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Samstag, 3. März 2012

DIE 2. LANGE NACHT DER FILMMUSIK 02./03.03.2012 - UNDERWORLD (Band) Special

Als Karl Hyde und Rick Smith mit ihren eigenwilligen Frisuren und Kostümen 1983 unter dem Namen Freur mit ihrer ersten Single „Doot Doot“ die Charts eroberten, konnte noch niemand ahnen, dass aus dieser eher kurzlebigen Band mit Underworld eine der erfolgreichsten Electro-Acts des 20. Jahrhunderts entstehen würde. Mit ihrer neuen Best-of-Compilation „1992 – 2012“ legen die beiden innovativen Musiker eine umfassende Retrospektive ab, die auch die Qualitäten unterstreicht, die Underworld für den Soundtrack-Sektor beliebt gemacht hat.

Der Erfolg, den Underworld mit unzähligen Nr.1-Hits in der britischen Indie- und Dance-Szene gehabt haben, zeichnete sich erst in Ansätzen bei Freur ab, deren Debütsingle "Doot Doot" längst zu den Klassikern der 80er New Wave zählt. Doch die beiden zauberhaften Alben, auf denen Freur hinreißend melodiösen Pop mit folkloristischen Zitaten und ausgefeilten Electroszenarien verbanden, spielten CBS nicht genügend Geld ein, was vielleicht daran lag, dass man gerade in Amerika den Namen Freur nicht aussprechen konnte. Nachdem man die Filmmusik für "Underworld" geschrieben hatte, einer erbärmlichen Verfilmung einer Clive-Barker-Kurzgeschichte, legte man sich den Namen Underworld zu und arbeitete an einem neuen Konzept.
"Wir nahmen mit Freur ein weiteres Album auf, das ‚Underworld Bell‘ hieß, aber nicht veröffentlicht wurde", erzählte mir Karl bei einem Interview in Köln. "Wir trafen uns immer zu Workshops in unserem Haus und spielten ein sehr elektronische Set-up ein. Wir saßen uns alle einander im Kreis gegenüber und spielten gleichzeitig elektronische Drums, Synthis und einige Gitarren. Wir nahmen die Musik direkt in Stereo auf. Das genossen wir sehr, und es war die erste Erfahrung in Richtung Underworld. Wir hatten einige Freunde dabei, die sehr von dem Prince-Sound auf Alben wie ‚Dirty Mind‘ angetan und für uns eine Art Katalysator waren."
Für das 88er Underworld-Debüt "Underneath The Radar", das bei Sire erschien, verpflichtete man Rupert Hine als Produzenten, der schon The Fixx, Howard Jones und den Thompson Twins den letzten Schliff verpasste, und knüpfte mit der gleichnamigen Single an den frühen Freur-Erfolg an. Allerdings gab er Underworld auch den Rat, sich auf das zu konzentrieren, was ihnen am Herzen lag, nämlich auf progressive Dance Music. Karl und Rick revanchierten sich später mit entsprechendem Sound auf dem Rupert-Hine-Album "The Deep End", an dem sie mitschrieben und -produzierten. Die Gruppe Underworld löste sich nach "Change The Weather" (1989) auf. Die Phase MK1 wurde beendet. Immerhin tauchten ihre Songs „Underneath The Radar“ und „Glory! Glory!“ in Michael Manns angesagter Fernsehserie „Miami Vice“ auf.
"Wir spielten in Stadien vor 50.000 Leuten als Vorgruppe von Eurythmics und wussten einfach nicht mehr, wer wir waren. Nach der Hälfte der Tour setzten wir uns zusammen und entschieden uns, dass wir so nicht weitermachen konnten. Am Ende der Tour hörten wir dann auf", berichtet der sympathische Sänger und Gitarrist. "Für das zweite Album ‚Change The Weather‘ baten wir um Geld für das Aufnahmestudio, quasi im Voraus um das Geld, das sie sonst für einen Produzenten hätten bezahlen müssen, was sie auch taten. Das war großartig. Als wir die Plattenfirma verließen, taten wir das mit einem Aufnahmestudio. Das ist aber auch notwendig. Wenn man seine Karriere ernst nimmt, muss man ein Studio haben, um 24 Stunden am Tag arbeiten zu können."
Die nachfolgende kreative Pause nutzten Rick und Karl, um als Sessionmusiker u.a. in Debbie Harrys Band und in Prince' Paisley Park-Studio zu arbeiten, nach Veränderungen zu suchen und neue Dinge zu lernen. "In dieser Zeit entschieden Rick und ich, dass wir weitermachen wollten, und zwar mit dem, wozu wir Lust hatten. Wir nahmen Ende '91 einige Platten auf unserem eigenen Label auf, ließen 500 Exemplare pressen und verkauften sie vom Rücksitz unserer Autos. Das war der größte Spaß, den wir je hatten. An das zu glauben, was man macht, zuhause abzumischen, es zu verkaufen und es die Leute kaufen zu sehen, ist phantastisch. Wir trafen die Typen von Junior Boy´s Own und machten unsere Platten ab 1991 mit ihnen. Wir dachten nicht daran, damit Geld zu machen. Wir machten einige TV-Commercials, so dass wir Geld zum Leben hatten und die Musik machen konnten, zu der wir Lust hatten, was wir auch taten. Mittlerweile verdienen wir mehr Geld damit als je zuvor mit einer Major Company."
Damit war der Grundstein für den neuen, treibend pulsierenden Underworld-Sound gelegt. Zusammen mit dem jungen DJ Darren Emerson spielte man die Singles "Mmm... Skyscraper, I Love You", "Rez/Cowgirl" und "Spikee/Dogman Go Woof" ein, die Underworld als Top-Act in der Dance-Szene etablierten.
