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Montag, 23. Februar 2015

DIE 5. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 27./28.02.2015 - CLIVE OWEN Special

Spätestens seit seiner Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller in Mike Nichols‘ Beziehungsdrama „Hautnah“ zählt der britische Schauspieler Clive Owen zur ersten Garde seiner Zunft. Bevorzugt in Rollen eingesetzt, die physische Stärke, Intellekt und einen kraftvollen Willen verbinden, fühlt sich Owen in Arthouse-Filmen ebenso zuhause wie in Blockbustern und auf der Theaterbühne. Zuletzt war er in der TV-Mini-Serie „The Knick“ zu sehen.

Der am 3. Oktober 1964 im britischen Coventry geborene Owen besuchte die Binley Park Gesamtschule und trat mit dreizehn Jahren dem Jugendtheater bei, wo er die Rolle von Artful Dodger in einer Produktion von „Oliver!“ spielte. Die Schauspielerei war zunächst nicht seine erste Berufswahl, aber seine Meinung änderte sich, woraufhin Owen 1987 seinen Abschluss an der Royal Academy of Dramatic Art machte und der Young Vic Theatre Company beitrat, wo er in einigen Shakespeare-Stücken mitspielte. Sein Filmdebüt feierte er 1988 in der britischen Produktion „Vroom! – Ab in die Freiheit“, worauf sich mehrere Fernsehfilme und –Serien anschlossen.
Bekannt wurde er vor allem durch die Fernsehserie „Chancer“. Zwischenzeitlich kehrte Owen aber immer wieder auf die Theaterbühne zurück, wo er u.a. in Noel Cowards „Design For Living“ einen Bisexuellen darstellte. Mitte der 1990er-Jahre sah man Owen unter anderem an der Seite von Catherine Zeta-Jones in der Spielfilmadaption von „The Return of the Native“ (1994) und in den Fernsehfilmen „An Evening With Gary Lineker“ (1994) sowie „Split Second“ (1999). Dazu gesellten sich Kinoengagements wie „Land in Flammen“ (1992), „Century“ (1993), „Land der verlorenen Kinder“ (1994) oder „Tödliche Verschwörung“ (1996).
1997 spielte Owen an der Seite von Mick Jagger, Lothaire Bluteau und Ian McKellen einen KZ-Häftling in dem Film „Bent“. Seinen internationalen Durchbruch feierte er in dem Mike Hodges-Erfolg „Croupier“ aus dem Jahre 1998, worauf weitere Auftritte in „Das Auge des Gesetzes“ und „Greenfingers“ sowie Robert Altmans „Gosford Park“ (2001) folgten.
Zu den jüngeren Produktionen, an denen Owen mitgewirkt hat, gehören „Jenseits aller Grenzen“, „King Arthur“, „Sin City“, „Inside Man“ und „Children of Men“. Für seine Rolle in „Hautnah“ an der Seite von Julia Roberts, Jude Law und Natalie Portman konnte er einen Golden Globe Awards als bester Nebendarsteller in Empfang nehmen. Für diese Rolle wurde er im Januar 2005 auch für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert, nachdem er bereits in dem ursprünglichen Theaterstück mitgewirkt hatte. Owen spielte auch in der Werbe-Kurzfilmreihe „The Hire“ für BMW mit, die Regisseure wie Ang Lee, Guy Ritchie oder John Frankenheimer mit Stars wie Gary Oldman, Madonna, James Brown, Don Cheadle oder F. Murray Abraham drehten.
1996 spielte er die Hauptrolle im Videospiel „Privateer 2 – The Darkening“ neben Christopher Walken, John Hurt und Jürgen Prochnow. In der Neuverfilmung von „Der Rosarote Panther“ (2006) hatte Owen einen Gastauftritt als 006, worauf Steve Martin süffisant meinte: „Ah, zur Superzahl hat es nicht gereicht”. Er spielte damit offensichtlich darauf an, dass Owen kurz als möglicher James-Bond-Darsteller in der Nachfolge Pierce Brosnans im Gespräch war. Letztlich bekam die Rolle dann Daniel Craig. In Tom Tykwers „The International“ (2009) verkörperte Owen neben Naomi Watts und Armin Mueller-Stahl einen Interpol-Fahnder gegen die Finanzgeschäfte des organisierten Verbrechens. Seit 2014 verkörpert er den Chirurgen Dr. John Thackery in der Serie „The Knick“, die in einem New Yorker Krankenhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt.

