzung Froese/Franke/Baumann eingespielt, Ende des Jahres erschien mit „Ricochet“ das erste TD-Live-Album, das während der 75er Tour durch Frankreich und England aufgezeichnet wurde. 1976 erschien das Album „Stratosfear“, das auf 31 Konzerten in Deutschland, Spanien, Frankreich, Schweiz und England ausführlich vorgestellt wurde, bevor es Anfang 1977 für 16 Konzerte in die USA ging.
Der amerikanische Regisseur William Friedkin („Der Exzorzist“) wurde auf die Band aufmerksam und engagierte sie, die Musik zu seinem Remake des Klassikers „Wages of Fear“ („Atemlos vor Angst“) zu schreiben. Er war von dem Resultat so angetan, dass er den Film nach der Musik zu „Sorcerer“ umschnitt. Nach einem kurzen Gastspiel von Steve Joliffe, dessen Gesang auf dem 78er Album „Cyclone“ die Fangemeinde spaltete, stieß Johannes Schmoelling zur Band, mit dem das 79er Meisterwerk „Force Majeure“ und das 80er Album „Tangram“ entstanden. Froese veröffentlichte mit „Aqua“ sein erstes Solo-Album, dann begannen sich Tangerine Dream mit der Komposition von Filmmusik ein zweites Standbein zu schaffen.
Während sie in den 80ern die Musik zu über dreißig Filmen komponierten, blieb aber erstaunlicherweise immer wieder auch Zeit, um Studio-Alben aufzunehmen. Am 31. Januar 1980 gaben Tangerine Dream als erste westdeutsche Band in der DDR ein Konzert, das von der DDR-Plattenfirma Amiga auf dem Album „Quichote“ veröffentlicht wurde, ehe Virgin es 1986 unter dem Namen „Pergamon Live“ offiziell herausbrachte. 1981 erschien nicht nur der Soundtrack zu Michael Manns Thriller „Thief“ („Der Einzelgänger“), sondern auch das Studioalbum „Exit“. Mit der Titelmelodie zum Schimanski-Tatort „Das Mädchen auf der Treppe“ erzielten Tangerine Dream 1982 sogar einen Top-20-Hit. Auf dem nachfolgenden Studioalbum „White Eagle“ fand sich mit dem Titelstück schließlich die ursprüngliche Form des Tatort-Titeltracks.
1983 veröffentlichten Tangerine Dream nicht nur das Studio-Album „Hyperborea“, sondern auch die Soundtracks zu „Wavelength“ und „The Keep“. Mit dem in Polen aufgenommenen Live-Album „Poland“ wechselten sie von Virgin zu Jive-Elektro. Es folgten die Soundtracks zur Teenie-Komödie „Risky Business“ (1983) mit Tom Cruise in der Hauptrolle, zur Stephen-King-Verfilmung „Der Feuerteufel“ („Firestarter“), zu William Tannens Krimi-Drama „Flashpoint – Die Grenzwölfe“, zum Drama „Die Herzensbrecher“ (1984) und zu Ridley Scotts Fantasy-Film „Legende“ (1985).
Für das Konzeptalbum „Le Parc“, das letztmalig in der klassischen Besetzung Froese/Franke/Schmoelling eingespielt wurde, ließen sich Tangerine Dream von den schönsten Parks der Welt inspirieren. Für Schmoelling, der die Band 1986 verließ, um seinen eigenen Soundtrack-Kompositionen nachzugehen, kam der erst 21-jährige österreichische Funk- und Jazz-Pianist Paul Haslinger zur Band und sorgte so für einen Generationenwechsel bei Tangerine Dream. Nachdem sich Haslinger zunächst bei Live-Auftritten bewährt hatte, spielten Froese und Franke mit ihm das 86er Album „Underwater Sunlight“ ein, auf dem der Österreicher vor allem am Piano und Synthesizer eingesetzt wurde, weniger als Komponist glänzen konnte. 1987 erschienen die Soundtracks zu „Three O’Clock High“, „Shy People“ und Kathryn Bigelows Vampir-Thriller „Near Dark“, die Arbeit zum amerikanischen Fernsehfilm „Deadly Care“ wurde erst 1991 veröffentlicht. Mit „Tyger“ vertonten Tangerine Dream Gedichte des britischen Poeten William Blake und setzten dabei erstmals seit dem missglückten „Cyclone“ wieder Gesang ein. Ihre Musik zu einem Dokumentarfilm über den Grand Canyon erschien 1987 unter dem Titel „Canyon Dreams“, auf dem auch erstmals der Name von Edgar Froeses Sohn Jerome auftaucht und die der Band ihre erste Grammy-Nominierung einbrachte. Mit dem Live-Album „Livemiles“ verabschiedeten sich Tangerine Dream 1988 vom Jive-Elektro-Label, Christopher Franke verließ die Band, um eine Solokarriere vor allem als Komponist im Film- und Fernsehbereich zu starten.
Im September 1988 erschien erstmals auf dem Peter-Baumann-Label Private Music das Album „Optical Race“, auf dem neben Froese und Haslinger auch Ralph Wadephul mitwirkte, der die Band anschließend auch auf der folgenden Nordamerikatour begleitete, dann aber wieder eigener Wege ging. 1989 entstanden nicht nur die Soundtracks zum Thriller-Drama „Nacht der Entscheidung – Miracle Mile“ und zu „Destination Berlin“, sondern auch das Studioalbum „Lily On The Beach“, bei dem Froese und Haslinger Unterstützung von Hubert Waldner an Saxophon und Flöte und Jerome Froese an der Gitarre erhielten.
1990 wurden die Soundtracks zu „Dead Solid Perfect“ und „Heartbreakers“ veröffentlicht. Nach dem einzigen Deutschland-Konzert am 20. Februar 1990 in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle, bei dem die Saxophonistin Linda Spa ihre Kollegen Hubert Walder unterstützte und Jerome seinen ersten Live-Auftritt mit Tangerine Dream absolvierte, wurde Jerome festes Bandmitglied.
In der Besetzung Froese/Haslinger/Froese entstand 1990 das Album „Melrose“, danach verließ Haslinger die Band, um sich eigenen Projekten zu widmen. 1991 erschien neben dem Soundtrack zu „The Man Inside/L’Affaire Wallraff“ die Märchen-CD „Rumpelstiltskin“, auf der Tangerine Dream die von Kathleen Turner erzählte Geschichte von Rumpelstilzchen musikalisch untermalten. Auf dem Album „Rockoon“ kam erstmals der rockige Einfluss von Jerome zum Tragen. 1994 erschienen der Soundtrack zum bereits 1989 veröffentlichten Film „Catch Me If You Can“ und das Album „Turn Of The Tides“. Virgin veröffentlichte mit „Tangents 1973 – 1983“ eine 5-CD-Box mit remasterten Auszügen aus den bei Virgin erschienen Alben, darunter eine CD mit Soundtrack-Cues aus „Sorcerer“, „Flashpoint“, „Risky Business“, „Thief“, „Wavelength“ und „Firestarter“ sowie eine CD mit unveröffentlichtem Material.
Das 95er Album „Tyranny Of Beauty“ brachte Tangerine Dream die fünfte Grammy-Nominierung ein, doch gewinnen konnten sie den Preis bislang nicht. 1996 wurden der Soundtrack zum Videofilm „Zoning“ und das Album „Goblin’s Club“ veröffentlicht, das mit dem Wiener Boys Chor eingespielt worden ist. Edgar und Jerome Froese gründeten mit TDI schließlich ihr eigenes Label, zu dessen ersten Veröffentlichungen das Soundtrack-ähnliche „Oasis“, die beiden Live-Alben „Tournado“ und „Valentine Wheels“ sowie das Album „Ambient Monkeys“ (1997) zählten, auf dem die Band neben eigenen Kompositionen auch Teile von Werken Georg Friedrich Händels, Johann Sebastian Bachs und Wolfgang Amadeus Mozarts verwendete und diese mit Aufnahmen von Vogelstimmen, fahrenden Zügen, Urwaldgeräuschen etc. miteinander verband. Schließlich erschienen mit den beiden Compilations „Hollywood Years Vol. I und Vol. II“ Sammlungen von Titeln, die für verschiedene Filme komponiert, aber nicht dafür verwendet worden sind. Aus den Titeln und Liner Notes geht allerdings nicht hervor, für welche Filme diese Tracks entstanden sind.
