Angelo Badalamenti (Teil 2) - Die Zusammenarbeit mit David Lynch
Mit der fruchtbaren Zusammenarbeit bei BLUE VELVET wurde schließlich eine magisch funktionierende Beziehung zwischen David Lynch und Angelo Badalamenti geknüpft, die bis heute für beide Parteien eine ganz besondere Bedeutung besitzt.
"David kennt sich mit Gefühlen sehr gut aus. Er beschreibt Stimmungen, die einen auf eine dunkle, wunderschöne Art und Weise berühren. Zunächst war es schwierig, mit David zusammenzuarbeiten, gar nicht mal so bei BLUE VELVET. Das war kein Problem. Aber danach z.B. bei TWIN PEAKS. Grundsätzlich kann ich das. Man muss mir nur einige Worte sagen, und aus irgendeinem Grunde bin ich in der Lage, sie in Musik zu übersetzen."
"Angelo Badalamenti hat mich mit der Welt der Musik vertraut gemacht. Er schreibt die Musik und ich die Texte. Wir unterhalten uns über die Atmosphäre, die Worte beeinflussen die Melodie und umgekehrt. Das zählt zu den glücklichsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Es war, als bliebe die Zeit stehen. All diese Tätigkeiten - das Schreiben des Drehbuchs, die Regie, die Musik - hängen für mich zusammen, und jede davon liefert mir Ideen für die anderen. Aus der Arbeit an der Musik ziehe ich Inspiration für die Regie."*
Nach dem auch in musikalischer Hinsicht erfolgreichen Film BLUE VELVET hatte nicht nur David Lynch seinen Flop mit DUNE überwunden, auch Angelo Badalamenti musste sich einen Agenten nehmen, um dem steigenden Interesse an seiner Musik für zukünftige Filmprojekte gerecht werden zu können. Zunächst nahm Badalamenti alles an, was ihm an Angeboten offeriert wurde. Das erste Skript, das ihm nach BLUE VELVET auf den Schreibtisch kam, war das Sequel DREAM WARRIORS, das Chuck Russell 1987 in der NIGHTMARE ON ELM STREET-Reihe drehte. Im Nachhinein scheint Angelo Badalamenti mit der Entscheidung, diesen elektronischen Horror-Score produziert zu haben, nicht mehr ganz glücklich zu sein.
"Um ehrlich zu sein, fiel dieser Score in die Frühphase meiner Filmarbeiten. Es war ein völlig anderer Film als BLUE VELVET, und ich übernahm ihn, weil es nach dem großartigen Erfolg von BLUE VELVET unmittelbar danach der erste war, der mir von meinem Agenten angeboten wurde. Es war eine ganz andere Art von Film für mich, und ich nahm die Herausforderung an, um auch mehr Erfahrung im Komponieren zu bekommen. Die Herausforderung bestand für mich in der völlig anderen Musik, die ich schreiben musste, und sie funktionierte gut im Film. Jeder war damit glücklich."
Bis zur nächsten Zusammenarbeit mit David Lynch, der Fernsehserie TWIN PEAKS, - und danach - arbeitete Badalamenti mit unterschiedlichen Regisseuren zusammen, komponierte die Scores für John Hancocks WEEDS („Der stählerne Vorhang“, 1987), Norman Mailers TOUGH GUYS DON´T DANCE („Harte Männer tanzen nicht“, 1987), Joel Schumachers COUSINS („Seitensprünge“, 1989), Jeremiah Chechiks NATIONAL LAMPOON´S CHRISTMAS VACATION („Schöne Bescherung“, 1989), Dominique Derudderes WAIT UNTIL SPRING, BANDINI („Warte bis zum Frühling, Bandini“, 1990) und Paul Schraders THE COMFORT OF STRANGERS („Der Trost von Fremden“, 1990), wobei er fast immer die Erfahrung machte, dass die Regisseure auf sehr abstrakte Weise mit ihm über die Musik gesprochen haben.
"Ich habe noch keinen Regisseur getroffen, der mit mir in musikalischen Termini über die Musik sprach, bis auf John Hancock, mit dem ich WEEDS machte. Aber der hat auch einen Master Degree in Music. Die anderen Regisseure sprechen nicht über Musik, sondern über Emotionen. Und das ist das Problem, weil Musik eine sehr nebulöse Sache ist, der man mit seinem Instinkt begegnet. Man versucht zu verstehen, wonach der Regisseur Ausschau hält, was die Musik in dem Film leisten soll."
Mit der 1989 begonnenen Fernsehserie TWIN PEAKS kamen David Lynch und Angelo Badalamenti erneut zusammen, und der Komponist beschreibt, wie diesmal die Zusammenarbeit vor sich ging.