"Wir wollten mit einem DJ arbeiten. Wie Rupert schon feststellte, machten wir Tanzmusik, ‚body grooves‘, wie er es nannte, und das war das, was wir immer geliebt haben", meint Karl. "Als Rick und ich damals zusammenkamen, liebten wir Kraftwerk und Reggae-Musik und Dub. Wir wollten all diese Dinge zusammenführen. Das waren unsere Wurzeln. Also war es nur natürlich, sich mit jemandem zusammenzutun, der damit ständig zu tun hat, in den Clubs arbeitet. Mittlerweile gibt es dafür eine Szene. Anfang der 80er gab‘s das nicht. Da waren wir eine Popband, die nirgends hinzugehören schien."
Längst haben Karl und Rick ihre schmerzlichen Erfahrungen mit Plattenriesen verdaut und genießen ihre neue Unabhängigkeit. Durch Darren hatten Underworld die Möglichkeit, ihre Musik vorab in den Clubs auf die Reaktionen des Publikums zu testen, so dass der Erfolg des Trios nicht von ungefähr kam. Aber Karl hatte trotzdem noch das Gefühl, die Musik würde eher ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen als denen eines A&R-Managers entsprechen.
"Mittlerweile haben wir eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was gut klingt. Es ist phantastisch, nicht mehr von anderen Meinungen abhängig zu sein, die Musik quasi aus zweiter Hand, durch die Plattenfirma, veröffentlicht zu bekommen. weil es in der ursprünglichen Version nicht im Radio gespielt werden kann. Aber Radio ist nur ein Aspekt des Ganzen; uns hat es nie gekümmert, ob wir im Radio gespielt werden oder nicht. Es ist natürlich schön, wenn wir im Radio oder Fernsehen gespielt werden, aber es nicht schlimm, wenn das nicht passiert. Wir haben ein Underground-Publikum. Das haben wir auch CBS zu erklären versucht. Warner haben es besser verstanden, aber sie wussten nicht, wie man eine Underground-Band promotet."
Karl, der die Dance-Szene wegen ihrer positiven Energie und die Hilfsbereitschaft der Leute untereinander liebt, passte auch seine Lyrics dem veränderten musikalischen Ausdruck an. Waren die Freur-Texte noch von einer surrealen Exzentrizität geprägt, sprudeln Underworld-Lyrics nur vor explodierenden Sinneseindrücken.
"Meine Art, die Lyrics zu schreiben, ist weitaus fragmentierter. Ich sehe die Welt in Fragmenten. Die Essenz eines Ortes besteht für mich aus Informationen, visuellen, hörbaren und jeglichen Informationen, die wir aufnehmen - und nicht nur als zweidimensionale Information, sondern als fünfdimensionale, in der auch Zeit involviert ist. Ich habe angefangen, ähnlich zu schreiben, wie ein Sampler oder Kubist, der die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ich sammle einzelne Stücke und stelle fest, dass sie über einen eigenen Rhythmus verfügen. Mich interessieren auch einige andere Dinge, z.B. der unmerkliche Missbrauch der englischen Sprache. Sätze werden z.B. auf eine Weise konstruiert, die klassisch falsch, für mich aber irgendwie schön ist, weil dadurch eine andere Bedeutung entsteht." 
So bedeutungsvoll die Texte aber auch sein mögen, die grundlegende Bedeutung von Underworld liegt nach wie vor in ihrer Musik, der man in ihrer hypnotischen Eindringlichkeit nicht zu entrinnen vermag. Mit Darren Emerson veröffentlichten Rick und Karl zunächst unter dem Namen Lemon Interupt zwei Singles, deren Material später maßgeblich in das Album „Dubnobasswithmyheadman“ (1993) einfloss. Rick und Darren produzierten zur gleichen Zeit unter dem Projektnamen Steppin' Razor Remixes für diverse andere Künstler. Außerdem riefen sie das Design- und Kunstprojekt Tomato ins Leben, das außergewöhnliche Werbespots für Kunden wie Nike produzierte und bis heute verantwortlich für das Artwork der Underworld-Releases ist. Durch Tomato wurden Rick, Karl und Darren finanziell unabhängig, die daraufhin den Relaunch von Underworld (Phase MK2) einleiteten und mit dem Album „Dubnobasswithmyheadman“ auf spektakuläre Weise Rock- und Dance-Elemente miteinander verwoben.
Spätestens durch die Verwendung des Tracks „Born Slippy“ auf dem „Trainspotting“-Soundtrack wurden Underworld weltbekannt, was sich in den Verkaufszahlen des nachfolgenden Albums „Second Toughest In The Infants“ (1996) niederschlug. Noch erfolgreicher wurde das Album „Beaucoup Fish“ (1999) von Kritikern und Fans aufgenommen. 2001 wurde der Freur-Hit "Doot Doot" im Film „Vanilla Sky“ mit Tom Cruise verwendet, ist aber nicht auf dem Soundtrack erschienen. Dafür waren Titel wie „Cowgirl“ auf dem Soundtrack zu „Hackers – Im Netz des FBI“ (1996), „Oh“ auf „Lebe lieber ungewöhnlich“ („A Life Less Ordinary“, 1997), „Moaner“ auf „Batman & Robin“ (1997) und „Pearl’s Girl“ auf dem Soundtrack zu „The Saint – Der Mann ohne Namen“ (1997) vertreten.
Als Darren Emerson 2000 die Band verließ, bewegten sich Underworld wieder als Duo auf zunehmend experimentelleres und komplexeres Terrain, was die nächsten Veröffentlichungen wie das Album „A Hundred Days Off“ (2002) und der „River Run Series“ nicht mehr so gut ankommen ließ. Nach einer längeren Veröffentlichungspause folgte 2007 das Album „Oblivion With Bells“, das die Band vor allem in Japan populär machte. Underworld arbeiteten mit dem Filmkomponisten Gabriel Yared an Anthony Minghellas Film „Breaking and Entering“ (2006) und mit John Murphy an dem Soundtrack zum Sci-Fi-Drama „Sunshine“ (2007) und zusammen.
2010 kehrten Underworld mit dem Album "Barking" zurück. Das vergleichsweise melodiös geratene Album wurde von Acts wie Dubfire, Mark Knight & D.Ramirez, High Contrast und Paul van Dyk co-produziert.