Außerdem entstanden Soundtracks zu einem Film über den russischen Transsibirien-Express („Transsiberia“), über einstürzende Hochhäuser („What A Blast! Architecture In Motion“) und über die Chinesische Mauer („Great Wall Of China“). Die Musik zu Dokumentationen zu komponieren, lag Froese letztlich mehr, als den Anforderungen in Hollywood gerecht zu werden. Filmmusik an sich bot dem TD-Gründer keine wirkliche Herausforderung mehr.
„Selbst da herrscht mittlerweile Massenfertigung vor. Interessant wäre allenfalls eine radikale Umsetzung von Bildern in Musik, möglichst ohne Dialog, etwa für Dokumentationen. Ansonsten können Soundtracks leicht zur Routine werden“, gab er in einem Interview mit dem Rolling Stone zur Auskunft.
Im Zweijahresrhythmus erschien ab 2001 Edgar Froeses ambitionierte Trilogie zu Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie“ („Inferno“, „Purgatorio“, „Paradiso“), das als eine Art Oper mit verschiedenen Sängern aufgeführt worden ist. In den folgenden Jahren waren Tangerine Dream viel auf internationalen Bühnen zu sehen. 2012 absolvierten sie eine Tournee durch Europa, Kanada und die USA.
„Bei deutschen Medien hatten Tangerine Dream immer einen schweren Stand, sie wurden von Feuilletonisten und Fachmagazinen belächelt. Vielleicht weil ihr Elektro-Geschnurre zu gefällig schien und der Tangerine-Dream-Regisseur Edgar Froese, das einzig beständige Mitglied von 1967 bis in dieses Jahrtausend, stets zu unglamourös und dezent daher kam. Dabei gab sich sogar Salvador Dali als früher Froese-Fan zu erkennen“, rekapitulierte Christoph Dallach zur Veröffentlichung der Compilation „The Virgin Years 1977-1983“ auf spiegel.de.
„Vielleicht ist es aber auch ein Problem, dass Tangerine Dream einfach viel zu viele Alben ablieferten - bislang 107! Wenige davon waren unbedingt zwingend, wobei die meisten Stücke, die Tangerine Dream in den Siebzigern einspielten, auch in diesem Jahrtausend noch erstklassig und erstaunlich zeitgemäß klingen. Wer nun den frischen Neuauflagen der alten Platten lauscht, wird daran erinnert, wie sehr der Sound von Tangerine Dream den Klang von Moby, Air, Royksopp, Underworld oder Portishead beeinflusste und vorwegnahm. Etwas mehr Respekt wäre längst fällig.“ 
Michael Mann erinnert sich zum Tode von Edgar Froese jedenfalls gern an die Zusammenarbeit mit Tangerine Dream an seinem ersten Film „Thief“.
"Es kommt mir so vor, als wäre unsere Zusammenarbeit 15 Jahre her, nicht 35“, erzählte er in einem Interview mit billboard.com. „Ihr Studio war fantastisch. Es war ein ausgeschlachtetes Kino in der Nähe der Berliner Mauer. [...] Dort produzierten sie wirklich innovative Musik. Und es hatte wirklich Gehalt. Es war nicht nur atmosphärischer Klang. Nirgendwo in England oder Amerika gab es etwas Vergleichbares." Dennoch hatte Mann zunächst mit dem Gedanken gespielt, anstatt der experimentellen Sounds von Tangerine Dream, Bluesmusik für den Soundtrack zu verwenden, was "Thief" zu einem "komplett anderen Filmerlebnis" gemacht hätte. "Allerdings gab es zwischen Froese und dem Blues eine Verbindung, da er als Blues-Gitarrist begonnen hatte. Obwohl Tangerine Dream elektronische Musik machten, besaßen viele ihrer Kompositionen Blues-Strukturen. Außerdem fand er als Mann und Künstler Inspiration auf der Straße. [...] Der fertige Soundtrack war wirklich abenteuerlich. Wir arbeiteten mit analogen Sequencern und Synthesizern und bearbeiteten auch Soundeffekte, sodass die Ozeanwellen in der Tonart G-Dur zu hören waren."
Auf eine ausführliche Diskographie verzichte ich an dieser Stelle, dafür beschränke ich mich auf die Filmographie:
1977: Atemlos vor Angst (Sorcerer)
1981: Der Einzelgänger (Violent Streets/Thief)
1981: Avanaida – Der Biß (Spasms/Death Bite)
1982: Die unheimliche Macht (The Keep)
1982: Der Söldner (The Soldier)
1983: Das Ende der Angst (Wavelength)
1983: Lockere Geschäfte (Risky Business)
1984: Auf der Jagd nach dem Wüstenschatz (Flashpoint)
1984: Der Feuerteufel (Firestarter)
1985: Versteckt (Forbidden)
1985: Herzensbrecher (Heartbreakers)
1985: Streethawk
1985: Crazy For You (Vision Quest)
1986: Zoning – Gefangen im System
1986: Legende
1986: Der Herrscher des Central Parks (The Park Is Mine)
1987: Bedrohliches Schweigen (Shy People)
1987: Die Nacht hat ihren Preis (Near Dark)
1987: Faustrecht – Terror in der Highschool (Three O’Clock High)
1987: Mörderische Nächte (Red Nights)
1987: Canyon Dreams
1987: Deadly Care
1988: Die Nacht der Entscheidung (Miracle Mile)
1988: Lucky Date (Tonight’s The Night)
1989: Tödliche Nachrichten (The Man Inside)
1989: Destination Berlin
1989: Heartpower (Catch Me If You Can)
1996: Oasis
1998: Transsiberia
1999: What A Blast
2000: Great Wall Of China
2003: Mota Atma
2013: Grand Theft Auto V (Video-Game)
Playlist: 
01. Tangerine Dream - Betrayal (Sorcerer) - 04:00
02. Tangerine Dream - For The Summit Only (Mota Atma) - 07:56
03. Tangerine Dream - Going West (Flashpoint) - 04:09
04. Tangerine Dream - Ricochet (Ricochet) - 07:13
05. Tangerine Dream - The Dream Is Always … (Risky Business) - 03:28
06. Tangerine Dream - White Eagle (White Eagle) - 04:14
07. Tangerine Dream - Alien Goodbye (Wavelength) - 03:07
08. Tangerine Dream - Monolight [Yellow Part] (Encore) - 07:15
09. Tangerine Dream - Rain in the Third House (Near Dark) - 02:56
10. Tangerine Dream - Sam's Forge (Thief) - 03:10
11. Edgar Froese - Era Of The Slaves (Ages) - 08:12
12. Tangerine Dream - 21st Century Common Man Part I (Tyger) - 04:48
13. Tangerine Dream - Snake Men's Dance At Dawn (Mala Kunia) - 05:51
14. Tangerine Dream - Twin Soul Tribe (Optical Race) - 04:40
15. Tangerine Dream - Mombasa [Tuareg Remix] (One Night In Africa) - 09:42
16. Tangerine Dream - Beyond The Weakest Point (GTA 5) - 06:08
17. Tangerine Dream - Yellowstone Park [Rocky Mountains] (Le Parc) - 06:12
18. Tangerine Dream - Apus (Chandra - The Phantom Ferry Part II) - 05:57
19. Tangerine Dream - In Julie's Eyes (Miracle Mile) - 03:15
20. Tangerine Dream - Towards The Evening Star (Goblin's Club) - 06:17
21. Tangerine Dream - The Metropolitan Sphere (Dream Mixes IV) - 09:13

