Seit seinem Score zu Sam Mendes‘„Zeiten des Aufruhrs“ ist es etwas ruhig um Thomas Newman geworden, den am 20. Oktober 1955 in Los Angeles geborenen jüngsten Sohn des großen Hollywood-Komponisten Alfred Newman. Nun meldet er sich mit dem neuen Matt-Damon-Action-Drama „Der Plan“ zurück. Vor allem in den 90er Jahren hat Thomas Newman mit seinen gefühlvollen, einzigartig instrumentierten Scores zu Dramen wie „Grüne Tomaten“, „Der Pferdeflüsterer“, „The Green Mile“ oder „American Beauty“ auf sich aufmerksam und diverse Oscar®-Nominierungen einfahren können.
Nach zwei Jahren Studium an der University of Southern California, wo er unter anderem bei David Raksin in die Lehre ging, schloss er sein Studium in Yale mit einem Master in Music ab und spielte in Bands und am Theater. Er verbrachte einige Jahre als Keyboarder in der Rock-Band The Innocents und in der Avantgarde-Formation Tokyo 77. Da sein Onkel Lionel Newman dem Music Department von 20th Century Fox vorstand, als Thomas Newman die High School und das College besuchte, hatte er die Möglichkeit, John Williams zuzusehen, wie er die Soundtracks zu den Katastrophen-Filmen „The Towering Inferno“ und „The Poseidon Adventure“ dirigierte.
Seinen ersten eigenen Score produzierte Thomas Newman 1984 zu dem Film „Reckless“. Schon mit seinem nächsten Soundtrack, dem ethnisch groovenden Score zum Madonna-Film „Susan … verzweifelt gesucht“, gelang Newman ein Jahr später der Durchbruch als Filmkomponist. Nach diesen noch rein elektronisch geprägten Arbeiten ging Newman dazu über, elektronische Instrumente mit orchestralen Elementen zu verbinden, was in den beiden Projekten „The Lost Boys“ und „Unter Null“ (beide 1987) besonders gut zur Geltung kam.
„Ich interessiere mich für beide musikalische Welten und ich habe nie die eine über die andere gestellt. Ich hasse die Behauptung, elektronische Arrangements wären nur eine billige Art, Musik zu kreieren, und dass das Orchester der einzig wahre Ansatz sei, Filmmusik zu kreieren. Aber man kann diese Kritiker verstehen, weil Electronics dir erlauben, einfache Entscheidungen zu treffen. Jeder kann das. Aber während Synthesizer Dinge sind, die du hinter Sounds verstecken kannst, können sie auch an Stellen verwendet werden, an denen man sie nie erwarten würde“, meint Newman.
Nach weiteren kleineren Filmen wie „Getäuscht“, „Ferien zu dritt“ und „Cookie“ begann 1991 die Karriere für Thomas Newman so richtig anzulaufen, als er die Fanny Flagg-Verfilmung „Grüne Tomaten“ , Robert Altmans„The Player“ und den Al-Pacino-Film „Der Duft der Frauen“ mit außergewöhnlichen Scores vertonte. Mit seiner Fähigkeit, außergewöhnliche akustische Akzente mit einzigartigen elektronischen Klängen und orchestralen Arrangements zu verbinden, sicherte er sich die mehrjährige Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Jon Avnet („Grüne Tomaten“, „Red Corner“, „Das Baumhaus“, „Aus nächster Nähe“), Gillian Armstrong („Betty und ihre Schwestern“, „Oscar and Lucinda“), Frank Darabont („Die Verurteilten“, „The Green Mile“), Martin Brest („Der Duft der Frauen“, „Meet Joe Black“) und Sam Mendes („Road To Perdition“, „American Beauty“, „Zeiten des Aufruhrs“).
„Mein Ansatz besteht in der Regel darin, vom Standpunkt einer Farbe zu beginnen, d.h. höre ich Woodwinds-Klänge oder höre ich reißende oder klingende Sounds, und dann versuche ich etwas aufzubauen. Ich beginne normalerweise mit Farben statt mit einer Melodie, und zwar weil ich an irgendeinem Punkt realisiere, dass ich ohnehin eine Melodie schreiben muss, also ist das eine Art Notwendigkeit, während Farben einfach eine Art Spaß sind, über die man nachdenken kann.. Was würde passieren, wenn ich dieses oder jenes mache, und was würde geschehen, wenn ich diese Art von Instrument benutze?“, beschreibt Thomas Newman seine Arbeitsweise im Newsletter der Editors Guild fest.
Neben seinen bemerkenswerten Arbeiten fürs Kino komponierte Thomas Newman auch Fernsehfilme („Those Secrets“, „Citizen Cohn“), steuerte Beiträge für Steven Spielbergs„Amazing Stories“ (die Weihnachtsfolge „Santa ´85“) und „Alfred Hitchcock Presents“ (die Episoden „A Human Interest Story“ und „The Creeper“) bei und komponierte die Themen für die TV-Serien „Boston Public“ und „Six Feet Under“.
Die meisten seiner Arbeiten sind zum Glück als Soundtrack-Alben erhältlich, oftmals allerdings auch nur als Song-Compilations, auf denen ein oder zwei Cues von Thomas Newman zu hören sind, der dieser Praxis mit gemischten Gefühlen gegenübersteht:
„Die Idee, zehn Sekunden eines Songs zu hören, so dass man ihn auf das Album packen kann, ruft bei mir echtes Augenrollen hervor. Ich fühle mich dann so, als sei ich manipuliert worden und ich verstehe die Marketing-Idee dahinter, und das macht nie Freude. Die andere Seite ist: wenn es gut ist, wirkt es großartig. Es gibt einige tolle Songs und sie funktionieren sicher gut in Filmen. Woody Allen hat immer sehr gut Source Music eingesetzt, und man bekommt ein Gespür dafür, dass es eine komfortable Art des musikalischen Hintergrunds des Territoriums abbildet, das er besetzen möchte.
Im Falle des Hank-Williams-Songs in ‚Die Verurteilten‘ – einer der Gefangenen liebt Hank Williams – ist es beispielsweise so, dass du den Song hörst und dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Es ist wirklich wunderbar, und es sind Momente wie diese, bei denen ich denke, dass die Source Music in ‚Die Verurteilten‘ wunderschön ist. Ich dachte, es war absolut passend, und ich hatte kein Problem damit.“ (ebd.)
Thomas Newman wurde 1994 gleich für zwei Oscars® (zu „Betty und ihre Schwestern“ und „Die Verurteilten“) nominiert, im darauffolgenden Jahr noch einmal für „Entfesselte Helden“,1999 für seine Musik zu „American Beauty“, die ihm immerhin einen Grammy Award einbrachte, 2002 für „Road To Perdition“ und 2008 schließlich für das Disney-Abenteuer „Wall-E“. Auch wenn seine Hochzeit, die durch Meisterwerke wie „Road To Perdition“, „American Beauty“, „Engel in Amerika“, „Little Children“ und „Der Pferdeflüsterer“ gekennzeichnet ist, vorbei zu sein scheint, ist Thomas Newman immer wieder für eine berauschend schöne Filmmusik gut.
„Was ist eine Melodie? Es ist eine sehr abstrakte Sache geworden. Was versuche ich gerade hier? Was macht manches schön, was macht manches traurig? Ich erinnere mich, dass mich ein Lehrer mal gefragt hat, was Musik traurig macht. Was für eine brillante Frage. Seine Antwort lautete, dass es die physikalischen Qualitäten von etwas Traurigem annimmt. D.h. wenn sie traurig ist, dann bewegt sich die Melodie schrittweise. Sie tendiert dazu, langsamer zu werden, so wie man es ist, wenn man traurig ist; sie nimmt die körperlichen Charakteristika eines emotionalen Zustandes an. Etwas in der Musik klingelt und bringt dich zurück zu einer Erinnerung, die dir ein Gefühl entlockt. Ich denke, was so wundervoll an Musik ist, ist der Umstand, dass sie absolut abstrakt ist und so eine große biegsame, subjektive emotionale Reaktion hervorruft.“ (ebd.)
Filmographie:
1978: The Paper Chase (TV-Serie)
1984: Jung und rücksichtslos (Reckless)
1984: The Seduction of Gina (TV)
1984: Die Rache der Eierköpfe (Revenge of the Nerds)
1984: Speedway Trio (Grandview, U.S.A.)
