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Sonntag, 28. Februar 2010

Playlist # 27 vom 28.02.10 - BRUNO COULAIS Special

Eigentlich wollte der am 13. Januar 1954 in Paris geborene Bruno Coulais zeitgenössische klassische Musik komponieren, nachdem er seine musikalische Ausbildung auf dem Piano und an der Violine begonnen hatte, doch schnell zog es ihn zur Filmmusik. So bekam er bereits 1977 sein erstes Engagement für François Reichenbachs Film „Mexico Magico“ die Musik zu komponieren, doch erst 1986 begann die tatsächliche Karriere des französischen Filmkomponisten.
Hierzulande wurde er vor allem durch Jacques Perrins Naturfilme „Mikrokosmos“ (1996), „Himalaya“ (1999), „Nomaden der Lüfte“ (2001) und ganz aktuell „Unsere Ozeane“ (2009) einem größeren Publikum bekannt, aber auch seine für den Oscar nominierte Musik zu „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (2003), seine Thriller-Scores wie „Die purpurnen Flüsse“ (2000), „Vidocq“ (2001) und „Hellphone“ (2007) sowie die an Danny Elfman erinnernde Musik zur Trickfilm-Adaption von Neil Gaimans „Coraline“ (2009) zählen zu den bemerkenswertesten Arbeiten von Bruno Coulais.

Filmographie (Auswahl):
1986: La Femme secrète
1986: Qui trop embrasse
1986: Familienbande (Liens de parente)
1988: Zanzibar
1990: La Campagne de Cicéron
1991: Le Jour des rois
1991: Die Equilibristen (Les Équilibristes)
1992: Le Fils du requin
1992: Casanovas Rückkehr (Le retour de Casanova)
1993: Cognacq-Jay
1996: Mikrokosmos – Das Volk der Gräser
1997: Flammen im Paradies (Les raisons du cœur)
1997: Don Juan
1998: Serial Lover
1998: Der Graf von Monte Christo
1998: Meine schöne Schwiegermutter (Belle Maman)
1999: Himalaya – Die Kindheit eines Karawanenführers
1999: Balzac - Ein Leben voller Leidenschaft (Balzac)
2000: Belphégor
2000: Die purpurnen Flüsse
2001: Vidocq
2001: Nomaden der Lüfte – Das Geheimnis der Zugvögel
2003: Die Kinder des Monsieur Mathieu
2004: Agents Secrets – Im Fadenkreuz des Todes
2004: Genesis
2005: Als das Morden begann
2007: Hellphone
2006: Der weiße Planet
2007: Die City-Krieger (Truands – Crime Insiders)
2007: Le Deuxième Souffle
2007: Ulzhan – Das vergessene Licht
2008: Female Agents - Geheimkommando Phoenix (Les femmes de l’ombre)
2009: Coraline
2009: Unsere Ozeane
2010: Babies

Playlist:
1 Bruno Coulais - Le Masque De Bélphegor (Belphegor) - 03:42
2 Bruno Coulais - La Premiere Revelation (Vidocq) - 03:54
3 Bruno Coulais - Générique début (Truands) - 05:32
4 Bruno Coulais - Déjà mort (Already Dead) - 04:01
5 Bruno Coulais - After The Hunt (Winged Migration) - 02:56
6 Bruno Coulais - Opéra (Himalaya) - 03:44
7 Bruno Coulais - Das Riff bei Nacht (Unsere Ozeane) - 03:56
8 Bruno Coulais - La Route (Harrison's Flowers) - 04:15
9 Bruno Coulais - Course Au Chenil (MR73) - 03:15
10 Bruno Coulais - Jesse James (Lucky Luke) - 03:32
11 Bruno Coulais - In The Forest (Brendan And The Secret Of Kells) - 03:15
12 Bruno Coulais - In Memoriam (Les Choristes) - 03:22
13 Bruno Coulais - La Mort de Don Juan (Don Juan) - 02:59
14 Bruno Coulais - Playing Piano (Coraline) - 02:50
15 Bruno Coulais - The Crimson Rivers (The Crimson Rivers) - 04:51

Sonntag, 14. Februar 2010

Angelo Badalamenti (Teil 1) - Reisen ins Unterbewusstsein

Sicher gibt es in der Geschichte des Films viele außergewöhnliche Regisseur-Komponisten-Beziehungen, angefangen bei David Lean/Maurice Jarre, Blake Edwards/Henry Mancini, Frederico Fellini/Nino Rota und Alfred Hitchcock/Bernard Hermann bis zu Steven Spielberg/John Williams, David Cronenberg/Howard Shore und Tim Burton/Danny Elfman. Was in der jüngeren Filmgeschichte allerdings die Kollaboration von David Lynch und Angelo Badalamenti auszeichnet, ist nicht nur der Kultcharakter eines jeden Meisterwerks des Regisseurs, sondern auch die kongeniale Musik von Angelo Badalamenti, dessen melancholisch-verträumten Melodien ebenso ein Markenzeichen von Lynchs Filmen geworden sind wie seine symbolträchtigen, surrealistisch anmutenden Bilderwelten.

