Playlist # 57 vom 24.04.11 - IN THE NURSERY Special (1)
Die Sheffielder Zwillingsbrüder Klive und Nigel Humberstone zählen mit ihrer Band In The Nursery seit über 25 Jahren zu den musikalisch eigenständigsten Acts der Independent-Szene und haben sich mit ihren stimmungsvollen, atmosphärischen, zwischen Neoklassizismus, modernen Soundtrack-Klängen und organisch wirkenden Elektro-Arrangements mittlerweile auch einen respektablen Ruf als Komponisten von vor allem Stummfilm-Scores erspielt.
Nachdem die Zwillingsbrüder Klive und Nigel Humberstone bereits seit dem zarten Alter von 15 Jahren gemeinsam Musik gemacht hatten, wobei sie ihren frühen Enthusiasmus in Garagen und auf Schulfeten auslebten, zogen sie zum Studieren nach Sheffield und trafen dort mit Anthony Bennet zusammen, der sie in ihrem Bemühen unterstützte, ihre musikalischen Ambitionen stärker auszuformen.
Doch schon auf der 1985 veröffentlichten EP „Temper“ haben In The Nursery den Großteil der akustischen Arrangements gegen elektronisches Instrumentarium eingetauscht, um vor allem filmmusikalische Stimmungen wie bei „Arm Me Audacity“, Industrial-Sounds und Streicherimitate zu erzeugen.
Obwohl In The Nursery mittlerweile gerade auf Grund ihrer Stummfilmneuvertonungen gerne in das Filmmusikgenre abgelegt werden, steht doch nach wie vor der rein atmosphärisch dichte und so assoziative Charakter ihrer Musik im Vordergrund.
„Ich denke, die größte Herausforderung und Spannung lag für uns darin, Musik zu komponieren, die mit realen Bildern funktionieren musste und nicht mit denen unserer Vorstellung“, meint Nigel. „Ich glaube, wir hatten wirklich Glück, mit ‚An Ambush Of Ghost‘ unseren ersten Filmscore komponieren zu dürfen – der Film ist ein intensives und tiefes psychologisches Drama, das viele Aspekte und Eigenheiten reflektiert, die in unserer Musik evident ist.
Als wir den Film gesehen hatten, war es offensichtlich, dass unsere Musik perfekt dazu passte, und wir mussten uns keine Sorgen machen, irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen. Der Regisseur hatte sehr präzise Ideen, wie der Film fotografiert werden sollte. Er wollte nur natürliches Licht verwenden und beschrieb Szenen, die, obwohl sie im modernen Los Angeles spielten, den malerischen Gebrauch von Licht und Schatten wie in den Werken Caravaggios herauf beschworen. Ein ähnlicher Stil wurde in den musikalischen Score eingebettet, indem die Gefühle von intensiver persönlicher Angst der Hauptdarsteller ausgedrückt wurden.“
"Für den Soundtrack arbeiteten wir größtenteils in der gleichen Weise, wie wir das sonst auch tun. Diesmal hatten wir nur den zusätzlichen Vorteil, mit einem bestimmten Bild zu arbeiten", erzählt Klive. "Die definitive Version des Films wurde uns auf Video zugeschickt, und wir mussten ihn auf die Musik in unserem Studio abstimmen. Vorher hatten wir Everett Lewis in Los Angeles besucht und besprachen mit ihm verschiedene Szenen durch, welche Stimmungen dazu benötigt wurden. Für uns war es ein frisches Herangehen, aber uns war der Umstand behilflich, dass Everett einen Film gemacht hatte, der quasi auf unseren Musikstil zugeschnitten war."
Das Metro Cinema in Derby, einer ca. 50 km südlich von Sheffield liegenden Stadt, beauftragte Klive und Nigel, zu einer einmaligen Vorführung des 1919 inszenierten expressionistischen Stummfilmklassikers eine moderne Musik zu komponieren. Nicht nur die Geschichte über den bösen Rummelplatz-Magier Dr. Caligari, der den schlafwandelnden Cesare beauftragt, nachts Leute umzubringen, musste die beiden Musiker faszinieren, auch der Umstand, dass der Film erstmals die Möglichkeit des Mediums aufzeigte, entgegen des melodramatischen Realismus zu jener Zeit eine total subjektiv eingefärbte Welt zu kreieren. Die besondere Herausforderung musste für In The Nursery natürlich vor allem darin bestehen, einem Klassiker der Filmgeschichte, der vor allem das Horror- und Fantasy-Genre nachhaltig beeinflussen sollte und bislang sehr gut ohne musikalische Untermalung auskam, das adäquate musikalische Ambiente zu verleihen, das zwar auf seine Weise modern klingen sollte, aber nicht die dem Film eigene Faszination unterlaufen durfte.
