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Freitag, 4. November 2011

Playlist # 71 vom 06.11.11 (1) - DAVID CRONENBERG Special

Der kanadische Filmemacher und Gelegenheitsschauspieler David Cronenberg wird als einer wichtigsten Mitbegründer des sogenannten „Body Horror“ angesehen, doch in den letzten Jahren hat er sich erfolgreich dem psychologischen Thriller gewidmet und liefert mit seinem aktuellen Film „Eine dunkle Begierde“ sogar ein lupenreines Biopic ab.
Der am 15. Mai 1943 in Toronto als Sohn einer Musikerin und eines Autors (u.a. von Comic-Büchern im Zweiten Weltkrieg) geborene Cronenberg studierte an der University of Toronto zunächst Biochemie und Biologie, machte seinen Abschluss 1967 allerdings in Literatur. Schon während seiner Schulzeit begann Cronenberg, Kurzfilme zu drehen, Ende der 60er Jahre folgten knapp einstündige experimentelle Filme, die sich mit wissenschaftlichen Experimenten rund um paranormale Phänomene auseinandersetzten.

„Erst mit 22 oder 23 Jahren wurde mir bewusst, dass ich einen Film machen könnte. Aber ich glaubte, keinen Zugang zu den nötigen Hilfsmitteln zu haben, bis ich einen Film sah, der von Studenten meiner Schule gemacht worden war: ‚Winter Kept Us Warm‘ – Der Titel ist ein Zitat aus T.S. Eliots ‚The Waste Land‘. Eine Menge Leute waren in dem Film, mit denen ich befreundet war. Ich kann den Schock und die Erheiterung, einen Film von Leuten zu sehen, die ich kannte, nicht in Worte fassen. Ich war echt aufgeregt. Für mich war das eine unglaubliche Offenbarung“, wird Cronenberg in Rolf Giesens „Lexikon des phantastischen Films – Band 1“ (Ullstein, 1984, S. 148) zitiert.
Cronenberg beobachtete Kameraleute bei der Arbeit und drehte 1966 mit „Transfer“ einen surrealistischen Sieben-Minuten-Film in 16 mm über Leute, die in Schneefeldern hocken und an gedeckten Tischen sitzen, als ob sie drinnen wären. Sein nächster Kurzfilm „From The Drain“ (1967) handelte von zwei Männern, die sich in der Badewanne unterhalten. Bereits Cronenbergs erste Werke „Stereo“ (1969) und „Crimes Of The Future“ (1970) wirkten ohne Musik und Dialoge jenseits des Mainstreams. Ab 1971 übernahm er dann Pausenfüller für das kanadische Fernsehen, Aufträge für TV-Serien und ab 1989 auch für Werbespots.
Mit seinen ersten Filmen „Shivers – Der Parasiten-Mörder“ (1975), „Rabid – Der brüllende Tod“ (1977) und „Die Brut“ (1979) thematisierte Cronenberg in einem oft wissenschaftlichen Ambiente das Umkippen von Machtverhältnissen, den unkontrollierbaren Fremdkörper, der sich in einen Organismus einnistet, und die explizit dargestellte Gewalt, die Körper nicht nur deformiert, sondern oft genug auch zerstört.
In Cronenbergs ersten kommerziellen Spielfilm „Shivers“ pflanzt ein Wissenschaftler seiner Geliebten mit den Antibiotika einen Parasiten ein, der die im Körper versagenden Organe und Funktionen ersetzen soll. Leider mutiert die Frau dabei zu einem Sex-Monster, das die Bewohner eines futuristischen Hochhauses mit dem phallischen Parasiten infiziert. Eine ganz ähnliche Thematik präsentierte Cronenberg mit seinem nächsten Werk „Rabid“, wo ein Chirurg bei einer durch einen Unfall verletzten Frau eine verbotene Gewebe-Transplantation vornimmt. Nach ihrer „Genesung“ entwickelt die Frau allerdings vampirische Impulse, die sie mit rasender Geschwindigkeit in ihrer Umwelt verbreitet.
In „Scanners – Ihre Gedanken können töten“ (1981) kann ein junger Mann namens Cameron Vale dank des Beruhigungsmittels Ephemerol, das seine Mutter während der Schwangerschaft eingenommen hat, nicht nur die Gedanken anderer Menschen lesen, sondern auch in deren Nervensystem einzugreifen. Von dem Ephemerol-Erfinder wird Cameron gebeten, andere sogenannte „Scanners“ zu finden, die ihre Fähigkeiten zu bösen Zwecken einsetzen und damit auch mal Köpfe zerplatzen lassen.
In „Die Brut“ (1979) rächt sich eine von ihrem Mann verlassene Hausfrau mit einem neuen Geburtsorgan, das kleine Monster gebiert, die alle umbringen, die ihre Mutter zur Weißglut treiben.
„Wie immer bei Cronenberg macht der Eingriff des fremden Gedankens den Menschen nicht einfach zur seelenlosen Marionette; Körper und Seele sind so leicht nicht zu trennen. Der fremde Gedanke muss ganz buchstäblich ins Fleisch dringen, und das führt nicht nur zu einigen heftigen Effekten, sondern auch zu einer filmischen Darstellung von Anstrengung, Erschöpfung und Einsamkeit, die die Überwindung des alten kostet“, konstatieren Georg Seeßlen und Fernand Jung in „Science Fiction. Grundlagen des populären Films – Band 2“ (Schüren, 2003, S. 502). „Dieses Spannungsfeld von nüchterner Wissenschaft und übersinnlicher, oft durch Drogen beförderten Erfahrungen kennzeichnet auch seine späteren Filme. Je mehr sich Technik, Wissenschaft und Moderne ausbreiten, desto mehr sich die Architektur und die Technologie auf optisch klare Strukturen zu reduzieren scheinen, desto mehr wuchert in den visionären Bildern von David Cronenberg das Organische, Fleischliche, Unberechenbare. Die Figur des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, den wir aus Hunderten von amerikanischen Science Fiction- und Horrorfilmen kennen, bekommt bei Cronenberg eine neue tiefere Bedeutung. Es ist der Mensch, der die Möglichkeiten der neuen Technologie ausnutzt, um sehr alte Impulse, den Zugriff auf den menschlichen Körper und seine Seele, zu verknüpfen“, stellen die beiden Autoren schließlich in „Horror. Grundlagen des populären Films“ (Schüren, 2006, S. 341) fest.
Mit „Die Brut“ begann auch die bis heute andauernde, sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Cronenberg und dem Komponisten Howard Shore, der in der kanadischen Rock-Jazz-Band Lighthouse Flöte und Saxophon spielte, Songs komponierte und sogar sang, bevor er zwischen 1975 und 1980 als musikalischer Leiter der NBC Comedy-Serie „Saturday Night Life“ tätig wurde. Als er ungefähr 1978 damit begann, sich wieder mit dem Komponieren zu beschäftigen und nach geeigneten Filmen umzuschauen, traf er auf David Cronenberg, für dessen frühere Filme Ivan Reitman („Ghostbusters“) bereits produzierte Musik zusammengestellt hatte. Für „Die Brut“ komponierte Shore einen Score für 21 Streicher, und diese Instrumentengruppe sollte prägend für die weitere Zusammenarbeit zwischen Cronenberg und Shore werden.
1982 folgte die kompromisslose Mediensatire „Videodrome“ (1982). Der Fernsehproduzent Max Renn (James Woods) unterhält sein Publikum mit Gewaltsendungen und Sexfilmen. Als er an Aufnahmen einer Show gerät, in der Frauen gefoltert werden, leidet Renn unter Halluzinationen und verwandelt sich schließlich selbst in ein Abspielgerät.
Seinen kommerziellen Durchbruch erzielte Cronenberg 1983 mit der Verfilmung von Stephen Kings Bestseller „The Dead Zone“. Hier fällt der Englischlehrer Johnny Smith (Christopher Walken) nach einem Autounfall ins Koma, aus dem er nach fünf Jahren wieder erwacht. Während er seine Frau mittlerweile an einen anderen verloren hat, gewann er doch die Fähigkeit des Hellsehens hinzu. Doch diese Gabe erweist sich schnell als Fluch. Er braucht nur die Hand eines Menschen zu berühren und kann in dessen Vergangenheit oder Zukunft blicken. Zwar vermag er auch Morde aufzuklären und Menschen vor Unheil zu bewahren, doch leiden seine physischen wie psychischen Kräfte darunter. Als er den Provinzpolitiker Greg Stillson (Martin Sheen) kennenlernt, erkennt Smith, dass Stillson als Präsident der Vereinigten Staaten den „Dritten Weltkrieg“ auslösen wird.
Musikalisch stand Howard Shore allerdings bei diesem Projekt außen vor – das Studio wollte ihn nicht. Dafür kam mit Michael Kamen jemand an Bord, der sich vor allem als Arrangeur für Supergruppen wie Pink Floyd, Queen und Aerosmith einen Namen machte, bevor er auch als Filmkomponist große Erfolge feiern durfte („Stirb langsam 1-3“, „Lethal Weapon 1-4“, „James Bond – Lizenz zum Töten“). Nach dem Treffen mit Produzentin Debra Hill, Regisseur David Cronenberg und dem legendären Dino De Laurentiis machte sich Kamen gleich an die Arbeit. „Ich flog zurück nach London, wo ich den kompletten Score in zehn Tagen schrieb, die ganze Nacht bei weit geöffnetem Fenster auf das Klavier einhämmerte. Sehr früh am Morgen klingelte eine zerstreut aussehende Nachbarin im Nachthemd an meiner Tür. Sie zitterte, als sie sagte: ‚Bitte, bitte hören Sie auf, Klavier zu spielen. Sie ängstigen mich und meine Familie zu Tode, wir haben Albträume gehabt, wir konnten nicht schlafen… Bitte hören Sie auf!‘ Da wusste ich, dass ich etwas richtig gemacht haben musste“, erinnert sich der 2003 plötzlich an einem Herzinfarkt verstorbene Komponist im Booklet zu „The Dead Zone“.