Doch während Lynch bereits mit seinen Frühwerken ERASERHEAD (1977), THE ELEPHANT MAN (1980) und DUNE (1984) seine Talente gewinnbringend (vom finanziellen Flop der Kultroman-Verfilmung von Frank Herberts Sci-Fi-Epos „Dune – Der Wüstenplanet“ einmal abgesehen) demonstrieren durfte, war es für Angelo Badalamenti ein weiter Weg bis zu seinem Durchbruch mit dem Score zum David-Lynch-Meisterwerk BLUE VELVET (1985).
Der 1937 als Sohn eines Fischhändlers geborene Badalamenti erhielt mit acht Jahren Klavierunterricht, jobbte in Teenagerjahren als Pianist in Tourismuszentren, studierte zunächst an der Eastman School of Music in New York und dann an der Manhattan School of Music Komposition, Horn und Klavier, worin er 1960 seinen Magister machte. Während seiner Tätigkeit als Musiklehrer an der Dyker Heights Junior High in Brooklyn komponierte Badalamenti in seiner Freizeit Songs, wurde Anfang der 70er Jahre schließlich als Arrangeur bei einem Musikverlag eingestellt, wo er Jingles und Werbespots schrieb, aber auch schon seine Vorliebe für schwarze Musik umsetzen konnte, indem er Songs für Leute wie Shirley Bassey und Mel Tillis komponierte. Schon in frühen Jahren verband sich bei Angelo Badalamenti das Interesse an Filmmusik mit dem an populärer Musik.
"In den frühen Jahren meiner High-School-Zeit war ich von bestimmten Filmmusiken angetan, die ein klassisches Gewand hatten. Ich mochte die Scores im Stile von Bernard Herrmann. Ich fand die klassische Annäherung an das Komponieren für den Film sehr interessant, gerade was die Ausarbeitung von starken Melodien und interessanten Harmonien anging. Außerdem bin ich schon sehr jung mit der Jazz-Welt der Musik aufgewachsen, weil mein älterer Bruder Jazz-Trompete spielte. Seine Freunde kamen jeden Sonntag in unser Haus, um eine Jam-Session zu machen. Das Piano hatten wir natürlich im Haus; sie brachten Saxophone, Trompeten, Posaunen und Flöten mit und spielten Jazz im Bebop-Stil, die Schule von Charlie Parker und Dizzy Gillespie. So wurde ich mit der Jazz-Welt vertraut. Ich mochte in Filmen die Kombination von klassischer Musik mit einem Jazz-Feeling, weil ich beide Welten liebte. Mein Interesse an Musik in Filmen reicht also bis in meine Kindheit zurück."
Durch seine Anstellung beim Musikverlag wurde Badalamentis Tätigkeit aber zunächst auf die Songebene verlagert.
"Ich schrieb von Beginn an populäre Songs, meistens für Rhythm & Blues oder schwarz orientierte, soulmäßige Musik, mehr jazzigen Soul als Street-Soul-Musik. Meine ersten beiden Songs habe ich für Nina Simone geschrieben, die sie beide aufgenommen hat. Es war eine Art Pop-Jazz-Blues, die Mischung von Musikstilen, mit der ich aufgewachsen bin. Ich mochte Sängerinnen wie Nancy Wilson oder Nina Simone. Ich hatte viele schwarze Sängerinnen, für die ich Songs schrieb, Jazz mit einem Hauch von Pop, also keinen reinen Jazz, sondern einen poporientierten, schwarzen Soul, der etwas gefühlvoller, etwas aufregender war. Für Nancy Wilson schrieb ich beispielsweise einen Song namens FACE A GIRL, IT´S OVER, was einer ihrer größten Hits gewesen ist. Das war die Art, wie ich Musik schrieb, bevor ich an Filmmusik arbeitete."
Der Eintritt in die Filmmusik geschah dann fast zufällig, und Angelo Badalamenti scheint sich an diese für ihn so wegweisende Episode zu erinnern, als sei sie erst gestern passiert.
"Ich wurde von Paramount Pictures angestellt, das eine unabhängige Produktionsfirma war, und ich arbeitete an einem Musical für eine Fernsehshow von NBC, das auf Bibelgeschichten basierte. In dem Studio schwirrte ein Skript namens LAW AND DISORDER herum. Ich las das Skript, in dem Studio stand ein Piano, und ich setzte mich hin und komponierte ein Thema für die Rolle von Ernest Borgnine und eines für die Rolle von Carol O´Connor. Wenn die beiden Personen zusammentrafen, konnte ich die Themen miteinander verbinden und weiterentwickeln. Die Geschichte spielte in New York, und ich dachte, es wäre eine gute Idee, der Musik ein spanisches New-York-City-Flair mit Jazz-Klängen zu verleihen. Der tschechische Regisseur Ivan Passer, der gerade den Film abgedreht hatte, hatte einige Erfolge mit seinem Filmstil gehabt und war gerade im Studio. Ich fragte ihn, ob er einen Moment Zeit hätte, und bat ihn, mit in den Pianoraum zu kommen, um ihm ein paar Themen vorzuspielen. Ich glaube nicht, dass er mich allzu ernst nahm, ich werde gleich erklären, warum. Ich spielte ihm das Thema für die eine Hauptrolle vor und dasjenige für die andere Hauptrolle und demonstrierte ihm, wie die beiden Themen zusammenlaufen könnten, wenn Konflikte aufkommen oder Freundschaften entstehen würden. Dann war da noch ein spanisch-kubanisches Jazz-Thema, das im spanischen Harlem bei Nacht gespielt werden konnte. Ich spielte ihm all die Sachen vor, und er war sehr beeindruckt.
Er meinte: `Ich liebe das, was Sie gemacht haben, es ist perfekt für meinen Film, aber ich habe ein Problem´, wobei er in die Tasche griff und einen frankierten, versiegelten Umschlag hervorholte, den er in den nächsten fünf Minuten zum Postkasten bringen wollte. Er war an Aaron Copland adressiert. Er öffnete den Brief und gab ihn mir zu lesen. Mit diesem Brief wollte Ivan Passer Aaron Copland bitten, die Musik für LAW AND DISORDER zu schreiben, aber er riss ihn entzwei und schickte ihn nie ab. Das war der Start für mich in der Filmmusik."
Nachdem er 1973 und 1974 unter dem Pseudonym Andy Badale die Filmmusik zu Ossie Davis´ GORDON´S WAR und Ivan Passers LAW AND DISORDER geschrieben hatte, hielt sich Angelo Badalamenti weiterhin mit Songwriting, Arrangements und Orchestrationen für Sänger und vielen Instrumentalarbeiten über Wasser.
"Es war für mich sehr einfach und ganz natürlich, perfekte und wunderschöne Instrumental-Melodien zu komponieren. Diese Sachen wurden an verschiedene Orchester zum Aufnehmen weitergegeben, was sehr erfolgreich wurde. Ich machte eigentlich alles, was man tun musste, um zu überleben, konnte aber in der Welt bleiben, die ich liebte. Ich musste also kein Taxi fahren oder kellnern, sondern konnte meine Familie mit der Arbeit im Musikbereich ernähren. Es war immer die Hoffnung und der Traum da, dass etwas passiert, das mich aus dieser Sphäre herausholen würde. Was passierte, war BLUE VELVET. Das war die Sache, die ich brauchte, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Durch den unglaublichen Erfolg des Films und dann auch der Musik bekam ich Anrufe von Agenten, traf mich mit ihnen, und danach folgte ein Projekt nach dem anderen. Zum jetzigen Zeitpunkt meiner Karriere kann ich mir aussuchen, was ich machen möchte. Ich bekomme weitaus mehr Skripte als ich annehme. Ich bin sehr sorgfältig bei den Skripten, die ich mir aussuche. Es muss schon etwas sein, bei dem ich glaube, meine Talente einbringen zu können.
Ich kann mal erzählen, wie es zu BLUE VELVET kam. Isabella Rossellini war eine Sängerin in dem Film, und David Lynch, mit dem ich noch nie zusammengearbeitet und den ich auch nie getroffen hatte, brauchte jemanden, um mit ihr an dem Stück zu arbeiten. So bekam ich einen Anruf von dem Produzenten, der mich bat, nach North Carolina zu kommen, um mit Isabella den Song BLUE VELVET einzustudieren, weil sie damit einige Probleme hatte. Sie wussten, dass ich mit Sängerinnen zusammengearbeitet und co-komponiert, dass ich mit solchen Sachen keine Probleme hatte. So arbeitete ich mit ihr, wir nahmen ein kleines Tape auf, mit dem wir zum Set gingen, wo gerade die letzte Szene für BLUE VELVET gedreht wurde. David Lynch nahm seine Kopfhörer, hörte sich das Stück an und war total begeistert. Er konnte nicht glauben, dass Isabella in nur wenigen Stunden exakt so klingen würde wie er hoffte, dass sie singen könnte. Als er das Tape hörte, meinte er, es wäre gar nicht nötig, das Stück im Studio aufzunehmen, man könnte es so im Film verwenden, wie es auf dem Tape vorhanden war.
David Lynch war also so beeindruckt, dass es einen Schritt weiterging, wo der Produzent einen Song für BLUE VELVET benötigte, und David wollte einige bereits vorhandene Platten benutzen, die eine Menge Geld für die Rechte gekostet hätten. Da fragte mich der Produzent, ob ich einen Song in diesem Stil schreiben könnte, aber ich war kein Texter und brauchte Lyrics. Ich schlug vor, David zu fragen, ein paar Worte zu schreiben, weil er wahrscheinlich wusste, was der Song aussagen sollte. David war von dieser Idee gar nicht begeistert, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie er Lyrics und ich einen Song dazu schreiben sollte, weil er die Platten so liebte und davon überzeugt war, dass sie durch nichts zu ersetzen wären. Aber letztlich tat er es doch, um es dem Produzenten recht zu machen, hatte aber nicht die Absicht, davon etwas zu benutzen. Was passierte, war, dass er mir einige Lyrics namens THE MYSTERIES OF LOVE zusandte.