Filmographie: 
1988: Vroom – Ab in die Freiheit (Vroom)
1989: Precious Bane (Fernsehfilm)
1989: Capital City (Fernsehserie)
1990: Lorna Doone (Fernsehfilm)
1990: Chancer (Fernsehserie)
1991: Schließe meine Augen, begehre oder töte mich (Close My Eyes)
1993: Century
1993: Land in Flammen (Class of ’61, Fernsehfilm)
1993: The Magician (Fernsehfilm)
1994: Doomsday Gun – Die Waffe des Satans (Doomsday Gun, Fernsehfilm)
1994: The Return of the Native (Fernsehfilm)
1995: Bad Boys Blues (Fernsehfilm)
1996: Sharman (Fernsehserie)
1996: Tödliche Verschwörung (The Rich Man’s Wife)
1996: Privateer 2 – The Darkening (Videospiel)
1997: Bent
1997: Croupier – Das tödliche Spiel mit dem Glück (Croupier)
1998: The Echo (Fernsehfilm)
1999: Split Second 2 (Fernsehfilm)
1999: Second Sight (Fernsehserie)
2000: Greenfingers – Harte Jungs und zarte Triebe (Greenfingers)
2001: Gosford Park 2001: The Hire – Ambush (BMW Kurzfilm)
2001: The Hire – Chosen (BMW Kurzfilm)
2001: The Hire – The Follow (BMW Kurzfilm)
2001: The Hire – Star (BMW Kurzfilm)
2001: The Hire – Powder Keg (BMW Kurzfilm)
2002: The Hire – Hostage (BMW Kurzfilm)
2002: The Hire – Beat the Devil (BMW Kurzfilm)
2002: The Hire – Ticker (BMW Kurzfilm)
2002: Die Bourne Identität (The Bourne Identity)
2003: Jenseits aller Grenzen (Beyond Borders)
2003: Dead Simple (I’ll sleep when I’m dead)
2004: King Arthur
2004: Hautnah (Closer)
2005: Sin City
2005: Entgleist (Derailed)
2006: Inside Man
2006: Children of Men
2006: Der Rosarote Panther (The Pink Panther)' – Cameo-Auftritt
2007: Shoot ’Em Up
2007: Elizabeth – Das goldene Königreich (Elizabeth: The Golden Age)
2007: Extras (Fernsehserie)
2009: The International
2009: Duplicity – Gemeinsame Geheimsache (Duplicity)
2009: The Boys Are Back – Zurück ins Leben (The Boys Are Back)
2010: Trust
2011: Killer Elite
2011: Intruders
2012: Shadow Dancer
2012: Hemingway & Gellhorn (Fernsehfilm)
2013: Blood Ties
2013: Words & Pictures – In der Liebe und in der Kunst ist alles erlaubt (Words and Pictures)
seit 2014: The Knick (Fernsehserie)
Playlist: 
01. Terence Blanchard - Thrown A Bone (Inside Man) - 02:36
02. John Tavener - The Lamb (Children Of Men) - 03:20
03. Patrick Doyle - Inspector Thompson (Gosford Park) - 03:08
04. Dickon Hinchliffe - The Real Tout (Shadow Dancer) - 03:27
05. Hal Lindes - The Boys Are Back [Reprise](The Boys Are Back) - 02:57
06. James Horner - Ethiopia i (Beyond Borders) - 02:14
07. Cliff Martinez - Aortic Aneurysm junior (The Knick) - 03:57
08. Edward Shearmur - Winston's Theme (Derailed) - 02:17
09. John Powell - Taxi Ride (The Bourne Identity) - 03:43
10. Hans Zimmer - Goodbyes/Woads Are Here (King Arthur) - 02:56
11. Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Calvini Crime Scene Investigation (The International) - 04:48
12. James Newton Howard - Security Meeting (Duplicity) - 02:49
13. Paul Haslinger - The Interrogation (Shoot 'em Up) - 03:15
14. John Powell - On Bridge Number 9 (The Bourne Identity) - 03:41
15. Craig Armstrong & AR Rahman - Bess And Raleigh Dance (Elizabeth - The Golden Age) - 02:34
16. James Newton Howard - The Formula (Duplicity) - 05:50
17. Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - End Title (The International) - 09:13