Mit „Die Fliege“, einem Remake des Horrorklassikers von Kurt Neumann aus dem Jahre 1958 mit Vincent Price in der Hauptrolle, drehte Cronenberg 1986 seinen letzten Horrorfilm, nachdem der Filmemacher von seinen Fans schon als „Baron of Blood“ oder „Dave Deprave“ („der verderbte Dave“) tituliert worden ist. Cronenbergs Version handelt von dem eigenbrödlerischen Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum), der sich von seiner neuen Freundin, der Journalistin Veronica (Geena Davis) seine Arbeit mit der von ihm entwickelten Telebox dokumentieren lässt. Zunächst nur dazu gedacht, Gegenstände von einer Box in die andere zu teleportieren, wagt Brundle den Selbstversuch.
Doch bei dem Experiment schlüpft auch eine Fliege in den Teleporter und sorgt so für einen nicht erwünschten Gen-Mix. Brundle weist nach dem Versuch zunehmend die körperlichen Merkmale einer Fliege auf und mutiert zu einem Monster.
1988 folgte mit „Die Unzertrennlichen“ ein Psychothriller, in der die beiden eineiigen Zwillinge Elliot und Beverly Mantle (Jeremy Irons in einer Doppelrolle) nicht nur ihren Erfolg als Gynäkologen, sondern auch ihre Frauenbekanntschaften teilen. Als sie ein Verhältnis mit der Schauspielerin Claire (Geneviève Bujold) beginnen, verliebt sich der sensible Beverly in sie, verfällt den Drogen und vernachlässigt die gemeinsame Praxis. Elliot will es ihm gleich tun, doch im Drogenrausch führt die Beziehung zwischen den Zwillingen zu einer bizarren Operation.
„Des Regisseurs Fatalismus von der Unausweichlichkeit des Todes, der er zumeist mit mutierten Körpergeschwüren Ausdruck gibt, wird in 'Dead Ringers' nicht etwa vom Body- zum inneren Horror transferiert, sondern trotz des Verzichts auf graphische Deformationen fortgesetzt. Tatsächlich bilden die Mantle-Brüder als mutiertes Genprodukt das bis dato komplexeste Geschwür, sie erscheinen als dessen äußerlich perfekte fleischliche Materialisierung. Der Wille des Geistes über den Körper ist längst nicht gebändigt, sondern fast eliminiert: Jetzt, da sich Biologie als Schicksal behauptet und den Geist als endgültig untrennbar vom Fleisch versteht, müssen 'The Brood' und 'Scanners' gestrig erscheinen. In 'Dead Ringers' finden Gedankenspiele von Seele und Geist über Körper und Fleisch nicht mehr statt: Die Biologie steuert den Menschen. Und befällt ihn mit Krankheiten oder führt zu seinem unaufhaltsamen Ende“, befindet Rajko Burchardt in einer auf filmzentrale.com veröffentlichten Rezension. 
Dieser Film beruht ebenso auf einer wahren Begebenheit wie „M. Butterfly“ (1993), Cronenbergs überraschend sanft inszenierte Adaption des gleichnamigen Bühnenstücks von David Henry Hwang. Als der französische Diplomat Rene Gallimard (Jeremy Irons) 1964 in China bei einer Aufführung von „Madame Butterfly“ der bezaubernden Sängerin Song Li verfällt, setzt er seine gesamte Existenz aufs Spiel, ahnt aber nicht, dass seine Angebetete eigentlich ein Mann ist und für die chinesischen Kommunisten spioniert.
„Das Unglück von Cronenbergs Film besteht darin, dass er alles, was ihn inspiriert hat, mitschleppen muss: den authentischen Fall, das Broadway Melodram, die Oper von Puccini, den Sensationsprozess und die Kulturrevolution. So verzettelt er sich, statt sich auf den Wahnsinn seiner Figuren einzulassen, in Kostümen, Zitaten und Dekors“, kritisiert Andreas Kilb in der Zeit. „Seit zwanzig Jahren dreht Cronenberg Filme, die von der Zerstörung und Verwandlung der Körper handeln, vom Irrsinn der Seelen, vom Aufstand der Gedanken gegen das Fleisch. Die Geschichte von Song Liling und Rene Gallimard schien für seine wilden Phantasien wie geschaffen. Vielleicht ist er gerade deshalb an ihr gescheitert: Statt sie aus ihrer exotischen Maskerade zu befreien, hat er sie bloß getreulich nachgestellt. So ging es ihm wie Bernard Boursicot, der auch nur sah, was er sehen wollte. Aber es war eine Illusion.“
Zuvor adaptierte Cronenberg 1991 William S. Burroughs Kultroman „Naked Lunch“, in der der Autor seine eigenen Drogenerfahrungen und sexuellen Phantasien verarbeitete. „Naked Lunch“ beschreibt die wahnwitzige Geschichte des erfolglosen Autors Bill Lee (Peter Weller), der sich als Kammerjäger durchschlägt und sich zusammen mit seiner Frau Joan Insektengift spritzt, um davon high zu werden. Doch bei ihrem traditionellen Wilhelm-Tell-Spiel erschießt Bill seine Frau und flüchtet sich an einen fiktiven Ort namens Interzone, wo eine riesige Kakerlake Bill zwingt, seine Erlebnisse niederzuschreiben. „‘Naked Lunch‘ zeigt Cronenberg in Reinform. Er entfesselt einen halluzinatorischen Mahlstrom, der jede Realität und sämtliche Bewußtseinzustände aufsaugt -ein Film als Horrortrip“, befindet Karl-Eugen Hagmann in seiner film-dienst-Rezension (zitiert auf Arthaus.de). „‘Naked Lunch‘ lässt sich durchaus als bitterböser Kommentar auf eine fehlgeleitete Welt deuten, die sich auf dem Regress zur Ursuppe befindet. Doch der Suche nach tieferen Bedeutungsebenen stehen Cronenbergs auf den direkten Effekt hin kalkulierte Ekelbilder im Wege. Primäres Ziel Cronenbergs ist die Verunsicherung des Publikums, das Aufbrechen von festen Strukturen jeder Art. Doch seine filmischen Mittel provozieren in erster Linie Abwehrmechanismen.“
Eine weitere Literaturverfilmung folgte 1996 mit “Crash”. J.G. Ballard thematisierte in seinem 1973 veröffentlichten Roman die Deformation der Psyche, die einer durch Deformation des Körpers folgt. Als der Werbefilmer J.G. Ballard (James Spader) durch einen Autounfall Dr. Helen Remington (Holly Hunter) kennenlernt, gerät er in den Sog von Vaughan (Elias Koteas), der tödliche Unfälle berühmter Filmstars nachstellt und seine Freundin (Rosanna Arquette) längst zu einem vernarbten Kunst-Werk verunstaltet hat, das nur noch durch Chrom und Leder zusammengehalten wird. „Der aufgrund seiner verstörenden Radikalität bis heute recht unpopuläre Cronenberg-Film nähert sich dem Thema Fetisch und Psychopathologie einerseits auf kompromisslos direkte Weise, in seiner detaillierten, einfühlsamen Figurenzeichnung bleibt der Film dennoch subtil und hintergründig. Das zentrale Motiv in Cronenbergs Schaffen der 80er- und 90er-Jahre, die Kollision von Technik und (menschlicher) Körperlichkeit, findet in 'Crash' die wohl ungewöhnlichste und erfrischendste Umsetzung im Schaffen des kanadischen Regisseurs“, fasst Sebastian Schwittay auf negativ-film.de zusammen.
Mit seinem 1999 veröffentlichten Film „eXistenZ“ präsentierte Cronenberg fast einen Nachfolger zu „Videodrome“, wo es auch schon um die durch die Medien geschaffene Irrealität ging. Diesmal geht es um die künstliche Realität, die in Spielen kreiert wird. Jennifer Jason Leigh mimt die Spiele-Erfinderin Allegra Geller, die im Namen ihres Auftraggebers zwölf ihrer Bewunderer in einer Kirche um sich versammelt, um ihr neues Spiel „eXistenZ“ auszuprobieren. Allerdings wird „eXiszenZ“ nicht über herkömmliche Konsolen gespielt, sondern der Spieler agiert selbst in einer sehr real wirkenden Welt, indem er durch eine organische Schnur und einem Bioport im Rückenmark mit dem Spielszenario verbunden wird. Doch Allegras Kritiker, die eine Versklavung der Spieler befürchten, setzen alles daran, die Ikone der Spiele-Branche zu töten.
„Bei weitem nicht so düster wie ‚Die Unzertrennlichen‘, so fatal wie ‚Videodrome‘ (James Woods als lebender Videorecorder), so psychedelisch umwabert wie ‚Naked Luch‘ (Peter Weller als Verlängerung seiner Schreibmaschine) oder so todessehnsüchtig und sexuell stimulierend wie ‚Crash‘ (die kühnste Fleisch-Metall-Legierung), wirkt ‚eXistenZ‘ über weite Strecken erfrischend komisch (Willem Dafoe, der Jude Law mit einem MG-Schlagbolzen stöpselt, bevor Leigh in ihrerseits penetrieren kann). Und trotz der letztendlich unauflösbaren Labyrinthik der Spielebenen bleibt der Film stets überschaubar, weil das Spiel selbst die Realität nachstellt. Die Hatz auf Leigh als Künstler ist aktuelles Beiprodukt (die Rushdie-‚Fatwa‘), die Musik zitiert Morricones Mundharmonika-Dissonanzen aus ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘, der Dialog ist gelöst, was diesen Cronenberg mitsamt all den anderen Qualitäten zu seinem möglicherweise größten Publikumserfolg führen könnte“, meint kino.de