Soundtrack Adventures #156 with TANGERINE DREAM @ Radio ZuSa 2015-02-08 by Dirk Hoffmann on Mixcloud

Freitag, 1. März 2013

DIE 3. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 01./02.03.2013 - KATHRYN BIGELOW Special

Wenn nicht die einzige, so ist Kathryn Bigelow doch mit Abstand die bekannteste Regisseurin im Action-Genre, das üblicherweise eine reine Männerdomäne ist. Nach ihrem Oscar®-prämierten Meisterwerk „Tödliches Kommando“ hat die amerikanische Regisseurin offenbar Geschmack am Kriegs-Thema gefunden. In ihrem neuen Film „Zero Dark Thirty“ macht die Ex-Frau von James Cameron („Avatar“, „Titanic“) Jagd auf Osama Bin Laden.

Die Tochter einer Bibliothekarin und eines Farbenfabrikmanagers studierte zwei Jahre lang am San Francisco Art Institute und zog anschließend nach New York, wo sie 1971 ein Stipendium am Whitney Museums of American Art bekam. Sie wirkte bei der Avantgarde-Künstlergruppe Art & Language mit und studierte Film an der Columbia University, wo sie 1978 als Abschlussarbeit den 20-minütigen Kurzfilm „The Set-up“ präsentierte. Zusammen mit Monty Montgomery realisierte Bigelow 1982 das Bikerdrama „The Loveless“, das innerhalb eines Tages Ende der 50er in einer amerikanischen Kleinstadt die Auseinandersetzung zwischen einer Truppe von Bikern und der ansässigen Bevölkerung schildert.
Nachdem Bigelow 1983 eine Hauptrolle in Lizzie Bordens feministischen Science-Fiction-Drama „Born In Flames“ übernommen hatte, inszenierte sie 1987 mit „Near Dark“ ein düsteres Vampirdrama, zu dem die deutschen Elektronik-Pioniere Tangerine Dream den Soundtrack produzierten.
„Letztendlich schafft es Bigelow in ‚Near Dark‘, ihren Vampirfilm auf gelungene Weise mit Elementen des Roadmovies, des Westerns und der Romanze anzureichern, ohne dass dieses Konglomerat jemals unnatürlich oder aufgesetzt wirken würde. Die verschiedenen Subgenres greifen perfekt ineinander und ergeben einen äußerst spannenden, düsteren und über große Strecken originellen Blutsaugerstreifen. Dass auf Klischees (Kreuze, Knoblauch etc.) völlig verzichtet und anstelle dessen auf eine gute Geschichte, Zwischentöne, welche die Charaktere interessant halten und eine originäre Bildsprache gesetzt wird, macht ‚Near Dark‘ zu einem der interessantesten Vampirfilme“, resümiert Björn Helbig auf filmstarts.de
Nachdem Bigelow für New Order das Video zu ihrer Single „Touched By The Hand Of God“ gedreht hatte, inszenierte sie den Serienkiller-Thriller „Blue Steel“ (1989). Jamie Lee Curtis spielt darin die junge Polizistin Megan Turner, die einen bewaffneten Supermarkträuber erschießt. Da sich jedoch der Börsenmakler Eugene Hunt (Ron Silver) im Chaos nach der Schießerei die Waffe des Räubers schnappt, bekommt Megan Probleme, ihre Schilderung der Ereignisse bei ihren Vorgesetzten glaubhaft zu vermitteln. Als Hunt eine Beziehung zu Megan aufbaut, ahnt sie nicht, in welche Gefahr sie sich begibt. Brad Fiedel, der für Bigelows Mann James Cameron die „Terminator“-Filme musikalisch untermalte, schuf auch für „Blue Steel“ einen eindrucksvollen, atmosphärisch düsteren Score, der kongenial die Bedrohung illustriert, die die junge Polizistin umgibt.