"David beschrieb die Stimmungen für TWIN PEAKS: `Wir sind in den dunklen Wäldern, der Wind weht sehr mild, und außerhalb des Waldes erscheint dem wunderschönen jungen Mädchen eine Vision, und die Dunkelheit wandelt sich zu einer betörenden Melodie um, die einen Höhepunkt erreicht, abschwillt und wieder in den dunklen Wäldern verschwindet.´ Allein mit dieser Beschreibung setzte ich mich ans Keyboard, während David neben mir saß, und spielte ihm die ganze Einführung und das LAURA PALMER THEME vor, Note für Note, allein auf seinen Worten basierend. Er sprach sehr langsam und weich, was eine Inspiration für mich war, und ich verstand, um was für eine Welt es sich handelte. Als David es hörte, meinte er, das wäre es. Ich hätte gerade eines der wichtigsten Themen für die ganze Serie komponiert. Das war der Grundstein für unsere wahre Beziehung, dass wir uns einander verstanden. Ich war in der Lage, die Musik zu schreiben, die seinen Visionen entsprach."
Einen wichtigen Beitrag zur erneut hypnotischen, überwiegend sphärisch-elektronischen Musik lieferte einmal mehr Julee Cruise, die die von Angelo Badalamenti (Musik) und David Lynch (Text) geschriebenen Songs THE NIGHTINGALE, INTO THE NIGHT, FALLING, THE WORLD SPINS und ROCKIN´BACK INSIDE MY HEART interpretierte, die in der Kultserie zum Einsatz kamen und vom Julee-Cruise-Album FLOATING INTO THE NIGHT stammten, das Badalamenti und Lynch für die Sängerin schrieben und produzierten. Doch im Gegensatz zu der häufigen Praxis, Songs im Film einzusetzen, um das Soundtrackalbum besser verkaufen zu können, das wiederum für den Film wirbt, haben Songs in David Lynchs Filmen eine ganz eindeutige dramaturgische Funktion.
"Die Musik hat immer einen Bezug zu der Unschuld in solchen Szenen. Sie arbeitet immer gegen das, was eigentlich tatsächlich passiert. Insofern spielt sie eine enorm wichtige Rolle. Ich denke, wir beide, David und ich, arbeiten musikalisch gern gegen das, was zu sehen ist. Das beste Beispiel dafür ist eine Szene in TWIN PEAKS, wo in einer ziemlich schäbigen Roadhouse-Bar, in der mit Whisky, Drogen und Prostitution gehandelt wird, ein Mädchen mit wundervoller, sanfter, langsamer Stimme den Song THE WORLD SPINS singt. Bei all den Konflikten, der Gewalt und Rohheit ist diese Musik der totale Gegensatz zu dem, was gerade vorgeht. Für mich ist das sehr aussagekräftig, weil es die Gegensätze, die Positionen deutlich macht."
Die Musik für TWIN PEAKS und auch für den anschließenden Kinofilm TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME wurde fast so bekannt wie die Serie selbst und von Auszeichnungen und Nominierungen nur so überhäuft, nachdem Angelo Badalamenti zuvor gerade mal mit dem Anthony Asquith Award für THE COMFORT OF STRANGERS ausgezeichnet worden war.
Für das berühmte TWIN PEAKS THEME erhielt Badalamenti in der Kategorie "Pop Instrumental" den Grammy sowie eine Grammy Nominierung für den gesamten Score in der Kategorie "Instrumental Composition, Film or Television". Dagegen wurde TWIN PEAKS zwar in drei Sparten - Underscore, Theme, Music & Lyrics - für den Emmy nominiert, gewann aber keinen einzigen davon.
"Ich gewann einen Grammy für das Thema von TWIN PEAKS, was großartig war, aber es gab drei Emmy-Nominierungen im gleichen Jahr für TWIN PEAKS. Jeder in Amerika sprach über die Musik von TWIN PEAKS. Ich habe in einem Interview mit David Lynch gelesen, dass er auf die Frage, was TWIN PEAKS ausmache, antwortete: die Musik. Ich bekam also drei Nominierungen, und jeder dachte, TWIN PEAKS würde gewinnen. Was passierte, war, dass TWIN PEAKS nicht gewann. Ich sagte mir, dass die Dinge manchmal so laufen, fand aber später heraus, dass im Falle wie dem Emmy die Jury nur einer gewissen Sparte, nämlich dem Business, angehörte und nicht die gesamte Bevölkerung repräsentierte wie beim Grammy. Das war das einzige Mal, wo ich etwas enttäuscht wurde, weil es das einzige Mal war, wo die Entscheidung der Jury nicht der Meinung der breiten Bevölkerung entsprach. Ich weiß nicht, wie es beim Oscar funktioniert. Man versucht immer nur sein Bestes. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch nie den kommerziellen Erfolg, den man benötigt, um eine solche Nominierung zu erhalten. Ich bin deshalb auch nicht besonders traurig, sondern fühle mich geehrt, dass ich mit einigen meiner Projekte meinen Anteil daran erhalten habe."