Mit „Spider“ begab sich Cronenberg 2002 erneut in die abgründigen Labyrinthe der menschlichen Psyche. Der Film schildert die Rückkehr eines Mannes (Ralph Fiennes) in die Gesellschaft, nachdem er aus der psychiatrischen Anstalt entlassen worden ist. Er bezieht ein trostloses Kämmerchen in der Pension der resoluten Mrs. Wilkinson (Lynn Redgrave) und rekapituliert auf seinen einsamen Spaziergängen durch das verlassene Industriegebiet des Londoner East End seine Kindheit. Dabei erinnert er auch die Umstände, die zum Tod seiner Mutter (Miranda Richardson) führten.
„Der Film bietet eine Vielzahl existenzphilosophischer Betrachtungen, eine ödipal anmutende Grundproblematik und eine ganze Reihe von brillanten Metaphern (eine zerbrochene Fensterscheibe als spinnennetzförmiges Puzzle fasst beinahe den ganzen Film in nur einem Bild zusammen), die ‚Spider‘ vom reinen Unterhaltungskino weit entfernen. Statt dessen ist Cronenberg ein zur Reflektion einladendes Gesamtwerk mit Sogwirkung gelungen, das in der vermittelten Grundatmosphäre filmisch zwischen den trügerischen Welten eines David Lynch und dem paranoiden Wahn von Roman Polanskis ‚Der Mieter‘ (1976) oszilliert“, fasst Benjamin Hachmann auf filmszene.de zusammen.
Recht konventionell inszenierte Cronenberg seinen nächsten Film „A History Of Violence“ (2005), eine Gewaltorgie mit fast tarantinoscher Spaßnote. Tom Stall (Viggo Mortensen) lebt zusammen mit seiner Frau Edie (Maria Bello) und ihren beiden Kindern still und zurückgezogen in einer kleinen Stadt im Mittleren Westen. Er gerät jedoch überraschend ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, als er in einem Restaurant zwei Verbrecher ausschaltet und zum Helden erkoren wird. Das bekommen auch zwei Mafiosi mit, die Tom einen Besuch abstatten und eine offene Rechnung von früher begleichen wollen.
"Was Cronenbergs Film zu einem kleinen Meisterwerk erhebt, von einem bis in die Nebenrollen vorzüglich besetzten Ensemble einmal abgesehen, ist die Perfektion seiner Herstellung. Man kennt Cronenberg als den finsteren Fantasten von Mensch-Maschine-Verschmelzungen, seltsamen Obsessionen und klaffenden Körperöffnungen. Doch nun legt er in diesem scheinbaren Action-Picture eine so atemberaubende handwerkliche Präzision an den Tag, als hätte zeitlebens nichts anderes als kurze, schmutzige Genre-Filme hergestellt. Mit analytischer Kühle dekonstruiert er die Mittel, die das Gewaltkino entwickelt hat, um seinen Zuschauern Schauer kathartischer Befriedigung über den Rücken zu jagen“, urteilt Sebastian Handke in „Der Tagesspiegel“ vom 13.10.2005.
In „Tödliche Versprechen“ (2007) hat Cronenberg das Mafioso-Setting nach London verlegt, wo die Hebamme Anna (Naomi Watts) nach dem Tod einer Mutter bei der Geburt deren Identität feststellen möchte, als Hinweise aber nur ein russisches Tagebuch und ein Streichholzbriefchen mit der Adresse eines russischen Restaurants hat. Sie lernt den attraktiven Nikolai (Viggo Mortensen) kennen, der für den russischen Patriarchen und Besitzer des besagten Restaurants, Semyon (Armin Mueller-Stahl), arbeitet. Semyon bietet Anna zwar seine Hilfe ein, doch als sie erfährt, dass das Tagebuch die kriminellen Machenschaften Semyons und seines aufbrausenden Sohnes Kirill (Vincent Cassel) aufdeckt, schwebt sie in höchster Lebensgefahr.
"Der alpha-maskuline, undurchschaubare Viggo Mortensen und die elfenhafte Naomi Watts sind ein so unwahrscheinliches Paar, dass wohl nur ein Schreckensmeister wie Cronenberg darauf verfallen konnte. Die Idee der Familie ist das Zentrum von ‚Tödliche Versprechen‘, sie wird hinreißend variantenreich und intelligent präsentiert: als biologischer Bund, als ethnische Gruppe im Exil, als kriminelle Gemeinschaft, als ödipales Verhängnis oder auch als Wahlverwandtschaft; und immer hat so eine Familie ja auch Ärger mit ihren Außenseitern“, lautet das Fazit von Anke Westphal in der „Berliner Zeitung“ vom 27.12.07.
Mit seinem neuen Film „Eine dunkle Begierde“ setzt sich der kanadische Ausnahmeregisseur mit den Anfängen der Psychoanalyse auseinander und präsentiert seinen sicher konventionellsten Film. Im Mittelpunkt des klassischen Biopics stehen aber weniger die berühmten Vordenker Carl Jung und Sigmund Freud, sondern die unter hysterischen Anfällen leidende Patientin Sabrina Spielrein (Keira Knightley), die 1904 in Zürich in die Privatklinik von Professor Bleuler (André Hennicke) eingeliefert wird, wo Dr. Carl Jung (Michael Fassbender) damit beginnt, die intelligente junge Frau nach den Methoden seines Wiener Kollegen Professor Sigmund Freud (Viggo Mortensen) zu therapieren, nämlich in Gesprächen.
Innerhalb von zwei Jahren macht Jung mit seiner attraktiven Patientin nicht nur erhebliche Fortschritte, sondern hat die Psychologie-Studentin auch zu seiner Assistentin gemacht, der er auch sonst sehr zugeneigt ist. Bevor die Affäre jedoch an die Öffentlichkeit gelangt, beendet Jung sie, worauf sich Sabina bei Freud um eine Anstellung bewirbt …
Cronenbergs Sicht der Geschichte trübt kein Staubkorn, er dringt zu einer Art Essenz des Genres vor, arbeitet mit präzisen, verknappten Szenen, in denen das Verhältnis zwischen Forschung und Existenz, Arzt und Patient sowie Lehrer und Schüler in Bewegung gerät. Was man hier in großer Komplexität - und ohne Verzicht auf Dramatik - zu sehen bekommt, ist das faszinierende Bild einer Gruppe, die energisch neues Terrain beschritten hat, aber nicht alle Freiheiten des Geistes gleichermaßen zu leben verstand“, meint Dominik Kamalzadeh in derStandard.at
Seit 1979 arbeitet David Cronenberg fast ausschließlich mit dem Komponisten Howard Shore zusammen, einzig bei der Stephen-King-Verfilmung „The Dead Zone“ griff er auf Michael Kamen zurück. Der seit seiner Jugendzeit mit dem Filmemacher befreundete Shore hat die Zusammenarbeit mit Cronenberg einmal so beschrieben: „Wir haben viele Gemeinsamkeiten, was die Art und Weise betrifft, Filme zu machen. Wir wuchsen daran, gemeinsam Filme zu machen. Er ist brillant. Er war anderen immer Jahre voraus. Es ist eine große Herausforderung, mit David Cronenberg zu wachsen. Für mich als Komponist ist diese Beziehung eine großartige Sache. Es ist für mich immer wieder eine große Herausforderung, Stücke zu schreiben, die sich so dramatisch von den vorherigen unterscheiden.“
Der Soundtrack zur aktuellen Cronenberg/Shore-Kollaboration enthält nicht nur den sehr einfühlsamen Score von Howard Shore, sondern auch einen ausgiebigen Ausschnitt aus Richard Wagners „Siegfried Idyll“ mit dem kunstfertigen Piano-Spiel von Lang Lang.