Etwas handfester ging es in Bigelows Thriller „Gefährliche Brandung“ (1991) zu. Keanu Reeves spielt den FBI-Agenten Johnny Utah, der sich undercover in das Surfer-Milieu einschleust, um eine Reihe von Banküberfällen in Los Angeles aufzuklären. Schnell freundet er sich mit der attraktiven Tyler (Lori Petty) und dem charismatischen Surf-As Bodhi (Patrick Swayze) an. Doch das bringt den FBI-Mann in eine echte Zwickmühle … Keanu Reeves überzeugte erstmals in einer Action-Rolle und legte so den Grundstein für seine Erfolge in „Speed“ und der „Matrix“-Trilogie, Patrick Swayze durfte etwas mehr Talent beweisen als in „Dirty Dancing“. Davon abgesehen bot „Point Break“ – so der Originaltitel – vor allem tolle Surfer-Aufnahmen und unterhaltsame Action, die von Mark Isham adäquat musikalisch untermalt wurden.
1995 inszenierte Bigelow mit „Strange Days“ einen düsteren Science-fiction-Thriller mit sozialkritischer Note. Kurz vor der Jahrtausendwende ist es den Menschen möglich, Erlebnisse von Menschen aufzuzeichnen und abzuspielen. Der heruntergekommene Ex-Cop Lenny Nero (Ralph Fiennes) handelt mit Mikrochips, die jede Art von Sex-&-Crime-Geschichten enthalten, auf die seine Kundschaft abfahren. Doch dann stößt er auf einen Chip mit höchst brisantem Inhalt, nämlich der Hinrichtung eines schwarzen Sängers durch Polizisten. Mit Hilfe der Leibwächterin Mace (Angela Bassett) und dem Privatdetektiv Max (Tom Sizemore) versucht Lenny, dem Verbrechen auf die Spur zu kommen … Kathryn Bigelow ist mit „Strange Days“ ein packender wie düsterer Thriller um virtuelle Realitäten gelungen, visuell beeindruckend inszeniert und mit einem vielschichtigen Soundtrack versehen, der Graeme Revells innovativen Kompositionen mit World Music Beats von Deep Forest und Peter Gabriel verbindet. Zwischenzeitlich arbeitete die Regisseurin auch fürs Fernsehen, so stand sie für eine Episode von Oliver Stones Mystery-Thriller-Mehrteiler „Wild Palms“ und für die Cop-Serie „Homicide“ hinter der Kamera, ehe sie im Jahre 2000 mit dem Psycho-Thriller „Das Gewicht des Wassers“ auf die große Leinwand zurückkehrte.
In der Verfilmung von Anita Shreves Bestseller recherchiert eine Zeitungsfotografin (Catherine McCormack) zu einer Mordgeschichte aus dem Jahre 1873, die sie in ihrer Geschichte mit einem aktuellen Doppelmord verbindet. Doch je mehr sie sich in die Themen von Mord und Obsession vertieft, desto mehr wird ihre Ehe mit Thomas (Sean Penn) durch Eifersuchtsanfälle und gegenseitige Verdächtigungen in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem bereits „Strange Days“ nicht so recht beim Publikum ankommen wollte und „Das Gewicht des Wassers“ völlig baden gegangen war, präsentierte Bigelow mit „K-19“ – Showdown in der Tiefe“ wieder solides Spannungs-Kino mit Harrison Ford und Liam Neeson in den Hauptrollen. Der Film spielt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges im Jahr 1961, als amerikanische U-Boote vor der sowjetischen Küste in Stellung gegangen sind, worauf die Russen ihr brandneues Atom-U-Boot „K-19“ vor die amerikanische Ostküste in Position bringen wollen. Nach einer verpatzten Übung wird Kapitän Polenin (Liam Neeson) degradiert und muss unter seinem Nachfolger Vostrikov (Harrison Ford) als Erster Offizier dienen, was der Mannschaft überhaupt nicht passt. Doch ein Leck im Kühlsystem des Reaktors droht zu einer nuklearen Katastrophe zu werden …
„Technisch auf dem neuesten Stand und ohne Mängel versteht es Bigelow, aus dem stark limitierten Raum auf dem Boot, die nötige Authentizität zu kitzeln, die Enge spürbar zu machen. Auf große Actionszenen verzichtet sie wohlwollend. Leider hat ‚K-19‘ aber doch noch einen Haken. Nachdem das dramatische Potenzial des Stoffes im Mittelteil voll ausnutzt wurde und einige nette Wendungen für Abwechslung sorgen, kippt der Film gegen Ende wieder in den typischen Hollywood-Stil und feiert den Heldenmut der Besatzung ein bisschen zu heftig“, urteilt Carsten Baumgardt auf filmstarts.de. Dass der Film wieder einmal floppte, lag vor allem daran, dass „K-19“ allein aus russischer Perspektive erzählt wurde, womit sich das amerikanische Publikum kaum anfreunden konnte. Nach diesem 100-Millionen-Dollar-Flop wollte kein Studio mehr ein großes Budget in Bigelows fraglos talentierte, aber unglückliche Hände geben.
Erst 2009 bekam Bigelow wieder das Vertrauen geschenkt und wurde gleich mit ihrem ersten Oscar® belohnt. „Tödliches Kommando“ schildert den Alltag eines amerikanischen Bombenräumkommandos im Irak. Als der Vorgesetzte von Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) im Einsatz stirbt, bekommt das Kommando mit dem waghalsigen Staff Sergeant William James (Jeremy Renner) einen neuen Anführer, der Sanborn und Eldridge mit seiner lässigen Macho-Art an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt.