1985: Der Verrückte mit dem Geigenkasten (The Man with One Red Shoe)
1985: Susan... verzweifelt gesucht (Desperately Seeking Susan)
1985: Mit Lippenstift und Eiscreme (Lipstick & Ice Cream)
1985: Was für ein Genie (Real Genius)
1985: Summer’s End
1986: Jumpin' Jack Flash
1986: Gung-Ho
1987: Unter Null (Less Than Zero)
1987: The Lost Boys
1987: Light of Day
1988: Great Outdoors – Ferien zu dritt (The Great Outdoors)
1988: Der Prinz von Pennsylvania (The Prince of Pennsylvania)
1989: Cookie
1990: Ein Mädchen namens Dinky (Welcome Home, Roxy Carmichael)
1990: Against the Law (TV)
1990: Verrückte Zeiten (Men Don’t Leave)
1990: Heatwave (TV)
1990: Rhythm Nation 1814
1990: Nackter Tango (Naked Tango)
1991: Kevins Cousin allein im Supermarkt (Career Opportunities)
1991: Grüne Tomaten (Fried Green Tomatoes)
1991: Houdini & Company - Der Geist des Magiers (The Linguini Incident)
1991: Getäuscht (Deceived)
1991: Dunkle Erleuchtung (The Rapture)
1992: Those Secrets (TV)
1992: The Player
1992: Der Duft der Frauen (Scent of a Woman)
1992: Stimmen im Dunkel (Whispers In The Dark)
1992: Citizen Cohn - Handlanger des Todes (TV)
1993: Josh and S.A.M.
1993: Flesh and Bone
1994: Die Verurteilten (The Shawshank Redemption)
1994: Betty und ihre Schwestern (Little Women)
1994: Einsam Zweisam Dreisam (Threesome)
1994: Das Baumhaus (The War)
1994: The Favor – Hilfe, meine Frau ist verliebt! (The Favor)
1995: Entfesselte Helden (Unstrung Heroes)
1995: Ein amerikanischer Quilt (How to Make an American Quilt)
1996: Larry Flynt – Die nackte Wahrheit (The People vs. Larry Flynt)
1996: Aus nächster Nähe (Up Close & Personal)
1996: Phenomenon – Das Unmögliche wird wahr
1996: American Buffalo – Das Glück liegt auf der Straße (American Buffalo)
1997: Oscar und Lucinda (Oscar and Lucinda)
1997: Red Corner – Labyrinth ohne Ausweg (Red Corner)
1997: Mad City
1998: Der Pferdeflüsterer (The Horse Whisperer)
1998: Rendezvous mit Joe Black (Meet Joe Black)
1999: American Beauty
1999: The Green Mile
2000: Erin Brockovich
2000: Das Glücksprinzip (Pay It Forward)
2000: Boston Public (TV)
2000: My Khmer Heart
2001: Six Feet Under – Gestorben wird immer (Six Feet Under) (TV-Serie)
2001: In the Bedroom
2002: Road to Perdition
2002: Weißer Oleander (White Oleander)
2002: The Salton Sea – Die Zeit der Rache
2002: The Execution of Wanda Jean
2003: Findet Nemo (Finding Nemo)
2003: Angels in America (TV)
2004: Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse (Lemony Snicket's – A Series of Unfortunate Events)
2005: Das Comeback (Cinderella Man)
2005: La femme dans la chambre
2005: Jarhead – Willkommen im Dreck (Jarhead)
2006: The Good German – In den Ruinen von Berlin (The Good German)
2006: Little Children
2007: Nothing Is Private
2008: Wall-E
2008: Zeiten des Aufruhrs (Revolutionary Road)
2009: Autumn of Youth
2009: Brothers
2010: The Debt
2010: La siesta de Jacinto
2011: Der Plan (The Adjustment Bureau)
Playlist:
1 Thomas Newman - Elise (The Adjustment Bureau) - 03:27
2 Thomas Newman - Leave Atlantic City (Desperately Seeking Susan) - 02:33
3 Thomas Newman - Refrigerator Shrine (Welcome Home, Roxy Carmichael) - 02:36
4 Thomas Newman - Wallpaper (Fried Green Potatoes) - 01:30
5 Thomas Newman - Sisters (The Shawshank Redemption) - 01:18
6 Thomas Newman - Spring (Little Women) - 00:57
7 Thomas Newman - The High Downs and the Sea (Oscar and Lucinda) - 01:52
8 Thomas Newman - Black (Red Corner) - 04:50
9 Thomas Newman - The Rhythm of the Horse (The Horse Whisperer) - 03:14
10 Thomas Newman - Whisper of a Thrill (Meet Joe Black) - 05:43
11 Thomas Newman - Still Dead (American Beauty) - 02:46
12 Thomas Newman - Coffey On The Mile (The Green Mile) - 05:10
13 Thomas Newman - Rain Hammers (Road To Perdition) - 02:51
14 Thomas Newman - Unrealistic (Revolutionary Road) - 02:49
15 Thomas Newman - Mauve Antarctica (Angels In America) - 04:47
16 Thomas Newman - End Title (Little Children) - 07:40
Zu den großen Überraschungen der jüngsten Oscar®-Verleihung zählte sicher der Academy Award® in der Kategorie „Music Score“: Dass Neulinge im Filmgeschäft wie Trent Reznor und Atticus Ross mit ihrem Soundtrack, den sie für David Finchers Portrait des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, „The Social Network“, kreierten, sogar preisgekrönte Veteranen wie Alexandre Desplat, John Powell und Hans Zimmer hinter sich ließen, war so bestimmt nicht vorauszusehen.
Atticus Ross und Trent Reznor
So ganz unbekannt sind die beiden Oscar®-Gewinner in der Filmbranche allerdings auch nicht. Atticus Ross machte erst kürzlich mit seinem ethnisch angehauchten, rhythmisch-eindringlichen Score zum Endzeit-Drama „The Book Of Eli“ auf sich aufmerksam, und Trent Reznor ist mit seinem Projekt Nine Inch Nails seit 1993 immer wieder auf Soundtracks von Filmen renommierter Regisseure wie Oliver Stone („Natural Born Killers“), David Fincher („Sieben“), Alex Proyas („The Crow“) oder David Lynch („Lost Highway“) zu finden. Diesen Umstand hat Reznor vor allem der Tatsache zu verdanken, dass Nine Inch Nails seit ihrer Gründung im Jahre 1988 schnell zu einer festen Größe der alternativen Musikszene avancierten.
Dabei sah zunächst alles danach aus, als würde Trent Reznor eine Karriere als Konzertpianist einschlagen. Doch als er in Teenagerjahren mit der Rockmusik in Berührung kam, fand er in ihr eine adäquatere Möglichkeit, sich auszudrücken, also brachte er sich selbst das Spielen einiger Instrumente bei und faszinierte sich für die unendlichen Möglichkeiten, die sich durch die technischen Entwicklungen boten. In welche musikalischen Richtungen vor allem die ersten erschwinglichen Synthesizer führen konnten, beobachtete Reznor bei europäischen Vertretern der (Post-)Industrial-Szene wie Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle und Einstürzende Neubauten, aber auch die amerikanischen Pendants wie Ministry und Skinny Puppy sagten ihm sehr zu. Nach diversen eher unbefriedigenden Engagements bei lokalen Acts begann Trent Reznor 1988 seine eigenen Ideen unter dem Namen Nine Inch Nails konsequent weiterzuentwickeln.
Das 89er Debütalbum „Pretty Hate Machine“ spielte er zwar im Alleingang ein, ließ die spektakuläre Mixtur aus harten Industrial-Gitarren, coolen Synthi-Sounds und extrem eingängigen Melodien aber von Profis wie Flood (U2, Cabaret Voltaire, Soft Cell, New Order), Keith LeBlanc (Mark Stewart And The Maffia, Sugarhill Gang Band, Tackhead) und John Fryer (Depeche Mode, Fad Gadget, Die Krupps) veredeln.
Lucas Hilbert schreibt in seiner Rezension auf amazon.de:
„Mit dem Album ‚Pretty Hate Machine‘ wurde für ein kommerziell interessantes Publikum der Durchbruch zu einer genießbaren Variante der Industrial Music geschafft und in der Popkultur die entsprechende Schmuddel-Duftmarke gesetzt. Die aggressive Herrschaft der Klänge in diesem Album wurde zuerst von depressiv veranlagten Klubbesuchern verinnerlicht, die zu den Rhythmen umherwirbelten und sich die von Angst besessenen Überzeugungen aneigneten. Seit ihrem Erscheinen stehen die hart gesottenen Ansichten dieses Albums für eine ästhetische Träumerei von den Leidenswegen, auf die uns die Maschinen treiben. Die Tracks von zischenden Maschinen und dissonanten Überlastungen fallen über einen her - außerhalb aller Wege von moderner, gefälliger Vermittlung. Hits wie ‚Head Like a Hole‘ und ‚Down in It‘ sind an ihren sarkastischen Beats und an ihren durchdringenden Riffs zu erkennen, ebenso an den feindseligen Aussagen ihrer Texte, die den Hörer mit ihrer Flut von respektloser Kritik einfangen. ‚Pretty Hate Machine‘ ist keine leichte Kost und trifft in unserem Innersten einen empfindlichen Nerv.“
Doch drei Jahre später hat sich der Sound von Nine Inch Nails grundlegend geändert. Die 1992 veröffentlichte EP „Broken“ wartete kaum noch mit den ausgedehnten elektronischen Klanglandschaften auf, sondern präsentierte harten Industrial-Metal, wobei der Track „Gave Up“ – im Remix von Coil - erstmals den Sprung auf einen Soundtrack („The Young Americans“) schaffte. Der brachiale Gift-und-Galle-Industrial-Mix wurde zum Glück mit dem 1994er Album „The Downward Spiral“ in komplexere, aber auch eingängigere Gefilde überführt, wie die grandiose Single „Closer“ meisterhaft demonstriert. „Closer“ fand den Weg gleich auf drei Soundtracks.