Filmographie:
1966: Transfer (Kurzfilm)
1967: From the Drain (Kurzfilm)
1969: Stereo
1970: Crimes of the Future
1975: Parasiten-Mörder (Shivers)
1977: Rabid – Der brüllende Tod (Rabid)
1979: 10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich (Fast Company)
1979: Die Brut (The Brood)
1981: Scanners – Ihre Gedanken können töten (Scanners)
1983: Videodrome
1983: The Dead Zone
1986: Die Fliege (The Fly)
1988: Die Unzertrennlichen (Dead Ringers)
1991: Naked Lunch – Nackter Rausch (Naked Lunch)
1993: M. Butterfly
1996: Crash
1999: eXistenZ
2000: Camera (Kurzfilm)
2002: Spider
2005: A History of Violence
2007: At the Suicide of the Last Jew in the World in the Last Cinema in the World (Kurzfilm)
2007: Tödliche Versprechen – Eastern Promises (Eastern Promises)
2011: Eine dunkle Begierde (A Dangerous Method)

Playlist:
1 Howard Shore - Reflection (A Dangerous Method) - 05:56
2 Howard Shore - The Shape Of Rage (The Brood) - 03:00
3 Howard Shore - Pins And Needles (Videodrome) - 03:04
4 Howard Shore - Vale Captured (Scanners) - 04:07
5 Michael Kamen - Opening Titles (The Dead Zone) - 04:20
6 Howard Shore - Birthday Party (Dead Ringers) - 04:20
7 Howard Shore - The Last Visit (The Fly) - 02:22
8 Howard Shore - Fadela's Coven (Naked Lunch) - 03:31
9 Howard Shore - Concubine (M. Butterfly) - 04:10
10 Howard Shore - Mirror Image (Crash) - 03:24
11 Howard Shore - Gasworks (Spider) - 04:21
12 Howard Shore - The Road (A History Of Violence) - 03:08
13 Howard Shore - Tatiana (Eastern Promises) - 05:10

Playlist # 71 vom 06.11.11 (2) - NEUHEITEN 2011 (2)

In den letzten Wochen sind so viele interessante neue Soundtracks veröffentlicht worden, dass ich eine kleine, aber feine Auswahl davon in der zweiten Stunde der heutigen Sendung vorstellen möchte, darunter mal wieder etwas von Craig Armstrong und John Williams, aber auch von Danny Elfman, Lisa Gerrard, Christophe Beck und vielen anderen.

Den Anfang machen die Scores zu zwei TV-Produktionen, die nachdrücklich dokumentieren, dass die Zeiten längst vorbei sind, in denen fürs Fernsehen nur schnell produzierte Synthi-Scores komponiert werden.
Trevor Morris hat bereits hervorragende Arbeit für die Fernseh-Produktionen „The Tudors“ und „Die Säulen der Erde“ geleistet und so bereits den Grundstein für ein weiteres Highlight legen können, wie das mit dem Emmy ausgezeichnete, mit schönen Chor- und Gitarren-Klängen versehene Hauptthema zur Showtime-Serie „Die Borgias – Sex. Macht. Mord. Amen.“ eindrucksvoll unterstreicht und so die passende musikalische Untermalung für die Geschichte der berühmt-berüchtigten Familie rund um Rodrigo Borgia, besser bekannt als Papst Alexander VI, präsentiert.
Ramin Djawadi, der gerade mit seiner Arbeit zum „Fright Night“-Remake im Kino zu hören gewesen ist, hat sich durch seinen Score zu „Clash Of The Titans“ für die Fernsehserie „Game Of Thrones“ empfohlen und einen äußerst vitalen Score kreiert, der mittelalterliche Klänge mit modernen Instrumenten und choralen Gesängen verbindet.
Die sind bekanntermaßen auch ein charakteristisches Merkmal von Craig Armstrong, der nach seiner Arbeit mit Pop-Ikonen wie Madonna, Pet Shop Boys und Massive Attack durch seinen Score zu „Romeo & Juliet“ über Nacht zu einem Star in der Filmmusikszene avancierte und vor allem von Regisseur Oliver Stone („World Trade Center“, „Wall Street 2“) sehr geschätzt wird. Für den Justin-Timberlake-Thriller „In Time“ komponierte der Brite einen für seine Verhältnisse ungewöhnlich rhythmischen Action-Score, der aber auch immer wieder Raum für entspannende Momente lässt.
In Sachen Action-Komödien ist Christophe Beck ein vielgefragter, versierter Mann. Zuletzt hat er Filme wie „R.E.D.“, „Stichtag“ und „Hangover 2“ vertont und für Brett Ratners „Aushilfsgangster“ ("Tower Heist“) eine Musik komponiert, die das Feeling von Scores aus den 70ern wie zu „The Taking Of Pelham 123“, „The Hot Rock“ und „The Anderson Tapes“ auf originelle Weise in die heutige Zeit transformierte.
Danny Elfman, der mit besagtem Brett Ratner an „Roter Drache“ und „Family Man“ zusammenarbeitete, darf sein einzigartiges Talent, das vor allem sein Freund Tim Burton immer wieder zu Höchstleistungen herausfordert, in dem Action-Drama „Real Steel“ erneut unter Beweis stellen. Zwar zählt der Score zu dem Film, in dem Hugh Jackman einen ehemaligen Profi-Boxer spielt, der einem ausrangierten Roboter das Boxen beizubringen versucht, nicht zu Elfmans stärksten Arbeiten, aber seine charakteristischen Klangwelten sind auch hier deutlich wahrzunehmen.
Das gilt auch für die lang erwartete neue Zusammenarbeit von Regiemeister Steven Spielberg und seinem langjährigen Weggefährten John Williams. Für die neue Leinwandadaption der legendären „Tim & Struppi“-Comics von Hergé unter dem Titel „Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der ‚Einhorn‘“ hat Williams wieder einen großartigen, abwechslungsreichen, bewegenden Score komponiert.
„Betrachtet man die Anzahl der Action-Filme, die er musikalisch untermalt hat – von ‚Star Wars‘ über ‚Indiana Jones‘ bis zu ‚Tintin‘ – lässt sich mit Sicherheit sagen, dass, wenn Abenteuer einen Namen hat, dass muss es John Williams sein“, bekundet Steven Spielberg im Booklet zum „Tintin“-Soundtrack. „Als ich das erste Mal den ‚Tintin‘-Score hörte, hatte ich das Gefühl, dass John seit ‚Jaws‘ und ‚Star Wars‘ kaum gealtert ist. Diese neue Musik besitzt die gleiche Energie und Fülle, und sie ist so verwickelt in die Story, Figuren und Bilder verwoben, dass ich mich wieder wie ein Jüngling fühle.“ 
Im nächsten Jahr soll übrigens die von Peter Jackson inszenierte Fortsetzung in die Kinos kommen... Dario Marianelli hat sich mit seinen Scores zu Literaturverfilmungen wie „Abbitte“, „Stolz und Vorurteil“ oder zuletzt „Eat Pray Love“ einen Namen in der Filmmusikszene machen können. Für die neue Adaption von Charlotte Brontës viktorianischen Klassiker „Jane Eyre“ war der Komponist also wie prädestiniert.
„Von den vielen Freuden, die ich erlebte, während ich die musikalische Sprache herauszufinden suchte, die Jane auf ihrem Pfad begleiten könnte, war keine größer als den Violinisten Jack Liebeck zu treffen: sein leidenschaftliches, vollherziges, üppiges Spiel wurde die innere Stimme für Janes wahres Selbst“, beschreibt Marianelli seine Zusammenarbeit mit dem virtuosen Solisten an dem wundervoll lyrischen Score.
Die australische Künstlerin Lisa Gerrard hat seit ihrem Durchbruch in der Filmmusikszene mit der Zusammenarbeit mit Hans Zimmer an „Gladiator“ immer wieder mit anderen Musikern kollaboriert, wie mit Pieter Bourke an „Ali“ und „The Insider“, mit Jeff Rona an „A Thousand Roads“ oder mit Cye Wood an „The Trail of Gegnghis Khan“. Für ihre beiden jüngsten Soundtracks hat die Dead-Can-Dance-Sängerin und –Komponistin mit Marcello De Francisci sehr unterschiedliche Werke komponiert. Während „In/Sight“ eher in der klassischen Psycho-Thriller-Tradition steht und einen neuen Aspekt in Gerrards Schaffen darstellt, wirkt die Musik zum Drama „Oranges and Sunshine“ zugänglicher. Gerrards kongenialer Dead-Can-Dance-Partner Brendan Perry hat seit der Auflösung der Band, die nur noch live zusammen auftritt, zwar keine Soundtracks veröffentlicht, aber zwei eindrucksvolle Solo-Alben. Wie genial dieser Mann Musik zu schreiben versteht, demonstriert das Anfang 2010 veröffentlichte Album „Ark“ von den ersten Klängen bis zum elegischen Schlussstück „Crescent“ ohne Unterbrechung. Sozusagen als Bonus zu Lisa Gerrards Beiträgen spiele ich das hymnische „Wintersun“.
Zwei neue Werke gibt es auch vom ehemaligen Red-Hot-Chili-Peppers-Drummer Cliff Martinez, der einmal mehr einen neuen Steven-Soderbergh-Film musikalisch veredelt hat. „Contagion“ bietet ebenso wie der Score zu „Drive“ die typischen Ambient-Soundscapes mit leicht rhythmischen Elementen. Und auch von Thomas Newman, um den es seit den 2008 produzierten Blockbustern „Zeiten des Aufruhrs“ und Disneys „Wall-E“ etwas ruhiger geworden ist, gibt es gleich zwei neue Werke zu hören. Während die Musik zu dem Thriller-Drama „Eine offene Rechnung“ ("The Debt") leider für Newman-Verhältnisse etwas unspektakulär ausgefallen ist, präsentiert er sich bei „The Help“ einmal mehr in bestechender Bestform. Die Verfilmung von Kathryn Stocketts Bestseller über Freundschaft, Courage und Ausgrenzung in den Südstaaten der 60er Jahre hat Newman mit einem bemerkenswerten, eindringlichen Score versehen, der allerlei ungewöhnliche Instrumente wie Ukulele, Dulcimer, Zither, Cavaquinho, Dulcigurdy oder Cristal Baschet in die zurückhaltenden Orchesterarrangements einbettet.