Soundtrack Adventures with CLIVE OWEN @ Radio ZuSa 2015-01-28 by Dirk Hoffmann on Mixcloud

Freitag, 1. März 2013

DIE 3. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 01./02.03.2013 - Literaturverfilmungen

Seit der Frühgeschichte des Films ist es ein ebenso beliebtes wie bewährtes Konzept, sich bei der Verfilmung eines Drehbuchs literarischer Vorlagen zu bedienen, angefangen bei Louis Jean Lumière, der 1896 einen Auszug aus der berühmten „Faust“-Sage umsetzte, Edwin S. Porters „Onkel Toms Hütte“ (1902) und Georges Méliès‘ „Die Reise zum Mond“ (1902) über die seit den 1930er Jahren vielfach adaptierten Gruselklassiker „Frankenstein“ und „Dracula“ ebenso wie den modernen Horrorverfilmungen von Stephen-King- und Clive-Barker-Storys bis hin zu wiederholt visualisierten Umsetzungen literarischer Klassiker wie "Dr. Schiwago“, „Anna Karenina“, „Stolz und Vorurteil“ und Sheakespeares berühmter Werke („Ein Mittsommernachtstraum“, „Hamlet“, „Henry V.“).

Schließlich sollte mit dem Verweis auf berühmte literarische Werke auch die Filmkunst an sich aufgewertet werden. Dieser kurze Abriss deutet schon an, dass sich mit dem Thema Literaturverfilmungen gleich mehrere Sendungen füllen ließen, doch wir begnügen uns an dieser Stelle mit ein paar ausgewählten Werken und Komponisten, die teilweise ein besonderes Faible für diese Filmgattung zu hegen scheinen.
Das trifft nicht unbedingt auf Howard Shore zu, der vor allem durch seine düsteren Scores für die Filme von David Cronenberg („The Fly“, „Tödliche Versprechen“) und David Fincher („Sieben“, „The Game“) bekannt geworden ist, aber ein besonderes Verdienst – auch in Form von Oscars und Golden Globes – und weltweite Anerkennung kam ihm durch die Arbeit an Peter Jacksons gefeierter Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“-Trilogie zu. Mit „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ begann 2012 nun die nächste Trilogie aus dem fantastischen Tolkien-Universum, das der versierte Komponist auf bewährt eindrucksvolle Weise in Angriff nehmen darf.
John Williams ist dagegen ein „alter Hase“ in Sachen Literaturverfilmungen. Auf sein Konto gehen schließlich schon so unterschiedliche Adaptionen wie „Das Tal der Puppen“ (1967), „Schwarzer Sonntag“ (1977), „Die Hexen von Eastwick“ (1987), „Sieben Jahre in Tibet“ (1997) oder „Aus Mangel an Beweisen“ (1990). Er vertonte allerdings auch Steven Spielbergs Verfilmungen von Michael Crichtons „Jurassic Park“ (1993) und Hervés „Tim und Struppi“-Comics (2011), die ersten drei „Harry Potter“-Filme sowie „Die Geisha“ (2005) nach der Vorlage von Arthur Golden. In den letzten Jahren ist vor allem der italienische Komponist Dario Marianelli im Bereich klassischer ebenso wie zeitgenössischer Literaturverfilmungen erfolgreich gewesen. 2005 vertonte er Joe Wrights Adaption von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, zwei Jahre später unter demselben Regisseur Ian McEwans „Abbitte“, 2011 Charlotte Brontës „Jane Eyre“ und Paul Tordays „Lachsfischen in Jemen“, im vergangenen Jahr kam Tolstois „Anna Karenina“ dazu.
Auch die britische Komponistin Rachel Portman kann mittlerweile auf eine Vielzahl von Literaturverfilmungen verweisen, angefangen bei „Verletzte Gefühle“ (1984) und „Frau in Schwarz“ (1989) über „Engel und Narren“ (1991), „Töchter des Himmels“ (1993) und „Krieg der Knöpfe“ (1994) bis hin zu Joanne Harris‘ „Chocolat“ (2000), John Irwings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (1999) und Kazuo Ishiguros „Alles, was wir geben mussten“ (2010).
Abgerundet wird dieses Special u.a. durch die Komponisten James Newton Howard (der mit „Schnee, der auf Zedern fällt“ einen der meist beeindruckenden Scores zu einer Literaturverfilmung überhaupt komponiert hat), Alberto Iglesias und das Komponistentrio Tom Tykwer, Reinhold Heil und Johnny Klimek.