Dass David Fincher das Stück in seinem düsteren Thriller „Sieben“ einsetzte (im Precursor-Remix von Coil), bedeutete quasi seine erste „Zusammenarbeit“ mit Trent Reznor. Darüber hinaus wurde das Stück in Tony Scotts Thriller „The Fan“ und im 2007er Remake von „The Hitcher“ verwendet. Das Jahr 1994 ist insofern bemerkenswert, weil Trent Reznor nicht nur eigens für den Gothic-lastigen Soundtrack der Comic-Verfilmung von James O’Barrs„The Crow“ den Joy-Division-Klassiker „Dead Souls“ eingespielt hat, sondern auch den Soundtrack zu Oliver Stones moderne Bonny-&-Clyde-Variante „Natural Born Killers“ produzierte und dabei die drei NIN-Stücke „Burn“, „Something I Can Never Have“ und „A Warm Place“ einfließen ließ.
Weitere Soundtrack-Aufträge beinhalteten den Score zum Computerspiel „Quake“ (1996) und die Produktion des Soundtracks zu David Lynchs„Lost Highway“ (1997), der neben dem Score von Angelo Badalamenti auch „The Perfect Drug“ von Nine Inch Nails und die beiden Trent-Reznor-Cues „Videodrones; Questions“ und „Driver Down“ enthielt.
Mit Nine Inch Nails ging es nur noch sporadisch im regulären Kontext weiter. Bis zum nächsten regulären Album-Release „The Fragile“ sollten fünf Jahre vergehen, doch dafür war das Doppel-Album vollgepackt mit starken Singles und hitverdächtigen Songs („The Day The World Went Away“ wurde sogar im Trailer zum vierten „Terminator“-Film „Die Erlösung“ verwendet).
„‘The Fragile‘ ist sogar noch düsterer als das 1994 erschienene Album ‚The Downward Spiral‘ da es ständig mit finsterer Visage daherkommt. Trent Reznors heftige Sammlung von Kettensägen-Popmusik ist ein bedrückendes Werk, das sich durch die beiden CDs mit der Intensität einer Schrotflinte auf und ab bewegt. Es ist einen Augenblick lang gedämpft und im nächsten darauf explosiv, es mischen sich manchmal im Laufe eines Songs Trotz und Wut mit herzzerbrechender Resignation. Dennoch ist Reznors grimmiger und kompromissloser Stil ansprechend und unbestritten unterhaltsam, selbst wenn er Gesang total vermeidet. Unverändert sind die langen Passagen, die er wie besessen einsetzt, um den Hörer auf eine dynamische, aufregende Fahrt mitzunehmen. Die ruhigen Töne, die das Instrumentalstück ‚Just Like You Imagined‘ einleiten, explodieren plötzlich in ein Sperrfeuer von Rhythmen ohne jedes Taktmaß und in schlingernde Keyboard-Riffs, die alle zu einem vehementen Abschluss anschwellen. Allein die hier präsentierten Klangerfindungen sind schon erstaunlich. Reznors Produktion kommt der von Brian Eno nahe, was die Dynamik anbetrifft, obwohl sie aus einer völlig anderen Sensibilität heraus erwächst. ‚Starfuckers Inc.‘ benutzt zerhackte Stimmen als Verse und eine schreiende Meute als antreibenden Refrain im Stil von Ministry, um einige von NIN's Nachahmer (am deutlichsten Marilyn Manson) gnadenlos herunterzumachen. Obwohl es hier nichts für das Tanzparkett so richtig geeignetes gibt wie z.B. ‚Closer‘ auf dem Album ‚Downward Spiral‘, kommt ‚Where Is Everybody‘ dem doch sehr nahe, da es hier langsame, erschöpfende Drehungen und Adrian Belews dahingleitendes Gitarrenspiel gibt. Die Songs von ‚The Fragile‘ sind letztlich einfache Erkundungen einer tiefgehenden Desillusionierung. Sobald Reznor allerdings aufhört, sie zu verzerren, sind sie hervorragende Klanglandschaften voller Wut, die gleichermaßen erschreckend und schön sind“, urteilt Matthew Cooke in seiner Rezension auf amazon.de.
Weitere sechs Jahre gingen bis zum nächsten Album „With Teeth“ (2005) ins Land, das Reznor zusammen mit Alan Moulder (Depeche Mode, The Smashing Pumpkins) produzierte und sich etwas gefälliger und elektronischer präsentierte als das epische „The Fragile“-Werk.
Mit dem 2007 veröffentlichten Album „Year Zero“ unternahm Reznor eine Zeitreise ins Jahr 2022 und verarbeitete seine düsteren Zukunftsvisionen in einem stark elektronisch geprägten Konzeptalbum, das voller außergewöhnlicher Klänge und Improvisationen steckt, sporadisch aber auch von großer Schönheit durchzogen wird.
„Mit ‚Year Zero‘ setzt der Meister der Endzeitstimmung seinem Werk die Dornenkrone auf - und sich selbst an die Spitze der Verschwörungstheoretiker. Reznor schreibt die Idee vom totalen Überwachsungsstaat, die Orwell in ‚1984‘ meisterhaft skizziert hat, mit dieser Platte fort. Die USA im Jahr 2022: In God's Own Country ist der Teufel los. Das Land der Freien wird von einer fundamental religiösen Diktatur regiert, der nur ein paar viral vernetzte Guerrilleros die Stirn bieten. Dieser Plot ist der Ausgangspunkt für Reznors ambitioniertestes Projekt. Parallel zu diesem jüngsten macht seit Wochen das letzte Gerücht die Runde. Das neue Album der Nine Inch Nails wird von einer Kampagne begleitet, wie sie die Musikindustrie noch nicht erlebt hat. Reznor überzieht die reale wie die virtuelle Welt mit einer Flut von kryptischen Fingerzeigen auf das Jahr Null. Band-Shirts, auf Listening Sessions verteilte Buttons, zufällig gefundene USB-Sticks - immer wieder tauchen Hinweise und Links auf. Sie führten tiefer und tiefer in die labyrinthische Welt einer vielleicht gar nicht so fernen Zukunft. ‚Year Zero‘ verwischt auf diese Art Grenzen, um sie konsequent neu zu definieren - und gibt dem Begriff Gesamtkunstwerk so eine ganz neue Bedeutung. Um den Malstrom dieser mäandernden Fantasie in Songs zu kanalisieren, haben Reznor und seine alten Spießgesellen Atticus Ross und Alan Moulder wieder ein ganzes Heer von unerbittlich tickenden Sequenzern, kreischenden Gitarren, hämmernden Beats und suggestiver Sounds in Stellung gebracht. ‚Year Zero‘ ist nicht nur ein neuer Höhepunkt in Reznors künstlerischem Denken. Mit dieser Platte hat er seine Musik noch weiter ausdifferenziert - und auf den Punkt gebracht. Den Berserker lässt er zwar immer noch gern von der Leine. Doch auf das kontrolliert infernalische Klanggewitter folgte heute die Ruhe nach dem Sturm. Und in der liegt ja bekanntlich die Kraft. Der passionierte Nihilist hat damit die Quadratur des Kreises geschafft: Schließlich kommt es nicht oft vor, dass eine Platte, die vom Armageddon erzählt, Anlass zu uneingeschränktem Optimismus gibt“, urteilt Pure.de.
Das nachfolgende Doppel-Album „Ghosts I-IV“ (2008) erwies sich wiederum als ganz anderes Konzeptalbum, als eine Sammlung von 36 namenlosen Instrumentalstücken, die recht düster und ruhig Exkursionen durch psychedelische, aber auch sperrige Ambient-, Dub- und Electronica-Gefilde unternahmen.
Zumindest in filmmusikalischer Hinsicht stellte das von Trent Reznor und Atticus Ross produzierte Album eine elaborierte Fingerübung dar, fiel aber letztlich zu experimentell aus, um als Höhepunkt in der NIN-Diskographie betrachtet werden zu können.
Mit dem ebenfalls 2008 auf seinem eigenen Null-Label veröffentlichten letzten Album „The Slip“ kehrte Reznor wieder zu den großartigen Songstrukturen früherer Meisterwerke zurück.
