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Sonntag, 13. März 2011

Playlist # 54 vom 13.03.11 - TRENT REZNOR + ATTICUS ROSS Special

Zu den großen Überraschungen der jüngsten Oscar®-Verleihung zählte sicher der Academy Award® in der Kategorie „Music Score“: Dass Neulinge im Filmgeschäft wie Trent Reznor und Atticus Ross mit ihrem Soundtrack, den sie für David Finchers Portrait des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, „The Social Network“, kreierten, sogar preisgekrönte Veteranen wie Alexandre Desplat, John Powell und Hans Zimmer hinter sich ließen, war so bestimmt nicht vorauszusehen.
Atticus Ross und Trent Reznor
So ganz unbekannt sind die beiden Oscar®-Gewinner in der Filmbranche allerdings auch nicht. Atticus Ross machte erst kürzlich mit seinem ethnisch angehauchten, rhythmisch-eindringlichen Score zum Endzeit-Drama „The Book Of Eli“ auf sich aufmerksam, und Trent Reznor ist mit seinem Projekt Nine Inch Nails seit 1993 immer wieder auf Soundtracks von Filmen renommierter Regisseure wie Oliver Stone („Natural Born Killers“), David Fincher („Sieben“), Alex Proyas („The Crow“) oder David Lynch („Lost Highway“) zu finden. Diesen Umstand hat Reznor vor allem der Tatsache zu verdanken, dass Nine Inch Nails seit ihrer Gründung im Jahre 1988 schnell zu einer festen Größe der alternativen Musikszene avancierten.
Dabei sah zunächst alles danach aus, als würde Trent Reznor eine Karriere als Konzertpianist einschlagen. Doch als er in Teenagerjahren mit der Rockmusik in Berührung kam, fand er in ihr eine adäquatere Möglichkeit, sich auszudrücken, also brachte er sich selbst das Spielen einiger Instrumente bei und faszinierte sich für die unendlichen Möglichkeiten, die sich durch die technischen Entwicklungen boten. In welche musikalischen Richtungen vor allem die ersten erschwinglichen Synthesizer führen konnten, beobachtete Reznor bei europäischen Vertretern der (Post-)Industrial-Szene wie Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle und Einstürzende Neubauten, aber auch die amerikanischen Pendants wie Ministry und Skinny Puppy sagten ihm sehr zu. Nach diversen eher unbefriedigenden Engagements bei lokalen Acts begann Trent Reznor 1988 seine eigenen Ideen unter dem Namen Nine Inch Nails konsequent weiterzuentwickeln.
Das 89er Debütalbum „Pretty Hate Machine“ spielte er zwar im Alleingang ein, ließ die spektakuläre Mixtur aus harten Industrial-Gitarren, coolen Synthi-Sounds und extrem eingängigen Melodien aber von Profis wie Flood (U2, Cabaret Voltaire, Soft Cell, New Order), Keith LeBlanc (Mark Stewart And The Maffia, Sugarhill Gang Band, Tackhead) und John Fryer (Depeche Mode, Fad Gadget, Die Krupps) veredeln.
Lucas Hilbert schreibt in seiner Rezension auf amazon.de:
„Mit dem Album ‚Pretty Hate Machine‘ wurde für ein kommerziell interessantes Publikum der Durchbruch zu einer genießbaren Variante der Industrial Music geschafft und in der Popkultur die entsprechende Schmuddel-Duftmarke gesetzt. Die aggressive Herrschaft der Klänge in diesem Album wurde zuerst von depressiv veranlagten Klubbesuchern verinnerlicht, die zu den Rhythmen umherwirbelten und sich die von Angst besessenen Überzeugungen aneigneten. Seit ihrem Erscheinen stehen die hart gesottenen Ansichten dieses Albums für eine ästhetische Träumerei von den Leidenswegen, auf die uns die Maschinen treiben. Die Tracks von zischenden Maschinen und dissonanten Überlastungen fallen über einen her - außerhalb aller Wege von moderner, gefälliger Vermittlung. Hits wie ‚Head Like a Hole‘ und ‚Down in It‘ sind an ihren sarkastischen Beats und an ihren durchdringenden Riffs zu erkennen, ebenso an den feindseligen Aussagen ihrer Texte, die den Hörer mit ihrer Flut von respektloser Kritik einfangen. ‚Pretty Hate Machine‘ ist keine leichte Kost und trifft in unserem Innersten einen empfindlichen Nerv.“
Doch drei Jahre später hat sich der Sound von Nine Inch Nails grundlegend geändert. Die 1992 veröffentlichte EP „Broken“ wartete kaum noch mit den ausgedehnten elektronischen Klanglandschaften auf, sondern präsentierte harten Industrial-Metal, wobei der Track „Gave Up“ – im Remix von Coil - erstmals den Sprung auf einen Soundtrack („The Young Americans“) schaffte. Der brachiale Gift-und-Galle-Industrial-Mix wurde zum Glück mit dem 1994er Album „The Downward Spiral“ in komplexere, aber auch eingängigere Gefilde überführt, wie die grandiose Single „Closer“ meisterhaft demonstriert. „Closer“ fand den Weg gleich auf drei Soundtracks.