„Wir haben mit der Arbeit an dem Score damit begonnen, dass wir einige Stücke von unserem Les-Jumeaux-Projekt verwendeten“, klärt Nigel auf. „Der Stil der Musik war eigentlich ideal dafür, benötigte nur einige Veränderungen und Neu-Arrangements. Überwiegend haben wir viele unterschwellige und hypnotische Sound-Texturen benutzt, wobei wir besonderen Gebrauch von der Modulation sowie wiederkehrenden Themen und Motiven machten. Die gesamte Atmosphäre des Films ist dunkel, aber mit traurigen Untertönen, die wir ebenso berücksichtigen mussten.“
Playlist:
1 In The Nursery - Arm Me Audacity (Counterpoint) - 03:40
2 In The Nursery - Portamento (Stormhorse) - 04:54
3 In The Nursery - Ascent (Köda) - 07:06
4 In The Nursery - L'Esprit (L'Esprit) - 03:46
5 In The Nursery - Seraphic (Scatter) - 04:26
6 In The Nursery - Blue Religion (Sense) - 04:23
7 In The Nursery - Corruption (Duality) - 04:58
8 In The Nursery - Hallucinations? (An Ambush Of Ghosts) - 03:11
9 In The Nursery - Paper Desert (An Anatomy Of A Poet) - 05:09
10 In The Nursery - Caprice (Deco) - 05:03
11 Les Jumeaux - Cuflo (Feathercut) - 05:09
12 In The Nursery - Crepuscule (Blind Sound) - 04:21
Nachdem die Zwillingsbrüder Klive und Nigel Humberstone bereits seit dem zarten Alter von 15 Jahren gemeinsam Musik gemacht hatten, wobei sie ihren frühen Enthusiasmus in Garagen und auf Schulfeten auslebten, zogen sie zum Studieren nach Sheffield und trafen dort mit Anthony Bennet zusammen, der sie in ihrem Bemühen unterstützte, ihre musikalischen Ambitionen stärker auszuformen.
1981 wurde In The Nursery mit der Idee gegründet, Musik mit dem Interesse für Psychologie, Kunst, Literatur und Film zu verbinden.
Das 83er Debüt-Mini-Album „When Cherished Dreams Come True“ bot noch ein unausgewogenes Konglomerat aus rauen Wave- und Punk-Rock-Klängen, wobei der Einsatz von Drums, Bass, Gitarre, Gesang und Military Drums noch sehr ungeschliffen und minimalistisch klang.Doch schon auf der 1985 veröffentlichten EP „Temper“ haben In The Nursery den Großteil der akustischen Arrangements gegen elektronisches Instrumentarium eingetauscht, um vor allem filmmusikalische Stimmungen wie bei „Arm Me Audacity“, Industrial-Sounds und Streicherimitate zu erzeugen.
Es dauerte bis 1986, ehe ITN ihr Debütalbum "Twins" veröffentlichten, ein Album, das eine kuriose, aber erfrischende Mischung aus neoklassizistischen, Punk- und Rock-Elementen bot, krachige Bass- und Gitarrenriffs mit leisen Pianoklängen und vielschichtige Rhythmen mit facettenreichen Vocals verband.
"Wenn ich zurückblicke, muss ich im Nachhinein zustimmen, dass da eine Menge an Einflüssen mitspielte. Wir haben ständig versucht, unsere Ideen zu einer originellen Ausdrucksform zu bringen", versucht Klive das eigenwillige Konglomerat an musikalischen Stilen zu erklären. "Kurz vor den Aufnahmen zu `Twins´ entschied sich Anthony, die Band zu verlassen und an seinen eigenen Ideen zu arbeiten, so dass wir erstmals die Möglichkeit hatten, die Freiheit zu genießen, als Brüder, als Zwillinge zusammenzuarbeiten. Ich erinnere mich, dass wir gerade die Hälfte der Songs geschrieben hatten, so dass viel von dem Album im Studio selbst entstanden ist. Die Unschuld und die Lust am Experimentieren ist auf dem Album dokumentiert."