2009 kündigte Trent Reznor an, mit Nine Inch Nails eine Pause einzulegen. Vielleicht gibt ihm der Erfolg mit dem Soundtrack zu „The Social Network“ den nötigen Antrieb, auf diesem Terrain seine Meisterschaft weiter auszubauen. Für „The Social Network“ war Trent Reznor auf jeden Fall Finchers erste Wahl:
„Ich finde, dass Trent einzigartig ist, sowohl als Technik-Freak als auch als Kommunikationsexperte. Er verfügt über eine ganz spezielle Beziehung zu seinem breit gefächerten Publikum, die er sehr ernst nimmt. Und wer kann in musikalischer Hinsicht besser über Innovation und Technologie und Kommunikation und Verbindungsmöglichkeiten reden als Trent?“, erzählte der Regisseur dem Online-Magazin Pitchfork.com.
David Fincher, der übrigens auch das Musikvideo zu NIN’s „Only“ drehte, hat Reznor und Ross bereits mit dem Soundtrack zum Remake des schwedischen „Millennium“-Auftakts „The Girl With The Dragon Tatoo“ beauftragt. Atticus Ross arbeitet mit Trent Reznor seit dem NIN-Album „With Teeth“ eng zusammen. Mitte der 90er fing er als Programmierer für Bomb the Bass an, arbeitete dann mit Barry Adamson zusammen, ehe er mit Claudia Sarne und Adam Holden seine eigene Band 12 Rounds gründete.
How To Destroy Angels
Zusammen mit Trent Reznor und dessen Frau Mariqueen Maandig rief Ross 2010 auch das Projekt How To Destroy Angels ins Leben, dessen Name von einem Frühwerk der britischen Avantgarde-Band Coil inspiriert wurde. Seine ersten Filmerfahrungen sammelte Ross, als er zusammen mit seiner Frau Claudia Sarne und seinem Bruder Leopold für die Hughes-Brüder 2004 die Fernsehserie „Touching Evil“ vertonte und dann deren Part in der Film-Anthologie „New York, I Love You“, bevor er mit „The Book Of Eli“ seinen ersten Soundtrack für einen kompletten Kinofilm produzierte.
Statt einer kompletten Diskografie, die Ihr z.B. hier findet, gibt es an dieser Stelle nur eine Auflistung der Filmmusik-Beiträge von Trent Reznor und Atticus Ross.
1993: "The Young Americans” (Gave Up)
1994: “The Crow – Die Krähe” (Dead Souls)
1994: “Natural Born Killers” (Burn, Something I Can Never Have, A Warm Place)
1995: „Sieben“ (Closer [Precursor])
1996: „Quake“ (Videogame-Soundtrack)
1996: “Der Fan“ (Closer to God - uncredited)
1997: “Lost Highway“ (The Perfect Drug, Videodrones; Questions, Driver Down)
2000: “Final Destination“ (Into the Void)
2001: “Tomb Raider” (Deep)
2004: „Mann unter Feuer“ (The Mark Has Been Made, The Wretched, The Art of Self Destruction - Part One, The Downward Spiral [The Bottom], Self Destruction - Part Two, The Great Below - jeweils nur im Film)
2004: “Touching Evil” (TV-Serien-Filmmusik von Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne)
2005: “Doom“ (You Know What You Are [Remix von Clint Mansell])
2007: “The Hitcher“ (Closer)
2007: “300” (Just Like You Imagined - nur im Trailer)
2008: “Wanted” (Every Day Is Exactly the Same – nur im Film)
2009: “Terminator: Die Erlösung“ (The Day the World Went Away - nur im Trailer)
2009: “The Book Of Eli” (Film-Soundtrack von Atticus Ross)
2010: “The Social Network” (Film-Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross)
Playlist:
1 Trent Reznor & Atticus Ross - Pieces From The Whole (The Social Network) - 04:18
2 Nine Inch Nails - Dead Souls (The Crow) - 04:52
3 Nine Inch Nails - Something I Can Never Have (Natural Born Killers) - 04:04
4 Nine Inch Nails - Closer (The Downward Spiral) - 06:13
5 Nine Inch Nails - Intermission (Quake) - 02:28
6 Trent Reznor - Driver Down (Lost Highway) - 05:18
7 Nine Inch Nails - The Downward Spiral [The Bottom Remix by Coil] (Further Down The Spiral) - 07:28
8 Nine Inch Nails - Deep (Lara Croft: Tomb Raider) - 04:07
9 Nine Inch Nails - The Great Below (The Fragile) - 05:16
10 Nine Inch Nails - The Mark Has Been Made (The Fragile) - 05:15
11 Atticus Ross - Movement (The Book Of Eli) - 03:07
In der Nacht vom 27. Februar wurden zum 83. Mal die begehrten Oscars®-Trophäen verliehen. Der aussichtsreichste Kandidat mit 12 Nominierungen – „The King’s Speech“ – konnte immerhin 4 Auszeichnungen abräumen, als bester Film, Colin Firth als bester Hauptdarsteller, Tom Hooper als bester Regisseur und David Seidler für das beste Drehbuch.
Christian Bale und Melissa Leo erhielten jeweils einen Oscar® für die besten Nebenrollen in dem Boxer-Drama „The Fighter“, Natalie Portman als beste Hauptdarstellerin in Darren Aranofskys„Black Swan“. Abgesahnt haben auch Christopher Nolans Sci-Fi-Thriller „Inception“ (mit Auszeichnungen für Kameraarbeit, Sound Mixing, Sound Editing und visuelle Effekte) sowie David Finchers Biopic „The Social Network“. Hier wurde nicht nur das Drehbuch von Aaron Sorkin und der Filmschnitt mit einem Oscar® prämiert, sondern überraschenderweise auch Trent Reznor und Atticus Ross für ihre Filmmusik (womit die gestandene Komponisten wie Hans Zimmer und Alexandre Desplat hinter sich ließen), was umso erstaunlicher ist, als die Academy nur selten den Oscar® an „Neulinge“ vergibt. Schließlich verfügt keiner der beiden Musiker über eine formelle klassische Ausbildung, noch haben sie sich zuvor mit Arbeiten im Filmmusikgenre groß hervorgetan – sieht man von Atticus Ross‘ starkem Debüt für die Hughes-Brüder in „The Book Of Eli“ ab. Für mich ist diese Auszeichnung jedenfalls Grund genug, mich in meiner nächsten Sendung ausführlich mit dem Nine-Inch-Nails-Mastermind Trent Reznor und seinem Freund Atticus Ross zu beschäftigen. Eine vollständige Liste aller Nominierungen und –Preisträger findet Ihr hier: Winners for the 83rd Academy Awards | Academy of Motion Picture Arts & Sciences
Neben dem eigenbrötlerischen Kino von Gus Van Sant („Gerry“, „The Elephant“), den introvertierten Filmen von Jim Jarmusch („Ghost Dog“, „Broken Flowers“), den abgründigen Trips von David Lynch („Mulholland Drive“, „Inland Empire“) und den skurrilen Ausstattungsfilmen von Wes Anderson („Die Royal Tenenbaums“, „Darjeeling Limited“) gehören die in Minneapolis, Minnesota, geborenen Brüder Joel (* 29.11.1954) und Ethan Coen (*21.09.1957) fraglos zu den eigenwilligsten Filmemacher in Hollywood, die mit ihren schrägen Geschichten immer wieder große Preise gewonnen haben und am 10. Februar mit ihrem neuen Werk, dem Remake des John-Wayne-Klassikers „True Grit“, die diesjährige Berlinale eröffnen durften.
Als Söhne des Wirtschaftsprofessors Edward und Rena Coen, einer Professorin für Kunstgeschichte, wuchsen die Brüder in einer jüdischen Umgebung auf. Joel Coen verdiente sich das Geld für seine Super-8-Kamera durch Rasenmähen und drehte mit seinem Bruder und einem Nachbarsjungen Filme aus dem Fernsehen nach, doch gingen sie in der Ausbildung getrennte Wege. Während Joel am öffentlichen Filmprogramm der New York University teilnahm und zum Abschluss den dreißigminütigen Film „Soundings“ präsentierte, studierte Ethan an der Princeton-Universität Philosophie. Erst danach widmeten sie sich gemeinsam ernsthaft dem Filmgeschäft und freundeten sich mit Sam Raimi an, der einen Assistenten für seinen Film „Tanz der Teufel“ (1982) suchte. Zwei Jahre später präsentierten die Coen-Brüder mit „Blood Simple – Eine mörderische Nacht“ ihren ersten Film, der nach eigenem Drehbuch entstand. Die bitterböse Homage an den film noir der 40er Jahre erzählt die Geschichte eines neurotischen Privatdetektivs (M. Emmet Walsh), der von eienm gehörnten Barbesitzer (Dan Hedaya) den Auftrag erhält, seine Ehefaru (Frances McDormand) und deren Liebhaber (John Getz) zu töten, stattdessen aber ein mörderisches Katz-und-Maus-Spiel inszeniert.
