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Donnerstag, 2. September 2010

Dead Can Dance (Teil 4) - Träume der Selbstverwirklichung

„Into The Labyrinth“ weist nicht nur in intellektueller Hinsicht diese Spiralform auf, sondern natürlich auch und vor allem in musikalischer. Immer wieder tauchen geradezu antipodisch Lisas archaisch-lautmalerischen Gesänge und Brendans hintergründigen Texte im äußerst melodischen Gewand auf, steigern sich aber von Stück zu Stück, bis das Album zum einen mit dem von Lisa dominierten Gesangsduett „Emilia“ und Brendans bislang unübertroffen genialen Komposition „How Fortunate The Man“ beendet wird. Während die ersten Alben „Dead Can Dance“, „Spleen And Ideal“ und „Within The Realm Of A Dying Sun“ noch einen eher homogenen Gesamteindruck hinterlassen, haben Dead Can Dance mit ihren Folgewerken „The Serpent’s Egg“ und „Aion“ zu einem abwechslungsreicheren Spektrum gefunden, das A-Capella-Songs ebenso enthielt wie viel-instrumentelle Bombaststücke, rhythmisch-verspielte Mittelaltertänze ebenso wie epische Sphärenmusik.

Die Vielseitigkeit und Experimentierfreudigkeit von Dead Can Dance wird gerade bei den Songs „Yulunga“ und „Towards The Within“ dokumentiert, wenn der Spannungsaufbau aus der Evolution der wechselnden Instrumentation und Stimmungsbilder resultiert.
Nachdem Brendan und Lisa mit „Saltarello“ und „The Song Of The Sibyl“ bereits bei „Aion“ zwei Songs aus der Renaissance adaptiert hatten, griffen sie für ihr neues Album auf das alte irische Volkslied „Wind That Shook The Barley“ zurück, das Lisa in gewohnt eindringlicher A-Capella-Manier mit beeindruckender Virtuosität vorträgt.
„Es gibt immer mehr Dinge aus der Vergangenheit, von denen wir meinen, dass sie heute einem breiteren Publikum zugeführt werden sollten, Dinge, die uns viel Freude bereiten und die wir mit anderen teilen wollen“, erklärt Brendan seine Vorliebe für die Adaption traditionellen Liedguts. „`Wind That Shook The Barley´ stammt aus Irland, wo die Leute noch alte Lieder singen.
Es ist ein A-Capella-Stück, weil es in der Geschichte um Worte geht und um Worte, die gesungen werden. Sie beruht auf einer bulgarischen Vorstellung, die besagt, dass diejenigen, die Worte sprechen, Barbaren sind, diejenigen aber, die sie singen, Engel. Man drückt mit den Worten mehr aus, wenn sie gesungen werden, weil dabei mehr Gefühl ins Spiel kommt. Wir haben über eine passende Instrumentation nachgedacht, es aber schließlich beim Gesang belassen, weil er allein perfekt dafür erschien.“
Mit welchem symbolischen Gehalt Brendan seine Texte versieht, wird besonders bei „Tell Me About The Forest“ deutlich. Was auf den ersten Blick wie eine Huldigung an ein Naturphänomen aussieht, das unter der weiterhin ungebrochenen Fortschrittsgläubigkeit der westlichen Zivilisation langsam zu einer Ausnahmeerscheinung degradiert wird, entpuppt sich als kritische Auseinandersetzung mit dem Problem, dass es in Brendans Wahlheimat Irland weniger Irländer gibt als im Ausland.
„Das ist ein interessantes Phänomen. Gerade junge Leute brechen mit den alten Traditionen und ziehen aus, um sich selbst zu entdecken. Früher wurden die Kinder ausgeschickt, um Erfahrungen zu sammeln und davon nach ihrer Rückkehr zu berichten. Aber mittlerweile ist die Kommunikation zusammengebrochen, und all die guten alten Traditionen gehen verloren. Die Träume der jungen Menschen richten sich mehr auf die Städte als auf das Land. `Tell Me About The Forest´ ist ein symbolischer Titel. Es geht um das Verlassen“, erzählt Brendan und geht sowohl auf die Bedeutung des Titels als auch die Art und Weise seines Songschreibens näher ein.
