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Samstag, 13. August 2011

Playlist # 65 vom 14.08.11: DAVID LYNCH Special

Anlässlich der Uraufführung von „Wild at Heart“ bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes verkürzte David Lynch seine Biographie auf die Kurzformel „Eagle Scout, Missoula, Montana“ und unterstrich damit symptomatisch seine Weigerung, sich oder sein Werk zu erklären. Der am 20. Januar 1946 in Missoula, Montana, als Sohn eines Agrarwissenschaftlers und einer Sprachlehrerin geborene David Keith Lynch wuchs mit seinen jüngeren Geschwistern John und Martha in kleinen Orten in Washington, North Carolina und Idaho auf und erlebte nach eigenen Angaben wohl eine unbeschwerte Kindheit.

Der engagierte Pfadfinder liebte das Leben in der Kleinstadt, Filme wie „Glut unter der Asche“ (1957) und die Filmmusiken von Henry Mancini („The Pink Panther“, „Wait Until Dark“). Im Alter von vierzehn Jahren zog die Familie nach Alexandria, Virginia, 1964 schrieb sich David Lynch nach seinem Highschool-Abschluss an der Boston Museum School für ein Kunststudium ein. Es folgte ein Studium an der Pennsylvania Academy of Fine Arts (1965-1967), die Heirat mit seiner Kommilitonin Margret „Peggy“ Reavey (1967) und ein Jahr später die Geburt der Tochter Jennifer Chambers Lynch, die später selbst Filme drehen sollte („Boxing Helena“).
Bevor David Lynch zum Film kam, versuchte er sich als Maler, der von Pollock, Hopper und Bacon inspiriert wurde, dann folgte während seines Studiums mit „Six Figures Getting Sick“ (1967) ein einminütiger Filmstreifen, auf den 1968 das vierminütige „The Alphabet“ folgte, einer Kombination von Trick- und Realfilm, in der Lynchs Frau Peggy eine Frau spielt, die die Buchstaben des Alphabets verschluckt und schließlich einen Schwall von Blut auf ein jungfräulich weißes Bett erbricht.
Nachdem 1969 seine Bilder als Maler in der Paley Library Galerie in Philadelphia ausgestellt wurden, begann Lynch einen Kurs am Center for Advanced Film Studies und drehte dort seinen nächsten Kurzfilm "The Grandmother". In diesem 34-minütigen Kurzfilm von 1970 zieht ein kleiner Junge aus einem Samen ein stachliges Gewächs groß, dann eine „dark old lady“, die dem Jungen eine treue Begleiterin wird, aber nach ihrer Erkrankung schließlich stirbt, weil sie von den Eltern des Jungen missachtet wird. Alle drei Filme sind zusammen mit „The Amputee“ und „Lumiere“ auf der DVD „The Short Films of David Lynch“ enthalten, die Teil der von Capelight veröffentlichten David-Lynch-Box „5“ ist.
„Schon in den ersten Filmen David Lynchs sind mit zerbrochenen Familien und traumatisierten Menschen zwei wichtige Themen seines Gesamtwerks erkennbar. Die Melange aus kargem Realismus und ausufernden, surrealen Phantasien machen bereits seine Kurzfilme zu charakteristischen Werken. Beachtenswert sind auch die animatorischen Fähigkeiten, die der Filmemacher in seinen ersten Filmen unter Beweis stellt. Jegliche Tricks und Animationen wurden von ihm selbst erdacht und ausgeführt“, resümiert Hannes Wesselkämper in seiner Lynch-Biografie auf film-zeit.de
Zwischen 1972 und 1976 drehte er mit konstanten Unterbrechungen und Mikroetat seinen ersten abendfüllenden Spielfilm - "Eraserhead" hatte schließlich 1977 Premiere und es dauerte nicht lange, bevor sich die albtraumhafte Story mit Jack Nance in der Hauptrolle zum veritablen Kultfilm entwickelte. „Eraserhead“ wurde maßgeblich von seinem Lebensgefühl geprägt, in armen Wohngegenden und ständiger Angst leben zu müssen.
Der Film erzählt die Geschichte einer ungewollten Schwangerschaft und dadurch erzwungenen Beziehung, fasziniert aber vor allem durch seine grotesken bis ekelerregenden Szenen, in denen faustgroße Geschwüre wuchern, der Kopf von Henry Spencer (Jack Nance) durch einen phallusartigen Stumpf abgetrennt und zu einem Radiergummi verarbeitet wird. „Eraserhead“ beendete 1977 nicht nur Lynchs einer Traumlogik folgenden Frühphase, in der Bindungsängste, fehlende patriarchale Autoritäten und traumatische Verhältnisse zu Frauen und zum Körper im allgemeinen eine gewichtige Rolle spielten, der Film öffnete dem Regisseur die Tür der internationalen Filmwelt.