“Die Brüder Coen spielen dabei bereits mit ironischen Elementen, Genrezitaten und durchaus ernsten Suspense-Momenten. 'Blood Simple'ist gleichzeitig ihr erster Film, der doppelt kodiert funktioniert: Dem Genrekenner bietet er ein amüsantes und spannendes Verwirrspiel, das übrige Publikum unterhält er als Genrethriller“, befindet Marcus Stiglegger in „Filmregisseure“ (Reclam 2008, S. 144).
Auf eine ähnliche Weise funktioniert auch der nächste Coen-Film. In „Arizona Junior“ (1987) entführt ein kinderloses Paar (Nicolas Cage und Holly Hunter) eines der Fünflinge des Millionärs Nathan Arizona, der kurzerhand einen Killer auf die Kidnapper ansetzt. Auch hier geben sich Genrezitate, Slapstickeinlagen und eine aberwitzige Handlung mit allerlei skurrilen Nebenfiguren ein munteres Stelldichein.
„Der Film bietet vieles, was geradezu prototypisch coenesk daher¬kommt: schlichte Landei-Gemüter mit breitem Südstaatenakzent, penibel ausgefeilte Einstellungen und Dialoge, dazu diesen speziellen Humor, mal spröde, mal heiter, mal schier bizarr. Vergleicht man ‚Raising Arizona‘ mit ihren späteren Filmen, die doch einen deutlich kultivierteren, gemesseneren Eindruck machen, erscheint er wie eine Spielwiese, auf der Joel und Ethan versuchen, ihren Comedy-Stil zu finden. So grotesk, turbulent und over-the-top wie hier wird kein anderer Coen-Film mehr sein“, meint San Andreas in Der Umblätterer.
Eine weitere Genre-Fingerübung legten die Coen-Brüder mit ihrem Gangsterfilm „Miller’s Crossing“ (1990) vor, der vor dem Hintergrund der Prohibition einen blutigen Bandenkrieg inszeniert. Zwar glaubt der irische Gangsterboss Leo (Albert Finney), alles – vor allem den Bürgermeister und die Polizei - im Griff zu haben, doch ahnt er nicht, dass ausgerechnet sein persönlicher Berater Tom (Gabriel Byrne) mit seiner Freundin Verna (Marcia Gay Harden) ein Verhältnis hat. Dann verlangt der rivalisierende italienische Mafiaboss Johnny Casper den Kopf von Vernas Bruder, was Leo natürlich nicht zulassen kann …
Inspiriert von den Mafia-Epen der 80er Jahre („Es war einmal in Amerika“, „The Untouchables“) einerseits und den Werken Dashiell Hammetts („The Glass Key“) andererseits, die für die trockenhumorigen Dialoge verantwortlich zeichnen, stellt „Miller’s Crossing“ eine Art Quintessenz des Gangsterfilms dar und überzeugt vor allem durch seinen edlen Look.
In ihrem nächsten Film „Barton Fink“ (1991) spielt John Turturro einen aufstrebenden, aber unsicheren New Yorker Theaterautor, der sich in ein Hotel zurückzieht, um an einem Drehbuch für Hollywood zu arbeiten. Doch er hat nicht nur mit einer Schreibblockade zu kämpfen, sondern wird auch eines Mordes verdächtigt, für den sein Zimmernachbar Charlie Meadows (John Goodman) verantwortlich ist … Detailverliebt wie eh und je, mit viel schwarzem Humor und sagenhaften Kamerafahrten rechnen die Coen-Brüder gnadenlos mit den Mechanismen Hollywoods ab.
„‘Barton Fink‘ ist die Geschichte einer Selbstfindung, die in einer Sackgasse endet. Einer, der auszog, um künstlerischen Erfolg mit finanzieller Stärkung zu sichern, lernt das Fürchten, als er den Test seines Talents nicht besteht und an seinem Selbstverständnis zugrundegeht. Aber nicht nur die Individualität der Hauptfigur ist hier bedroht, auch Autor Bill Mayhew, Sekretärin Audrey und Nachbar bzw. Massenmörder Charlie ringen um ihre Persönlichkeit und verlieren. Die einzige Erkenntnis der Figuren besteht darin, dass sie nichts wissen. Daraus machen die Coen-Brüder aber kein schwerfälliges Kammerspiel, sondern eine herrlich makabre Komödie, mit satirischem Biss und aufrichtiger Tragik“, resümiert Stefan Rogall in „Das filmische Universum von Joel und Ethan Coen“ (Schüren 1998, S. 88).
Nicht ganz so gelungen fiel dagegen „Hudsucker – Der große Sprung“ aus. Auf den Spuren von Frank Capra erzählt der Film die Geschichte des einfachen Angestellten Norville Barnes (Tim Robbins), der nach dem Selbstmord von Waring Hudsucker (Charles Durning) der neue Präsident von Hudsucker Industries sein soll. Vorstandschef Sidney J. Mussburger (Paul Newman) hofft mit diesem Manöver, die Aktien seines Vorgängers günstig aufkaufen zu können, rechnet aber nicht damit, dass Barnes mit der Erfindung des Hula-Hoop-Reifens das Unternehmen rettet und bei der anschließenden Intrige gegen ihn unerwartete Hilfe von Hudsucker als Schutzengel erhält.
„Hinter all der Fingerfertigkeit aber verschwindet der lieb gewonnene, verwegene Coen-Charme fast vollständig. Was gar nicht so schlimm wäre, wenn an seiner Stelle der Charme eines Frank Capra oder eines Howard Hawks den Film erfüllen würde. Als Hommage funktioniert der Film nur auf dem Papier; die Screwball-Anleihen und die Slapstick-Schablonen sind sehr wohl vorhanden und stilecht umgesetzt, auch der Wilder’sche Stakkato-Wortwitz weiß zu überzeugen – doch vermag der Film die Ahnung, dass er am Reißbrett konstruiert wurde, nie ganz abzuschütteln.
Um als Komödie durchzugehen, fehlt es dem Film einfach an echter Fröhlichkeit; und tatsächlich funktioniert er viel besser als Fabel über den amerikanischen Kapitalismus. Die Tretmühlen der schuftenden Arbeiter, die Batterien von Buchhaltern, die bräsigen Chefetagen, die nach Sensationen geifernden Medien – hier entwickelt ‚Hudsucker‘durchaus satirische Schlagkraft.
So rückt der Film eher in die Nähe der Werke Fritz Langs oder Terry Gilliams; sein großes Kapital ist nicht die Figur des Simpels und seiner Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte, sondern die Darstellung seiner seelenlosen Umgebung. Die kapitalistische Maschinerie, ihre Hierarchien, ihre Bürokratie, ihre autistische Betriebsamkeit, ihr Profitwahnsinn und ihre nackte Gier: Hudsucker ist eine gut geölte Industrie, die nur um ihrer selbst Willen existiert“, urteilt San Andreas auf Der Umblätterer.
Dafür lieferten Joel und Ethan Coen mit „Fargo“ 1996 ein weiteres Meisterwerk ab. Darin plant der glücklose und abgewrackte Autoverkäufer Jerry Lundsgaard (William H.Macy) das perfekte Verbrechen. Zwei stümperhafte Ganoven (Steve Buscemi und Peter Stormare) sollen seine Ehefrau entführen und das Lösegeld vom reichen Schwiegervater erpressen. Doch der Plan geht fürchterlich schief und hinterlässt drei Leichen auf dem Highway. Die schwangere Polizistin Marge Gunderson (Frances McDormand) nimmt die Ermittlungen in der verschneiten Einöde Minnesotas auf. Die Coen-typische Mischung aus schwarzer Komödie, film noir und Gesellschaftssatire erhielt sowohl einen Oscar für die Hauptdarstellerin Frances McDormand, mit der Joel Coen seit 1984 verheiratet ist, als auch für das Drehbuch, das die Coen-Brüder wie gewohnt gemeinsam geschrieben haben, und kann durchaus als feministischer Western betrachtet werden.
„In vielen klassischen Filmen des Genres traten Frauen als, meist von der Ostküste stammende, Lehrerinnen auf, die versuchten, Gesetz und Bildung – kurzum Zivilisation – in den Westen zu bringen. In ‚Fargo‘ synthetisiert Marge gewissermaßen den zivilisatorischen Auftrag der Frau im Westen mit der herausragenden Tugend des männlichen Westerners: professionell seinen Job tun und ansonsten nicht viele Worte machen. Die Männer hingegen stolpern wie regressive, gewalttätige Trottel durch den Film. Ihnen fehlt es an jener fundamentalen Einsicht, ohne die das Leben – in Coen-Filmen – zum Scheitern verurteilt ist: Tue nie, was du nicht kannst“, findet Stefan Reinecke in dem von Peter Körte und Georg Seeßlen herausgegebenen „Joel & Ethan Coen“ (Bertz 1998, S. 187).