Playlist:
1 Howard Shore - My Dear Frodo (The Hobbit: An Unexpected Journey) - 08:04
2 John Williams - Snowy's Theme (The Adventures of Tintin) - 02:10
3 Tom Tykwer, Johnny Klimek & Reiunhold Heil - Travel to Edinburgh (Cloud Atlas) - 01:42
4 Alberto Iglesias - Kite Tournament (The Kite Runner) - 05:40
5 Uakti - Minimal 8 (Blindness) - 03:14
6 James Newton Howard - The Countdown (The Hunger Games) - 02:00
7 John Williams - Buckbeak's Flight (Harry Potter III) - 02:08
8 John Williams - Becoming A Geisha (Memoirs Of A Geisha) - 04:50
9 Abel Korzeniowski - Sunset (A Single Man) - 03:00
10 John Williams - Journey To The Island (Jurassic Park) - 08:53
11 Dario Marianelli - Inspirational Sheikh (Salmon Fishing in the Yemen) - 02:23
12 Frédéric Botton - Coup de foudre (Zusammen ist man weniger allein) - 01:21
13 Dario Marianelli - Waiting For Mr. Rochester (Jane Eyre) - 02:07
14 Alexandre Desplat - Travel to the Island (The Ghost Writer) - 02:30
15 Rachel Portman - Bumper Crop (Never Let Me Go) - 03:07
16 Howard Shore - The Magician (Hugo) - 02:33
17 Philip Glass - Secret Agent Ending (The Secret Agent) - 03:08

Samstag, 1. Dezember 2012

Playlist # 99 vom 02.12.2012 (1) - TOM TYKWER Special

Tom Tykwer gehört zu den wenigen deutschen Filmemachern, die auch in Hollywood einen Namen haben. Nach seiner ersten Hollywood-Produktion „The International“ (2009) präsentiert er nun zusammen mit den visionären Wachowski-Brüdern („The Matrix“-Trilogie) das opulent inszenierte Drama „Cloud Atlas“.