Mit „Der Elefantenmensch“ (1980) vollzog David Lynch den Schritt vom experimentellen zum professionellen Regisseur, arbeitete erstmals nach literarischer Vorlage - die auf dem tatsächlichen Schicksal des Briten Joseph Merrick (1862-1890) basierte -, einem Drehplan und mit Stars wie Anthony Hopkins, Anne Bancroft und John Hurt und erzählte in düsteren Schwarz-Weiß-Bildern die herzergreifende Tragödie eines durch das Proteus-Syndrom missgebildeten Mannes mit reinem Herzen, der als Monströsität und Missgeburt auf einem Jahrmarkt misshandelt und zur Schau gestellt wird. Erst der Arzt Dr. Frederick Treves (Anthony Hopkins) verschafft der gepeinigten Kreatur Linderung, indem er Merrick in seinem Hospital unterbringt und behandelt.
Der junge Regisseur inszenierte mit "Der Elefantenmensch" ein Meisterwerk über innere Schönheit und Humanität hinter vermeintlichem Horror, das 1980 zum Welterfolg wurde und acht Oscar-Nominierungen erhielt. Auch für die beste Regie und das beste Drehbuch, das wie bei fast allen seinen Arbeiten auch von Lynch stammte. Danach bekam er das Angebot, "The Return of the Jedi" zu inszenieren, lehnte jedoch ab, um sich zunächst an seinem nie verfilmten Originalstoff "Ronnie Rocket" und schließlich an der verkorksten Adaption von Frank Herberts "Dune" die Finger zu verbrennen, die nach diversen Nachbearbeitungen völlig baden ging und den Filmemacher davon überzeugte, wieder seinen eigenen Projekten nachzugehen und sie mit seiner persönlichen Handschrift zu versehen.
Den Anfang machte dabei 1986 „Blue Velvet“, in der „Dune“-Star Kyle MacLachlan den jungen Collegestudenten Jeffrey Beaumont spielt, der in der idyllischen Kleinstadt Lumberton ein abgetrenntes Ohr auf dem Rasen findet. Zusammen mit der adretten Polizistentochter Sandy (Laura Dern) begibt sich Jeffrey auf die Spurensuche und trifft auf die mysteriöse Nachtclubsängerin Dorothy (Isabella Rossellini) und den drogensüchtigen Sadisten Frank (Dennis Hopper).
"‘Blue Velvet‘ führt unter die Oberfläche einer amerikanischen Kleinstadt, aber es ist auch eine Reise ins Unterbewusstsein oder an einen Ort, wo man mit Dingen konfrontiert wird, denen man sich normalerweise nicht stellt. Einer der Tonleute meinte, der Film sei wie eine Mischung aus Norman Rockwell und Hieronymus Bosch. Die Reise führt so tief hinunter, wie es nur geht, und dann wieder hinauf an die Oberfläche", gibt Lynch nicht nur seine Interpretation von "Blue Velvet", sondern quasi von fast all seinen Filmen. 
"Blue Velvet" war zugleich der Beginn der äußerst fruchtbaren, weit über das normale Regisseur-Komponisten-Arbeitsverhältnis hinausgehenden Zusammenarbeit zwischen David Lynch und dem 1937 geborenen Angelo Badalamenti, der erst über einige Umwege zur Filmmusik kam.
Nachdem Badalamenti 1960 seinen Magister in Komposition, Horn und Klavier an der Manhattan School of Music gemacht hatte, nahm er eine Tätigkeit als Musiklehrer auf, komponierte in seiner Freizeit aber bereits einige Songs. Schließlich schrieb er für einen Musikverlag Jingles und Werbespots, konnte darüber hinaus seine Vorliebe für schwarze Musik umsetzen, indem er Songs für Leute wie Shirley Bassey und Mel Tillis komponierte. Bevor Badalamenti mit Lynch zusammentraf, hatte er nur zwei Filmmusiken geschrieben, nämlich unter dem Pseudonym Andy Badale für Ossie Davis‘ "Gordon´s War" (1973) und Ivan Passers "Law And Disorder" (1974), hielt sich anschließend mit Songwriting, Arrangements und Orchestrationen für Sänger und vielen Instrumentalarbeiten über Wasser. Aufgrund dieses vielschichtigen Talents wurde Badalamenti damit beauftragt, mit Isabella Rossellini, die in "Blue Velvet" ihr Debüt als Sängerin gab, den Bobby-Vinton-Song "Blue Velvet" einzustudieren.