Das nächste Meisterwerk der Autorenfilmer ließ nur ein Jahr auf sich warten und machte Jeff Bridges als Alt-Hippie Jeff Lebowski, der nur „the Dude“ genannt werden möchte, zur Kultfigur. Als Opfer einer Verwechslung, nach der er die Schulden seiner Frau bei einem Porno-Produzenten begleichen soll, pinkelt einer der Schuldeneintreiber auf Lebowskis Teppich. Von seinen Bowling-Freunden Walter (John Goodman) und Donny (Steve Buscemi) wird Lebowski dazu gedrängt, sich den verunreinigten Teppich vom eigentlichen Adressaten der anrüchigen Botschaft ersetzen zu lassen. Das Anliegen wird vom richtigen, dem „Großen Lebowski“ (David Huddleston) zwar nicht erhört, doch soll der Dude den Entführern seiner Frau eine Million Lösegeld überbringen. Natürlich gerät das Unternehmen vollkommen außer Kontrolle und endet im tödlichen Chaos.
„Bei aller Demontage und Boshaftigkeit offenbaren die Coens jedoch auch wieder jene Qualität, die sie gegenüber dem blanken Zynismus manch ihrer Kollegen auszeichnet: ihre Menschlichkeit. Zwar trägt ‚The Big Lebowski‘ diese nicht so deutlich zur Schau wie ‚Fargo‘ (und ist auch nicht ein so sympathischer Film wie dieser), aber auch hier werden selbst die absurdesten Charaktere nie denunziert; schwingt in ihrer tiefen Lächerlichkeit stets ein Moment der Größe; findet sich anstelle von Verurteilung eine staunende Bewunderung und Neugier angesichts der Palette menschlicher Möglichkeiten.
Dazu gesellt sich, wie ebenfalls üblich, überbordender, spielerischer Einfallsreichtum; ein enorm genaues Ohr für den Jargon (weshalb von der Synchronfassung noch mehr als üblich abzuraten ist); Gespür für bizarre Details und diebische Freude über das Ausstreuen falscher Fährten für alle akademischen Interpreten.
Und vor allem ist 'The Big Lebowski', wie jeder Film der Gebrüder Coen, ein nicht nur vielschichtiges und intelligentes, sondern auch höchst unterhaltsames Vergnügen“, kommentiert Thomas Willmann auf Artechock.
Ein höchst amüsantes Filmvergnügen bescherten Joel und Ethan Coen ihrem Publikum auch mit ihrer eigenwilligen Adaption von Homers„Odyssee“, die sie als „O Brother, Where Art Thou?“ (2000) in die Südstaaten verlegten, wo in den 30er Jahren der Ganove Ulysses Everett McGill (George Clooney) mit seinen Kumpels (John Turturro und Tim Blake Nelson) aus dem Gefängnis ausbricht, um sich auf die Suche nach einem vergrabenen Schatz zu begeben, wobei sie allerlei Prüfungen zu absolvieren haben und natürlich von einer irrwitzigen Situation in die nächste Katastrophe stolpern. Mit den leuchtenden Bildern von Stammkameramann Roger Deakins und dem sämtliche Folkstile jener Zeit abdeckenden Soundtrack von T-Bone Burnett ist den Coen-Brüdern ein weiterer Beitrag zur Demontage amerikanischer Mythen gelungen.
„Durchmischt und endgültig ins Irreale entrückt wird ‚O Brother, Where Art Thou?‘ dann durch den immer wieder aufflackernden Bezug zu Homers‚Odyssee‘ (der Seher, die Sirenen, die Namensgebung) und den Einsatz klassischer Märchenmotive wie dem Pakt mit dem Teufel oder der Verwandlung eines Menschen in einen Frosch – auch das ein Einblick in die Art und Weise, mit der die Coens sich bestimmte Motive und Mythen einverleiben. Dass hier auch ein Verweis auf die Bibel nicht ausbleibt, ist nur konsequent.
Das Faszinierende an ‚O Brother, Where Art Thou?‘ ist schließlich die große inszenatorische Meisterschaft, mit der alle diese Zutaten zusammengehen. Der gewissermaßen tatsächlich epische Film ist nicht nur doppelt, sondern gleich mehrfach codiert: Erscheint ‚O Brother, Where Art Thou?‘ auf den ersten Blick wie ein einziges Geplänkel, wird er bei genauerem Hinsehen zu einem beinahe unerschöpflichen Film, der permanent mehrere Dinge auf einmal verhandelt“, stellt Christian Horn in seiner Rezension auf Filmstarts.de fest.
Mit ihrem nächsten Film bewegte sich das brüderliche Gespann wieder in vertrautes Film-noir-Fahrgewässer und drehten „The Man Who Wasn’t There“ (2001) sogar in stimmungsvollem Schwarz-Weiß. Kettenraucher und Herrenfriseur Ed Crane (Billy Bob Thornton) will der Monotonie seines Lebens ein Ende bereiten und beginnt, den Liebhaber (James Gandolfini) seiner gerissenen Frau (Frances McDormand) zu erpressen, damit er
in die "Werden-Sie-über-Nacht-zum-Millionär"-Idee eines Handelsreisenden (Jon Polito) investieren kann. Wer auch einige wenige Coen-Filme gesehen hat, weiß, dass der Traum sehr bald zu einem Albtraum wird.
„In malerischen Schwarz/Weiss-Bildern zeichnen die Coens das Bild eines sehnsüchtigen Mannes auf der Suche nach Freiheit. Elegant und clever in Szene gesetzt besticht ‚The Man Who Wasn´t There‘ formal vor allem durch die elegante Ausleuchtung und die für die Brüder typische Brillanz im Bezug auf Drehbuch und Charakterzeichnung. Joel und Ethan Coen ist ein Drama gelungen, das ohne falsche Wertvorstellungen auskommt und dabei unbeschönigend und nüchtern den Niedergang eines innerlich völlig leeren Mannes schildert“, resümiert handle me down.de.
Nach diesem düsteren Werk bewegten sich die Coen-Brüder mit „Ein (un)möglicher Härtefall“ (2003) und dem Remake des Gauner-Klassikers „Ladykillers“ (2004) so nah wie nie zuvor in Richtung Mainstream-Komödie. In „Ein (un)möglicher Härtefall“ spielt George Clooney den erfolgreichen Anwalt mit dem Fachgebiet Eherecht, der seinen Mandanten selbst aus ausweglosesten Situationen zu ihren Millionen verhilft. So muss sich Fernsehproduzent Donovan Donaly (Geoffrey Rush) von seinem gesamten Vermögen verabschieden, obwohl er seine untreue Frau in flagranti mit dem hübschen wie dümmlichen Pool-Reiniger erwischt hat. Und der millionenschwere Rex Rexroth (Edward Herrmann) muss trotz einschlägiger Videobeweise keinen Cent an seine betrogene Ehefrau (Catherine Zeta-Jones) abgeben, worauf diese auf Rache sinnt und dem aalglatten Winkeladvokaten allmählich den Boden unter den Füßen wegzieht …
„Aus einer durchschnittlichen Komödie der Irrungen ist so eine klassische, pechschwarze Screwball-Comedy geworden, die streckenweise mit Howard Hawks'‚Leoparden küsst man nicht‘ verglichen werden kann - freilich ‚modernisiert‘ mit dem für die Coens typischen, schrägen Look und scharfen, hintersinnigen Wortwitz. Ganz in der Tradition von Gary Grant und Katharine Hepburn liegen sich die beiden Streithähne in den Haaren, während man als Zuschauer nur darauf wartet, bis sie einander endlich in die Arme fallen“, urteilt Blickpunkt: Film.