Playlist: 
1 Trevor Morris - The Borgias Main Title (The Borgias) - 01:34
2 Ramin Djawadi - Love In The Eyes (Game Of Thrones) - 04:00
3 Craig Armstrong - In Time Choral Theme (In Time) - 03:20
4 Christophe Beck - Theme From Tower Heist (Tower Heist) - 03:30
5 Danny Elfman - You Deserve Better (Real Steel) - 04:03
6 John Williams - Marlinspike Hall (The Adventures Of TinTin: The Secret Of The Unicorn) - 04:00
7 Dario Marianelli - Wandering Jane (Jane Eyre) - 03:01
8 Lisa Gerrard & Marcello De Francisci - Insight (In/Sight) - 03:34
9 Lisa Gerrard & Marcello De Francisci - Let The Rest Go (Oranges and Sunshine) - 04:52
10 Brendan Perry - Wintersun (Ark) - 06:03
11 Cliff Martinez - They're Calling My Flight (Contagion) - 03:02
12 Cliff Martinez - Where's The Deluxe Version? (Drive) - 05:32
13 Thomas Newman - One More Parcel (The Debt) - 03:23
14 Thomas Newman - Ain't You Tired (End Title) (The Help) - 06:29

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Playlist # 70 vom 23.10.11 - PETER GABRIEL Special

Er war die treibende Kraft hinter der Supergruppe Genesis, die in den 70ern neben Yes, King Crimson und Emerson, Lake & Palmer zu den bedeutendsten Vertretern des Progressive Rock zählten. Doch Frontmann Peter Gabriel, der Genesis 1967 mit seinen Schulfreunden Tony Banks, Mike Rutherford, Anthony Phillips und Chris Stewart gründete, war 1975 so von dem Rock-Zirkus genervt, dass er nicht nur die Band verließ, sondern auch Zweifel äußerte, ob er je wieder Rock-Musik machen würde.