Badalamenti schaffte es nicht nur, der angehenden Sängerin die Nervosität zu nehmen, sondern auch Lynch derart mit dem Resultat zu begeistern, dass er die gesamte Musik für den Film komponieren durfte. Mit Julee Cruise, mit der Badalamenti zuvor am Off-Broadway zusammengearbeitet hatte und deren ätherisch-überirdische Stimme auch die beiden "Twin Peaks"-Soundtracks prägen sollte, spielte der versierte Komponist mit seinem unnachahmlichen Sinn für herzerweichende Melodien schließlich auch den wunderschönen Song "Mysteries Of Love" ein, zu dem Lynch die Lyrics beisteuerte. Doch auch Badalamentis Instrumental-Titel waren von elegischer, traumhaft-verführerischer Schönheit und standen damit im Kontrast zu der vertrackten psychologischen Konstellation zwischen dem detektivisch-voyeuristischen Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan), der Nachtclubsängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini), der naiven Sheriff-Tochter Sandy (Laura Dern) und dem bösartigen Frank Booth (Dennis Hopper).
"Natürlich ist ‚Blue Velvet‘ eines der großen psychologischen Dramen unserer Zeit. Der Film ist brillant in der Studie von psychologischen Effekten von Leuten, die wir von außerhalb betrachtet so faszinierend finden", erzählt mir Badalamenti. "Ich denke, um die Verrücktheit und Tiefe eines so bösartigen Charakters wie Frank Booth und auf der anderen Seite die unglaubliche Reinheit und Unschuldigkeit des jungen Mannes und des jungen Mädchens musikalisch zu beschreiben, versuchte ich eine dunkle Schönheit auszudrücken. Dafür steht ‚Mysteries Of Love‘ in seiner Reinheit und Unschuld im Gegensatz zu der ganzen Welt außerhalb. Musikalisch gesehen konstruierten wir einen Konflikt, weil wir mit ihm beide Welten zusammenbrachten." 
Mit der fruchtbaren Zusammenarbeit bei "Blue Velvet" wurde schließlich eine magisch funktionierende Beziehung zwischen David Lynch und Angelo Badalamenti geknüpft, die bis heute für beide Parteien eine ganz besondere Bedeutung besitzt. "David kennt sich mit Gefühlen sehr gut aus. Er beschreibt Stimmungen, die einen auf eine dunkle, wunderschöne Art und Weise berühren", meint Badalamenti. David Lynch beschrieb die Zusammenarbeit mit seinem Hauskomponisten einmal so: "Angelo Badalamenti hat mich mit der Welt der Musik vertraut gemacht. Er schreibt die Musik und ich die Texte. Wir unterhalten uns über die Atmosphäre, die Worte beeinflussen die Melodie und umgekehrt. Das zählt zu den glücklichsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Es war, als bliebe die Zeit stehen. All diese Tätigkeiten - das Schreiben des Drehbuchs, die Regie, die Musik - hängen für mich zusammen, und jede davon liefert mir Ideen für die anderen. Aus der Arbeit an der Musik ziehe ich Inspiration für die Regie."
1988 spielte Lynch eine Hauptrolle in dem Film "Zelly and Me", während er ein Jahr später die Video-Performance "Industrial Symphony #1" veröffentlichte. Mit der 1989 begonnenen Fernsehserie "Twin Peaks" kamen David Lynch und Angelo Badalamenti erneut zusammen. "David beschrieb die Stimmungen für ‚Twin Peaks‘: ‚Wir sind in den dunklen Wäldern, der Wind weht sehr mild, und außerhalb des Waldes hat das wunderschöne junge Mädchen eine Vision, und die Dunkelheit wandelt sich zu einer betörenden Melodie, die einen Höhepunkt erreicht, abschwillt und wieder in den dunklen Wäldern verschwindet.‘ Allein mit dieser Beschreibung setzte ich mich ans Keyboard, während David neben mir saß, und ich spielte ihm die ganze Einführung und das ‚Laura Palmer Theme‘ vor, Note für Note, allein auf seinen Worten basierend", erinnert sich Badalamenti, der seine Ausführungen stets mit einigen netten Anekdoten zu schmücken versteht. "Er sprach sehr langsam und weich, was eine Inspiration für mich war, und ich verstand, um was für eine Welt es sich handelte. Als David es hörte, meinte er, das wäre es. Ich hätte gerade eines der wichtigsten Themen für die ganze Serie komponiert. Das war der Grundstein für unsere Beziehung, dass wir uns einander verstanden. Ich war in der Lage, die Musik zu schreiben, die seinen Visionen entsprach."