Aber auch der für In The Nursery später so charakteristische Military-Percussion-Sound erfuhr hier bereits seine ersten markanten Ausprägungen.
"Wir haben die Military Snare Drums schon für unsere allerersten Aufnahmen benutzt", erzählt Klive. "Der anfängliche Reiz dabei wurde dadurch ausgelöst, dass eine in einem Second Hand-Laden zum Verkauf stand. Wir waren nie mit dem konventionellen Drum-Set-up zufrieden, also benutzten wir die stehende Snare Drums als Alternative. Ähnlich verhielt es sich mit den Pauken. Wir sahen den kraftvollen Effekt, den sie klassischer Musik verliehen, und wollten diesen mit unserer Musik verbinden, indem wir orchestrale Percussions in das Zentrum unserer Rhythmen stellten. Die klassischen Einflüsse hielten Einzug, als wir die Frustration bei dem Versuch verspürten, die Musik, die wir in unseren Köpfen hörten, allein mit Bass und Gitarre umzusetzen. Eines Tages legten wir uns ein Logan Streichermaschinenkeyboard zu - und die Möglichkeiten erschienen nun weitaus größer. Wir wurden ins digitale Sampling und die Möglichkeiten, authentische Sounds eines ganzen Orchesters mit dem Keyboard zu erzeugen, eingeführt, und die Aussichten waren grenzenlos!"
Das 87er Album "Stormhorse" präsentierte dann den voluminösen, überwiegend neoklassizistischen Orchestersound, den In The Nursery danach nur noch auszufeilen und zu akzentuieren brauchten, aber das Konzept, auf elektronischer Basis satte Streicherarrangements zu kreieren und sie mit dichten Percussionryhthmen zu verbinden, stand.
Mit der Sängerin Dolores Marguerite C. und dem Drummer Q. , zwei alten Freunden, vervollständigte sich nicht nur das Set-up, das über Jahre hinweg Bestand haben sollte, sondern wurde auch der Sound perfektioniert.
Nicht von ungefähr haben In The Nursery das Album als „original soundtrack to the film“ untertitelt, denn die oft rein instrumentalen Kompositionen waren mit den eindringlichen Harmonien und den gefühlvollen, mystisch-sinfonischen Arrangements aus satten Streichern, vielschichtigen Percussions und sanft wogenden Keyboard-Sequenzen von subtiler Imaginationskraft gezeichnet. Obwohl In The Nursery mittlerweile gerade auf Grund ihrer Stummfilmneuvertonungen gerne in das Filmmusikgenre abgelegt werden, steht doch nach wie vor der rein atmosphärisch dichte und so assoziative Charakter ihrer Musik im Vordergrund.
Mit dem Motto von "Stormhorse" - "Man has to believe in myths. Like wisdom, myths foretell the destiny of man." - wurde zudem deutlich, in welchen Rahmen ITN ihre musikalischen Ideen stellen. "Mythologie ist ein Mittel zur Kommunikation", meint Klive. "Geschichten werden über Jahre hinweg erzählt; sie erinnern uns auch an die Kraft, die wir alle besitzen: die Fähigkeit des Verstandes, sich Erinnerungen zurückzurufen. Einbildungskraft ist die größte menschliche Gabe, die wir besitzen, und Musik kann ein Kanal für diese Vorstellungen sein."„Der wichtigste Grund für uns, Musik zu machen, ist es nicht, Soundtrack-Scores zu schreiben“, wehrt sich auch Klive. „Ich denke, der Musikstil, der uns am meisten inspiriert, ist das Filmscore-Genre, weil es eine Vielzahl von Emotionen umfasst und perfekt ist, um Atmosphären auszudrücken, die von epischer Pracht bis zum traurigsten und romantischsten Moment reichen. Musik stellt für uns eine Sprache zur Beschreibung unserer Gefühle dar, um solche Momente festzuhalten, die uns Tag für Tag berühren.“
Mit dem 88er Album "Köda" legten ITN ein fast schon sinfonisches Konzeptalbum vor, wobei die Intensität, mit der die Band ihre Emotionen musikalisch umsetzte, ihr bald das Image von Neo-Romantikern einbrachte, obwohl Klive wenig mit dieser Etikettierung anfangen kann: "Der Ausdruck 'Neo-Romantiker' hat uns verblüfft, auch wenn wir mit unserer Musik höhere Gefühlsebenen erreichen wollen. Sicher weist viel von unserem Material eine zeitlose Qualität auf, die die Erfahrungen und das Streben der frühen romantischen Poeten reflektiert. Aber der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die Gründe für uns, Musik zu machen, nicht für sich beanspruchen, eine gottähnliche Erfüllung zu leisten, sondern allein, die Seele zu erfreuen."