Diskographie:
1984: FREUR - Doot Doot
1986: FREUR - Get Us Out Of Here
1988: Underneath The Radar
1989: Change The Weather
1993: Dubnobasswithmyheadman
1996: Second Toughest In The Infants
1999: Beaucoup Fish
2000: Everything, Everything [live]
2002: A Hundred Days Off
2003: Anthology 1992 - 2002
2003: Peel session 2003
2007: Oblivion with Bells
2008: The Bells! The Bells! (Japan only, incl. DVD)
2010: Barking
 Soundtracks:
"Underneath the Radar" + "Glory! Glory!", Miami Vice (Miami Vice, 1988) 
"Promised Land", Wilde Orchidee (Wild Orchid, 1990)
"Cowgirl", Hackers – Im Netz des FBI (Hackers, 1996)
"Born Slippy", Trainspotting - Neue Helden (Trainspotting, 1996)
"Oh", Lebe lieber ungewöhnlich (A Life Less Ordinary, 1997)
"Moaner", Batman & Robin (Batman & Robin, 1997)
"Pearl's Girl", The Saint - Der Mann ohne Namen (The Saint, 1997)
"8 Ball", The Beach (The Beach, 2000)
"Two Months Off" (One Perfect Day, 2004)
"Breaking And Entering", Breaking and Entering – Einbruch & Diebstahl (Breaking and Entering, 2006 - zusammen mit Gabriel Yared)
"Surface of the sun" (Variation of "To Heal") (inofficial Soundtrack to Sunshine, 2007)
"Peggy Sussed", Sunshine (Film) (Sunshine, 2007 - zusammen mit John Murphy)
“Food A Ready”, Vexille (2007)
„Frankenstein: Music From The Play” (2011)

Playlist:
1 Freur - Doot Doot (Vanilla Sky) - 04:02
2 Underworld - Cowgirl (Hackers) - 08:31
3 Underworld - Born Slippy (Trainspotting) - 07:34
4 Underworld - Oh (A Life Less Ordinary) - 05:50
5 Underworld - Two Months Off (One Perfect Day) - 03:58
6 Underworld - Food A Ready (Vexille) - 07:21
7 Underworld - 8 Ball (The Beach) - 08:51
8 Underworld - The Surface Of The Sun (Sunshine) - 03:59
9 Underworld - St. Pancras (Breaking & Entering) - 04:25
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