Als er sich zwei Jahre später mit dem schlicht „1“ betitelten Solo-Album auf der Musikbühne zurückmeldete, war zwar von den Extravaganzen, die Genesis auszeichneten, nichts mehr übrig, doch Produzent Bob Ezrin (Kiss, Alice Cooper, Lou Reed) sorgte für einen bombastischen Sound, der nur bei dem Hit „Solsbury Hill“ zur Ruhe kam.
Für sein 1978 erschienenes Album „2“ holte sich Gabriel mit Robert Fripp einen experimentierfreudigen, stark improvisierenden Produzenten ins Boot. Doch erst mit „3“ (1980) schien Peter Gabriel seinen Stil gefunden zu haben. Zusammen mit Produzent Steve Lillywhite (Siouxsie & The Banshees, XTC) und Freunden wie Robert Fripp und Phil Collins bedeutete der Einsatz eines Fairlight-Sample-Keyboards neue Möglichkeiten der Klangerzeugung und –manipulation. So sind bei dem hymnischen „Biko“ Samples von afrikanischen Trommeln und Gesängen zu hören, die zugleich Peter Gabriels Hinwendung zu außereuropäischen Musiktraditionen markieren. Außerdem enthielt das Album die Hit-Single „Games Without Frontiers“, an die Gabriel 1982 mit „Shock The Monkey“ vom vierten Album nahtlos anknüpfen konnte.
Die ethnischen Einflüsse waren zudem noch stärker ausgeprägt und gipfelten in Gabriels Engagement für das 1982 ausgerichtete WOMAD-Festival (World of Music and Dance), bei dem Künstler aus Pakistan, Burundi und Indonesien auftraten. Zwar erwies sich das erste Festival als finanzieller Flop, doch nach einem Benefiz-Konzert mit Genesis konnte das WOMAD-Konzept für die Zukunft gerettet werden.
Seine Filmmusikkarriere begann Peter Gabriel zunächst mit einzelnen Songs für Kinofilme, mit „Out Out“ für Joe Dantes Horror-Spaß „Gremlins“, „Walk Through The Fire“ für Taylor Hackfords „Against All Odds“ und „I Go Swimming“ für Larry Peerces Rick-Springfield-Vehikel „Hard To Hold“ (alle 1984). Ein Jahr später produzierte Gabriel für Alan Parkers Film „Birdy“ seinen ersten instrumentalen Soundtrack, wobei er mit Produzent Daniel Lanois auch Fragmente von Songs wie „Family Snapshot“, „Wallflower“, „Rhythm Of The Heat“ und „San Jacinto“ verwendete.
Bevor er aber mit „Passion“ den grandiosen Soundtrack zu Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ (1989) vorlegte, startete Peter Gabriel 1986 mit seinem fünften Studioalbum „So“ voll durch. Das brillant von Daniel Lanois produzierte Werk enthielt nicht nur den weltweiten Superhit „Sledgehammer“, dessen visuell einfallsreich-innovatives Video neue Maßstäbe in der Videoclip-Kultur setzte, sondern auch das fröhlich-forsche „Big Time“, das Kate-Bush-Duett „Don’t Give Up“, das eindringliche „Red Rain“ sowie die Songs „In Your Eyes“ und „We Do What We’re Told“, die in Cameron Crowes „Say Anything“ (1986) bzw. Michael Rymers „Angel Baby“ (1996) Verwendung fanden.
Martin Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi“ spaltete mit seiner freizügigen Darstellung des Lebens und Leidens von Jesus Christus Kritiker und Publikum, doch der überwiegend instrumentale Score von Peter Gabriel avancierte 1989 zu einem Meilenstein des World Music Genres, das Gabriel durch die Organisation des WOMAD-Festivals überhaupt erst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. So wirkten bei dem „Passion“ betitelten Soundtrack Künstler wie Youssou N’Dour oder Nusrat Fateh Ali Khan mit, die über WOMAD und Gabriels Real World Label auch in der westlichen Hemisphäre bekannt geworden sind.
Zwar wurde das Album von der Tradition orientalischer und arabischer Klänge inspiriert, doch ließ Gabriel auch seine kompositorischen Fähigkeiten und sein Faible für moderne Technologien in die Produktion einfließen.
„Ich war sehr gespannt, als ich gefragt wurde, an der Musik zu dem Film zu arbeiten. Als ich erstmals das Projekt mit Martin Scorsese im Jahre 1983 diskutierte, wollte ich herausfinden, wie er diese kontroverse Geschichte verfilmen wollte. Er plante, den Widerstreit zwischen der Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu Christi auf kraftvolle und originelle Weise zu präsentieren, und ich war von seinem Engagement für den spirituellen Inhalt und der Aussage überzeugt“, erinnert sich Peter Gabriel im Booklet zur CD-Veröffentlichung von „Passion“. „Wir haben einige der besten Sänger und Solisten auf dem Feld der Weltmusik aufgenommen und den Score vor dem Hintergrund traditioneller nordafrikanischer Rhythmen und Sounds angelegt. Es war wundervoll, mit solch unterschiedlichen und einzigartigen Musikern zusammenzuarbeiten. Sie kamen aus Pakistan, Türkei, Indien, Elfenbeinküste, Bahrain, Ägypten, Neu-Guinea, Marokko, Senegal und Ghana. Für viele von ihnen war es eine ziemlich neue Erfahrung, an diesem Material mitzuwirken, und sie waren sehr enthusiastisch.“
Die auf „Passion“ realisierte Verschmelzung verschiedener Musiktraditionen quer durch Zeit und Raum prägten auch die späteren Alben von Peter Gabriel, der sich aber zunächst vor allem um sein Label Real World kümmerte und sich für verschiedene humanitäre Unternehmungen wie Amnesty International und absolvierte Benefiz-Touren mit Sting, Bruce Springsteen u.a. (Conspiracy of Hope, 1986, Human Rights Now, 1988) engagierte. Mit dem düsteren Album „Us“ meldete sich Peter Gabriel schließlich 1992 zurück und produzierte mit „Xplora“ (1994) und „Eve“ (1997) innovative CD-ROMs. Gabriel wurde beauftragt, in London die Millenniumsfeier zu konzipieren, die mit einer Vielzahl namhafter Künstler wie Neneh Cherry und Elizabeth Fraser über die Bühne ging und auf dem 2000 veröffentlichten Album „Ovo“ ihren Niederschlag fand.
Im Jahre 2002 erschien nicht nur Gabriels nächstes Album „Up“, sondern auch sein bis dato letzter Soundtrack zu dem australischen Drama „Rabbit Proof Fence“. Im Jahre 2008 veröffentlichte Peter Gabriel das neue Album „Big Blue Ball“, dessen Startschuss bereits 1991 fiel und an dem in dessen Folge unter der Regie des Produzenten-Trios Peter Gabriel, Karl Wallinger (World Party, Waterboys) und Stephan Hague (Pet Shop Boys, OMD) insgesamt 75 Musiker aus über 20 Ländern beteiligt waren, neben Gabriel und Wallinger u.a. Sinead O'Connor, Natacha Atlas, Papa Wemba, Joseph Arthur, Hukwe Zawose, Justin Adams, Jah Wobble, Billy Cobham und The Holmes Brothers.
Zwei Jahre später erschien mit „Scratch My Back“ ein Album, auf dem Peter Gabriel die Kompositionen von einem Dutzend anderer Bands und Künstler neu interpretiert und inszeniert hat, Songs, die für den Künstler zu den großen Errungenschaften perfekten Songwritings zählen, darunter Klassiker wie David Bowies „Heroes“, Radioheads „Street Spirit“, außerdem Lou Reed („The Power Of The Heart“), Talking Heads („Listening Wind“), Neil Young („Philadelphia“) und Randy Newmans „I Think It’s Going To Rain Today“, aber auch Kompositionen von jüngeren Künstlern und Bands wie Arcade Fire („My Body Is A Cage“), Regina Spektor („Apres moi“) und Bon Iver („Flume“).
Im Gegenzug werden diese Künstler einen Song aus dem umfangreichen Schaffen von Peter Gabriel neu interpretieren und ihre Resultate auf einem Folgealbum namens „I’ll Scratch Yours“ vereinen. Peter Gabriel hat sich dabei für eine rein orchestrale musikalische Untermalung ohne Gitarren und Schlagzeug entschieden, was er auf dem aktuellen Album „New Blood“ fortgesetzt hat. Dieses Mal jedoch covert Gabriel nicht Kollegen wie Paul Simon oder David Bowie, sondern seine eigenen Klassiker wie „The Rhythm Of The Heat“, „San Jacinto“, „Don’t Give Up“ oder „Solsbury Hill“.
Zu den zahlreichen Auszeichnungen, mit denen das Schaffen und die immensen politisch-humanitären Engagements von Peter Gabriel gewürdigt wurden, gehören der von Friedensnobelpreisträgern verliehene „Man of Peace Award“, der „Chevalier dans l’Ordre des Arts et des Lettres“, der „Quadriga Award“ und der „BT Digital Music Pioneer Award“. 2008 wurde Gabriel auf der MIDEM zur Persönlichkeit des Jahres gekürt. Zu seinen bislang sechs Grammy Awards, darunter auch für das legendäre Video zu „Sledgehammer“, das als einer der besten Clips aller Zeiten zählt, kam zuletzt der Grammy für den oscarnominierten Song „Down To Earth“ aus dem Pixar-Film „Wall-E“ hinzu.
Weitere Highlights unter den Soundtrack-Beiträgen, die Gabriel produziert hat, sind "Lovetown" aus dem Film "Philadelphia", "Taboo" aus Oliver Stones "Natural Born Killers", "I Grieve" aus "City Of Angels" und das mit Deep Forest eingespielte "While The Earth Sleeps" aus "Strange Days".

Diskographie:
1977 - I (Car)
1978 - II (Scratch)
1980 - III (Melt)
1982 - IV (Security)
1983 - Peter Gabriel Plays Live
1985 - Birdy
1986 - So
1989 - Passion: Music for The Last Temptation of Christ
1990 - Shaking The Tree (Compilation)
1992 - Us
2000 - Ovo : The Millennium Show
2002 - Long Walk Home. Music From The Rabbit-Proof Fence
2002 - Up
2003 - Hit (Compilation)
2008 - Big Blue Ball
2010 - Scratch My Back
2011 - New Blood

Playlist:
1 Peter Gabriel - The Heat (OST Birdy) - 04:47
2 Peter Gabriel - Walk Through The Fire (OST Against All Odds) - 04:00
3 Peter Gabriel - In Your Eyes (OST Say Anything) - 05:23
4 Peter Gabriel - Partyman (OST Virtuosity) - 05:39
5 Peter Gabriel - We Do What We're Told (OST Angel Baby) - 03:18
6 Peter Gabriel & Deep Forest - While The Eearth Sleeps (OST Strange Days) - 03:51
7 Peter Gabriel - Here Comes The Flood (OST Felicity) - 04:33
8 Peter Gabriel - Lovetown (OST Philadelphia) - 05:27
9 Peter Gabriel - Animal Nation (OST The Wild Thornberrys Movie) - 07:20
10 Peter Gabriel - Signal To Noise (OST Gangs Of New York) - 07:39
11 Peter Gabriel - The Book Of Love (OST Shall We Dance?) - 03:36
12 Peter Gabriel - Low Light (OVO) - 06:37
13 Peter Gabriel - The Tower That Ate People (OST Red Planet) - 04:05
14 Peter Gabriel - The Time Of The Turning (OVO) - 05:06
15 Peter Gabriel - Taboo (OST Natural Born Killers) - 04:22
16 Peter Gabriel & Thomas Newman - Down To Earth (OST Wall-E) - 05:56
17 Peter Gabriel - The Feeling Begins (OST The Last Temptation Of Christ) - 04:00
18 Peter Gabriel - Jigalong (OST Rabbit-Proof Fence) - 04:03
19 Peter Gabriel - Of These, Hope (OST The Last Temptation Of Christ) - 03:55
20 Peter Gabriel - Cloudless (OST Rabbit-Proof Fence) - 04:49
21 Peter Gabriel - Don't Give Up (New Blood) - 05:12
22 Peter Gabriel - I Grieve (OST City Of Angels) - 08:11

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Playlist # 69 vom 09.10.11 - GUS VAN SANT Special

„Restless“ – der Name des neuen Gus-Van-Sant-Films, der am 13. Oktober startet, ist Programm, denn der eigenwillige Autor und Regisseur ist ein echtes Multitalent. Der am 24. Juli 1952 in Louisville, Kentucky, geborene Filmemacher wuchs in einer bürgerlich-christlichen Familie auf, die vor allem seine Begeisterung für die Malerei unterstützte. Nach seinem Abschluss an der Rhode Island School of Design hielt er sich zunächst mit Assistentenjobs und als Cutter über Wasser, dann verfilmte er 1982 die William-S.-Burroughs-Erzählung „The Discipline of D. E.“, die in einer Freundschaft mit dem bekannten Beat-Poeten mündete.