Sometimes a wind blows
and you and I
float in love
and kiss forever
in a darkness
and the mysteries
of love come clear
and dance in light
in you in me
and show
that we are Love.
Sometimes a wind blows
and the mysteries of Love
come clear.

Ich rief ihn daraufhin an, um ihn zu fragen, was ich damit anfangen sollte, weil es sehr seltsame Lyrics waren. Er schrieb sie nicht wie für einen Song, sondern wie ein Gedicht, und er wies mich an, den Song zeitlos, kosmisch, wie den Wind oder die tiefe See zu schreiben. Er gebrauchte nur abstrakte Beschreibungen, und so schrieb ich eine Melodie zu THE MYSTERIES OF LOVE, zu seinen Lyrics, spielte sie ihm vor, und er liebte sie total. Was wir nun benötigten, war eine Sängerin. Ich schlug ihm ein Mädchen vor, mit dem ich an einem Musical für eine Country-Show am Off-Broadway arbeitete. Das Mädchen war Julee Cruise, und ich erzählte ihr, dass David Lynch nach einer Sängerin suchte, die wie ein Engel klingt. Sie nahm die Herausforderung an, wir arbeiteten zusammen daran, nahmen es auf, und als David es hörte, war er total begeistert. So etwas hätte er noch nie gehört. Der Produzent war auch glücklich, weil er nicht 50.000 Dollar für die Rechte des Songs zu bezahlen brauchte, den David eigentlich wollte. Eigentlich wollte David für den Score die fünfte Sinfonie von Schostakowitsch benutzen, aber dann kam der Produzent, der ungern 50.000 Dollar für die Rechte an Schostakowitsch ausgeben wollte, auf mich zu und fragte mich, ob ich wie Schostakowitsch schreiben könnte. Ich meinte, ich wäre klassisch ausgebildeter Komponist, sicherlich nicht halb so gut wie Schostakowitsch, aber ich wollte es versuchen.
Dann fragte mich auch David Lynch, ob ich nicht den Score schreiben wollte, was ich schließlich auch tat. Das etablierte mich natürlich bei David, aber auch im Filmgeschäft im Allgemeinen."
David Lynch bezeichnete seinen nicht unumstrittenen Film, der vor Grausamkeiten und Schockszenen à la PSYCHO nur so strotzt und eindrucksvoll demonstriert, wie das Böse in eine sorglos und idyllisch wirkende Kleinstadt einbricht, als eine "Reise unter die Oberfläche einer amerikanischen Kleinstadt, aber es ist auch eine Reise ins Unterbewusstsein oder an einen Ort, wo man mit Dingen konfrontiert wird, denen man sich normalerweise nicht stellt. Einer der Tonleute meinte, der Film sei wie eine Mischung aus Norman Rockwell und Hieronymus Bosch. Die Reise führt so tief hinunter, wie es nur geht, und dann wieder hinauf an die Oberfläche".*
Diese psychologische Konstellation, die vor allem in den Beziehungen zwischen den Hauptfiguren, dem detektivisch-voyeuristischen Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan), der Nachtclubsängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini), der naiven Sheriff-Tochter Sandy (Laura Dern) und dem bösartigen Frank Booth (Dennis Hopper) zum Ausdruck gebracht wird, war für Angelo Badalamenti der Aufhänger für seinen elegischen, traumhaft-verführerischen Score.
"Natürlich ist BLUE VELVET eines der großen psychologischen Dramen unserer Zeit. Der Film ist brillant in der Studie von psychologischen Effekten von Leuten, die wir von außerhalb betrachtet so faszinierend finden. Ich denke, um die Verrücktheit und Tiefe eines so bösartigen Charakters wie Frank Booth und auf der anderen Seite die unglaubliche Reinheit und Unschuldigkeit des jungen Mannes und des jungen Mädchens musikalisch zu beschreiben, versuchte ich eine dunkle Schönheit auszudrücken. Dafür steht MYSTERIES OF LOVE in seiner Reinheit und Unschuld im Gegensatz zu der ganzen Welt außerhalb. Musikalisch gesehen konstruierten wir einen Konflikt, weil wir mit ihm beide Welten zusammenbrachten."