Schon früh entwickelte sich bei dem am 23. Mai 1965 in Wuppertal geborenen Tykwer die Liebe zum Film. Er drehte als Elfjähriger seine ersten Super-8-Filme und jobbte zwei Jahre später als Filmvorführer. Nach seinem Abitur und einem abgebrochenen Philosophiestudium übernahm Tykwer 1988 den Managerposten der Berliner Moviemento-Filmtheater, wo er seinen späteren Kameramann Frank Griebe kennenlernte. 1992 gründete er mit dem Produzenten Stefan Arndt die Firma Liebesfilm und inszenierte zunächst die beiden Kurzfilme „Because“ (1990) und „Epilog“ (1992).
„Ich bin zum Kurzfilm gekommen, weil ich mir keine langen Filme leisten konnte. Ich hatte mehrere Drehbücher zu langen Filmen geschrieben, von denen nicht eines auch nur in die Nähe einer Finanzierung kam. Ich war etwa dreiundzwanzig und begann mir Sorgen zu machen. Dann lernte ich Rosa von Praunheim kennen, dessen Filme in dem Kino liefen, für das ich arbeitete. Rosa sagte: ‚Dreh doch einfach was Kurzes. Und nimm etwas, das dich wirklich interessiert, wovon du wirklich was verstehst. Nicht so wie diese Drehbücher, die du die ganze Zeit schreibst und die sich lesen wie mittelmäßige Remakes deiner Lieblingsfilme. Beschäftige dich mit etwas für dich Bedeutendem aus deinem eigenen Leben, und fass das in eine kurze Form.‘ Da habe ich endlich verstanden, dass ich mich auf die Suche nach meinen ureigenen Themen machen musste. Dass ein Autorenfilmer zu sein bedeutet, über das radikal Subjektive einen Weg zum universellen Ausdruck zu finden. Dazu musst du aber erst mal wissen, was dich im Innersten tatsächlich bewegt oder beunruhigt; und welche Denkfiguren wirklich relevant für dich sind. Auf der Suche kann einiges schiefgehen, man kann sich verirren oder den Überblick verlieren. Deshalb ist es besser für einen Filmemacher, mit Kurzfilmen anzufangen“, beschreibt Tykwer im Booklet zu der von Warner Bros. veröffentlichten „Tom Tykwer Kollektion“. 
1993 entstand mit „Die tödliche Maria“ Tykwers erster abendfüllender Spielfilm, der im selben Jahr auf den Hofener Filmtagen uraufgeführt und dann auf mehr als 60 Filmfestivals auf der ganzen Welt präsentiert wurde. Mit dem für das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF realisierten Film präsentierte Tykwer ein Hausfrauenmelodram, das gleichermaßen Milieustudie und Horrorfilm darstellte.
„Unübersehbar ist ein ausgeprägter und auf hohem technischen Niveau demonstrierter Stilwille, der Höhepunkte und Bildeinfälle aneinanderreiht, dabei kunstfertig, sehr selten nur effektheischend oder verspielt daherkommt“, resümiert Fabienne Liptay in Reclams „Filmregisseure“ (3. Auflage, S. 773). „Immer wieder findet die Kamera einprägsame und ungewöhnliche Blickwinkel oder setzt dramatische Akzente, etwa wenn sie Ruhemomente in akrobatischen Bewegungschoreographien schafft. Bemerkenswert ist zumal ein ausgeklügeltes Raum- und Farbkonzept, das eine sonderbare Welt jenseits sozialer Milieus oder historischer Epochen entstehen lässt. Die zunehmende Abrückung vom Realen und das Interesse am Persönlichen, vor allem an Geschichten der Liebe, sind charakteristisch für das Gesamtwerk von Tykwer, der nicht so sehr die Gesellschaftsstrukturen, sondern das geheime Innenleben der Dinge und Wesen ausloten, ihnen eine Seele einhauchen will.“ 
Wie schon bei seinen Kurzfilmen komponierte Tykwer zu „Die tödliche Maria“ auch selbst die Filmmusik. Was sich zunächst aus finanziellen Zwängen ergab, ist mittlerweile zu einer Konstante in Tykwers Werken geworden. Tykwer hatte im Alter von acht Jahren Klavierunterricht genossen und später Filmemacher bewundert, die durch eine lange und enge Zusammenarbeit mit einem Komponisten eine gemeinsame Sprache auf musikalischer Ebene entwickeln konnten. „Der Vorgang der Komposition beginnt eigentlich schon mit dem Schreiben des Drehbuchs. Mit der Suche nach der Sprache des Films stößt man schon auf seinen Klang, seine Melodie und seine Harmonie." Mittlerweile hat Tom Tykwer mit Reinhold Heil (ex-Spliff) und Johnny Klimek zwei musikalische Wegbegleiter gefunden, die sowohl unter dem Namen Pale 3 firmieren als auch unter ihren Eigennamen für die Soundtracks aller Tykwer-Filme seit „Winterschläfer“ verantwortlich zeichnen. 1994 gründete Tykwer zusammen mit Stefan Arndt, Dani Levy und Wolfgang Becker die Produktionsfirma X-Filme Creative Pool, die 1997 mit Tykwers Mysterythriller „Winterschläfer“ ihren ersten Film präsentierte.
Der Film basiert lose auf dem unveröffentlichten Roman „Expense of Spirit“ der früh verstorbenen Anne-Francoise Pyszora und erzählt von einem Autounfall, der mehrere Schicksale miteinander verbindet. „Nach ‚Die tödliche Maria‘ war ich interessiert an Figuren, die sich näher an meiner eigenen Biographie und meinem Lebensgefühl bewegten. Mit der drastischen Schauplatzänderung (Winter in den Alpen) und der Ergänzung des Ensembles um Josefs Figur kam die ursprünglich eher still vor sich hin schwebende Geschichte in Gang: wieder ist es der Thriller, der das Melodram attackiert, und wieder ist diese Reibung der Genres ein zentraler Motor des Films. Ein Film über geliebte und ungeliebte Kinder – und die große Schnittmenge dazwischen, die nicht weiß, was sie über ihre Eltern und ihre Eltern über sie denken. Da fängt alle Verunsicherung an. Und die wird generationsintern abgearbeitet“, erklärt Tom Tykwer in dem erwähnten Booklet zur Warner-Bros.-Kollektion seiner Filme.