Dass David Fincher das Stück in seinem düsteren Thriller „Sieben“ einsetzte (im Precursor-Remix von Coil), bedeutete quasi seine erste „Zusammenarbeit“ mit Trent Reznor. Darüber hinaus wurde das Stück in Tony Scotts Thriller „The Fan“ und im 2007er Remake von „The Hitcher“ verwendet. Das Jahr 1994 ist insofern bemerkenswert, weil Trent Reznor nicht nur eigens für den Gothic-lastigen Soundtrack der Comic-Verfilmung von James O’Barrs „The Crow“ den Joy-Division-Klassiker „Dead Souls“ eingespielt hat, sondern auch den Soundtrack zu Oliver Stones moderne Bonny-&-Clyde-Variante „Natural Born Killers“ produzierte und dabei die drei NIN-Stücke „Burn“, „Something I Can Never Have“ und „A Warm Place“ einfließen ließ.
Weitere Soundtrack-Aufträge beinhalteten den Score zum Computerspiel „Quake“ (1996) und die Produktion des Soundtracks zu David Lynchs „Lost Highway“ (1997), der neben dem Score von Angelo Badalamenti auch „The Perfect Drug“ von Nine Inch Nails und die beiden Trent-Reznor-Cues „Videodrones; Questions“ und „Driver Down“ enthielt.
Mit Nine Inch Nails ging es nur noch sporadisch im regulären Kontext weiter. Bis zum nächsten regulären Album-Release „The Fragile“ sollten fünf Jahre vergehen, doch dafür war das Doppel-Album vollgepackt mit starken Singles und hitverdächtigen Songs („The Day The World Went Away“ wurde sogar im Trailer zum vierten „Terminator“-Film „Die Erlösung“ verwendet).
‘The Fragile‘ ist sogar noch düsterer als das 1994 erschienene Album ‚The Downward Spiral‘ da es ständig mit finsterer Visage daherkommt. Trent Reznors heftige Sammlung von Kettensägen-Popmusik ist ein bedrückendes Werk, das sich durch die beiden CDs mit der Intensität einer Schrotflinte auf und ab bewegt. Es ist einen Augenblick lang gedämpft und im nächsten darauf explosiv, es mischen sich manchmal im Laufe eines Songs Trotz und Wut mit herzzerbrechender Resignation. Dennoch ist Reznors grimmiger und kompromissloser Stil ansprechend und unbestritten unterhaltsam, selbst wenn er Gesang total vermeidet. Unverändert sind die langen Passagen, die er wie besessen einsetzt, um den Hörer auf eine dynamische, aufregende Fahrt mitzunehmen. Die ruhigen Töne, die das Instrumentalstück ‚Just Like You Imagined‘ einleiten, explodieren plötzlich in ein Sperrfeuer von Rhythmen ohne jedes Taktmaß und in schlingernde Keyboard-Riffs, die alle zu einem vehementen Abschluss anschwellen. Allein die hier präsentierten Klangerfindungen sind schon erstaunlich. Reznors Produktion kommt der von Brian Eno nahe, was die Dynamik anbetrifft, obwohl sie aus einer völlig anderen Sensibilität heraus erwächst. ‚Starfuckers Inc.‘ benutzt zerhackte Stimmen als Verse und eine schreiende Meute als antreibenden Refrain im Stil von Ministry, um einige von NIN's Nachahmer (am deutlichsten Marilyn Manson) gnadenlos herunterzumachen. Obwohl es hier nichts für das Tanzparkett so richtig geeignetes gibt wie z.B. ‚Closer‘ auf dem Album ‚Downward Spiral‘, kommt ‚Where Is Everybody‘ dem doch sehr nahe, da es hier langsame, erschöpfende Drehungen und Adrian Belews dahingleitendes Gitarrenspiel gibt. Die Songs von ‚The Fragile‘ sind letztlich einfache Erkundungen einer tiefgehenden Desillusionierung. Sobald Reznor allerdings aufhört, sie zu verzerren, sind sie hervorragende Klanglandschaften voller Wut, die gleichermaßen erschreckend und schön sind“, urteilt Matthew Cooke in seiner Rezension auf amazon.de.