Mit ihren Folgealben "L´ Esprit" (1990) und "Sense" (1991) vervollkommnten In The Nursery ihren Weg zu feinfühligen klassischen Inhalten und Ausdrucksformen mit sorgfältig inszenierter atmosphärischer Dichte.
Mit ihren Folgealben "L´ Esprit" (1990) und "Sense" (1991) vervollkommnten In The Nursery ihren Weg zu feinfühligen klassischen Inhalten und Ausdrucksformen mit sorgfältig inszenierter atmosphärischer Dichte.
"Unsere Musik ist momentan wie ein Filmsoundtrack angelegt, deshalb klingt sie so klassisch. Denk nur an die vielen Filmmusiken mit Streichern. Wir wollten immer 'independent music' im eigentlichen Sinne machen und darin wollten wir klassische Elemente so gut wie möglich miteinbeziehen", meint Klive. "Ein Orchester kann eine Sinfonie von vielleicht über vierzig Minuten einspielen, wobei sie in drei oder vier Abschnitte eingeteilt wird. Diese Leidenschaft, diese emotionale Intensität wollten wir auch in unsere Musik übertragen.Wir schreiben allerdings keine Sinfonien, sondern nur kurze Stücke."
Obwohl In The Nurserys Musik viel von einem Orchestersound hat, kommt die Band nicht ganz ohne Elektronik aus. Nigel erläutert, wie Technologie und originale Instrumente bei In The Nursery zusammenwirken: "Wir benutzen die Technologie, um exakt das auszudrücken, was wir empfinden. Natürlich würden wir lieber mit einem Orchester arbeiten, aber unsere finanziellen Mittel sind leider begrenzt. Mit Samples ist man keinerlei Beschränkungen unterworfen und es lässt sich live besser reproduzieren."
Ihr Album "Sense" wurde mit einem langen Untertitel versehen: "To cure the soul by means of the senses and the senses by means of the soul".
"Wir wollen damit ausdrücken, was mit einem passiert, wenn man Musik macht und der Musik von anderen Leuten zuhört. Es ist ein plötzliches Gefühl von Freude, das einen dabei durchströmt. Um sich richtig wohlzufühlen, braucht man Eindrücke von außen, das, was man mit Fingern, Augen, Mund und Ohren aufnimmt. Bei uns steht das Hören von Musik natürlich im Vordergrund, aber darüber hinaus sind auch die Imaginationen gemeint, die damit einhergehen."
Nachdem In The Nursery mit ihren Studio-Alben ihre Qualitäten in dieser Hinsicht weitreichend unter Beweis gestellt hatten, bekamen sie 1993 tatsächlich den Auftrag, mit „An Ambush Of Ghosts“ den Soundtrack zu einem Film von Everett Lewis mit Stephen Dorff, Genevieve Bujold, Anne Heche und David Arquette in den Hauptrollen zu komponieren. Das Psycho-Drama, in dem ein Teenager versucht, die Ermordung seines Bruder durch seine Mutter, bei der er Zeuge gewesen ist, zu verarbeiten und weiterhin den Familiensegen zu wahren, unterlegten die beiden Zwillingsbrüder mit einem elegisch-melancholischen Score, der erstmals ausgiebig von der Oboe Gebrauch machte, die bis heute zu den beliebtesten Akustik-Instrumenten der Band zählt. Für In The Nursery ging mit diesem Soundtrack auf jeden Fall ein lang gehegter Traum in Erfüllung.„Ich denke, die größte Herausforderung und Spannung lag für uns darin, Musik zu komponieren, die mit realen Bildern funktionieren musste und nicht mit denen unserer Vorstellung“, meint Nigel. „Ich glaube, wir hatten wirklich Glück, mit ‚An Ambush Of Ghost‘ unseren ersten Filmscore komponieren zu dürfen – der Film ist ein intensives und tiefes psychologisches Drama, das viele Aspekte und Eigenheiten reflektiert, die in unserer Musik evident ist.