Die mit " * " gekennzeichneten Zitate von David Lynch sind dem Buch "David Lynch - Die dunkle Seite der Seele" von Robert Fischer (Heyne Filmbibliothek, 1993) entnommen. Darin werden auch Angelo Badalamenti, Julee Cruise und die Performance "Industrial Symphony No. 1" vorgestellt, die Badalamenti, Lynch und Cruise 1989 im Rahmen des Festivals "New Music America" aufführten.

Angelo Badalamenti (Teil 2) - Die Zusammenarbeit mit David Lynch

Mit der fruchtbaren Zusammenarbeit bei BLUE VELVET wurde schließlich eine magisch funktionierende Beziehung zwischen David Lynch und Angelo Badalamenti geknüpft, die bis heute für beide Parteien eine ganz besondere Bedeutung besitzt.
"David kennt sich mit Gefühlen sehr gut aus. Er beschreibt Stimmungen, die einen auf eine dunkle, wunderschöne Art und Weise berühren. Zunächst war es schwierig, mit David zusammenzuarbeiten, gar nicht mal so bei BLUE VELVET. Das war kein Problem. Aber danach z.B. bei TWIN PEAKS. Grundsätzlich kann ich das. Man muss mir nur einige Worte sagen, und aus irgendeinem Grunde bin ich in der Lage, sie in Musik zu übersetzen."

 David Lynch beschrieb die Zusammenarbeit mit seinem Hauskomponisten einmal so:
"Angelo Badalamenti hat mich mit der Welt der Musik vertraut gemacht. Er schreibt die Musik und ich die Texte. Wir unterhalten uns über die Atmosphäre, die Worte beeinflussen die Melodie und umgekehrt. Das zählt zu den glücklichsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Es war, als bliebe die Zeit stehen. All diese Tätigkeiten - das Schreiben des Drehbuchs, die Regie, die Musik - hängen für mich zusammen, und jede davon liefert mir Ideen für die anderen. Aus der Arbeit an der Musik ziehe ich Inspiration für die Regie."*
Nach dem auch in musikalischer Hinsicht erfolgreichen Film BLUE VELVET hatte nicht nur David Lynch seinen Flop mit DUNE überwunden, auch Angelo Badalamenti musste sich einen Agenten nehmen, um dem steigenden Interesse an seiner Musik für zukünftige Filmprojekte gerecht werden zu können. Zunächst nahm Badalamenti alles an, was ihm an Angeboten offeriert wurde. Das erste Skript, das ihm nach BLUE VELVET auf den Schreibtisch kam, war das Sequel DREAM WARRIORS, das Chuck Russell 1987 in der NIGHTMARE ON ELM STREET-Reihe drehte. Im Nachhinein scheint Angelo Badalamenti mit der Entscheidung, diesen elektronischen Horror-Score produziert zu haben, nicht mehr ganz glücklich zu sein.
"Um ehrlich zu sein, fiel dieser Score in die Frühphase meiner Filmarbeiten. Es war ein völlig anderer Film als BLUE VELVET, und ich übernahm ihn, weil es nach dem großartigen Erfolg von BLUE VELVET unmittelbar danach der erste war, der mir von meinem Agenten angeboten wurde. Es war eine ganz andere Art von Film für mich, und ich nahm die Herausforderung an, um auch mehr Erfahrung im Komponieren zu bekommen. Die Herausforderung bestand für mich in der völlig anderen Musik, die ich schreiben musste, und sie funktionierte gut im Film. Jeder war damit glücklich."
Bis zur nächsten Zusammenarbeit mit David Lynch, der Fernsehserie TWIN PEAKS, - und danach - arbeitete Badalamenti mit unterschiedlichen Regisseuren zusammen, komponierte die Scores für John Hancocks WEEDS („Der stählerne Vorhang“, 1987), Norman Mailers TOUGH GUYS DON´T DANCE („Harte Männer tanzen nicht“, 1987), Joel Schumachers COUSINS („Seitensprünge“, 1989), Jeremiah Chechiks NATIONAL LAMPOON´S CHRISTMAS VACATION („Schöne Bescherung“, 1989), Dominique Derudderes WAIT UNTIL SPRING, BANDINI („Warte bis zum Frühling, Bandini“, 1990) und Paul Schraders THE COMFORT OF STRANGERS („Der Trost von Fremden“, 1990), wobei er fast immer die Erfahrung machte, dass die Regisseure auf sehr abstrakte Weise mit ihm über die Musik gesprochen haben.
"Ich habe noch keinen Regisseur getroffen, der mit mir in musikalischen Termini über die Musik sprach, bis auf John Hancock, mit dem ich WEEDS machte. Aber der hat auch einen Master Degree in Music. Die anderen Regisseure sprechen nicht über Musik, sondern über Emotionen. Und das ist das Problem, weil Musik eine sehr nebulöse Sache ist, der man mit seinem Instinkt begegnet. Man versucht zu verstehen, wonach der Regisseur Ausschau hält, was die Musik in dem Film leisten soll."
Mit der 1989 begonnenen Fernsehserie TWIN PEAKS kamen David Lynch und Angelo Badalamenti erneut zusammen, und der Komponist beschreibt, wie diesmal die Zusammenarbeit vor sich ging.
"David beschrieb die Stimmungen für TWIN PEAKS: `Wir sind in den dunklen Wäldern, der Wind weht sehr mild, und außerhalb des Waldes erscheint dem wunderschönen jungen Mädchen eine Vision, und die Dunkelheit wandelt sich zu einer betörenden Melodie um, die einen Höhepunkt erreicht, abschwillt und wieder in den dunklen Wäldern verschwindet.´ Allein mit dieser Beschreibung setzte ich mich ans Keyboard, während David neben mir saß, und spielte ihm die ganze Einführung und das LAURA PALMER THEME vor, Note für Note, allein auf seinen Worten basierend. Er sprach sehr langsam und weich, was eine Inspiration für mich war, und ich verstand, um was für eine Welt es sich handelte. Als David es hörte, meinte er, das wäre es. Ich hätte gerade eines der wichtigsten Themen für die ganze Serie komponiert. Das war der Grundstein für unsere wahre Beziehung, dass wir uns einander verstanden. Ich war in der Lage, die Musik zu schreiben, die seinen Visionen entsprach."