Weitere sechs Jahre gingen bis zum nächsten Album „With Teeth“ (2005) ins Land, das Reznor zusammen mit Alan Moulder (Depeche Mode, The Smashing Pumpkins) produzierte und sich etwas gefälliger und elektronischer präsentierte als das epische „The Fragile“-Werk.
Mit dem 2007 veröffentlichten Album „Year Zero“ unternahm Reznor eine Zeitreise ins Jahr 2022 und verarbeitete seine düsteren Zukunftsvisionen in einem stark elektronisch geprägten Konzeptalbum, das voller außergewöhnlicher Klänge und Improvisationen steckt, sporadisch aber auch von großer Schönheit durchzogen wird.
„Mit ‚Year Zero‘ setzt der Meister der Endzeitstimmung seinem Werk die Dornenkrone auf - und sich selbst an die Spitze der Verschwörungstheoretiker. Reznor schreibt die Idee vom totalen Überwachsungsstaat, die Orwell in ‚1984‘ meisterhaft skizziert hat, mit dieser Platte fort. Die USA im Jahr 2022: In God's Own Country ist der Teufel los. Das Land der Freien wird von einer fundamental religiösen Diktatur regiert, der nur ein paar viral vernetzte Guerrilleros die Stirn bieten. Dieser Plot ist der Ausgangspunkt für Reznors ambitioniertestes Projekt. Parallel zu diesem jüngsten macht seit Wochen das letzte Gerücht die Runde. Das neue Album der Nine Inch Nails wird von einer Kampagne begleitet, wie sie die Musikindustrie noch nicht erlebt hat. Reznor überzieht die reale wie die virtuelle Welt mit einer Flut von kryptischen Fingerzeigen auf das Jahr Null. Band-Shirts, auf Listening Sessions verteilte Buttons, zufällig gefundene USB-Sticks - immer wieder tauchen Hinweise und Links auf. Sie führten tiefer und tiefer in die labyrinthische Welt einer vielleicht gar nicht so fernen Zukunft. ‚Year Zero‘ verwischt auf diese Art Grenzen, um sie konsequent neu zu definieren - und gibt dem Begriff Gesamtkunstwerk so eine ganz neue Bedeutung. Um den Malstrom dieser mäandernden Fantasie in Songs zu kanalisieren, haben Reznor und seine alten Spießgesellen Atticus Ross und Alan Moulder wieder ein ganzes Heer von unerbittlich tickenden Sequenzern, kreischenden Gitarren, hämmernden Beats und suggestiver Sounds in Stellung gebracht. ‚Year Zero‘ ist nicht nur ein neuer Höhepunkt in Reznors künstlerischem Denken. Mit dieser Platte hat er seine Musik noch weiter ausdifferenziert - und auf den Punkt gebracht. Den Berserker lässt er zwar immer noch gern von der Leine. Doch auf das kontrolliert infernalische Klanggewitter folgte heute die Ruhe nach dem Sturm. Und in der liegt ja bekanntlich die Kraft. Der passionierte Nihilist hat damit die Quadratur des Kreises geschafft: Schließlich kommt es nicht oft vor, dass eine Platte, die vom Armageddon erzählt, Anlass zu uneingeschränktem Optimismus gibt“, urteilt Pure.de.
Das nachfolgende Doppel-Album „Ghosts I-IV“ (2008) erwies sich wiederum als ganz anderes Konzeptalbum, als eine Sammlung von 36 namenlosen Instrumentalstücken, die recht düster und ruhig Exkursionen durch psychedelische, aber auch sperrige Ambient-, Dub- und Electronica-Gefilde unternahmen.
Zumindest in filmmusikalischer Hinsicht stellte das von Trent Reznor und Atticus Ross produzierte Album eine elaborierte Fingerübung dar, fiel aber letztlich zu experimentell aus, um als Höhepunkt in der NIN-Diskographie betrachtet werden zu können.
Mit dem ebenfalls 2008 auf seinem eigenen Null-Label veröffentlichten letzten Album „The Slip“ kehrte Reznor wieder zu den großartigen Songstrukturen früherer Meisterwerke zurück.