Als wir den Film gesehen hatten, war es offensichtlich, dass unsere Musik perfekt dazu passte, und wir mussten uns keine Sorgen machen, irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen. Der Regisseur hatte sehr präzise Ideen, wie der Film fotografiert werden sollte. Er wollte nur natürliches Licht verwenden und beschrieb Szenen, die, obwohl sie im modernen Los Angeles spielten, den malerischen Gebrauch von Licht und Schatten wie in den Werken Caravaggios herauf beschworen. Ein ähnlicher Stil wurde in den musikalischen Score eingebettet, indem die Gefühle von intensiver persönlicher Angst der Hauptdarsteller ausgedrückt wurden.“
"Für den Soundtrack arbeiteten wir größtenteils in der gleichen Weise, wie wir das sonst auch tun. Diesmal hatten wir nur den zusätzlichen Vorteil, mit einem bestimmten Bild zu arbeiten", erzählt Klive. "Die definitive Version des Films wurde uns auf Video zugeschickt, und wir mussten ihn auf die Musik in unserem Studio abstimmen. Vorher hatten wir Everett Lewis in Los Angeles besucht und besprachen mit ihm verschiedene Szenen durch, welche Stimmungen dazu benötigt wurden. Für uns war es ein frisches Herangehen, aber uns war der Umstand behilflich, dass Everett einen Film gemacht hatte, der quasi auf unseren Musikstil zugeschnitten war."
Den tanzbarsten Titel des Soundtracks, der neben neuem Material auch remixte Songs vom "Sense"- und "Duality"-Album enthielt, wurde als Maxi ausgekoppelt: "Hallucinations?" reflektiert schon thematisch den emotionalen Charakter des Films, musikalisch präsentieren sich ITN allerdings auf ungewohnt leichtfüßig-tanzbare Weise.
1994 erschien mit "Anatomy Of A Poet" ein musikalisch wie thematisch sehr in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk: "Das Konzept beruht auf der selbstzerstörerischen Natur von kreativen Künstlern. Mit dem Album versuchen wir die vielseitigen Aspekte von Künstlern, seien sie Poeten, Komponisten oder Schriftsteller, zu analysieren. Wir haben den Schriftsteller Colin Wilson zuhause in Cornwall besucht und ihn dabei aufgenommen, wie er einige seiner Lieblingspoesie rezitiert: Dowson, Yeats, Wilde und Byron. Die Rezitationen von romantischer Poesie sind besonders relevant für uns; sie verstärken eine Menge der Themen, die wir versuchen auszudrücken. Zum ersten Mal haben wir ein Konzept für unser Album formuliert und geplant."
Seitdem haben In The Nursery neben ihren immer öfter konzeptionell angelegten Werken wie „Anatomy of a Poet“, „Deco“ und „Lingua“ neue Filmmusiken gerade für expressionistische Stummfilmklassiker der 20er Jahre komponiert. Ihre erste Fingerübung war 1996 Robert Wienes „Das Cabinett des Dr. Caligari“.1994 erschien mit "Anatomy Of A Poet" ein musikalisch wie thematisch sehr in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk: "Das Konzept beruht auf der selbstzerstörerischen Natur von kreativen Künstlern. Mit dem Album versuchen wir die vielseitigen Aspekte von Künstlern, seien sie Poeten, Komponisten oder Schriftsteller, zu analysieren. Wir haben den Schriftsteller Colin Wilson zuhause in Cornwall besucht und ihn dabei aufgenommen, wie er einige seiner Lieblingspoesie rezitiert: Dowson, Yeats, Wilde und Byron. Die Rezitationen von romantischer Poesie sind besonders relevant für uns; sie verstärken eine Menge der Themen, die wir versuchen auszudrücken. Zum ersten Mal haben wir ein Konzept für unser Album formuliert und geplant."
Das Metro Cinema in Derby, einer ca. 50 km südlich von Sheffield liegenden Stadt, beauftragte Klive und Nigel, zu einer einmaligen Vorführung des 1919 inszenierten expressionistischen Stummfilmklassikers eine moderne Musik zu komponieren. Nicht nur die Geschichte über den bösen Rummelplatz-Magier Dr. Caligari, der den schlafwandelnden Cesare beauftragt, nachts Leute umzubringen, musste die beiden Musiker faszinieren, auch der Umstand, dass der Film erstmals die Möglichkeit des Mediums aufzeigte, entgegen des melodramatischen Realismus zu jener Zeit eine total subjektiv eingefärbte Welt zu kreieren. Die besondere Herausforderung musste für In The Nursery natürlich vor allem darin bestehen, einem Klassiker der Filmgeschichte, der vor allem das Horror- und Fantasy-Genre nachhaltig beeinflussen sollte und bislang sehr gut ohne musikalische Untermalung auskam, das adäquate musikalische Ambiente zu verleihen, das zwar auf seine Weise modern klingen sollte, aber nicht die dem Film eigene Faszination unterlaufen durfte.