1998 gelang Tom Tykwer mit „Lola rennt“ auch der internationale Durchbruch. Seine damalige Lebensgefährtin Franka Potente hat als Lola in dem Film zwanzig Minuten Zeit, um 100000 Mark aufzutreiben und ihrem kleinkriminellen Freund Manni das Leben zu retten. Wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gibt es eine Schlüsselszene, in der Lola sich jeweils anders für ihr weiteres Vorgehen entscheidet und so die Handlung in eine ganz andere Richtung lenkt.
„Die Faszination, die Begeisterung für sein Medium spürt man ‚Lola rennt‘ in jeder Sekunde an. Virtuos spielt Tom Tykwer mit allen Mitteln, die ihm Film bietet, ohne dass er sich je diese erfrischende Freiheit durch künstlerische Beliebigkeit erkaufen müsste. Alles steht im Dienst der Handlung, alles dient dem Puls des Films. Der Rhythmus der Bilder, der Rhythmus der Musik: es ist jener atemlose Rhythmus, mit dem Franka Potente als athletischer Hauptstadt-Pumuckl über die Leinwand fegt. Selbst das Philosophieren über Kino, Bewegung, Zeit und das Leben schlechthin gelingt dem Film sozusagen on the run – ganz straight auf der Ebene des unmittelbar Sichtbaren und ohne jeglichen Tempoverlust. Was aber ‚Lola rennt‘ – mehr noch als Virtuosität, Originalität oder Tempo – zum hinreißenden Erlebnis macht (und die vereinzelten Schönheitsfehler völlig unbedeutend erscheinen lässt), ist seine ansteckende, unbändige Energie. Eine Energie, die von der Liebe und Hingabe aller Beteiligten zeugt“, schwärmt Thomas Willmann auf artechock.de
Im Jahre 2000 folgte Tykwers vierter Film „Der Krieger und die Kaiserin“, wiederum mit Franka Potente in der Hauptrolle. Eine Pflegerin in der Psychiatrie wird nach dem Zusammenstoß mit einem LKW durch einen Fremden am Leben erhalten. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Retter und ist der festen Überzeugung, dass beide füreinander bestimmt sind.
„Beide Protagonisten müssen über viele Umwege zueinander finden, ums ich selbst zu erkennen. ‚Der Andere‘ als Reflektor und Katalysator unserer Ängste und Hoffnungen, unserer Neurosen und Sehnsüchte wird zum zentralen Gegenstand einer äußerst langsam erzählten Befreiungsgeschichte. Befreien müssen die Figuren sich von ihren fremdbestimmten Zwangssystemen, von ihren falschen Selbstbildern, und vom ‚inneren Zwilling‘, der sie daran hindert, alte Muster loszulassen“, meint Tom Tykwer. 2002 verfilmte Tykwer mit „Heaven“ ein Drehbuch des 1996 verstorbenen Regisseurs Krzysztof Kieslowski und realisierte damit seine erste internationale Großproduktion, dann folgte mit „True“ ein kurzes Segment zum Kompilations-Film „Paris, je t’aime“ (2004), in dem 21 Regisseure je eine Liebesgeschichte aus einem der Arrondissements von Paris erzählen.
„Meine persönliche Lage damals war allerdings so, dass ich sagte: ich hab überhaupt keine Ahnung von Liebe, ich weiß nur etwas von verlorener Liebe. Also dachte ich mir, dann muss ich wohl einen Film über Trennung machen“, rekapituliert Tykwer. „Ganz unerwartet entwickelte sich die Arbeit an ‚True‘ dann zu einer sehr beglückenden Erfahrung und hatte tatsächlich den erwünschten Wiederbelebungseffekt. Ohne ‚True‘ hätte ich nicht das Selbstbewusstsein zurückgewonnen, das ich brauchte, um mich schließlich an ‚Das Parfum‘ zu wagen.“
Die lang erwartete Verfilmung des internationalen Bestsellers von Patrick Süskind erzählt die Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille, der 1738 inmitten des Gestanks auf dem Pariser Fischmarkt zur Welt gebracht wird und einen erstaunlichen Geruchssinn entwickelt. Als Lehrling in der Parfümerie des stadtbekannten Duftmischers Baldini übertrifft der junge Mann bald die Künste seines Meisters und strebt wie besessen danach, den ihn betörenden Duft menschlicher Körper zu konservieren, wobei er sprichwörtlich über die Leichen junger Frauen geht … Bei der Kritik fiel der handwerklich berauschende, inhaltlich jedoch nicht ganz überzeugende Film so ziemlich durch. „Kameramann Frank Griebe flößt den akribisch arrangierten Bildern höchste Suggestionskraft ein, indem die im Buch voluptuös beschriebenen Gerüche in leuchtende, pralle Farben und satte, knackige Töne übersetzt werden - und in besonders pittoreske oder ekelerregende Sujets wie etwa ein Meer rieselnder Rosenblüten oder einen Haufen sich durch Dreck und Moder windender Maden. Überhaupt hat sich Tykwer die Begriffe ‚Authentizität und Intensität‘, wie er selbst sagt, zum Programm gemacht, was sich vor allem in einzigartigen Schmutz-Stillleben zeigt: Der unverkennbare Jauche-Look, um den sich eigens