„Die 57-jährige Regisseurin und ihr Drehbuchautor Mark Boal (der 2004 als embedded journalist im Irak war und schon das Script zu ‚Im Tal von Elah‘ schrieb) klagen nicht an. Sie analysieren vielmehr mit dokumentarischer Präzision die Mechanismen der Todesangst und ihrer Verdrängung. Mechanismen, ohne die kein Krieg geführt werden kann. ‚Hurt Locker‘, der Originaltitel, bezeichnet im Soldatenjargon einen Ort, an dem der Schmerz weggesperrt wird“, erläutert Christiane Peitz auf zeit.de. „Eigentlich tut das Bombenräumkommando nichts anderes als das Kinopublikum. Es schaut genau hin, misstraut dem Augenschein, will erkennen, begreifen. Eine Plastiktüte, eine lahmende Katze, ein Eselskarren, Menschen auf einem Minarett – wer das Straßenbild falsch deutet, riskiert sein Leben. Immer wieder geht es mit Barry Ackroyds unruhiger 16-Millimeter-Kamera zum Einsatz, sieben, acht Mal in 120 Minuten. Immer wieder wird gepeilt, fokussiert, ins Visier genommen, Schärfe nachgezogen; die Zeitlupen entstanden mit hyperpräzisen Digitalkameras. Oft wussten die Schauspieler nicht, von wo sie gefilmt werden – Guerillataktik einer gewieften Genre-Regisseurin. Beobachten, wer einen beobachtet. Sehen und dabei unsichtbar bleiben. Ungemütlich ist dieser Film auch deshalb, weil Krieg und Kino einander so verdammt ähnlich werden. Seit Paul Virilio ist das kein neuer Gedanke. Aber er geht einem hier gefährlich nahe.“ 
Mit insgesamt sechs Academy Awards in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch, Bester Schnitt, Bester Ton und Bester Tonschnitt stellte die Regisseurin ihre Credibility bei den Studios wieder her und durfte nun mit „Zero Dark Thirty“ wieder ins Oscar®-Rennen gehen.
Aus der Sicht der jungen CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) schildert Bigelow die Jagd nach Osama bin Laden, ausgehend von den Anschlägen vom 11. September 2001 bis zur Tötung des so verzweifelt gesuchten al-Qaida-Anführers. Der mit expliziten Folterszenen angereicherte Film hat für viel Diskussionsstoff und Kritik gesorgt. „In erster Linie ist der Film ein sehenswerter, für fünf Oscars nominierter Spionage-Thriller, kein politisches Manifest. Zu jeder Darstellung des so genannten ‚Krieges gegen den Terror‘ gehören eben auch zwingend Waterboarding, CIA-Entführungen, Geheimgefängnisse und Guantanamo. Alles andere wäre unvollständig. Die heftigen Reaktionen auf den Film haben immerhin gezeigt, dass die Amerikaner dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte nicht vergessen haben und noch immer leidenschaftlich darüber streiten. Es bleibt dem kritischen Zuschauer überlassen, wie er die Bedeutung der brutalen Praxis bewertet. Denn am Ende, wenn Maya nach zehn Jahren Jagd alleine und erschöpft in einem Militärtransporter sitzt und weint, wird sich jeder zwangsläufig fragen: War es das alles wert?“, heißt es dazu bei handelsblatt.com.

Filmographie:
1978: The Set-Up (Kurzfilm)
1982: Die Lieblosen (The Loveless)
1987: Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (Near Dark)
1990: Blue Steel
1991: Gefährliche Brandung (Point Break)
1993: Wild Palms (TV, Folge „Rising Sons“)
1995: Strange Days
1998/99 Homicide (TV, 3 Folgen)
2000: Das Gewicht des Wassers (The Weight of Water)
2002: K-19 – Showdown in der Tiefe (K-19: The Widowmaker)
2004: Karen Sisco (TV, 1 Folge)
2007: Mission Zero (Kurzfilm)
2009: Tödliches Kommando – The Hurt Locker (The Hurt Locker)
2012: Zero Dark Thirty
Playlist: 
1 Lords Of Acid - The Real Thing (Strange Days) - 03:32
2 Tangerine Dream - Caleb's Blues (Near Dark) - 03:10
3 Brad Fiedel - Main Titles (Blue Steel) - 04:58
4 Mark Isham - Night Surf Feelings (Point Break) - 03:00
5 Ryuchi Sakamoto - Harry To Hospital (Wild Palms) - 03:39
6 Jeff Rona - Late Night Tale (Homicide) - 04:01
7 Tricky - Overcome (Strange Days) - 04:29
8 Graeme Revell - Happy New Year (Strange Days) - 03:51
9 Deep Forest - Coral Lounge (Strange Days) - 03:27
10 Graeme Revell - End Credits (Strange Days) - 03:49
11 Lori Carson & Graeme Revell - Fall In The Light (Strange Days) - 04:24
12 Klaus Badelt - Missile I (K-19) - 03:00
13 Marco Beltrami & Buck Sanders - A Guest In My House (The Hurt Locker) - 03:11
14 Alexandre Desplat - Northern Territories (Zero Dark Thirty) - 03:47
15 Peter Gabriel & Deep Forest - While The Earth Sleeps (Strange Days) - 03:50
16 Alexandre Desplat - Monkeys (Zero Dark Thirty) - 03:00