Danach haben sich die Coen-Brüder des Alexander-Mackendrick-Klassikers „The Ladykillers“ aus dem Jahre 1955 angenommen und ließen Tom Hanks als Prof. Dr. Goldthwait Higgins Dorr in die Rolle von Alec Guiness treten. Zusammen mit fünf weiteren Ganoven sucht er sich ein unscheinbares Quartier, von dem aus der Überfall auf ein am Mississippi liegendes schwimmendes Casino geplant werden soll. Nachdem Dorr ein Zimmer bei einer gottesfürchtigen Witwe gemietet hat, nutzen die Gauner den Vorratskeller vordergründig als Proberaum für ihre Musik, graben sich aber tatsächlich zum Casino durch. Doch so manche Missgeschicke drohen den Plan zu vereiteln …
„Das Original von Ladykillers mit Alec Guinness und Peter Sellers spielt im nebligen London des Jahres 1952 und ist eine der schönsten Gangsterkomödien der Kinogeschichte. Ein Remake hat dieses liebevoll-makabre Werk so wenig nötig wie Witwe Munson einen neuen Beschützer. Tatsächlich ähnelt der Coen-Film einem dieser knautschigen Kaminsessel unter dem überdimensionierten Ölbild des verstorbenen Munson-Gatten. Eine luxuriös gepolsterte Verschwendung. Pefekt ausgestattet, mit ausgegrabenen Gospels untermalt und penibel ausgeleuchtet in den braunen warmen Tönen einer Apfelstrudelwerbung. Schon erstaunlich, dass das Brüderpaar aus der Reanimation des Stoffes und seiner Verlegung in eine diffuse Südstaaten-Gegenwart nicht einen einzigen Funken zu schlagen weiß. Letztlich gibt das Remake nämlich Anlass zu ebenjenem Kulturpessimismus, mit dem sich die Coens zu Beginn so lässig aus dem Fenster hängen“, urteilt Birgit Glombitza in der Zeit.
Nach den beiden eher enttäuschenden Mainstream-Komödien kehrten Joel und Ethan Coen drei Jahre später mit ihrem Oscar-prämierten Meisterwerk "No Country For Old Men" wieder zu ihren Wurzeln zurück. Der nach dem Roman von Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy („All die schönen Pferde“, „The Road“) entstandene Film erzählt eine Geschichte, die dem trostlosen Grenzland zwischen Texas und Mexiko entspricht. Vietnam-Veteran Llewelyn Moss (James Brolin) trifft während der Jagd zufällig auf den blutigen Schauplatz eines fürchterlich misslungenen Drogendeals. Bei näherer Betrachtung entdeckt er neben all den Toten auch einen Schwerverletzten und zwei Millionen Dollar. Er schnappt sich das Geld, kehrt aber zum Tatort zurück, um dem Schwerverletzten Wasser zu bringen. Doch die geprellten Drogendealer hetzen den stoischen wie effektiven Profikiller Anton Chigurh (Javier Bardem) auf Llewelyn, den Dorfsheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones) davor bewahren will, sich zu den unzähligen Leichen zu gesellen, den Chigurgh auf der Jagd nach dem Flüchtigen hinterlässt …
„Formal erinnert vieles an 'Blood Simple', den düsteren Erstlingsfilm der Coen-Brüder. Knappe Dialoge, der Verzicht auf einen unterstreichenden Soundtrack, die Verdichtung der Handlung auf das Wesentliche. Dazu die archaische Landschaft, die weit ab von Großstädten beinahe zwangsläufig existentielle Themen in den Mittelpunkt rückt. Die Romanvorlage hat großen Anteil daran. Neben Moss werden mit dem eiskalten Killer Chigurh (gespielt von einem umwerfenden Javier Bardem, der für seine Leistung auch mit dem Oscar ausgezeichnet wurde) und dem verwittert-desillusionierten Sheriff Bell (Tommy Lee Jones) zwei Figuren eingeführt, die den minimalistischen Plot über das Genre hinausheben (…) Am Ende verstört 'No Country for Old Men' durch seine dekonstruktivistische Kraft. Die immergleichen Bilder von staubigen Strassen, primitiven Tankstellen oder öden Motels im Nirgendwo erfahren eine Neubewertung. Sie haben nichts von der Vorhersehbarkeit der Geschichten mit denen man sie verbindet. Moralische Kategorien werden aufgehoben und im letzten großartigen Monolog von Sheriff Bell hat 'No Country for Old Men' endgültig die Fesseln des Genrekinos gesprengt“, schreibt Thomas Reuthebuch in seiner Rezension auf Amazon.de.
Nach diesem düsteren Meisterwerk feuerten die Coen-Brüder mit „Burn After Reading“ wieder ihr gewohnt schräges Humorfeuerwerk ab.
Der CIA-Balkanexperte Osborne Cox (John Malkovich) beschließt nach seiner Suspendierung, sich dem Schreiben seiner Memoiren zu widmen. Das passt seiner Frau
Katie (Tilda Swinton) gar nicht in den Kram, droht doch ihre Affäre mit dem langjährigen Hausfreund Harry Pfarrer (George Clooney) aufzufliegen. Als Versicherung im Falle einer Scheidung fertigt sie eine CD mit dem Inhalt des Computers ihres Mannes an, die ausgerechnet in ihrem Fitnessclub von den beiden Angestellten Chad Feldheimer (Brad Pitt) und Lina Litzke (Frances McDormand) gefunden wird. Ihr Versuch, die brisanten Daten an die Russen zu verkaufen, mündet in einem Chaos aus Betrug und Erpressung.
„Ganz wie zur Hochzeit des Genres in den siebziger Jahren sind die Brüder einer großen Verschwörung auf der Spur: Die der Idiotie, welche auch den amerikanischen Geheimdienst längst unterwandert hat.
Den kritischen Einspruch, in ziemlich schamloser Manier auf die Schadenfreude eines sich überlegen dünkenden Publikums zu spekulieren, federn die Coens in gewohnt eleganter Manier ab: Sie werfen ihren Zuschauern nicht nur selten trottelige Figuren zum Fraße vor, sondern auch deren Darsteller - und die sind allererste Wahl.
Wenn John Malkovich einen krankhaften Narziss spielt, Brad Pitt als dümmlicher Schönling über die Leinwand turnt und George Clooney sich als erbärmlicher Schürzenjäger freimütig der Lächerlichkeit preis gibt, wird damit auch Hollywoods moderner Götzenkult lustvoll bloßgestellt. Passend zur Anbetung des Oberflächlichen sucht man innere Wert bei fast allen Figuren des Films vergeblich“, urteilt Michael Kohler in der Frankfurter Rundschau.
Mit ihrem Film „A Serious Man“ haben sich Joel und Ethan Coen dann auf gewohnt ironische Weise mit ihrem jüdischen Background auseinandergesetzt. Im Gegensatz zum All-Star-Vehikel „Burning After Reading“ bewiesen die Brüder, dass ihre Filme auch große Namen wunderbar funktionieren. Der Anti-Held heißt diesmal Larry Gopniks (Michael Stuhlbarg) und muss innerhalb kürzester Zeit erleben, wie sein wohlgeordnetes Leben aus allen Fugen gerät. Zunächst eröffnet ihm seine Frau Judith (Sari Lennick), dass sie sich in den Witwer Sy Ableman (Fred Melamed) verliebt hat und daher eine rituelle Scheidung möchte. Dann wird das FBI auf die beim illegalen Glücksspiel eingesetzten Mathematikfähigkeiten seines hochbegabten Bruders Arthur (Richard Kind) aufmerksam. Während der pubertierende Sohn Danny (Aaron Wolff) sich mehr für Marihuana und Rockmusik als für die Schule interessiert, greift Töchterchen Sarah (Jessica McManus) ins väterliche Portemonnaie, um sich die Nase verschönern zu lassen. Schließlich gerät auch Larrys Uni-Karriere ins Strudeln, als ihm der südkoreanische Student Clive (David Kang) einen prallgefüllten Geldumschlag zusteckt, um eine bessere Note zu bekommen …
„Diese Aussage von der Unkontrollierbarkeit des Lebens wird von den Regisseuren und Drehbuchautoren Joel und Ethan Coen auf ihre unnachahmliche Weise in eine überwältigende Geschichte verpackt. In 'A Serious Man' mischen sie die düstere Verzweiflung aus ‚No Country for Old Men‘ mit dem absurden Humor aus ‚Burn After Reading‘. Aus dieser gewagten Kombination haben sie stilsicher ein geniales Meisterwerk entwickelt. Für die Figuren haben sie sich dieses Mal hauptsächlich ziemlich unbekannte Schauspieler ausgesucht, die überzeugend in ihre teilweise zurückhaltenden, teilweise aber auch leicht grotesken Rollen schlüpfen. In manchen Einstellungen von Kameramann Roger Deakins sorgt alleine schon die Mimik der Darsteller für Lacher. Was ist nun genau die Botschaft des Films? Die kann nicht einmal von den Rabbinern oder Jefferson Airplane ergündet werden, sondern muss vermutlich von jedem Betrachter selbst entschlüsselt werden. Vermittelt wird sie aber auf alle Fälle mit außerordentlich viel Humor. Wer allerdings die Aussage nicht versteht oder der Ansicht ist, dass sie der eigenen Lebenseinstellung wiederspricht, wird sich womöglich nicht besonders gut amüsieren. Aber das war bei den Filmen der Coens schon immer so“, findet Thomas Hunziker in seiner Rezension auf filmsprung.ch.