So wurde Badalamentis Musik für TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME mit dem Saturn Award und dem Independent Spirit Award ausgezeichnet. Davor schrieb Badalamenti den Score zu David Lynchs WILD AT HEART (1990), wobei der Umstand, dass Lynch für den Soundtrack Songs wie BLUE SPANISH SKY, UP IN FLAMES und LOVE ME TENDER verwenden wollte, auch Badalamentis schwülen, spanisch kolorierten Kompositionen beeinflusste, während er sich bei reinen Score-Alben ziemlich frei entfalten kann.
"In den meisten Fällen habe ich nur das Scoring gemacht, und da war ich nicht durch irgendetwas beeinflusst. Wenn Musik einer bestimmten Zeit angehört, so wie in WILD AT HEART, wo die Musik einen 50er-Jahre-Flair hatte und verschiedene Platten benutzt wurden, dann habe ich einige Cues geschrieben, die einen ähnlichen Sound hatten, um die Integrität der Epoche zu bewahren. Das übte natürlich einen Einfluss auf die Musik aus. Aber ich denke da nicht an den Soundtrack. Das ist nur ein Nebenaspekt. Das, was man für den Film tun kann, ist das Wichtigste, woran man denkt. Gelegentlich nutze ich die Möglichkeit, wenn es die Zeit erlaubt und ich an den zu veröffentlichenden Soundtrack denke, bei einer Aufnahme-Session Cues von 50 Sekunden oder einminütiger Länge, die schwer aneinanderzureihen sind, zu einem Cue aus Themen zusammenzufassen.
Wenn ich am Ende der Film-Session also noch Zeit habe, nehme ich die vier- oder sechsminütigen Stücke auf, die nicht für den Film geschrieben wurden, aber von ihm stammen und für das Soundtrackalbum verwendet werden können. Das funktioniert auf einem Album sehr gut und ist besser als die Aneinanderreihung von kurzen Cues."
In der Regel ist Angelo Badalamenti allerdings nicht gut auf die Praxis zu sprechen, Filme mit Pop- und Rock-Songs musikalisch zu unterlegen, vor allem, weil es die Möglichkeit des Komponisten zu sehr einschränkt.
"Wenn ein Regisseur mit 15 Platten ankommt, die er in seinem Film benutzen will, fragt man sich natürlich, wozu er noch einen Komponisten benötigt. Wenn der Komponist nur noch für das Underscoring einiger weniger Szenen eingesetzt wird, ist er natürlich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, aber das passiert immer öfter, weil der Soundtrack hilft, den Film zu promoten. Regisseure schauen danach, was die Songs, die sie lieben, für ihre Filme tun können, wenn sie in die Zeit passen, in der der Film spielt, oder ein bestimmtes Gefühl wiedergeben, das sie suchen. Aber als Komponist sucht man immer nach Projekten, die einem erlauben, das zu tun, was man möchte."
Dass Badalamenti bei Daniel Algrants NAKED IN NEW YORK eine Ausnahme machte, hatte persönliche Gründe.
"Der einzige Grund, warum ich NAKED IN NEW YORK gemacht habe, war, weil Martin Scorsese mich gefragt hat, als wir uns auf einer Party getroffen haben. Martin produzierte den Film, den ein junger Regisseur drehte, von dem Martin viel hielt, und ich liebte das, was ich auf dem Video sah. Aber der Regisseur nutzte das Budget für eine Reihe von Songs aus einer bestimmten Zeit. Anstatt also beispielsweise 50 Minuten an Musik zu komponieren, schrieb ich nur 22 Minuten. Aber selbst bei 22 Minuten versucht man, seinen eigenen Sound zu kreieren, wie immer er auch für das jeweilige Projekt aussehen mag. Und das bedeutet an und für sich schon eine Herausforderung. Zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens und meiner Karriere suche ich nach aufregenden Projekten. CITY OF LOST CHILDREN war eine solche Möglichkeit. Ich liebe den Film, und ich liebe jede Minute des 55minütigen Scores. Er erlaubte mir, mich auf eine andere Weise auszudrücken. Er zeigt mich von einer anderen Seite. Ich möchte ja auch nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt werden, sondern mag es, viele Gesichter zu haben. CITY OF LOST CHILDREN brachte mich zurück zu der Zeit, als ich als Songwriter anfing. Der Score brauchte eine Art von kontinentaler Melodie, aber nicht so geradlinig. Zum Beispiel gab es in CITY OF LOST CHILDREN einen Orgelspieler, der einen Flohzirkus unterhielt und eine kontinentale Melodie spielte, die besessen, repetitiv, off-center und dissonanter wurde, aufregender. Der Film war ideal für mich, weil er es mir ermöglichte, mich musikalisch voll zu entfalten."
Die mit " * " gekennzeichneten Zitate von David Lynch sind dem Buch "David Lynch - Die dunkle Seite der Seele" von Robert Fischer (Heyne Filmbibliothek, 1993) entnommen. Darin werden auch Angelo Badalamenti, Julee Cruise und die Performance "Industrial Symphony No. 1" vorgestellt, die Badalamenti, Lynch und Cruise 1989 im Rahmen des Festivals "New Music America" aufführten.
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