Einen wichtigen Beitrag zur erneut hypnotischen, überwiegend sphärisch-elektronischen Musik lieferte einmal mehr Julee Cruise, die die von Badalamenti (Musik) und Lynch (Text) geschriebenen Songs "The Nightingale", "Into The Night", "Falling", "The World Spins" und "Rockin‘ Back Inside My Heart" interpretierte, die in der Kultserie zum Einsatz kamen und vom Julee-Cruise-Album "Floating Into The Night" stammten, das Badalamenti und Lynch für die Sängerin schrieben und produzierten. Doch im Gegensatz zur häufigen Praxis, Songs im Film einzusetzen, um das Soundtrackalbum besser verkaufen zu können, das wiederum für den Film wirbt, haben Songs in David Lynchs Filmen eine ganz eindeutige dramaturgische Funktion. "Die Musik hat immer einen Bezug zu der Unschuld in solchen Szenen. Sie arbeitet immer gegen das, was eigentlich tatsächlich passiert", erklärt Badalamenti. "Insofern spielt sie eine enorm wichtige Rolle. Ich denke, wir beide, David und ich, arbeiten musikalisch gern gegen das, was zu sehen ist. Das beste Beispiel dafür ist eine Szene in 'Twin Peaks', wo in einer ziemlich schäbigen Roadhouse-Bar, in der mit Whisky, Drogen und Prostitution gehandelt wird, ein Mädchen mit wundervoller, sanfter, langsamer Stimme den Song 'The World Spins' singt. Bei all den Konflikten, der Gewalt und der Rohheit ist diese Musik der totale Gegensatz zu dem, was gerade vorgeht. Für mich ist das sehr aussagekräftig, weil es die Gegensätze, die Positionen deutlich macht."
David Lynch verfilmte 1990 Barry Giffords Roman „Wild at Heart: Die Geschichte von Sailor und Lula” zwar als klassisches Roadmovie, aber auch als Hommage an die Rebellenfilme der 50er Jahre und eine Verbeugung vor dem Klassiker „Der Zauberer von Oz“. Die leidenschaftliche Beziehung, die ihre Tochter Lula (Laura Dern) mit dem gerade aus dem Knast entlassenen Sailor (Nicolas Cage) unterhält, ist der aufbrausenden Marietta (Diane Ladd) ein so großer Dorn im Auge, dass sie gleich zwei Killer auf Sailor ansetzt. Dieser flüchtet mit seiner Geliebten in ihrem 65er Thunderbird quer durch Amerikas hitzeflimmernden Süden, wobei sie sich immer wieder ihren sexuellen Begierden widmen und Sailor sich zu einem Banküberfall mit fatalen Folgen überreden lässt. Als sie schließlich in dem kleinen Kaff Big Tuna in Texas landen, führt sie Sailors ehemalige Geliebte Perdita (Isabella Rossellini) geradewegs in die Hände von Mariettas Killer. David Lynch surreal anmutendes Splatter-Fantasy-Roadmovie fesselt durch seine tollen Darsteller, ein radikales Sounddesign, grandiose Bilder und einen energiegeladenen Soundtrack. Die bis dato ausgefeilteste Reise nach „Lynchtown“ präsentierte David Lynch mit seiner bahnbrechenden Fernsehserie „Twin Peaks“. Zwar inszenierte der Meister nur die beiden Pilotfolgen der beiden, insgesamt 30 Folgen umfassenden Staffeln sowie fünf weitere und schrieb auch nur für die ersten drei Folgen das Drehbuch, doch trug die Serie überdeutlich die Handschrift ihres Schöpfers. „Twin Peaks“ beginnt als klassische Whodunit-Kriminalgeschichte und entwickelt sich zunehmend zu einer skurrilen Mixtur aus Familiendrama, Teenie-Romanze und Fantasy-Horror, bis die mysteriöse Auflösung mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Dies trifft insbesondere auf das anschließende Prequel im Kinoformat zu, auf den längst nicht die Klasse der Serie erreichenden Film „Twin Peaks – Der Film“ (1992). Im selben Jahr misslangen Lynch zudem neuerliche TV-Experimente, als die Serie "On the Air" nach drei Folgen abgesetzt wurde und die faden Episodenfilme der HBO-Produktion "Hotel Room" von der Kritik vernichtet wurden. Nach einigen Jahren abseits des Kunst- oder Kinobetriebes gelang Lynch seine Rückkehr Ende der Neunziger mit zwei Filmen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - zunächst mit „Lost Highway“ (1997), mit dem der Ausnahmeregisseur „die Linearität der Zeit, die Eindeutigkeit des dreidimensionalen Raumes, die logischen Kategorien der Modalität, Kausalität und Identität“ (Jürgen Felix und Andreas Rauscher in „Filmregisseure“, Reclam, 3. Auflage, S. 468) auflöste. Der eifersüchtige Fred (Bill Pullman) verdächtigt seine Frau Renee (Patrica Arquette) des Ehebruchs, da wird er auch schon unter dem Verdacht verhaftet, sie bestialisch ermordet zu haben. Als er im Gefängnis auf die Vollstreckung des Todesurteils wartet, verwandelt er sich auf mysteriöse Weise in Pete Dayton …
„Man kann den Film als Entäußerung eines schizophrenen Bewusstseins lesen, als eine Entfremdungsphantasie, als Radikalisierung des Psychothrillers, als Diskurs über Formen der Wahrnehmung, als rückwärts erzähltes Märchen, als Revision des ödipalen Familienromans. Jeder Versuch einer konsistenten Rekonstruktion der dargestellten Geschichte(n) scheitert an der immanenten Un-Logik des Films. Der vertraute kinematographische Bedeutungshorizont wird durchlöchert, die symbolische Form des Erzählkinos vom Unfassbaren, Unbegreiflichen durchsetzt.“ (ebd.) 