Sein erster Spielfilm „Alice in Hollywood“ blieb zwar unveröffentlicht, doch nach seinem Umzug von Portland nach Oregon realisierte er 1985 sein selbstfinanziertes Spielfilmdebüt „Mala Noche“. Van Sant schrieb nicht nur Drehbücher und drehte Musikvideos für Künstler wie David Bowie, Elton John und die Red Hot Chili Peppers, sondern betätigte sich auch immer wieder als Fotograf, Maler, Musiker und sogar Schriftsteller.
In seinen ersten Filmen widmete sich Van Sant vor allem Außenseitern in schwierigen Milieus. Während in „Mala Noche“ die unerwiderte Liebe eines Amerikaners zu einem mexikanischen Einwanderer thematisiert wird, sucht Matt Dillon in „Drugstore Cowboy“ (1989) sein Glück im Drogenrausch. Mit „My Private Idaho“ realisierte der Filmemacher 1991 erstmals sein eigenes Drehbuch, in dem die Freundschaft zwischen zwei Strichern (River Phoenix und Keanu Reeves) auf eine harte Probe gestellt wird.
Ähnlich ergeht es einem Cowgirl (Rain Phoenix) mit der Tramperin Sissy (Uma Thurman) in „Even Cowgirls Get The Blues“ (1993). Nach den beiden Indie-Erfolgen „Drugstore Cowboy“ und „My Private Idaho“ wurden auch die Major-Studios auf Gus Van Sant aufmerksam.
In „To Die For“ (1995) geht die Wetterfee Suzanne Stone (Nicole Kidman) für ihre Karriere auch über Leichen und überredet drei Teenager, ihren Ehemann zu beseitigen. Thematisch ähnlich sind auch Van Sants Meisterwerk „Good Will Hunting“ (1997) und „Forrester – Gefunden!“ (2000) ausgelegt, wenn es um die Suche nach Anerkennung, Liebe und Auflösung psychischer Blockaden geht.
„In Van Sants Œuvre wollen alle Helden den Sinn ihres Daseins erschließen. Bei ihrer fortwährenden Lebensreise, die einem Abenteuer der Selbstfindung gleichkommt, erfahren sie Wandlungsprozesse, die aber nur bei wenigen Protagonisten zu innerer Reife führen. Das Leiden an einer Welt, die den Wünschen und dem Streben des Menschen indifferent gegenüberzustehen scheint, erweist sich in Gus Van Sants Werk als Konstante. Dabei verleiht der Regisseur selbst den unscheinbarsten Figuren Würde, indem er ihren existentiellen Kampf um Identität und Befreiung betont und als Wunsch nach Erlösung ernst nimmt“, resümiert Manuel Koch in „Filmregisseure“ (Reclam, 3. Auflage, 2008, S. 778). 
Mit „Psycho“ lieferte Van Sant 1997 nicht nur ein Remake des Hitchcock-Klassikers aus dem Jahre 1960, sondern nahezu eine originalgetreue Kopie, die noch deutlicher beim Soundtrack deutlich wird, da Danny Elfman den originalen Score von Bernard Herrmann Note für Note übernommen hat. Nach diesen Major-Produktionen kehrte Van Sant mit der sogenannten „Todes-Trilogie“ wieder seinen Wurzeln zurück. 
„Gerry“ (2001), „Elephant“ (2002) und „Last Days“ (2005) variieren Fragen über Leben und Tod. In „Gerry“ wandeln zwei Freunde orientierungslos bis zum erschütternden in der Wüste herum, „Elephant“ arbeitet auf fast dokumentarische Weise das Highschool-Massaker von Colombine auf, und „Last Days“ thematisiert die letzten Tage eines an Kurt Cobain angelehnten Rockstars.

„Inhaltlich rührt der homosexuelle Filmemacher Gus Van Sant immer wieder an Tabuthemen wie Tod und Sexualität, die er mit Unbefangenheit behandelt. Durch seine Beschreibung ambivalenter Figuren und Milieus verweigert er sich einer formelhaften Vereinfachung menschlichen Daseins. Formal erweist sich Gus Van Sant als Bildpoet: Er betont die Allgegenwart von Schönheit in der Welt durch Stilisierung seiner Filmbilder, die einem Gemälde gleich die Beseeltheit aller Dinge hervorkehren sollen.“ (ebd., S. 779) 
In „Paranoid Park“ findet der stille Alex als leidenschaftlicher Skater seinen Lebensmittelpunkt im Paranoid Park in Portland. Um den Kitzel zu steigern, springt er auch mal auf Frachtzüge auf, doch kommt durch seine Schuld bei einem dieser Ausflüge ein Sicherheitsbeamter ums Leben.
Van Sant geht es weder um eine herkömmliche Psychologisierung Heranwachsender, noch interessieren ihn die Kategorien konventioneller Jugenddramen. So fällt der Film auch kein Urteil über Alex, sondern bewahrt eine respektvolle, aber nie kühle Distanz zu seinem Protagonisten und den anderen, ebenfalls von Laien verkörperten Teenagern. Im Gegensatz zur berückenden Klarheit, mit der Wong-Kar-Weis Hauskameramann Christopher Doyle die Jugendlichen porträtiert, bleiben die Erwachsenen mitsamt ihrer zweifelhaften Moral im wahrsten Sinne gesichtslos und außerhalb des Fokus“, meint David Kleingers in Der Spiegel.
Mit seinem Biopic „Milk“ schuf Van Sant ein Jahr später dem 1978 ermordeten US-Politiker Harvey Milk ein Oscar®-prämiertes Denkmal, war Milk doch der erste Homosexuelle, der in ein wichtiges Polit-Amt gewählt und zu einem wichtigen Aushängeschild für die Schwulenbewegung wurde.
„Mit seiner filmischen Biografie des ersten offen homosexuellen Stadtrats von San Francisco erzählt Gus Van Sant zumindest in Teilen eine Erfolgsgeschichte. Mag die Schwulenbewegung auch noch lange nicht in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft angekommen sein, so hat sie doch Hollywood für sich gewonnen. In seiner Machart gleicht 'Milk' den filmischen Denkmälern aufs Haar, mit denen die Traumfabrik traditionell verdiente Helden ehrt. Die Inszenierung steht ganz im Dienst der Sache: Lediglich den Tod seines Helden stilisiert Van Sant zur großen Oper, ansonsten bleibt er auf dem Boden der erzählerischen Konvention. Dabei unterscheidet sich 'Milk' thematisch gar nicht so sehr von seinen letzten Filmen: Wie in 'Elephant' oder 'Last Days' erzählt er die Geschichte eines angekündigten Todes, nur dass dieses Mal der Glauben an die Heilkräfte des klassischen Erzählkinos schwerer wiegt als die Lust am formalen Experiment“, urteilt Michael Kohler in der Frankfurter Rundschau.
Die Liebe und der Tod stehen auch im Zentrum seines neuen Films „Restless“, der am 13. Oktober in den deutschen Kinos startet. Ein todessehnsüchtiger Teenie verliebt sich auf einer der Beerdigungen, die er regelmäßig besucht, in ein todkrankes Mädchen. "Aus dem, was man für ein sentimentales Konstrukt halten könnte, entspinnt Gus Van Sant eine tragikomische Romanze mit klugen Dialogen und - wie stets bei ihm - höchst einfühlsamer Filmmusik: Danny Elfman komponierte mit seltener Zurückhaltung und überlässt die entscheidenden Momente dann doch der Plattensammlung des Regisseurs. Das letzte Wort gehört Nico von The Velvet Underground“, findet Daniel Kothenschulte in der Berliner Zeitung (zitiert auf Film-Zeit).
Gus Van Sant ist aber auch selbst als Musiker aktiv, hat mit „Gus Van Sant“ (1985) und „18 Songs About Golf“ (1997) bereits zwei Alben veröffentlicht.