„Die meisten Titel sind symbolisch gemeint, symbolisch im Rahmen einer größeren, universellen Skala. In `Tell Me About The Forest´ geht es letztlich um den Verlust von Erinnerungen, Traditionen und Kulturen in Irland, die durch das Fabrik-dominierte Leben in den Städten ersetzt wurde. Es geht auch darum, zu beiden Aspekten seinen Teil beizusteuern, was schließlich dazu führt, dass der Regenwald abgeholzt und die Kulturen anderer Völker zerstört werden, die den Wald nicht verlassen wollen, sondern bleiben möchten. Sie wissen über den Wald Bescheid, aber sie werden umzingelt und ausgerottet.“Ein weiteres, etwas mehr im verborgenen liegendes, aber sicher nicht weniger relevantes gesellschaftliches Phänomen greift Brendan mit „How Fortunate The Man“ auf, das ebenso wie „Carnival Is Over“, „Ubiquitous Mr. Lovegrove“ und „Tell Me About The Forest“ einen leicht melancholischen Grundton aufweist, die der überragenden kompositorischen Qualität noch eine verträumtere, zeitlosere Note verleiht.
„Was der Erzähler in `How Fortunate The Man´ beschreibt, ist, dass wir über keinen Mut und keine Weisheit verfügen. Die Menschen haben nicht das Bedürfnis, diese Eigenschaften zu besitzen. Um glücklich zu sein, brauchen sie nur wenige Dinge. Das ist die konservative bürgerliche Einstellung. Daran sind wir selbst schuld. Das lässt sich der Erzähler durch den Kopf gehen und kommt zu dem Ergebnis: Es ist die Angst vor Gott, die uns in diesen Zustand geführt hat, was zum Ende des Liedes komplett umgeworfen wird: Wir haben keine Angst vor Gott. Das ist wirklich der beste Song, den ich je geschrieben habe.“
Brendans Kommentare zu seinen Songs verstärken sicher den Kontrast, den seine melodiösen Titel mit konkreten, wenn auch symbolischen Texten ohnehin schon zu Lisas rein intuitiv zu verstehenden Gesängen bilden. Während Lisa sich gestattet, als Katalysator für ihre unbewussten Energien zu dienen und damit erreicht, sich dem intellektuellen Verständnis nicht nur zu entziehen, sondern ihre Person wie ihren intuitiven Ausdruck vollends zu mystifizieren, tendiert Brendan dazu, bewusster an die Sache heranzugehen, was auch vonnöten ist, da er überwiegend mit dem Arrangement und der Produktion zu tun hat.
„Lisa und ich arbeiten beide auf eine intuitive Weise, aber Lisa neigt eher dazu, in eine Dämmerung einzutauchen, um gewisse Dinge hervorzubringen. Das wird auch dadurch sichtbar, dass sie stets in Zungen singt und spricht und sich gestattet, ein Katalysator dafür zu sein, urzeitliche, unterbewusste Aspekte ihrer Psyche aufzudecken, ein Katalysator für das zu sein, was sie fühlt und tut. Das tue ich in gewisser Hinsicht auch, aber ich tendiere dazu, bewusster an die Sache heranzugehen, weil ich mehr in das Arrangement und die Produktion involviert bin.