Voller Gegensätze ist auch der Soundtrack zu David Lynchs nächstem Film "Lost Highway", der wie bei "Wild at Heart" (1990) speziell vom Regisseur ausgesuchte Songs und Teile des Instrumental-Scores von Angelo Badalamenti verbindet. Da gibt David Bowie zum Anfang und zum Ende zwei editierte Versionen von "I'm Deranged" zum besten, rocken Rammstein ("Rammstein", "Heirate mich"), Marilyn Manson ("Apple Of Sodom", "I Put A Spell On You") und Nine Inch Nails ("Perfect Drug") heftigst ab, während die Smashing Pumpkins mit dem säuselnden "Eye" einen ebenso sanften Gegenpol dazu bilden wie Barry Adamson mit seinen bluesigen Themen und eben Angelo Badalamenti mit seinen teils jazzigen ("Red Bats With Teeth"), teils sphärischen Synthi-Cues ("Police"). Dass der Soundtrack dennoch eine geschlossene Einheit bildet, liegt auch daran, dass die Stücke allesamt nahtlos ineinander übergehen, dass der Hörer/Zuschauer im Kino durch die verschiedenen emotionalen Dimensionen der erzählten Geschichte geführt wird.
David Lynch hat eine sehr enge Beziehung zur Musik und setzt die dementsprechend sehr bewusst in seinen Filmen ein. "Ich bin über die Malerei zum Film gekommen, und ich glaube, man kann sagen, dass ich über die Tongestaltung zur Musik gekommen bin. Als Maler hatte ich immer bestimmte Töne im Kopf, um mir die Stimmung für ein Bild vorzustellen", meint David Lynch, der viele der Musikstücke in seinen Filmen schon vor Drehbeginn aussucht. "Irgendwann möchte ich gerne so gut wie alle schon vorher ausgesucht haben, denn häufig schickt mir der Tonmann beim Drehen die Musik durch die Kopfhörer, und zwar so, dass ich als einziger gleichzeitig die Schauspieler ihre Dialoge sprechen hören und der Musik lauschen kann. Dann kann ich kontrollieren, ob die Stimmung der Dialoge mit der Musik übereinstimmt. Selbst bei Szenen, in denen nichts gesprochen wird, kann man sich, indem man der Musik zuhört, davon überzeugen, ob die Sache funktioniert oder nicht."
Was David Lynchs Filme bis dahin überwiegend auszeichnete, ist die unkonventionelle Erzählweise, das Spiel mit unbewussten Ängsten und nicht ausgelebten Wünschen, mit Visionen und Voyeurismus, mit fremden Welten und Metamorphosen, die seine oft gespaltenen, unbehausten Protagonisten durchmachen müssen.
Mit seinem nachfolgenden Film „The Straight Story“ (1999)überraschte Lynch einmal mehr, verzichtete auf vertrackte Bilderrätsel und präsentierte ein ruhig dahinfließendes Roadmovie, in dem der pensionierte Farmer Alvin Straight (Richard Farnsworth) sich mit seinem Sitzrasenmäher auf den langen Weg von Iowa nach Wisconsin macht, um sich mit seinem kranken Bruder Lyle auszusöhnen. Der störrische Mann verfügt nämlich nicht mehr über das beste Sehvermögen, und seine leicht zurückgebliebene Tochter (Sissy Spacek) kann ihn auch nicht fahren. Unterwegs hat er genügend Zeit, nette Menschen und skurrile Typen kennenzulernen und über das Leben zu sinnieren. „The Straight Story“ ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Lynch-Film, mit einer kontinuierlichen Geschichte, klarer Aussage und freundlichen Gesten. Angelo Badalamenti komponierte zu diesem fast schon spirituellen Roadmovie einen wundervollen lyrischen Score, der die warmherzigen Emotionen, die Altersweisheit, die Landschaftspanoramen und die ruhige Inszenierung kongenial musikalisch untermalen.