Einen wichtigen Beitrag zur erneut hypnotischen, überwiegend sphärisch-elektronischen Musik lieferte einmal mehr Julee Cruise, die die von Angelo Badalamenti (Musik) und David Lynch (Text) geschriebenen Songs THE NIGHTINGALE, INTO THE NIGHT, FALLING, THE WORLD SPINS und ROCKIN´BACK INSIDE MY HEART interpretierte, die in der Kultserie zum Einsatz kamen und vom Julee-Cruise-Album FLOATING INTO THE NIGHT stammten, das Badalamenti und Lynch für die Sängerin schrieben und produzierten. Doch im Gegensatz zu der häufigen Praxis, Songs im Film einzusetzen, um das Soundtrackalbum besser verkaufen zu können, das wiederum für den Film wirbt, haben Songs in David Lynchs Filmen eine ganz eindeutige dramaturgische Funktion.
"Die Musik hat immer einen Bezug zu der Unschuld in solchen Szenen. Sie arbeitet immer gegen das, was eigentlich tatsächlich passiert. Insofern spielt sie eine enorm wichtige Rolle. Ich denke, wir beide, David und ich, arbeiten musikalisch gern gegen das, was zu sehen ist. Das beste Beispiel dafür ist eine Szene in TWIN PEAKS, wo in einer ziemlich schäbigen Roadhouse-Bar, in der mit Whisky, Drogen und Prostitution gehandelt wird, ein Mädchen mit wundervoller, sanfter, langsamer Stimme den Song THE WORLD SPINS singt. Bei all den Konflikten, der Gewalt und Rohheit ist diese Musik der totale Gegensatz zu dem, was gerade vorgeht. Für mich ist das sehr aussagekräftig, weil es die Gegensätze, die Positionen deutlich macht."