Da besteht ein Gleichgewicht zwischen uns, ohne die nichts funktionieren würde. Das ist keine Sache, worüber wir reden könnten. Das ist eine natürliche Kommunikation, die auf der jeweiligen Stärke des anderen beruht“, versucht Brendan die Zusammenarbeit der beiden musikalisch so verwandten, aber doch ganz unterschiedlich an die Sache herangehenden Seelen zu erklären. „Wir arbeiten anfänglich unabhängig voneinander und erlauben einander die Zeit und den Raum, unsere individuellen musikalischen Visionen entwickeln zu lassen. Wenn wir das Gefühl haben, jeder von uns hat für sich genug Musik geschrieben, kommen wir zusammen und schreiben das eigentliche Material. Wenn wir uns wiedersehen, ist oft ein Jahr vergangen oder zumindest ein großer Teil davon, aber da wir uns dann fast so nahe wie gute Freunde sind, entwickelt sich ein brillanter dynamischer Prozess, dem unsere Musik entspringt. Und wenn wir Musik schreiben, denken wir auch stets daran, wie der andere es mögen würde. Da besteht ein ähnliches Musikverständnis zwischen uns, das uns ermöglicht, unsere Musik so zu gestalten, wie jeder von uns es sich vorstellt.“
Doch auch wenn Brendan in Interviews durch seine sehr präzisen Antworten dazu beiträgt, den traumwandlerischen Klängen von Dead Can Dance einen intellektuellen Hintergrund zu verleihen, bleiben die Träume, die bei Lisa und Brendan eine adäquate musikalische Umsetzung erfahren, auch für Brendan eine Quelle der Selbstfindung.
„Träume sind sehr real. Immerhin verbringen wir ein Drittel unseres Lebens mit Träumen. Es sind vor allem Träume der Selbstverwirklichung, Träume davon, wie man sich als Individuum in ein Gleichgewicht mit seinem Stamm bringt.
Zum einen geht es darum, als Individuum, das sich von den anderen unterscheidet, akzeptiert zu werden. Zum anderen muss das Individuum verstehen, dass es die Gemeinschaft, die Familie braucht. Einige Indianerstämme haben eine brillante Lebensphilosophie. Das erste Gesetz lautet: Wir müssen erkennen, dass jeder von uns anders ist. Das zweite Gesetz heißt: Wir sind in einer Hinsicht alle gleich: Wir sind allein. In der Einsamkeit unterscheidet sich niemand von anderen. Alles andere ist großer Mist. Wenn wir unsere materielle Welt betrachten, wendet man den Begriff der Gleichheit nur auf Besitzverhältnisse an, aber das ist nebensächlich. Wir sind letztlich wie Inseln zueinander. Nur wenn wir miteinander kommunizieren, können wir uns bewusstwerden, dass wir Individuen sind. Dadurch erfahren wir etwas von den Träumen anderer, mit denen man die Welt wahrnimmt. Da spielen eine Menge Symbole eine Rolle, die hoffentlich Teil eines universellen Traumes sind, der unabhängig von den ganz persönlichen Träumen der Menschheit existiert. Es geht nicht darum, andere als Außenseiter abzustempeln, wenn man von ihren Träumen erfahren hat, die nicht in dieses Konzept passen. Man lernt diagnostische Methoden, um seine Träume zu verstehen, ob sie sich im Schlaf oder in Ideen manifestieren. Und man kann eine Menge über sich selbst dabei lernen und erkennen, dass Träume auch prophetisch sein können.“
Ein Traum für viele Fans erfüllt sich schließlich mit der 1994 mit der Veröffentlichung des Albums „Toward The Within“, das einige bei ihren Konzerten exklusiv vorgetragene Songs enthält, die bislang - wenn überhaupt - sonst nur auf den mittlerweile zahlreich kursierenden Bootlegs erhältlich gewesen sind.
„Wenn wir live spielen, wiederholen wir uns ungern. Wir nehmen lieber die Gelegenheit wahr und schaffen mit Hilfe eines offenen Systems neue Musik mit viel Platz für Spontanität und Improvisation. Wir haben gemerkt, dass wir so gefährlich schöne Musik schaffen können“, erläutert Brendan die Vorliebe der Band, bei Konzerten überwiegend unbekanntes neues Material vorzustellen.
Parallel dazu erscheint auch ein gleichnamiges Video, das Mark Magidson, der zuvor „Baraka“ produziert hatte, während des Dead-Can-Dance-Konzerts im Mayfair Theatre von Santa Monica, Kalifornien, gedreht hat. Zwischen den einzelnen Songs werden immer wieder Interview-Sequenzen mit Brendan und Lisa eingeblendet, was dem 77minütigen Film einen noch dokumentarischeren Charakter verleiht.

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