In der Tradition seiner sensationell spannenden und seltsamen Klassiker "Blue Velvet" und "Twin Peaks" kehrte David Lynch mit „Mulholland Drive“ zur Atmosphäre von Wahnwitz und Geheimnissen unter der glatten Oberfläche des Alltags zurück. Der geheimnisvolle Thriller beginnt mit einer geheimnisvollen Schönheit, die sich Rita (Laura Elena Harring) nennt und nach einem grauenvollen Unfall das Gedächtnis verloren hat. Zufällig kommt ihr die freundliche wie naive Betty Elms (Naomi Watts) zu Hilfe, die gerade aus Kanada eingeflogen ist, um nichts weniger als ein Star zu werden. Doch während das Schicksal die beiden offenbar so ungleichen Frauen immer intimer zusammenschweißt und sie auf der Suche nach der Vergangenheit immer tiefer in den Untergrund der Gegenwart eintauchen, wird auch anderen der Boden der Realität unter den Füßen weggerissen. Ein fatalistischer Albträumer und ein mangelhaft begabter Auftragskiller werden ebenso den Weg der Frauen kreuzen wie ein Erfolgsregisseur (Justin Theroux), dessen fantastisches Leben von seinen bizarren Finanziers binnen Stunden zerstört wird. Die Antwort aller Rätsel mag ein bedrohlicher Mann im Hintergrund kennen, der sich nur "Cowboy" (Monty Montgomery) nennt - doch vielleicht laufen die Fäden des Netzes auch bei dem Auftraggeber im Rollstuhl zusammen, der als einziger Macht über schwarze Monstren und blaue Schlüssel zu verbotenen Räumen und Träumen zu besitzen scheint. Doch wo immer sich im Crescendo der Suspense die Wahrheit verbirgt - sie ist nicht von dieser Welt, möglicherweise... „Mulholland Drive“ war ursprünglich als Fernsehserie angelegt. Doch nachdem der in den USA von Imagine Television produzierte Pilotfilm den Auftrag gebenden Sender ABC aus der Disney-Familie nicht eben in Quotengier versetzte, brachte Lynch seine L. A. Story über Schein und Sein nach Frankreich. Dort wurde die Acht-Millionen- Dollar-Produktion durch Produzent Alain Sarde um ein Budget von sieben Mio. Dollar ergänzt, was zusätzliche Drehwochen und Postproduktion gewährleistete. Das Kurzfilmprojekt „Rabbits“(2002) bleibt nur den Besuchern der Homepage des Filmemachers vorbehalten. Wie schon in seinem vorhergehenden Film arbeitet er mit Naomi Watts zusammen. Der Soundtrack stammt von Angelo Badalamenti, der seit 1986 die Filme seines langjährigen Weggefährten vertont. Weitere Kurzfilme bringt er unter dem Namen „Dumbland“ (2005) heraus, die ebenfalls auf der Lynch-DVD-Box „5“ enthalten sind. Sein nächster Kinofilm „Inland Empire“ präsentierte sich als Lynch-typisches Mystery-Drama in der Tradition von „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“. Laura Dern, die für Lynch schon in „Blue Velvet“ und „Wild at Heart“ vor der Kamera stand, spielt darin die Schauspielerin Nikki Grace, die für den Regisseur Kingsley Stewart endlich wieder eine Hauptrolle übernehmen kann. Allerdings handelt es sich bei dem geplanten Film „On High In Blue Tomorrows“ nicht um ein Originaldrehbuch, sondern um ein Remake eines nie fertig gestellten Films.