Sonntag, 10. Oktober 2010

Playlist # 43 vom 10.10.10 - PAUL HASLINGER Special

Paul Haslinger ist in Hollywood für seine oft elektronisch geprägten Scores zu jüngeren Action- und Horrorfilmen wie „Crank“, „Turistas“, „Motel“ oder „Prom Night“ bekannt. Dabei hat der 1962 im österreichischen Linz geborene Komponist schon früh den Weg zur Filmmusik gefunden. Bereits während seiner klassischen Ausbildung an der Wiener Musikakademie experimentierte Haslinger mit neuen Ausdrucksformen der elektronischen Musik und war von 1986 bis 1991 Mitglied der wegweisenden Krautrock-Formation Tangerine Dream, wo er an deren bekannten Soundtracks zu Filmen wie „Near Dark“, „Shy People“, „Miracle Mile“, „Dead Solid Perfect“ und „Canyon Dreams“ mitwirkte.

Er stieß zu der von Christian Wittmann und Christoph Harbonnier gegründeten Ambient-Band Lightwave, mit der Haslinger u.a. 1993 das Album „Tycho Brahe“ und 1995 „Mundus Subterraneus“ veröffentlichte. Aber Haslinger bastelte auch fleißig an seiner Solo-Karriere, produzierte unter eigenem Namen die World-Music-Ambient-Alben „Future Primitive“ (1994), „World Without Rules“ (1996) und „Score“ (1999) und als Coma Virus das Ambient-Album „Hidden“ (1996). Mit seinen besonderen Fähigkeiten auf dem weiten Feld der elektronischen Musik war er als Arrangeur und Programmierer für Hollywood-Komponist Graeme Revell von unschätzbarem Wert und veredelte dessen Scores zu Filmen wie „Verhandlungssache“, „Lara Croft: Tomb Raider“, „Phoenix“, „Ausnahmezustand“, „Chinese Box“ und „Red Planet“. Nach eigenen Soundtrack-Produktionen für die animierten Science-fiction-Filme „Planetary Traveler“ und „Infinity’s Child“ gelang Paul Haslinger in Hollywood im Jahre 2003 mit seinem rhythmisch-pulsierenden Score zum Fantasy-Horror-Spektakel „Underworld“ der Durchbruch. Seither ist der mittlerweile in Los Angeles residierende Komponist aber nicht nur für Filme wie „Crazy/Beautiful", „Shoot ´em Up“, „Into The Blue“ oder „While She Was Out“ tätig gewesen, sondern auch für die Fernseh-Serie „Sleeper Cell“ und Videospiele wie „X-Men Origins: Wolverine“, „Need For Speed: Undercover“, „Far Cry: Instincts“ oder „Rainbow Six: Vegas“.

Filmographie/Diskographie:
1986 Underwater Sunlight (Tangerine Dream Album)
1987 Live Miles (Tangerine Dream Album)
1987 Near Dark (Tangerine Dream Soundtrack)
1987 Shy People (Tangerine Dream Soundtrack)
1987 Three O’clock (Tangerine Dream Soundtrack)
1987 Tyger (Tangerine Dream Album)
1988 Dead Solid Perfect (Tangerine Dream Soundtrack)
1988 Miracle Mile (Tangerine Dream Soundtrack)
1988 Optical Race (Tangerine Dream Album)
1989 Lily On The Beach (Tangerine Dream Album)
1990 Melrose (Tangerine Dream Album)
1990 The Man Inside (Tangerine Dream Soundtrack)
1991 Canyon Dreams (Tangerine Dream Soundtrack)
1991 Dead Solid Perfect (Tangerine Dream Soundtrack)
1993 Tycho Brahe (Lightwave Album)
1994 Future Primitive (Solo-Album)
1995 Mundus Subterraneus (Lightwave Album)
1996 World Without Rules (Solo-Album)
1996 Hidden (Coma Virus Album)
1998 Planetary Traveler
1999 Infinity's Child (VG)
1999 Score (Solo-Album)
1999 Story Of Computer Graphics
2000 Cheaters (TV)
2000 Dharmok's Gate
2001 Crazy/Beautiful
2002 Blue Crush
2002 Minority Report (additional Music)
2003 Bring It On Again
2003 Underworld
2004 Bleu Comme Une Orange(Lightwave Album)
2004 Girl Next Door
2005 Far Cry Instincts (VG)
2005 Into The Blue
2006 Crank
2006 Far Cry 1.5 (VG)
2006 Rainbow Six: Vegas (VG)
2006 Sleeper Cell 2: American Terror (TV)
2006 Sleepercell (TV)
2006 Turistas
2006 Walkout (additional music)
2007 Gardener Of Eden
2007 Shoot 'Em Up
2007 Vacancy
2008 Death Race
2008 Make It Happen
2008 Prom Night
2008 Rainbow Six: Vegas 2 (VG)
2008 The Fifth Commandment
2008 While She Was Out
2009 After.Life
2009 Need For Speed: Undercover (VG)
2009 Takers
2009 Underworld: Rise Of The Lycans
2009 X-Men Origins: Wolverine (VG)