Filmographie: 
1985: Mala Noche
1989: Drugstore Cowboy
1991: My Private Idaho (My Own Private Idaho)
1993: Even Cowgirls Get the Blues
1995: To Die For
1997: Good Will Hunting
1998: Psycho
2000: Forrester – Gefunden! (Finding Forrester)
2002: Gerry
2003: Elephant
2005: Last Days
2006: Le Marais (in Paris, je t’aime)
2007: Paranoid Park
2008: Milk
2011: Restless
2011: Portlandia (Fernsehserie)

Playlist:
1 Elliot Goldenthal - Bob's New Life (Drugstore Cowboy) - 02:48
2 Aleka's Attic - Too Many Colours (My Own Private Idaho) - 05:52
3 Lynyrd Skynyrd - Sweet Home Alabama (To Die For) - 03:37
4 The Pogues - The Old Main Drag (My Own Private Idaho) - 03:23
5 Strawpeople - Wings Of Desire (To Die For) - 04:48
6 Jeb Loy Nichols - As The Rain (Good Will Hunting) - 04:51
7 Danny Elfman - Main Titles (Good Will Hunting) - 03:36
8 Lusciuos Jackson - Why Do I Lie? (Good Will Hunting) - 03:37
9 Bernard Herrmann - The Rainstorm (Psycho) - 03:18
10 Danny Elfman - Main Titles (To Die For) - 04:09
11 Bernard Herrmann - The Peephole (Psycho) - 03:10
12 Miles Davis - Black Satin (Finding Forrester) - 05:15
13 Gerry Rafferty - Baker Street (Good Will Hunting) - 04:07
14 Bill Frisell, Ron Miles, Curtis Fowlkes & Eyvind Kang - Coffaro's Theme (Finding Forrester) - 04:26
15 Elliott Smith - Miss Misery (Good Will Hunting) - 03:11
16 Danny Elfman - Finale (To Die For) - 03:47
17 Danny Elfman - Weepy Donuts (Good Will Hunting) - 03:49
18 Ethan Rose - Song One (Paranoid Park) - 04:05
19 Miles Davis - In A Silent Way (DJ Cam Remix) (Finding Forrester) - 05:04
20 Pagoda - Death To Birth (The Last Days) - 04:38
21 Menomena - Strongest Man In The World (Paranoid Park) - 05:38
22 Sylvester - You Make Me Feel (Milk) - 06:34
23 Velvet Underground - Venus In Furs (The Last Days) - 05:12
24 Danny Elfman - Main Titles (Milk) - 03:06
25 Danny Elfman - Will's Reflection (Good Will Hunting) - 03:59
26 Danny Elfman - Give 'em Hope (Milk) - 04:42

Freitag, 23. September 2011

Playlist # 68 vom 25.09.11 (1) - ROLFE KENT Special

Mit dem 2006 für die erfolgreiche TV-Serie “Dexter” komponierten Hauptthema hat sich der in England geborene und in Los Angeles lebende Rolfe Kent schlagartig einen Namen in der Filmmusikwelt machen können. Vor allem im Komödienfach ist der junge Komponist ein gefragter Mann, wie aktuell der neue Jim-Carrey-Film „Mr. Poppers Pinguine“ untermauert.

Zwar war Kent schon im zarten Alter von zwölf Jahren bestrebt, eine Karriere als Filmkomponist einzuschlagen, doch sträubte er sich, eine formale Ausbildung zu absolvieren. Stattdessen studierte er Theologie und Psychologie an der Universität von Leeds, wo er auch einer Band beitrat, und begann damit, für Bühnenstücke auf Festivals zu komponieren. Nach Arbeiten für britische Fernsehserien und amerikanische Kurzfilme lernte er den Regisseur Alexander Payne kennen, mit dem er schließlich Filme wie “Citizen Ruth” (1996), “Election” (1999), “About Schmidt” (2002) und “Sideways“ (2004) realisierte.
Mittlerweile umfasst seine Filmographie über vierzig Filme, vom kleinen Independent-Film bis zu Blockbustern wie die George-Clooney-Filme „Up In The Air“ und „Männer, die auf Ziegen starren“ oder „Freaky Friday“. Unter den vielen Auszeichnungen, die Kent bislang für seine Arbeit einheimsen durfte, befindet sich zwar noch kein Academy Award, aber immerhin ein Satellite Award from the International Press Academy für „Up In The Air“, verschiedene BMI Film Music Awards (u.a. für „Sideways“, „Legally Blonde“ und „Legally Blonde 2“) sowie eine Emmy-Nominierung für den „Dexter“-Main Title.
„Rolfe ist der einzige Komponist heutzutage, den ich kenne, der exakt das tut, was er tut, nämlich außergewöhnlich subtile Komödien. Es gibt etliche Komponisten, die Dramen machen, viele heben sich durch gute Orchestrationen hervor, manche komponieren merkwürdige Musik und andere weite und romantische Komödien-Musik, aber zwischen der Arbeit mit mir, Alexander Payne und ein paar anderen hat Rolfe sein eigenes Genre definiert – subtile Komödie, die dem Publikum nicht vorschreibt, was es denken soll. Jerry Goldsmith konnte das mit einem 100-köpfigen Orchester. Rolfes Genie besteht darin, es mit zwei Instrumenten zu schaffen“, fasst „Up In The Air“-Regisseur Jason Reitman die Qualitäten des Komponisten zusammen.

Filmographie:
1992-94: So Haunt Me (TV-Serie)
1993: The Pitch
1994: Mörderische Fantasien (Finding Interest)
1994: Handschrift des Todes (Dead Connection)
1995: Entführt ohne Gnade (Mercy)
1995: Memory Lane
1996: Baby Business (Citizen Ruth)
1997: Wer hat Angst vor Jackie-O.? (The House of Yes)
1998: Hauptsache Beverly Hills (Slums of Beverly Hills)
1999: Election
1999: Ein traumhaftes Missverständnis (Don't Go Breaking My Heart)
1999: Oxygen – Jede Sekunde zählt
1999: Vom Fliegen und anderen Träumen (The Theory Of Flight)
1999: Silence Living in Houses
2000: Ein Herz und eine Kanone (Gun Shy)
2000: The Smoking Section
2000: Mexico City
2000: Nurse Betty - Gefährliche Träume (Nurse Betty)
2001: Happy Campers
2001: Stadt, Land, Kuss (Town & Country)
2001: Natürlich blond (Legally Blonde)
2001: Männerzirkus (Someone Like You...)
2002: About Schmidt
2002: The Jury (TV-Mini-Serie)
2002: Kate & Leopold
2002: 40 Tage und 40 Nächte (40 Days and 40 Nights)
2003: Freaky Friday – Ein voll verrückter Freitag
2003: Natürlich blond 2 (Legally Blonde 2: Red, White & Blonde)
2004: Sideways
2004: The Lost Cause
2004: Girls Club – Vorsicht bissig! (Mean Girls)
2004: The Last Shot
2005: Die Hochzeits-Crasher (Wedding Crashers)
2005: Mord und Margaritas (The Matador)
2005: Solange du da bist (Just Like Heaven)
2005: Thank You for Smoking
2006: Dexter (TV-Serie - Hauptthema)
2006: Zum Ausziehen verführt (Failure to Launch)
2007: Sex and Death 101
2007: Die Liebe in mir (Reign Over Me)
2007: The Hunting Party
2008: Left Behind: The Story of the New Orleans Public Schools
2008: The Lucky Ones
2009: Der Womanizer - Die Nacht der Ex-Freundinnen (Ghosts of Girlfriends Past)
2009: 17 Again
2009: Up in the Air
2009: Männer, die auf Ziegen starren (The Men, Who Stare at Goats)
2010: Kiss & Kill (Killers)
2010: Troupers
2010: Wie durch ein Wunder (Charlie St. Cloud)
2011: Mr. Poppers Pinguine (Mr. Popper’s Penguins)

Playlist:
1 Rolfe Kent - Main Title (Dexter) - 01:40
2 Rolfe Kent - The Escape From The Zoo (Mr. Popper's Penguins) - 04:59
3 Rolfe Kent - Asphalt Groovin (Sideways) - 04:02
4 Rolfe Kent - Flukes (Charlie St. Cloud) - 03:47
5 Rolfe Kent - Killers Suite (Killers) - 03:44
6 Rolfe Kent - Releasing The Goates (The Men Who Stare at Goats) - 04:08
7 Rolfe Kent - The Drive Up to Celebici (The Hunting Party) - 02:15
8 Rolfe Kent - A Lonely Life (Reign Over Me) - 02:56
9 Rolfe Kent - Telling Ndugu About The Family (About Schmidt) - 03:38
10 Rolfe Kent - I'm A Cripple/Are You Doing Yours? (The Theory Of Flight) - 03:19
11 Rolfe Kent - I Remember You (Just Like Heaven) - 03:38
12 Rolfe Kent - Suddenly She Knows (17 Again) - 03:06
13 Rolfe Kent - Charlie Wins Patrice, Leopold Wins Kate (Kate & Leopold) - 03:40
14 Rolfe Kent - Suite (Election) - 07:30

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