Die Musik für TWIN PEAKS und auch für den anschließenden Kinofilm TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME wurde fast so bekannt wie die Serie selbst und von Auszeichnungen und Nominierungen nur so überhäuft, nachdem Angelo Badalamenti zuvor gerade mal mit dem Anthony Asquith Award für THE COMFORT OF STRANGERS ausgezeichnet worden war.
Für das berühmte TWIN PEAKS THEME erhielt Badalamenti in der Kategorie "Pop Instrumental" den Grammy sowie eine Grammy Nominierung für den gesamten Score in der Kategorie "Instrumental Composition, Film or Television". Dagegen wurde TWIN PEAKS zwar in drei Sparten - Underscore, Theme, Music & Lyrics - für den Emmy nominiert, gewann aber keinen einzigen davon.
"Ich gewann einen Grammy für das Thema von TWIN PEAKS, was großartig war, aber es gab drei Emmy-Nominierungen im gleichen Jahr für TWIN PEAKS. Jeder in Amerika sprach über die Musik von TWIN PEAKS. Ich habe in einem Interview mit David Lynch gelesen, dass er auf die Frage, was TWIN PEAKS ausmache, antwortete: die Musik. Ich bekam also drei Nominierungen, und jeder dachte, TWIN PEAKS würde gewinnen. Was passierte, war, dass TWIN PEAKS nicht gewann. Ich sagte mir, dass die Dinge manchmal so laufen, fand aber später heraus, dass im Falle wie dem Emmy die Jury nur einer gewissen Sparte, nämlich dem Business, angehörte und nicht die gesamte Bevölkerung repräsentierte wie beim Grammy. Das war das einzige Mal, wo ich etwas enttäuscht wurde, weil es das einzige Mal war, wo die Entscheidung der Jury nicht der Meinung der breiten Bevölkerung entsprach. Ich weiß nicht, wie es beim Oscar funktioniert. Man versucht immer nur sein Bestes. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch nie den kommerziellen Erfolg, den man benötigt, um eine solche Nominierung zu erhalten. Ich bin deshalb auch nicht besonders traurig, sondern fühle mich geehrt, dass ich mit einigen meiner Projekte meinen Anteil daran erhalten habe."
So wurde Badalamentis Musik für TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME mit dem Saturn Award und dem Independent Spirit Award ausgezeichnet. Davor schrieb Badalamenti den Score zu David Lynchs WILD AT HEART (1990), wobei der Umstand, dass Lynch für den Soundtrack Songs wie BLUE SPANISH SKY, UP IN FLAMES und LOVE ME TENDER verwenden wollte, auch Badalamentis schwülen, spanisch kolorierten Kompositionen beeinflusste, während er sich bei reinen Score-Alben ziemlich frei entfalten kann.
"In den meisten Fällen habe ich nur das Scoring gemacht, und da war ich nicht durch irgendetwas beeinflusst. Wenn Musik einer bestimmten Zeit angehört, so wie in WILD AT HEART, wo die Musik einen 50er-Jahre-Flair hatte und verschiedene Platten benutzt wurden, dann habe ich einige Cues geschrieben, die einen ähnlichen Sound hatten, um die Integrität der Epoche zu bewahren. Das übte natürlich einen Einfluss auf die Musik aus. Aber ich denke da nicht an den Soundtrack. Das ist nur ein Nebenaspekt. Das, was man für den Film tun kann, ist das Wichtigste, woran man denkt. Gelegentlich nutze ich die Möglichkeit, wenn es die Zeit erlaubt und ich an den zu veröffentlichenden Soundtrack denke, bei einer Aufnahme-Session Cues von 50 Sekunden oder einminütiger Länge, die schwer aneinanderzureihen sind, zu einem Cue aus Themen zusammenzufassen.
Wenn ich am Ende der Film-Session also noch Zeit habe, nehme ich die vier- oder sechsminütigen Stücke auf, die nicht für den Film geschrieben wurden, aber von ihm stammen und für das Soundtrackalbum verwendet werden können. Das funktioniert auf einem Album sehr gut und ist besser als die Aneinanderreihung von kurzen Cues."
In der Regel ist Angelo Badalamenti allerdings nicht gut auf die Praxis zu sprechen, Filme mit Pop- und Rock-Songs musikalisch zu unterlegen, vor allem, weil es die Möglichkeit des Komponisten zu sehr einschränkt.
"Wenn ein Regisseur mit 15 Platten ankommt, die er in seinem Film benutzen will, fragt man sich natürlich, wozu er noch einen Komponisten benötigt. Wenn der Komponist nur noch für das Underscoring einiger weniger Szenen eingesetzt wird, ist er natürlich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, aber das passiert immer öfter, weil der Soundtrack hilft, den Film zu promoten. Regisseure schauen danach, was die Songs, die sie lieben, für ihre Filme tun können, wenn sie in die Zeit passen, in der der Film spielt, oder ein bestimmtes Gefühl wiedergeben, das sie suchen. Aber als Komponist sucht man immer nach Projekten, die einem erlauben, das zu tun, was man möchte."
Dass Badalamenti bei Daniel Algrants NAKED IN NEW YORK eine Ausnahme machte, hatte persönliche Gründe.
"Der einzige Grund, warum ich NAKED IN NEW YORK gemacht habe, war, weil Martin Scorsese mich gefragt hat, als wir uns auf einer Party getroffen haben. Martin produzierte den Film, den ein junger Regisseur drehte, von dem Martin viel hielt, und ich liebte das, was ich auf dem Video sah. Aber der Regisseur nutzte das Budget für eine Reihe von Songs aus einer bestimmten Zeit. Anstatt also beispielsweise 50 Minuten an Musik zu komponieren, schrieb ich nur 22 Minuten. Aber selbst bei 22 Minuten versucht man, seinen eigenen Sound zu kreieren, wie immer er auch für das jeweilige Projekt aussehen mag. Und das bedeutet an und für sich schon eine Herausforderung. Zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens und meiner Karriere suche ich nach aufregenden Projekten. CITY OF LOST CHILDREN war eine solche Möglichkeit. Ich liebe den Film, und ich liebe jede Minute des 55minütigen Scores. Er erlaubte mir, mich auf eine andere Weise auszudrücken. Er zeigt mich von einer anderen Seite. Ich möchte ja auch nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt werden, sondern mag es, viele Gesichter zu haben. CITY OF LOST CHILDREN brachte mich zurück zu der Zeit, als ich als Songwriter anfing. Der Score brauchte eine Art von kontinentaler Melodie, aber nicht so geradlinig. Zum Beispiel gab es in CITY OF LOST CHILDREN einen Orgelspieler, der einen Flohzirkus unterhielt und eine kontinentale Melodie spielte, die besessen, repetitiv, off-center und dissonanter wurde, aufregender. Der Film war ideal für mich, weil er es mir ermöglichte, mich musikalisch voll zu entfalten."

Die mit " * " gekennzeichneten Zitate von David Lynch sind dem Buch "David Lynch - Die dunkle Seite der Seele" von Robert Fischer (Heyne Filmbibliothek, 1993) entnommen. Darin werden auch Angelo Badalamenti, Julee Cruise und die Performance "Industrial Symphony No. 1" vorgestellt, die Badalamenti, Lynch und Cruise 1989 im Rahmen des Festivals "New Music America" aufführten.

Angelo Badalamenti (Teil 3) - Das gewisse Etwas

Angelo Badalamenti ist wie viele seiner Kollegen auch dafür bekannt, Synthesizer mit Orchester zu verbinden. Das hat gar nicht mal mit Budgetbeschränkungen zu tun, sondern entspricht einer generellen Vorliebe des Komponisten.
"Ich mag den Sound von bestimmten Synthesizer-Sachen. Ich liebe es, Synthesizer-Streicher mit Orchester-Streichern zu verbinden, die ich auf die Synthi-Streicher lege. Ich liebe Streicher vor allem im unteren und mittleren Register, um mit ihnen eine gewisse Stimmung zu erzeugen, die in Verbindung mit den Synthesizern einfach wundervoll klingen. Wenn ich darüber ein Cello lege und es auf eine bestimmte Weise abmische, erhalte ich genau den Sound, nach dem ich Ausschau gehalten habe."