2009 kündigte Trent Reznor an, mit Nine Inch Nails eine Pause einzulegen. Vielleicht gibt ihm der Erfolg mit dem Soundtrack zu „The Social Network“ den nötigen Antrieb, auf diesem Terrain seine Meisterschaft weiter auszubauen. Für „The Social Network“ war Trent Reznor auf jeden Fall Finchers erste Wahl:
„Ich finde, dass Trent einzigartig ist, sowohl als Technik-Freak als auch als Kommunikationsexperte. Er verfügt über eine ganz spezielle Beziehung zu seinem breit gefächerten Publikum, die er sehr ernst nimmt. Und wer kann in musikalischer Hinsicht besser über Innovation und Technologie und Kommunikation und Verbindungsmöglichkeiten reden als Trent?“, erzählte der Regisseur dem Online-Magazin Pitchfork.com.
David Fincher, der übrigens auch das Musikvideo zu NIN’s „Only“ drehte, hat Reznor und Ross bereits mit dem Soundtrack zum Remake des schwedischen „Millennium“-Auftakts „The Girl With The Dragon Tatoo“ beauftragt.
Atticus Ross arbeitet mit Trent Reznor seit dem NIN-Album „With Teeth“ eng zusammen. Mitte der 90er fing er als Programmierer für Bomb the Bass an, arbeitete dann mit Barry Adamson zusammen, ehe er mit Claudia Sarne und Adam Holden seine eigene Band 12 Rounds gründete.
 How To Destroy Angels
Zusammen mit Trent Reznor und dessen Frau Mariqueen Maandig rief Ross 2010 auch das Projekt How To Destroy Angels ins Leben, dessen Name von einem Frühwerk der britischen Avantgarde-Band Coil inspiriert wurde. Seine ersten Filmerfahrungen sammelte Ross, als er zusammen mit seiner Frau Claudia Sarne und seinem Bruder Leopold für die Hughes-Brüder 2004 die Fernsehserie „Touching Evil“ vertonte und dann deren Part in der Film-Anthologie „New York, I Love You“, bevor er mit „The Book Of Eli“ seinen ersten Soundtrack für einen kompletten Kinofilm produzierte.
Statt einer kompletten Diskografie, die Ihr z.B. hier findet, gibt es an dieser Stelle nur eine Auflistung der Filmmusik-Beiträge von Trent Reznor und Atticus Ross.

1993: "The Young Americans” (Gave Up)
1994: “The Crow – Die Krähe” (Dead Souls)
1994: “Natural Born Killers” (Burn, Something I Can Never Have, A Warm Place)
1995: „Sieben“ (Closer [Precursor])
1996: „Quake“ (Videogame-Soundtrack)
1996: “Der Fan“ (Closer to God - uncredited)
1997: “Lost Highway“ (The Perfect Drug, Videodrones; Questions, Driver Down)
2000: “Final Destination“ (Into the Void)
2001: “Tomb Raider” (Deep)
2004: „Mann unter Feuer“ (The Mark Has Been Made, The Wretched, The Art of Self Destruction - Part One, The Downward Spiral [The Bottom], Self Destruction - Part Two, The Great Below - jeweils nur im Film)
2004: “Touching Evil” (TV-Serien-Filmmusik von Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne)
2005: “Doom“ (You Know What You Are [Remix von Clint Mansell])
2007: “The Hitcher“ (Closer)
2007: “300” (Just Like You Imagined - nur im Trailer)
2008: “Wanted” (Every Day Is Exactly the Same – nur im Film)
2009: “Terminator: Die Erlösung“ (The Day the World Went Away - nur im Trailer)
2009: “The Book Of Eli” (Film-Soundtrack von Atticus Ross)
2010: “The Social Network” (Film-Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross)

Playlist:
1 Trent Reznor & Atticus Ross - Pieces From The Whole (The Social Network) - 04:18
2 Nine Inch Nails - Dead Souls (The Crow) - 04:52
3 Nine Inch Nails - Something I Can Never Have (Natural Born Killers) - 04:04
4 Nine Inch Nails - Closer (The Downward Spiral) - 06:13
5 Nine Inch Nails - Intermission (Quake) - 02:28
6 Trent Reznor - Driver Down (Lost Highway) - 05:18
7 Nine Inch Nails - The Downward Spiral [The Bottom Remix by Coil] (Further Down The Spiral) - 07:28
8 Nine Inch Nails - Deep (Lara Croft: Tomb Raider) - 04:07
9 Nine Inch Nails - The Great Below (The Fragile) - 05:16
10 Nine Inch Nails - The Mark Has Been Made (The Fragile) - 05:15
11 Atticus Ross - Movement (The Book Of Eli) - 03:07

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