Das Liebesdrama mit dem Titel 47 konnte nämlich nicht beendet werden, weil beide Hauptdarsteller vorher ums Leben kamen. Offenbar war der Film, der auf einem polnischen Volksmärchen basiert, von einem Fluch belegt. Etwas unbehaglich macht sich die Crew an die Arbeit. Während der Dreharbeiten entwickelt sich nicht nur die Liebesgeschichte zwischen den Film-Figuren, sondern auch auf einer persönlichen Ebene zwischen den Darstellern, die mit zunehmend unheimlichen Ereignissen konfrontiert werden. Doch David Lynch belässt es nicht bei einer klassischen Film-im-Film-Handlung. Riesen-Kaninchen in einer Sitcom, Prostituierte und polnische Volkmotive werden immer wieder in die nicht-lineare Filmhandlung eingewoben und führen nicht nur Lynchs Figuren, sondern auch den Zuschauer in eine bedrückende Atmosphäre aus Angst und Verwirrung. Selbst David Lynch gab in Interviews zu dem Film zu, dass sein Film nicht leicht zu verstehen sei und er selbst nicht wisse, wovon „Inland Empire“ eigentlich handelt. Es sei ein Blick durch „verschwommene Scheiben des menschlichen Ichs auf dunkle Abgründe“. Dern spielt mehrere Charaktere, darunter eine Schauspielerin, die während der Dreharbeiten zu einem altmodischen Südstaaten-Melodram ihren Verstand zu verlieren droht. Prostituierte, unheimliche polnische Volksmotive und Riesen-Kaninchen bevölkern das Lynch-Universum. „Der Film ist eine Reflexion von Davids Liebe zum alten Hollywood und handelt auch vom Tod dessen, wofür Hollywood für ihn steht“, meint Laura Dern. „Es ist ein neuer Tag, für David, für den Film, für uns alle.” “Der Weg zu ‚Mulholland Drive‘ war wunderbar und unheimlich”, beschreibt Lynch den Entstehungsprozess, “aber der Weg zu ‚Inland Empire‘ war noch unheimlicher…” Wie der Film “Mulholland Drive”, der ursprünglich als TV-Serie geplant war und an ABCs Veto gegenüber dem Pilotfilm im Fernsehen scheiterte, war auch „Inland Empire“ nicht ursprünglich als Kinofilm gedacht. Am Anfang stand eine Serie von Experimenten, von Spielereien mit etwas, das Lynchs Leben veränderte: seiner “Spielzeugkamera”, wie er sagt, einem tragbaren Sony PD 150 Digital Videorekorder. Mit ihrer Hilfe konnte er vermeiden, was er beim Dreh auf Filmmaterial hasst: das Warten – auf die Ausleuchtung, das Bewegen der Kamera durch die Crew etc.
Alles begann damit, dass Lynch vor ungefähr drei Jahren mit Laura Dern eine Szene filmte, die er für sie geschrieben hatte. Das wiederholte sich noch einige Male. Das digitale Drehen brachte seine Fantasie auf Hochtouren. Zu Hause drehte er eine surrealistische Sitcom über eine Familie von Riesen-Kaninchen. Zur gleichen Zeit entdeckte er, inspiriert von einer Reise zum Filmfestival in Lodz, seine Liebe zu Polen. Beim Besuch des Festivals filmte er mit heimischen Darstellern in den alten Fabrikgebäuden vor Ort eine Szene, die er sich im Flugzeug ausgedacht hatte. Eigentlich wollte Lynch dieses Material für seine Website verwenden. Doch dann begann er, die Szenen mit Laura Dern zu einem Film auszubauen. Ihm gefiel die Unschärfe der Bilder, die ihn an alte Hollywood-Filme erinnerten: “Ich glaube, wenn etwas nicht so realistisch ist, das Bild dunkel oder unscharf, kriegt die Vorstellung einen Kick und man beginnt zu träumen.” Schließlich kam ihm die Idee, die Dern-Monologe, die Hasen-Sitcom und die Polen-Episoden zusammenzufügen, ergänzt durch neues Filmmaterial. Lynch vergleicht diesen Prozess mit dem kreativsten seiner Karriere, der Entstehung von „Eraserhead“, die fünf Jahre dauerte: “Ich kam von der Malerei. Da gibt es nur dich und die Leinwand. Digitales Arbeiten ist eine ähnliche Erfahrung, man kann tiefer eindringen.” Die Dreharbeiten fanden im polnischen Lodz und in Los Angeles statt. Auch die Musik spielt eine zentrale Rolle im Film. Lynch wollte eine ähnliche Wirkung erzielen wie bei Godfrey Reggios “Koyaanisqatsi”, eine treibende Verbindung zwischen Bild und Musik, die – nicht wie sonst Angelo BadalamentiDavid Lynch selbst komponierte. Es war quasi der Startschuss für sein eigenes Label David Lynch Music Company, die mittlerweile im Zentrum seiner Website steht. Dort sind mittlerweile u.a. auch der Soundtrack zur Ausstellung „The Air Is On Fire“ in Paris (2007), der Soundtrack zur zweiten Staffel von „Twin Peaks“ sowie „The Twin Peaks Archive“ mit einer Fülle von bislang unveröffentlichtem Material aus der Serie sowie David Lynchs aktuelles Album „Good Day“ zu erwerben. Kostenlos ist dagegen die Tribute-Compilation „Mashed In Plastic“ auf der Fan-Page Mashed In Plastic zu bekommen, für die eher unbekannte Acts wie Colatron, Wax Audio, The Reborn Identity, Phil Retrospector u.v.m. verschiedene Tracks aus David-Lynch-Soundtracks mit anderen, recht interessanten Songs mixten, die irgendwie im Klangkosmos von David Lynch wunderbar aufzugehen scheinen.