Nichtsdestotrotz spielt das Budget auch für Badalamenti generell eine Rolle bei dem, was er musikalisch für einen Film tun kann.
"Das Budget ist sehr wichtig und etwas, mit dem ich oft Probleme habe. Wenn man etwas für ein großes Studio macht - ich habe COUSINS für Paramount gemacht -, bekommst du, was immer du an Geld brauchst. Wenn jeder mit dem Film zufrieden ist und mit der Musik, kann man ein 70- oder 80köpfiges Orchester verlangen. Das gleiche passierte mit NATIONAL LAMPOON´S CHRISTMAS VACATION mit Chevy Chase für Warner Bros., einem 100-Millionen-Dollar-Film. Niemand möchte natürlich zu viel Geld ausgeben, aber wenn man um ein 80köpfiges Orchester bittet, wird man nicht Nein sagen, weil sie das Beste für den Film wollen. Wenn man also mit einem Major Studio arbeitet und die Dinge gut laufen, ist das Budget kein Problem. Wenn man auf der anderen Seite mit Independent-Firmen arbeitet, von denen es heutzutage so viele gibt, steht nicht das große Budget zur Verfügung. BLUE VELVET ist ein Beispiel dafür, THE COMFORT OF STRANGERS von Paul Schrader oder CITY OF LOST CHILDREN, eine französische Produktion, die das diesjährige Cannes-Festival eröffnet, und TOUGH GUYS DON´T DANCE für Cannon Films. Es waren zwar große Firmen, aber eben nicht Paramount, Warner oder Disney. Man bat mich um einen Synthesizer-Score, was ich auch machte, aber ich wollte gerne darum herum mit einem kleinen Orchester arbeiten, dass es besser klingen würde. Ich flog also nach Prag, um dort zu Preisen, die sich das Studio leisten konnte, den Score zu orchestrieren. So war ich in der Lage, den Luxus eines Orchesters in Verbindung mit Synthesizern zu genießen, weil ich es liebe, beide Welten zu benutzen. Es war eine Freude für mich, dort zu arbeiten. Ich kenne die Musiker, habe gerade mit 68 von ihnen CITY OF LOST CHILDREN dort eingespielt. Ich habe 55 Minuten Musik mit 48 Streichern eingespielt. Das ist wundervoll. Marianne Faithful singt den End Title."
Ein anderes Problem, mit dem heutzutage jeder Komponist konfrontiert wird, ist das Temptracken von Filmen, auch wenn sich Badalamenti bei seinem letzten Projekt, dem oben erwähnten neuen Film der DELICATESSEN-Regisseure Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro, CITY OF LOST CHILDREN, ausnahmsweise nicht damit auseinandersetzen musste.
"Es ist die schlimmste Situation, mit der jeder Komponist umzugehen hat. Jeder Regissseur, Produzent und alle, die die Temp Tracks hören, selbst wenn es die schlechteste Musik ist, gewöhnen sich an sie, wenn man sie oft genug hört. Wenn man den Film zusammen mit den Temp Tracks hundertmal sieht, wird die menschliche Natur ihn lieben. Wenn man eine Lüge oft genug erzählt, glaubt man ihr. Wenn man als Komponist das erste Mal einen Film mit Temp Tracks sieht, denkt man, das ist ja schrecklich, aber die Regisseure und Produzenten lieben es. Das kann ein großes Problem werden. Du kannst großartige Musik schreiben, aber es kann eine Weile dauern, bis sie die Musik als etwas Neues akzeptieren. Das ist ein Problem, mit dem alle Komponisten konfrontiert werden, und man muss lernen, damit umzugehen, und hartnäckig sein, dass sie der neuen Musik eine Chance einräumen.
Es hängt von der Persönlichkeit des Komponisten ab, wie er mit den Regisseuren umgeht, und auch als Komponist muss man sich einen offenen Verstand bewahren. Es ist manchmal eine Geben-und-Nehmen-Situation. Manchmal ist man gezwungen, einen Cue in einem ähnlichen Stil wie den Temp Track zu schreiben, aber man hofft immer, dass es nur gelegentlich passiert. Bei CITY OF LOST CHILDREN haben mir die Regisseure gesagt, dass ich alles machen könne, was mir gefällt. Das tat ich auch. Ich komponierte den gesamten Score in Amerika, traf die Regisseure nur einmal und spielte ihnen einige Themen vor, die ich für sie geschrieben habe, und sie sagten, fein, ich solle es einfach machen. Ich komponierte also den Score und nahm ihn mit einem Orchester auf. Das ist die beste Arbeitsbedingung, aber eine sehr rare. Denn in diesen Tagen ist nicht nur der Regisseur in einen Film involviert, sondern die Produzenten, Verleger und Vertriebe, und jeder steckt seine Nase in die Musik und hat seine Meinung über das, wie sie aussehen sollte. Der Komponist muss eine ganz spezielle Persönlichkeit haben, um all diese Dinge zu überwinden.
Vor einigen Jahren war das noch anders. Da war ein großer Regisseur der Boss. Große Regisseure sind auch heute noch der Boss. David Lynch ist ein Boss. Was immer David Lynch sagt, wird auch gemacht. Niemand redet ihm da rein. Martin Scorsese ist auch so jemand. Es gibt eine Handvoll solcher Regisseure, die solche Macht haben, aber das ist nicht bei 95% aller der Fall."
Neben diesem französischen Fantasy-Abenteuer komponierte Badalamenti die Musik für die Fernsehproduktion WITCH HUNT, die sein Freund Paul Schrader inszenierte. Aber auch für interessante Aufgaben im Werbe-, Pop- und Rockbereich nimmt Badalamenti, der schon für Leute wie Dusty Springfield, Liza Minelli, The Pet Shop Boys und Paul Mc Cartney orchestriert und arrangiert hat, Zeit.
"Wenn mich jemand fragt, ob ich das oder das machen würde, mache ich es, wenn ich glaube, dass ich der Sache etwas hinzufügen kann, meinen Sound oder mein Statement dazu. Deshalb fragt man ja nach mir, nach Angelo Badalamenti und nicht nach jemandem, der wie ein anderer klingt.
Ich denke, da ist ein gewisses Etwas, das ich beisteuern soll, oder sie wissen von meiner Arbeit. Die Pet Shop Boys haben mich engagiert, weil sie meine Welt gesucht haben, mit der sie arbeiten konnten. Bei Paul Mc Cartney war es das gleiche. Island Records riefen mich an, um mit Marianne Faithful zu arbeiten, um sie in Angelo Badalamentis Welt zu bringen. Man versucht immer sein Bestes."
In den letzten Jahren hat Angelo Badalamenti vor allem an verschiedenen Psycho-Horror-Produktionen gearbeitet, an Paul Schraders THE EXORCIST-Prequel DOMINION, an THE WICKER MAN und DARK WATER, aber auch romantische Stoffe wie Jeunets A VERY LONG ENGAGEMENT und THE EDGE OF LOVE zählen zu den bekannteren Werken des Komponisten.
„Es gibt einige Skripts auf meinem Schreibtisch, die ich durchgehen werde. Ich werde mehr Künstler produzieren. Es gibt immer viele Dinge zu tun, aber ich liebe die Idee, an verschiedenen Arten von Projekten zu arbeiten."