Playlist:
1 Paul Haslinger - Nomads In The Age Of Wireless (Future Primitive) - 04:45
2 Paul Haslinger - Spacedrift 60-23 (Planetary Traveler) - 04:36
3 Paul Haslinger - Keep Watch Over The Night (Underworld) - 05:37
4 Paul Haslinger - Temps Perdu [Remix by Christoph Harbonnier] (Vacancy) - 04:33
5 Paul Haslinger - Beginning To End [performed by Nona Hendryx & Sussan Deyhim] (Sleeper Cell - Season 1) - 05:11
6 Paul Haslinger - Frank Walk (Death Race) - 02:11
7 Paul Haslinger - Adrift The Southern Seas (Blue Crush) - 03:47
8 Paul Haslinger - The Return To The Cave (Turistas) - 03:59
9 Paul Haslinger - Della Goes Home (While She Was Out) - 03:20
10 Paul Haslinger - Goodbye Oliver (Shoot ´em Up) - 03:21
11 Paul Haslinger - The Grid (Into The Blue) - 03:20
12 Paul Haslinger - The Setup (Need For Speed: Undercover) - 02:26
13 Paul Haslinger - Code 54 (Sleeper Cell - Season 2) - 03:20
14 Paul Haslinger - Rainmaker's Dream (World Without Rules) - 05:02

Sonntag, 9. Mai 2010

Playlist # 32 vom 09.05.10 - MICHAEL MANN Special

Der am 5. Februar 1943 geborene Michael Mann wird oft als „Hollywoods letzter Autorenfilmer“ bezeichnet, weil er zu vielen seiner Filme auch die Drehbücher schreibt. Aufgewachsen in einem Chicagoer Arbeiterviertel, war es ihm als einer der wenigen seines Jahrgangs vergönnt, die Universität von Wisconsin zu besuchen, wo er sich für englische Literatur einschrieb. Ein Seminar für Filmgeschichte faszinierte ihn aber so stark, dass er nach London auf die Internationale Filmschule ging, wo er sich auch der Einberufung in die Armee und einem Einsatz im Vietnam-Krieg entziehen konnte, den er ablehnte.
Nach dem Studium gründete er die Filmproduktionsfirma Michael Mann Productions und drehte 1970 den Kurzfilm „Jaunpuri“. 1971 kehrte er in die USA zurück und realisierte den Kurzfilm „17 Days Down The Line“, das Ergebnis seiner 17-tägigen Reise durch sein Heimatland, während der Mann verschiedene Amerikaner interviewte, die sich über ihren Beruf definieren. Mann schrieb in der Folge Drehbücher zu den Fernsehserien „Starsky & Hutch“ und „Police Story“ und verfilmte 1979 den Gefängnisroman „Jericho Mile“, die Geschichte des lebenslänglich verurteilten Mörders Rain Murphy, dem die Möglichkeit geboten wird, bei den Olympischen Spielen mitzulaufen, doch da Murphy den Mord an seinem Vater nicht bereut und seine Strafe absitzen will, schlägt er die Chance aus. Sein Kinodebüt feierte Michael Mann 1981 mit „Thief“, zu dem die deutschen Elektronik-Pioniere Tangerine Dream ebenso den Soundtrack beisteuerten wie zu Manns nächstem Film, dem Sci-Fi-Horrorfilm „The Keep“ (1983).
Das bei Michael Mann hervorstechende Motiv des auf sich allein gestellten Antihelden – in „Jericho Mile“ war es der olympiareif laufende Mörder Murphy, in „Thief“ der von James Caan gespielte Juwelendieb Frank, der davon träumt, sich mit seiner Familie zur Ruhe zu setzen, aber nicht aus den Fängen der Mafia entkommt – tritt bei all seinen weiteren Filmen deutlich zutage. Bevor Anthony Hopkins die Rolle des kultivierten Serienkillers in den Verfilmungen von Thomas Harris‘ „Hannibal Lecter“-Trilogie übernahm, versuchte sich Michael Mann bereits 1986 in „Manhunter“ an der Suche von Detective Will Graham (William Peterson) nach einem Serienmörder, bei der ihm der inhaftierte Serienmörder Hannibal Lecter (Brian Cox) behilflich sein soll.
„Manhunter“ besticht durch eine ausgefeilte visuelle und auditive Inszenierung, wobei Michael Mann wiederum verstärkt auf elektronische Musik setzte. Neben dem eigentlichen Score von Michel Rubini und The Reds kamen vor allem atmosphärische Tracks der britischen Band Shriekback („Evaporation“, „This Big Hush“, „Coelocanth“) hinzu.
Trotz seiner Stärken floppte „Manhunter“ an den Kinokassen, worauf sich Mann wieder zum Fernsehen wandte, wo unmittelbarer und effektiver arbeiten konnte. Vor allem bei der hippen Fernsehserie „Miami Vice“ machte er als leitender Produzent Furore, dann inszenierte er 1989 mit „L.A. Takedown“ nicht nur seinen bis heute letzten Fernsehfilm, sondern auch gleich eine erste Version seines 95er Meisterwerks „Heat“. Dazwischen beeindruckte Michael Mann Publikum und Kritiker mit der Neuverfilmung des Klassikers „The Last of the Mohicans“ mit Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle des weißen Adoptivsohnes eines Indianers, der seinen Platz zwischen den Kulturen im jungen Amerika sucht.
Die Musik von Trevor Jones und Randy Edelman erhielt sogar eine Oscar-Nominierung und zählt nicht nur zu den schönsten Scores überhaupt, sondern markierte auch den Wechsel von den elektronisch geprägten Soundtracks zu orchestralen Kompositionen. Damit passte sich Mann zwar mehr dem üblichen Hollywood-Sound an, doch nach wie vor verwendete der Regisseur und Produzent besonders viel Sorgfalt bei der Auswahl der Musik zu seinen Filmen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ihre Filme erst im Post-Produktions-Prozess mit Musik versehen lassen, arrangiert Michael Mann wie bei einem Musikvideoclip die Bilder, sogar die Erzählstruktur zur Musik.
Das wird besonders bei „Heat“ deutlich, dem grandiosen Gangster-Epos, bei dem sich Al Pacino als ehrgeiziger Cop und Robert De Niro als gewitzter Boss einer Diebesbande einander hinterherjagen. Die teilweise vom Kronos Quartet umgesetzte Musik von Komponist Elliot Goldenthal wird von so unterschiedlichen Künstlern wie Passengers (einem Soundtrack-Projekt von Brian Eno und U2), Moby, Lisa Gerrard und der deutschen Industrial-Avantgarde-Band Einstürzende Neubauten ergänzt, was dem Soundtrack einen sehr eklektischen Charakter verleiht. Michael Mann war von den Lisa-Gerrard-Songs „La Bas“ und „Gloradin“ (von ihrem Solo-Debüt „The Mirror Pool“) so angetan, dass er sie und Pieter Burke mit der Filmmusik zu seinem Thriller-Drama „The Insider“ (1999) und seinem Muhammed-Ali-Biopic „Ali“ (2001) engagierte.
Doch auch hier mussten sich die Komponisten das musikalische Feld mit vielen anderen im Film eingesetzten Songs und Instrumentals teilen. Bei „The Insider“ - mit Al Pacino als investigativer Journalist und Russell Crowe als ehemaliger Manager eines Tabakkonzerns, die gemeinsam dunkle Machenschaften der Tabak-Industrie aufdecken wollen - wurde Graeme Revell als weiterer Komponist hinzugezogen, darüber hinaus kamen Tracks der britischen Trip-Hopper Massive Attack, des Jazz-Musikers Jan Garbarek und des argentinischen Komponisten Gustavo Santaolalla zum Einsatz. Zu „Ali“ gab es gleich zwei Soundtracks, auf denen neben dem Score von Gerrard & Bourke natürlich vor allem Black Music von Künstlern wie Aretha Franklin, Everlast, R. Kelly, Bilal, Soul Clan und Salif Keita vertreten sind.