„Das Kino von David Lynch beginnt dort, wo der gesunde Menschenverstand endet. Aber es bleibt auf ihn angewiesen. Lynch inszeniert vernünftig und verrückt zugleich. Er stürzt den Zuschauer in eine Welt voller unlösbarer Rätsel und unkontrollierbarer Energie. Und doch rechnet er mit einem Betrachter, der sich auf diese Welt einen Reim zu machen versucht; der verstehen möchte; der dem Geheimnis auf die Spur kommen will. Womöglich wird dieser Betrachter nie an sein Ziel kommen. Er wird sich im Dunkel verlieren, er wird aus der Kurve getragen, er bleibt unvermittelt stehen, wie hypnotisiert, und kostet den Schwindel aus“, beschreibt M. Worthmann in der Zeit. „Irgendwann wird er merken, dass er an des Rätsels Lösung kaum heranreicht – und dass er dem Geheimnis trotzdem sehr nahe gekommen ist. Denn sein unstillbares Verlangen selbst ist der Treibstoff des Lynchschen Kinos. Dem unvergleichlichen Glühen der Bilder, der immer wieder langsam sich in die Szene hineinsaugenden Kamera entspricht der Wunsch des Zuschauers, einmal bis in die entscheidende, innerste Wunderkammer des Films vorstoßen zu können. Diese Wunderkammer aber ist sein eigener Kopf.“

Filmographie: 
1977 - Eraserhead
1980 - Der Elefantenmensch (The Elephant Man)
1984 - Der Wüstenplanet (Dune)
1986 - Blue Velvet
1989/90 - Twin Peaks (TV-Serie)
1990 - Wild At Heart - Die Geschichte von Sailor und Lula
1992 - Twin Peaks - Der Film (Twin Peaks: Fire Walk With Me)
1997 - Lost Highway
1999 - The Straight Story - Eine wahre Geschichte
2001 - Mulholland Drive – Straße der Finsternis
2007 – Inland Empire

Playlist:
1 John Morris - Recapitulation (The Elephant Man) - 05:35
2 Angelo Badalamenti feat. Julee Cruise - The Nightingale (Twin Peaks) - 04:50
3 Angelo Badalamenti - Dear Meadow Shuffle (The Twin Peaks Archive) - 05:20
4 Angelo Badalamenti - New Shoes (Twin Peaks - Season Two) - 03:48
5 Angelo Badalamenti - The Bookhouse Boys (Twin Peaks) - 03:30
6 Angelo Badalamenti - Freshly Squeezed (Bass Clarinet Version) (The Twin Peaks Archive) - 05:09
7 Angelo Badalamenti - The Pine Float (Twin Peaks - Fire Walk With Me) - 04:04
8 Angelo Badalamenti - Blue Frank (Twin Peaks - Season Two) - 05:10
9 Angelo Badalamenti - Montage From Twin Peaks (Twin Peaks - Fire Walk With Me) - 05:30 10 Angelo Badalamenti - Night Streets/Sandy And Jeffrey (Blue Velvet) - 03:42
11 Angelo Badalamenti - Cool Cat Walk (Wild At Heart) - 03:24
12 Barry Adamson - Hollywood Sunset (Lost Highway) - 02:00
13 Koko Taylor - Up In Flames (Wild At Heart) - 06:16
14 Smashing Pumpkins - Eye (Lost Highway) - 04:50
15 Chris Isaak - Wicked Game (Wild At Heart) - 04:05
16 Angelo Badalamenti - Montage (The Straight Story) - 07:24
17 Angelo Badalamenti - Diane and Camilla (Mulholland Drive) - 04:48
18 David Lynch - Ghost Of Love (Inland Empire) - 05:30
19 Neiltomo - Don't Go All Wicked On Me (Mashed In Plastic) - 04:00
20 David Lynch - Good Day Today (Good Day Today) - 04:40
21 Wax Audio - Blue Rigby (Mashed In Plastic) - 04:22
22 David Lynch - I Know (Good Day Today) - 04:06
23 Jocelyn Montgomery & David Lynch - O Tu Illustrata (Lux Vivens) - 08:24

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