Ihr neuer Film „True Grit“ ist nach „Ladykillers“ das zweite Remake, das die Coen-Brüder inszeniert haben, gleichzeitig der zweite (Neo-)Western nach „No Country For Old Men“. Doch geht die Adaption von Henry Hathaways„Der Marshall“ aus dem Jahre 1969 einen gänzlich anderen Weg und stellt einen ganz klassischen Beitrag zum Genre dar, bei dem der versoffene Marshall Reuben Cogburn (Jeff Bridges) von der 14-jährigen Mattie Ross (Hailee Steinfeld) angeheuert wird, Tom Chaney (Josh Brolin), den Mörder ihres Vaters, seiner gerechten Strafe zuzuführen. Ebenso wie Cogburn ist auch Texasranger LaBoeuf (Matt Damon) vom hohen Kopfgeld angetrieben, Chaney zur Strecke zu bringen …
„Die Coens konzentrieren sich auf das Spannungsfeld zwischen den drei Charakteren, inszenieren ein beklemmendes Kammerspiel in der freien Natur. Der Kameramann Roger Deakins hat sein Auge für die Unerbittlichkeit der Landschaft bereits in Jim Jarmuschs Western 'Dead Man' bewiesen. In' True Grit' folgt er Mattie, Cogburn und LaBoeuf auf ihrer langwierigen, mühsamen Hatz durch die winterliche Einöde (…) Die Coen-Brüder haben die literarische Vorlage von 'True Grit' mit protestantischem Eifer von allen Schnörkeln befreit und deren Irrwitz noch zugespitzt. Ihr Western ist nun selbst zu einer Ikone geworden: Mit seinen religiösen Bezügen, den Anspielungen auf das Ende einer Ära und den skurrilen Charakteren ist er näher an der puritanischen Wild-West-Darstellung des erfolgreichen Computerspiels 'Red Dead Redemption' als an den Genre-Klassikern. Und damit moderner denn je“, meint Jessica Braun in der Zeit.
Auf jeden Fall zählen die Coens zu den wenigen Autorenfilmern in Hollywood, schreiben sie doch stets gemeinsam das Drehbuch, lassen ihre Filme auf wundervolle Weise von Roger Deakins fotografieren und zumeist von Carter Burwell musikalisch untermalen. Mittlerweile ist es für Schauspieler ebenso prestigeträchtig, in einem Film der Coen-Brüder mitzuwirken wie in einem von Woody Allen. Dabei sind Hochkaräter wie John Goodman, George Clooney, Frances McDormand, Steve Buscemi und Jeff Daniels immer mal wieder in einem dieser Coen-Filme zu sehen, deren einzigartige Charaktere und starke Dialoge ihr Markenzeichen sind. Die üblichen Konventionen des Genres, auch literarische Vorlagen werden gern aufgegriffen, aber stets auf Coen-typische Weise kunstvoll verfremdet, wobei sich Humor und Anspruch nicht in die Quere kommen müssen. Das beweisen Joen und Ethan Coen mit jedem Film aufs Neue.
Filmographie:
1984: Blood Simple
1987: Arizona Junior (Raising Arizona)
1990: Miller’s Crossing
1991: Barton Fink
1994: Hudsucker – Der große Sprung (The Hudsucker Proxy)
1996: Fargo
1998: The Big Lebowski
2000: O Brother, Where Art Thou?
2001: The Man Who Wasn’t There
2003: Ein (un)möglicher Härtefall (Intolerable Cruelty)
2004: Ladykillers
2006: Paris, je t’aime (Episode)
2007: No Country for Old Men
2008: Burn After Reading
2009: A Serious Man
2010: True Grit
Playlist:
1 Carter Burwell - A Turkey Shoot (True Grit) - 03:05
2 Carter Burwell - Chain Gang (Blood Simple) - 04:47
3 Carter Burwell - Delivery (Fargo) - 04:54
4 Carter Burwell - Raising Ukeleles (Raising Arizona) - 03:40
5 Carter Burwell - Fade Out – The End (Barton Fink) - 03:36
6 Carter Burwell - Norville Suite (The Hudsucker Proxy) -03:54
7 Carter Burwell - Blood Trail Edit (No Country For Old Men) - 03:55
8 Carter Burwell - Baroque Troubles (The Ladykillers) - 02:29
9 The Soggy Bottom Boys - I'm A Man Of Constant Sorrow (O' Brother Where Art Thou?) - 03:13
10 Kenny Rogers & The First Edition - Just Dropped In (The Big Lebowski) - 03:20
11 Elvis Presley - Suspicious Minds (Intolerable Cruelty) - 04:33
12 Carter Burwell - Breaking And Entering (Burn After Reading) - 03:41
13 Carter Burwell - The Trial Of Ed Crane (The Man Who Wasn't There) - 03:48
14 Carter Burwell - End Titles (Miller's Crossing) - 04:44
Am 15.02.2007 ging ich mit meiner Sendung „Soundtrack Adventures“ erstmals bei Radio ZuSa auf Sendung. Zum zweijährigen Jubiläum gibt es am Freitag, 18. Februar ab 23 Uhr eine achtstündige Jubiläums-Show, bei der ich mit meinem Studiogast Kacper Ogorzalek zunächst zwei Stunden lang die Filmmusik-Highlights des vergangenen Jahres – abgerundet durch ein paar All-time-Favourites – präsentiere.
Als Vorgeschmack auf die 83. Oscar-Verleihung am 27. Februar werden die fünf für einen Academy Award nominierten Filmscores ebenso zu hören sein wie die besten Soundtracks, die die Hörer der Sendung und Blog-Leser hier gewählt haben.
Als Oscar-Nominees sind einmal mehr einige Bekannte am Start: Hans Zimmer (der bereits den Oscar für „Der König der Löwen“ in Empfang nehmen durfte und weitere Nominierungen für „Rain Man“, „Gladiator“, „Besser geht’s nicht“, „Thin Red Line“ und „Sherlock Holmes“ erhalten hat) für seine Musik zu Christopher Nolans„Inception“, Alexandre Desplat (nach Nominierungen für David Finchers „Der seltsame Fall des Benjamin Button“, den Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“ und „The Queen“) für den auch in anderen Disziplinen (u.a. für den besten Film, die beste Kamera, das beste Kostümdesign und das beste Produktionsdesign) vielfach nominierten Film „The King’s Speech“ und der 2009er Musikoscar-Gewinner A.R. Rahman („Slumdog Millionaire“) für „127 Hours“.
Erstmals nominiert sind John Powell für seine vitale Musik zum Animationsspaß „Drachenzähmen leicht gemacht“ und Nine-Inch-Nails-Mastermind Trent Reznor mit Atticus Ross für David Finchers„The Social Network“.
Darüber hinaus gibt es die Gewinner der Umfrage auf dieser Website zu hören – das sind gleich zwei Scores von James Newton Howard, zum Angelina-Jolie-Actioner „Salt“ und zu M. Night Shyamalans Realfilmadaption der Anime-Serie „Avatar“ („The Last Airbender“). Hans Zimmer ist nicht nur mit „Inception“, sondern auch mit Guy Ritchies„Sherlock Holmes“-Verfilmung vertreten, Harry Gregson-Williams mit dem Abenteuer-Score zu „Prince Of Persia: The Sands Of Time“, Atticus Ross mit „The Book Of Eli“ und Christopher Young mit Jon Amiels Charles-Darwin-Biopic „Creation“.
Playlist
1 Howard Shore - Prologue (Lord of the Rings – FotR) - 05:57
2 John Williams - Sherzo for Motorcycle & Orchestra (Indiana Jones and the Last Crusade) - 03:55
3 Javier Navarrete - Open Water (Cracks) - 04:45
4 Ilan Eshkeri - Lanyia's Liar (Stardust) - 03:59
5 Alexandre Desplat - The King's Speech (The King's Speech) - 03:57
6 John Williams - Journey to the Island (Jurassic Park) - 08:54
7 Clint Mansell - Nina's Dream (Black Swan) - 02:59
8 Alan Silvestri - Main Theme (Back to the Future) - 03:13
9 Shigeru Umebayashi - Goerge's Waltz (A Single Man) - 03:20
10 Christopher Young - Pleasure Perfect (Creation) - 04:45
11 A.R. Rahman - R.I.P. (127 Hours) - 05:09
12 Harry Gregson-Williams - Hassansin Attack (Prince Of Persia: The Sands Of Time) - 03:01
Seit dem 15.02.2009 läuft alle zwei Wochen sonntags auf Radio Zusa meine Sendung "Soundtrack Adventures" auf den Frequenzen 95,5 für Lüneburg, 88,0 für Uelzen und 89,7 fürs Wendland - oder als Online-Stream auf www.zusa.de - ab sofort sogar zweistündig von 15 bis 17 Uhr! Wenn Ihr einen bestimmten Wunsch für die Sendung habt, mailt ihn mir bitte einfach an Hörerwünsche! Viel Spaß beim Hören!