eine ‚Dirt-Unit‘ am Set kümmerte - die jeden Tag von neuem das Barrio Gotico in Barcelona von oben bis unten mit Schlamm einseifte -, wird so zum corpus delicti einer mörderisch-getreuen Literaturadaption“, resümiert beispielsweise Alexandra Stäheli in der Neue Zürcher Zeitung. “Aber trotz oder vielleicht gerade wegen all des ästhetischen Aufwands, der genuinen Dreckschlachten, zeitgenössischen Kostüme und handbemalten Knöpfe findet der Film auf der Ebene der Erzählung seine Linie nur schwer. Schon nach der Lektüre von Süskinds Roman fragt man sich zuweilen, worum es in dieser ‚Geschichte eines Mörders‘ eigentlich geht: Um die mythische Verquickung von Genie und Wahnsinn? Um die Story eines Killers, der sein Teufelswerk ironischerweise aus Hypersensibilität beginnt? Haben wir es mit dem Psychogramm eines Asozialen zu tun, der durch emotionale Verwahrlosung zum Demagogen und Volksverführer wird? - Dem von Andrew Birkin, Eichinger und Tykwer verfassten Drehbuch gelingt es jedenfalls nicht, diese verschiedenen Aspekte des Buches zu einer einzigen Geschichte zu verdichten.“
Das Publikum war jedoch begeistert und machte den Namen Tom Tykwer auch in Hollywood salonfähig. „The International“ war 2009 auch der programmatische Titel von Tykwers erster großer Hollywood-Produktion, in der Noami Watts als New Yorker Staatsanwältin und Clive Owen als Interpol-Agent die illegalen Aktivitäten einer mächtigen Großbank aufzudecken versuchen.
‘The International‘ hat etwas Entschlacktes. Das gilt auch für Tykwers Inszenierung, die sich in seinen früheren Filmen gelegentlich zu verselbständigen drohte. Sein manchmal sehr angestrengter Gestaltungswille ließ etwa das Finale seiner Patrick-Süskind-Adaption ‚Das Parfum‘ fasst ins Lächerliche umkippen. ‚The International‘ dagegen ist ein Film ohne Firlefanz“, meint Lars-Olav Neier auf spiegel.de. „Tykwer und sein Kameramann Frank Griebe erkunden die Räume, die sie ihren Zuschauern zeigen, meist in Tableaus und mit ruhigen Kamerabewegungen. Wenn sie Salinger in einer Totale als winziges Männchen vor der gewaltigen Glasfassade der Bank zeigen, dann erzählt das Bild im Kern die ganze Geschichte des Films.“ 
Nach dem von Tykwer initiierten und an den Film „Deutschland im Herbst“ (1978) angelehnten Episodenfilm „Deutschland 09“, an dem Tykwer selbst mit dem Kurzfilm „Feierlich reist“ involviert war, drehte der Filmemacher im November 2009 mit „Drei“ seinen ersten deutschsprachigen Film in zehn Jahren. Das Beziehungsdrama erzählt von dem miteinander sehr vertrauten um die 40-jährigen Simon und Hanna, die sich beide in Adam zu verlieben beginnen. „Es ist ein Vergnügen zu erleben, wie die unterschiedlichen Temperamente der Figuren auch den Klang des Films verändern, Tom Tykwer hat bekanntlich seine Seele in jungen Jahren vielleicht nicht dem Teufel verkauft, aber dem Zufall. Und doch wehrt er sich als Perfektionist dagegen, sich ihm auch in der Form seiner Filme auszuliefern. Die Stärke von 'Drei' ist eine überraschende Verspieltheit inmitten der artifiziellen Konstruktion, und es ist ein absolut filmisches Vergnügen. Es überwiegt bei weitem die Schwächen im Bemühen um politischen Zeitbezug“, meint Daniel Kothenschulte auf fr-online.de.
Nun ist Tykwer in der deutsch-amerikanischen Co-Produktion „Cloud Atlas“ im Kino zu erleben. Zusammen mit den Brüdern Andy und Lana Wachowski ist ein teilweise in den Babelsberger Studios inszeniertes Epos entstanden, das auf dem opulenten Werk „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell basiert und die dramatischen Geschichten von sechs Menschen im Zeitraum von 1820 bis 2500 erzählt.
„Es ist eine wirklich stattliche Leistung, wie der Schnitt einen Rhythmus für das halbe Dutzend Handlungsstränge findet. Zwar wird selbst dem geduldigeren Publikum mit der Flut an Dialogen einiges zugemutet, doch im Großen und Ganzen hält ‚Cloud Atlas‘ über mehr als zweieinhalb Stunden hinweg glänzend bei der Stange, und die so drastisch unterschiedlichen Einzelteile finden tatsächlich einen Einklang. Dennoch äußert sich das Leitthema, alles sei verbunden, nur sehr subtil bis oberflächlich. Die Episoden haben einige kleine Verknüpfungspunkte, greifen aber nicht wirklich ineinander – dafür sind sie eben zeitlich zu weit voneinander entfernt. Statt einem Masterplan des Universums darf man also nur milde esoterische Bestätigung erwarten“, urteilt das Online-Portal wieistderfilm.de. „Eine jeweils eigene erzählerische Kraft bleibt bei den einzelnen Episoden etwas auf der Strecke. Das zeigt auch das verpuffende, kaum abzuschätzende Ende, welches einen mit sich selbst zurücklässt. ‚Cloud Atlas‘ ist eben ein großes, mal übermütiges, mal revolutionäres Projekt, das zu viel ausprobiert, um tief bewegen zu können. Trotzdem kann man in diesem radikalen Genremix durchaus Spaß haben, sich verzaubern lassen und zum Nachdenken angeregt werden – insofern hat diese Auslotung der Möglichkeiten und Grenzen des Kinos funktioniert.“