In dem 2004 realisierten Gangster-Thriller „Collateral“ treffen gleich zwei Anti-Helden aufeinander: Tom Cruise engagiert als Auftragskiller den lethargischen Taxifahrer Max (Jamie Foxx), damit er diesen im nächtlichen Los Angeles von einem Tatort zum nächsten kutschiert. Michael Mann inszenierte den Film erstmals auf Video und behielt diese Technik bei seinen folgenden Filmen bei. Von den Original-Kompositionen, die James Newton Howard und Antonio Pinto für „Collateral“ produzierten, war auf dem Soundtrack nicht mehr viel zu hören. Dafür tummelten sich Acts wie Audioslave, Groove Armada, Oakenfold, Miles Davis und Calexixo auf dem Soundtrack-Album.
Im Jahre 2006 inszenierte Mann eine Kinoversion von „Miami Vice“ und engagierte John Murphy und Klaus Badelt für die Musik, das Gangster-Epos „Public Enemies“ (2009) um John Dillinger (Johnny Depp) wurde wieder von Elliot Goldenthal vertont, der die Zusammenarbeit mit Michael Mann so beschrieb: „Er mag nicht zu viele Tricks und Wendungen in der Struktur der Musik. Er interagiert wirklich mit den Dingen, die sich sehr, sehr langsam entwickeln. Er möchte Musik, zu denen die Bilder, die Schnitte und Dialoge hinwegfließen können, ohne zu sehr mit ihnen korrespondieren zu müssen. Wenn du mit Michael arbeitest, musst du darauf vorbereitet sein, viele Veränderungen durchzumachen. Er ändert seine Meinung. Er schaut sich den Film jeden Tag als Ganzes an und verändert immer wieder etwas, also musst du wissen, dass zu deinem Job ebenso ständige Veränderungen gehören.“
Michael Mann erzählt zwar keine anspruchsvollen Geschichten und präsentiert keine Helden, wohl aber Figuren aus dem (oft) wahren Leben, die sich ihrer Rolle in der Gesellschaft vollkommen bewusst sind und schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, sobald sie mal über sich hinausgewachsen sind.
Obwohl Michael Mann weder zu der illustren Garde des „New Hollywood Cinema“ zählt, in dem Spielberg, Lucas, Scorsese, Bogdanovich und Coppola neue Formen des Geschichtenerzählens entwickelt haben, und auch nicht zur zweiten Welle zugeordnet werden kann, in der Ron Howard, Ridley Scott und Robert Zemeckis das Kino der 80er geprägt haben, ist er einer interessantesten Filmemacher der heutigen Zeit und mit einem besonderen Gespür für visuelle und musikalische Ausdrucksformen ausgestattet.

Filmographie:
1971: Jaunpuri (Kurzfilm)
1972: 17 Days Down the Line
1979: The Jericho Mile - Ein Mann kämpft allein
1981: Thief - Der Einzelgänger
1983: The Keep - Die unheimliche Macht
1986: Manhunter – Roter Drache/Blutmond
1989: L.A. Takedown - Showdown in L.A. (TV)
1992: The Last of the Mohicans - Der letzte Mohikaner
1995: Heat
1999: The Insider
2001: Ali
2004: Collateral
2006: Miami Vice
2009: Public Enemies
Playlist:
1 Tangerine Dream - Sam's Forge (Thief) - 03:10
2 Tangerine Dream - Ancient Powerplant (The Keep) - 04:26
3 Shriekback - Evaporation (Manhunter) - 03:18
4 Lisa Gerrard & Pieter Bourke - See The Sun (Ali) - 03:22
5 Moby - God Moving Over The Face Of The Waters (Heat) - 06:57
6 Oakenfold - Ready Steady Go (Remix) (Collateral) - 04:48
7 John Murphy - CDE (Miami Vice) - 02:47
8 Jan Garbarek - Rites (Special Edit For The Film) (The Insider) - 03:34
9 Elliot Goldenthal - Plane To Chicago (Public Enemies) - 03:25
10 Lisa Gerrard & Pieter Bourke - Liquid Mood (The Insider) - 04:06
11 Trevor Jones - Promentory (The Last Of The Mohicans) - 06:13
12 Tangerine Dream - Main Title/The Heist (Thief) - 10:46

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