Filmographie
1973 - Gordon's War
1974 - Law and Disorder
1986 - Blue Velvet
1987 - A Nightmare on Elm Street 3: Dream Warriors
1987 - Tough Guys Don't Dance
1987 - Weeds
1989 - Cousins
1989 - National Lampoon's Christmas Vacation
1989 - Wait Until Spring, Bandini
1990 - Industrial Symphony No. 1: The Dream of the Brokenhearted (TV)
1990 - The Comfort of Strangers
1990 - Wild at Heart
1990/91 - "Twin Peaks" (30 Episoden)
1992 - "On the Air" (2 Episoden)
1992 - Cerimònia d'inauguració jocs olímpics Barcelona '92 (TV)
1992 - Twin Peaks: Fire Walk with Me
1993 - "Hotel Room" (3 Episoden)
1993 - Naked in New York
1994 - Witch Hunt (TV)
1995 - The City of Lost Children
1996 - "Profiler" (2 Episoden)
1997 - "Cracker" (TV-Serie)
1997 - Lost Highway
1997 - The Blood Oranges
1999 - Arlington Road
1999 - Forever Mine
1999 - Holy Smoke
1999 - Story of a Bad Boy
1999 - The Straight Story
2000 - A Piece of Eden
2000 - The Beach
2001 - Cet amour-là
2001 - Julie Johnson
2001 - Mulholland Drive
2001 - Suspended Animation
2002 - Auto Focus
2002 - Cabin Fever
2002 - Darkened Room
2002 - L'adversaire
2002 - Lathe of Heaven (TV)
2002 - Rabbits
2002 - Secretary
2003 - "Les liaisons dangereuses" (TV Mini-Serie)
2003 - Indoor Fireworks
2003 - Murder in Scottsdale (Video)
2003 - Resistance
2004 - A Very Long Engagement
2004 - Evilenko
2004 - Napola
2004 - Push
2005 - Dark Water
2005 - Dominion: Prequel to the Exorcist
2005 - Fahrenheit (Videospiel)
2006 - The Wicker Man
2008 - The Edge of Love
2009 - 44 Inch Chest
2009 - The Wait
2010 - Secrets of Love

Playlist # 26 vom 14.02.10 - ANGELO BADALAMENTI Special

Mit seinem hypnotischen Hauptthema für David Lynchs Kult-Mystery-Serie „Twin Peaks“ wurde Angelo Badalamenti 1989 mit einem Schlag weltberühmt. Bereits 1986 hat er erstmals mit Regisseur David Lynch an „Blue Velvet“ zusammengearbeitet. Eigentlich sollte er mit Hauptdarstellerin Isabella Rossellini nur den von ihr interpretierten Titelsong von Roy Orbinson einspielen, doch Lynch gefiel das Arrangement so gut, dass er Badalamenti sogleich für den gesamten Score des Films verpflichtete.
Daraus resultierte eine bis heute andauernde Freundschaft und Zusammenarbeit, die über „Wild at Heart“ (1990), „Lost Highway“ (1996) und „The Straight Story“ (1999) bis zu „Mulholland Drive“ (2001) führte. Auch mit dem französischen Filmmagier Jean-Pierre Jeunet verbindet Badalamenti eine enge Beziehung, die in den außergewöhnlichen Soundtracks zu „Die Stadt der verlorenen Kinder“ und „Mathilde – Eine große Liebe“ resultierte.
Darüber hinaus arbeitete er mit dem jungen Komponisten Nathan Barr an Eli Roth‘ Regiedebüt „Cabin Fever“ und mit den progressiven Electro-Acts Orbital an „The Beach“ und Tomandandy an „Arlington Road“. Doch seine Stärke liegt in den elegischen Melodien, die er für Dramen wie Joel Schumachers „Seitensprünge“, Paul Schraders „Der Trost von Fremden“ oder Jane Campions „Holy Smoke“ komponiert hat. Auch wenn Badalamenti zwischenzeitlich an Horrorfilmen wie „Dark Water“ und „The Wicker Man“ gewirkt hat, liegen seine Schwerpunkte wieder in dramatischen Filmen wie zuletzt „The Edge Of Love“ und „44 Inch Chest“ beweisen.
1 Angelo Badalamenti - Twin Peaks Theme (Twin Peaks) - 05:01
2 Angelo Badalamenti & Julee Cruise - Mysteries Of Love (Blue Velvet) - 04:22
3 Angelo Badalamenti - Laurens Walking (The Straight Story) - 04:11
4 Angelo Badalamenti - The Pink Room (Twin Peaks - Fire Walk With Me) - 04:05
5 Angelo Badalamenti - Brain's Birthday (The City Of Lost Children) - 03:13
6 Angelo Badalamenti - First Love Touch (A Very Long Engagement) - 03:55
7 Angelo Badalamenti - The Truth Is Out There (Arlington Road) - 03:10
8 Angelo Badalamenti - Mulholland Drive/Love Theme (Mulholland Drive) - 05:40
9 Angelo Badalamenti - Dub Driving (Lost Highway) - 03:42
10 Angelo Badalamenti - Killing Fields (The Beach) - 05:41
11 Angelo Badalamenti - Fire To The Stars (The Edge Of Love) - 04:25
12 Angelo Badalamenti - 44 Inch Chest (44 Inch Chest) - 03:59
13 Julee Cruise - The Voice Of Love (The Voice Of Love) - 03:15

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