Filmographie: 
1990: Because (Kurzfilm)
1992: Epilog (Kurzfilm)
1993: Die tödliche Maria
1997: Winterschläfer
1998: Lola rennt
2000: Der Krieger und die Kaiserin
2002: Heaven
2004: True (Kurzfilm, Episode aus „Paris, je t’aime“)
2006: Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders
2009: The International
2009: Feierlich reist (Kurzfilm, Episode aus „Deutschland 09“)
2010: Drei
2012: Cloud Atlas
Playlist:
1 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - All Boundaries Are Conventions (Cloud Atlas) - 02:38
2 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Title Remix (Winterschläfer) - 07:50
3 Tom Tykwer - Der Alltag (Die tödliche Maria) - 02:35
4 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Introduction [Remix by Sun Electric] (Lola rennt) - 04:56
5 Pale 3 feat. Beth Hirsch - The Tunnel (Der Krieger + Die Kaiserin) - 05:26
6 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - The Girl With The Plums (Das Parfum) - 05:27 
7 Pale 3 feat. Skin - You Can't Find Peace (Der Krieger + Die Kaiserin) - 05:00
8 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Sonmi-451 Meets Chang (Cloud Atlas) - 03:33
9 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - True (Paris, Je t'aime) - 04:34
10 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Bugs (The International) - 03:05
11 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - Sehnsucht nach Adam (Drei) - 03:38
12 Tom Tykwer, Johnny Klimek, Reinhold Heil - End Title (Cloud Atlas) - 07:50

Soundtrack Adventures with Tom Tykwer, Reinhold Heil, Johnny Klimek at Radio ZuSa by Dirk Hoffmann on Mixcloud

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