Tatsächlich ist der einstündige Soundtrack ein ungewöhnlich ruhiges ITN-Werk, selten rhythmisch, dafür gefühlvoll und sehr intensiv im schwebenden Ambiente von halluzinativen Synthi-Arrangements und expressiv-eindringlichen Sound-Collagen. Die beiden Musiker waren von ihrer Arbeit derart positiv überrascht, dass sie sich entschieden, den Soundtrack auch zu veröffentlichen und mit „Optical Music Series“ gleich eine Reihe auf ihrem Label zu gründen, die für die weiteren Filmprojekte von In The Nursery reserviert ist. Die Art und Weise, wie Klive und Nigel die Musik zum Film geschrieben haben, erklärt letzterer wie folgt:„Zu ‚Caligari‘ wurde zu jener Zeit nie ein Score komponiert. Die Produzenten haben nur empfohlen, verschiedene Musikstücke dazu zu spielen, z.B. von Stravinsky und Schönberg. Wir haben uns mit dem Film und seiner Geschichte beschäftigt, und er war ziemlich revolutionär zu seiner Zeit, aber wir wollten uns nicht zu sehr in die musikalische Seite vertiefen, einfach weil wir ihm eine moderne Interpretation verleihen wollten, indem wir hypnotisches Summen und unterschwellige Sachen benutzten. Wir haben nicht viele orchestrale Sounds verwendet, stattdessen ist die Musik eher ambient und fast industrial, weil uns der Film diese Atmosphäre vermittelte“, erklärt Nigel.
Dass sich der Score zu „The Cabinet of Doctor Caligari“ musikalisch an das ITN-Nebenprojekt Les Jumeaux anschließt, kommt dabei nicht von ungefähr.„In Stummfilmen müssen die Emotionen und Intentionen durch das Handeln der Schauspieler transportiert werden. Das muss man in der Musik reflektieren. Wir mussten die Emotionen und den Handlungsablauf berücksichtigen, indem wir z.B. wiederkehrende Themen und Texturen verwendeten, die die Charaktere repräsentierten. Das wird auch in modernen Filmen gemacht, aber in Stummfilmen ist es offensichtlicher. Wir arbeiteten mit einer Video-Roh-Kopie, stellten uns einen Monitor in unser Studio und spielten zu den Szenen. Die aufgenommenen Stücke wurden dann zu einem zusammenhängenden Score zusammengesetzt. Mit einem Macintosh-Computer und Logic Audio Software wurde die Musik ‚fein abgestimmt‘.“
„Wir haben mit der Arbeit an dem Score damit begonnen, dass wir einige Stücke von unserem Les-Jumeaux-Projekt verwendeten“, klärt Nigel auf. „Der Stil der Musik war eigentlich ideal dafür, benötigte nur einige Veränderungen und Neu-Arrangements. Überwiegend haben wir viele unterschwellige und hypnotische Sound-Texturen benutzt, wobei wir besonderen Gebrauch von der Modulation sowie wiederkehrenden Themen und Motiven machten. Die gesamte Atmosphäre des Films ist dunkel, aber mit traurigen Untertönen, die wir ebenso berücksichtigen mussten.“
Playlist:
1 In The Nursery - Arm Me Audacity (Counterpoint) - 03:40
2 In The Nursery - Portamento (Stormhorse) - 04:54
3 In The Nursery - Ascent (Köda) - 07:06
4 In The Nursery - L'Esprit (L'Esprit) - 03:46
5 In The Nursery - Seraphic (Scatter) - 04:26
6 In The Nursery - Blue Religion (Sense) - 04:23
7 In The Nursery - Corruption (Duality) - 04:58
8 In The Nursery - Hallucinations? (An Ambush Of Ghosts) - 03:11
9 In The Nursery - Paper Desert (An Anatomy Of A Poet) - 05:09
10 In The Nursery - Caprice (Deco) - 05:03
11 Les Jumeaux - Cuflo (Feathercut) - 05:09
12 In The Nursery - Crepuscule (Blind Sound) - 04:21
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